MLJNCHENER MUSEUM
FOR PHILOLOG1E DES MITTEL-
ALTERS UND DER RENAISSANCE
HERAUSGEGEBEN VON
FRIEDRICH WILHELM
». o. Prsfeuor «n der Unlvenliit Miincheo
ERSTER BAND
ERSTES HEFT
VERLAG GEORG D. W. CALLWEY / MONCHEN
AUSGEGEBEN AM 6. NOVEMBER 1911
I n h a 1 1.
Seite
Deutsche Mystikerpredigten von Friedrioh Wilheim 1
Der Feigenmuntorden von Frtedrich Wilheim , . . 37
Wandlungen alten Sagengutes im Ruaslaud der Gegenwart
von Leopold Weber
Freidanks Todesjahr von Friedrioh Wilheim 45
VirginalbrucbslUcko aus der Benediktinerstiftsbibliothek Metten
vou Miobael Huber 0. S. B. . 48
HymnuaaufSt.Godehard vonHildesheitn von Friedrioh Wilheim 84
Zu Aynard von St. Evre von Max Manitius 66
Ein Naturgedicht Georg Greflingers von Expeditua Schmidt
O. F. M 80
Mitteilungeu aus dem Clm. 15613 von Erich Seemann . . .
Die Schaftlarer Augustinerregel von Friedrioh Wilheim
HandsohriftliehoB zur lateinischon Dichtung von Max Manitius 118
Es wird gebeten, Munuskripte, die fur daa MUachenor Museum bsatimmt
■ind, nur einseitig eu besohreiben und mil breitem Hand iu versetaon. 8ie Bind
an d«n Iierauageber eu senden MUnohen, Oettiugenstraase 86, 1.
Die Mitarbeitor erbaliea eiae Korrektur uod cine Revision. Bine rwelte
Revision best der Ilerauageber. Der Verlag tragi die K oaten der nlcht von der
Druckerei versobuldotin Kchler nur Ms B Mark pro Diuokbogen.
Unverlangt zu Keienaionaawecken eingesandte Werke werden nioht aurllok-
geaandt, wenn nioht das blefUr i
Eotgegnungen wordeii nioht autgenomnir n. Boweil es nioht daa Prosageseta
verlangt.
MUNCHENER MUSEUM
FOR PHILOLOGIE DES MITTEL-
ALTERS UND DER RENAISSANCE
HERAUSGEGEBEN VON
FRIEDRICH WILHELM
• . d. Protcsior in der Uaivenltlt Munch en
ERSTER BAND
VERLAG GEORG D. W. CALLWEY / MONCHEN
Vorwort.
^ Das Miinchener Museum setzt sich zum Ziel die Philo-
Iogie des Mittelalters und der Renaissance zu pflegen. Es
will sich in den Dienst der Erforschung s&mtlicher Natio-
nalliteraturen und Nationalsprachen Europas stellen, welche
in diesen Zeitperioden literarisch hervorgetreten sind. Dass
hiebei die germanischen Literaturen starker zu Geltung
komraen werden, ist bei einer solchen in Deutschland er-
scheinenden Zeitschrift naturlich.
Neben diesen Nationalsprachen und Nationalliteraturen
soil dem Mittel- und Neulatein besondere Aufmerksamkeit
zugewandt werden. Denn je weiter die Forsehung vor-
warts geschritten ist, desto deutlicher hat sich herausge-
stellt, dass die Kenntnis der mittel- und neulateinischen
Literatur und Sprache die notwendige Grundlage fur die
richtige/Beurteilung der nationalsprachlichen Werke des
Mittelalters und der Renaissance bilden muss, dass aber
auch ein in die Tiefe gehendes Verstandnis der mittel- und
neulateinischen Literatur ohne Vertrautheit mit den Natio-
nalliteraturen und den geschichtlich gewordenen National-
charakteren unmOglich ist. Gerade in der Person des
Griinders der mittellateinischen Philologie, des unvergess-
lichen Ludwig Traube, kam dies deutlich zum Ausdruck.
Traube war nicht bloss ein vorzviglicher Latinist sondern ein
ebenso trefflicher Romanist, er hat aber auch den germani-
schen Literaturen seine stete Aufmerksamkeit geschenkt.
Das Latein war im Mittelalter und zur Zeit der Renais-
sance Gemeingut der europaischen Kulturwelt und es muss
von alien, die sioh mit diesen Zeitraumen beschaftigen,
gemeinsam ohne angstliche Riicksicht auf die Grenzen der
IV Vorwort.
einzelnen Gebiete erforscht werden. Nur so wird man im
Sinne Traubes handeln und nur so gewissen Tendenzen
wirksara entgegentreten, die mit einem wegwerfenden Urteil
fiber humanistische Studien und die klassische Philologie
uneingedenk dessen, was wir Rom und Hellas zu verdanken
haben, Griechisch und Latein fur Germanisten und Ro-
manisten uberflussig erklaren mtfchten.
Die Erforschung des fortgesetzten gegenseitigen Ein-
flusses von gelehrter und volkstiimlicher Sprache und Lite-
ratur in den genannten Zeitperioden wird daher eine der
wichtigsten Aufgaben des Miinchener Museums bilden.
Wie aber schon in der An tike der Einfluss des Orients
auf das Abendland ein bedeutender gewesen ist und dieser
in seiner Tragweite erst jetzt von der Forschung geniigend
gewiirdigt wird, so will auch das Miinchener Museum die
wichtigen Beziehungen zwischen Orient und Okzident in
dem von ihm abgegrenzten Zeitraum wissenschaftlich er-
forschen helfen. Schon im zweiten Heft gedenkt die Re-
daktion einen diese Beziehungen illustrierenden Aufsatz
bringen zu ktonen (vgl. jetzt unten S. 185 — 214).
Das Miinchener Museum wird Quellentexte und wissen-
schaftliche Abhandlungen vertfffentlichen und zwar nicht
bloss solche literarischen oder sprachlichen Inhalts, sondern
auch solche, die fiir Kultur und Geschichte des Mittelalters
und der Renaissance Interesse bieten. Ueberhaupt wird
die Zeitschrift bestrebt sein den „geschichtlichen Sinn* zu
pflegen, d. h. jene Art der Betrachtungsweise, die sich klar
ist, dass sie in vielen Fallen nur nach Wahrscheinlichkeit
und Glaubwtlrdigkeit entscheiden kann, dass sie gleich
dem Richter an Menschen mit ihrer Unzul&nglichkeit als
Zeugen und an das zu Gebote stehende Material gebunden
ist, und dass ihr Urteil gleich der richterlichen Erkenntnis
nur und eben dadurch an Wert gewinnt, weil es nach
bestem Willen und KOnnen und im Bewusstsein der vollen
persdnhchen Verantwortung gefUUt ist.
Das Miinchener Museum wird nicht regelmassige Be-
sprechungen iiber Neuerscheinungen bringen, sondern nur
Vorwort. V
in Fallen, in denen es deren Wichtigkeit der Redaktion
geboten erscheinen l&sst, wird in Form langerer, selbstan-
diger, kritischer Aufs&tze liber sie berichtet werden.
Das Miinchener Museum erscheint in Heften von circa
sieben bis acht Bogen Urafang, von denen drei einen Band
bilden. Mehr als drei Hefte sollen in einem Jahr nicht aus-
gegeben werden, doch ist das Erscheinen eines vollstan-
digen Bandes nicht an Jahresfrist gebunden*
Miinchen, im September 1911.
d-.S
t
i-7 > i
Inhalt des ersten Bandes.
Deutsche Mystikerpredigten von Friedrich Wilhelm . . Seite 1
Der Feigenmuntorden von Friedrich Wilhelm . . . . n 37
Wandlungen alten Sagengutes im Russland der Gegen-
wart von Leopold Weber n 43
Freidanks Todesjahr von Friedrich Wilhelm „ 45
Virginal bruchstUcke aus der Benediktinerstiftsbibliothek
Metton von Michael Huber 0. S. B „ 46
Hymnus auf St. Godehard von Hildeeheim von Friedrich
Wilhelm „ 64
Zu Aynard von St. fevre von Max Manitius .... n 66
Ein Naturgedicht Georg Greflingers von Expedites Schmidt
O.F. M „ 80
Mitteilungen aus dem Clm. 15613 von Erich Seemann „ 92
Die SchSftlarer Augustinerregel von Friedrich Wilhelm . n 193
Handschriftliohes zur lateinisohen Diohtung von Max
Manitius w 118
M icons von St. Riquier de primis syllabis von Max Manitius „ 121
Zur Grammatik Peters von Pisa von Max Manitius . . , 178
Die lateinisohen Akten des hi. Psotius von Friedrich Wil-
helm und K. Dyroff 186
Zur altsaohsischen Genesis von Friedrich Wilhelm ... „ 214
Drei ungedruckte Ulrichsmirakel von A. Hirsch .... „ 216
Beitrage zur Stoffgeschichte des lateinischen Ordensschul-
dramas von L Pfandl „ 218
Peter Grieninger von Friedrich Wilhelm n 236
Aus Czepkos Kreise von C Th. Slrasser n 241
Die junge Frau und der aite Mann von Friedrich Wilhelm „ 246
Zu den deutsch - franzosischen Kulturbeziehungen im
12. Jahrhundert von Friedrich Wilhelm „ 247
Die Historia de preliis und das Alexanderepos des Quili-
chinus von Spoleto von Fr, Pfister n 249
Zu den lateinisohen Georgslegenden von Carl Weyman . „ 302
VIII Vorwort.
Zur Sage von dem Grafen von Barcelona (Toulose) und
der Kaiserin von Deutschland von Steinberger . . . Seite 310
Ho mi lien fragments aus der Benediktinerstiftsbibliothek
Metten von Michael Huber 0. S. B . .339
Zum Ludus de Antiohristo von S. Aschner ...... * 355
Eine deutsche Uebersetznng der Praefatio zum Heliand
von Friedrich Wilhelm .362
Jubilus bibulorum von Jak. Werner „ 365
Ein ParzivalbruohstUok aus Freiburg im Breisgau von
Friedrich Wilhelm ,367
Deutsche Mystikerpredigten.
I.
Canctus Lucas spricht: 'all die vnsern herren perurten,
^die wurden gesvnt von allem irem siechtum' (vgl. Luc. 6 y 19;
Matth. 14j 36; Marc. 6, 56). do got den ersten menschen
geschuff, do peschuff er in gesunt. er peschuff in also,
das aller seinr sele chreft geordent warm vnd sein peschai-
(Bl. 19a) denhait an allerlai widerchrieg. die weil die
peschaidenhait gote vndertanig was, so waren all die
indristen chrefte gehorsam der peschaidenhait. do der
mensch flbergieng gots gepot, da wart zerprochen die gul-
dein kette, die da stunt zwischen gote vnd der sel, vnd
ain iegleich chraft zoch iren tail nach ir, vnd wurden zer-
sprewt all die chreft der sele, vnd sftchte iegleiche chraft
iren glust an ainem iegleichen dinge; vnd also vll der
mensch in todleiche sflnd. vnd darfimb chara vnser herr
auff das erdreich als ain artzt, all die in perfirten, daz sy
gesunt wflrden. darumb spricht got, das ewangelij : alle
die vnsern herren rfirten, die wurden gesunt von allerlai
siechtfim. er sprach nicht: die in 'rflgten' oder 'horten* oder
( sahen ? . er sprach: die in 'rfirten'. etleich lewt die rfigen
vnsern herren • daz sint die da horen ain mess vnd gebent
etleich almfisen vnd pechummemt sich dann nymmer mit
got • furpas ist alls ir leben der sfint vnd der welt . dise
lewt sint in totleichen sflnden. etleich lewt die rfigent
got vnd horent in - daz sint die, die gem das gots wort
horen vnd vngern wolten aine (El. 19 b) [ain] predig ver-
saumen vnd richten doch ir leben wenig darnach. dise
lewt lebent noch all in totleichen sflnden. nu mag man
fragen, wie das raflg gesein, das ain mensch gerne hore
gots wort ane gnade gots. das wil ich pewern pei den
MUnohener Museum f. Pbilologie dcs MA. I. 1. 1
2 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
haiden. etleich haiden die liessen gros gut vnd alles
daz sy hinderen mocht an tfigenden darfimb, daz sy
chimen zfi den tflgenden vnd dar zu naturen wol
chomen mochten . vnd lebten noch etleich haiden, von den
wir gros ler haben von chunsten, jch han es da fur, vnd
solten sy so manig edel wort horen von der ewigen saeli-
chait, sy solten vngern ain predig versaumen. etleich
lewt, die sehent got; die sint dreyerlai. dew ersten sehent
in von verren in ainr vinsternuss • daz sint die daz raynste
tail irs lebens gote geben vnd das maiste tail den creaturen
vnd verlassen sich zemal auff sew. dise lewt sint in
grossem streit, wann ir peschaidenhait hat sich gezwait,
auffgericht ze gote vnd sprichet all zeit: ,daz soldestu
nicht tfln'. vnd ir vlhelichait spricht allzeit: ,daz wil ich
tiln' vnd uberwindet allzeit die peschaidenhait. w3x die pe-
(BL 20a) schaidenhait zemal ertrunchen in der vieheleichait,
so war da nicht streits: so w&ren sy des tewfels zemal.
dise lewt habent daz iamerleichist leben, die (!) ie lewt ge-
wunnen, vnd sint doch all in todsflnden. die andern lewt
sehent got offenpar. noch dann habent sy gross mittail
zwischen in vnd got. daz sint die, dy da das maiste tail irs
lebens gote haben gegeben vnd habent sich entzogen von
tfitleichen sflnden vnd habent got lieb fiber all creaturen
vnd w&ren von hertzen gern gut lewt vnd pegerent mit
allem fleiss ze volpringen gots willen. e dise lewte zfl
den creaturen sich wolten naigen, die sy von gote ge-
schaiden mochten, e verzigen sy sich ir zemal. aber dew
peschaidenhait erlaubt der vieheleichait, daz sy lust suchet
an den creaturen, vnd darflmb sint noch dise lewt in ainem
streit vnd werdenleichtichleich pechert. wann die peschaiden-
hait nicht fleissig auff irr hflte stet, so wirt die vieleichait
zehant so stark, daz sy die peschaidenhait nach ir zeuhet,
vnd so vellet der mensch wider in totleiche sflnd. dise
lewt sind noch nicht all zemal genesen : si haben drew,
stuck (Bl. 20 b) an in, der sieche lewt an in pflegen ze
haben. das erst, daz sy chrang sint, daz sy nicht gross
werch mfigen gewflrchen in gots dinste, die ain ander gut
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 3
mensch leichtichleichen wurchte: das selb wurch[t]en sy
swarleich. das ander, daz den siechen des lustet, das im
nicht gut ist. also haben sich dise lewt der welte abe-
getan; doch horen sy doch gem lustleich davon reden. vnd
daz mere! alls ir sfind. das dritte ist, das den siechen
lewten chaine speis smekchet nach irem werd, daz ist, daz
in got nicht smekchet nach seiner sussichait noch die welte
nach irr pitterchait. die dritten lewt, die sehent vnsern
herren, so man im allernachst mit sehen chomen mag, mer:
si enchomen im aber nicht nah&nar. das sint die, dy
sich haben entzogen von alien creaturen, da die andern
inne sint gewesen. aber si sint nicht frey; sy haften noch
an den creaturen, die in mflgleich sint. das ist mflgleich,
daz ain mensch sein chint Hep hab vnd sein mag. 1 ) aber
die lieb ist aus der ordenung: wann sich der mensch zu
gote wil fugen, so chomen dise ding mit ainem pild vnd
setzent sich zwischen im vnd seinem gote, das der mensch
sich dann (Bl. 21 a) gentzichleich pechummert, wie er
seinen chinden vnd seinen freunden vorsey vnd sew perat,
vnd die pas pesehen vnd peraten w&ren, ob sich der mensch
trewleich ze gote fflge vnd pevulch sy got: daz ist ainr
ainfaltigen sel ain gross mittel zwischen ir vnd got. all
dise lewt sint noch nicht gentzichleich gesunt, sunder die
allain, die vnsern herren rfirten. wisset daz ditz rfiren ist
zwaierlai. die aine rfirten got auswendig, als ain hant die
ander rfirt 2 ). die aine ist chalt, die ander ist warm,
so wermet die warme die chalten, vnd chulet die chalte
die warmen ausswendig, da sy sich an einander rfirent,
aber es durchget die hant nicht. also rurent die lewt
vnsern herren, daz sy entphahen ain pild von seinem got-
leichen wesen, damit sy sich setzen in ain gleichait gots,
so sy allernachst mfigen. dise lewt sint noch nicht gentz-
leich frey, wann sy sich vnderweilen auswendig anders
peweisen, dann sy inwendig sint, vnd wann sy vnderweilen
reden, so sy sweigen solten. vnd dise lewt peleibent noch
l ) frewnt von jiingerer Hand iiber roag gesckrieben.
') rareut S, danack in innen durchstricken R.
1*
4 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
in irr naturr. so sint etleich lewt die rurent got als die
speis den guraen vnd als der smack die zungen, vnd die
(El. 21b) zung wirt also durchtrencket mit dem smack,
daz sy ir selbes niht verstet. also werden dise lewt ge-
zagen aus ir aigen natur, daz all ir chrefte ledig pestent.
da wirt die peschaidenhait also verr gezagen f ber sich
selben als sust fiber die vieleichait. hie wirt die peschaiden-
hait also gezogen in got, daz sy selber nicht enwais, was
sy hat, sunder allererst, als sy es verloren hat. dise lewt,
die hie zfl choment, die sint vnderweilen ainen m&nad oder
viarzehen nacht, daz sy ain Aue Maria nicht gesprechen
mfigen, ditz verleich vns der gute got. Amen.
IL
(VgL F. Jostca, Meistcr Eckhart Nr. 15 5. 9 f.).
¥ Tnser herr vnderhub vnd hub von vnden auff seine
*^ augen vnd sach in den hyrael vnd sprach: ,vater
die zeit ist chomen, clarificir deinen sfln, daz dich dein
sfin chlarweise. all die du mir gegeben hast, gib in das
ewig leben, daz sy dich erchennen allain ainen waren got*.
(Joh. 17,1 f.) es spricht die schrift ainspabst: 'wann vnser
herr sein augen auffhub, so mainet er etwas grosses', es
spricht daz pflch der weishait (Sap. 1,4), das die sel mit
gotleicher weishait wirt getragen in got. es sprichet
auch sand Augustinnus, daz all die wort vnd (BL 22a)
die ler der menschait gots sein ein pild vnd ain figflr
vnsers hailigen lebens vnd grosser wirdichait vor got. die
sel mfls gelautert werden vnd haimleich gemachet in dem
liecht vnd in der gnad, vnd alles abgeschaiden vnd ge-
schelet werden, das frflmds ist an der sele, vnd auch ain
tail, daz sy selber ist. hie ist mer gesprochen: die sel
rofls also gar entplosset werden [als] alls des, da sy zuge-
vallen ist, vnd also lauter auffgetragen werden vnd wider
infliessen in den sfln, als si aus im geflossen ist; wann
der vater hat die sel peschaffen in dem sfln, darfimb rafls
sie wider ein fliessen in in, als sy aus im geflossen ist.
nun spricht er: 'er vnderhub seine augen'; in dem wort-
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigteo. 5
lein ligen zwen syn. der aine ist aine peweisung der
lauter dieratitichait. sull wir immer chomen in den grunt
gots vnd in sein inrists, so mfis wir zu dem ersten chomen
in vnsern aigen grunt vnd in vnser inrists in lauter die-
mfitichait. die maister sprechent, das die stern giessent
in irr chraft in den grunt des erdreiches vnd wurchent
daz lauter golt. als verr als die sele ohfimpt in den
(BL 22b) grunt vnd in das inners ires wesens, also verr
ergeusset sich dew gotleichew chraft alzumal in sy vnd
wurket gar verpurgenleichen vnd offenpar gar gross vnd
gar hohe ding in der liebe gots, dew sich dem lautern
gold geleichet. das ist der erst; der ander sin ist, daz
sich dew sel aufftragen sol mit alien iren gepersten vnd
iren sunden in diemfitichait vnd sol sich setzen vnd vnder-
baugen vnder die porten der erwirdichait gots, da got aus-
smiltzet in parmherzichait, vnd sol aufftragen alles, daz
tfigent vnd gflter werche in ir ist, vnd sol sich damit
setzen vnder die porten, da got aussmilzet in goltweise.
alsus sol die sel volgen vnd sich ordenen nach dem pild,
daz er vnderhub sein augen. ain maister spricht: der
listig wir vnd wol damit chtinde, der ordent wasser ^ber
wein, also daz des weins chraft mochte darinne gewurchen:
so machte des weins chraft wasser ze wein; vnd w&r es
wol geordent fiber den wein, es wurd pesser dann der
wein: doch zfl dem mynsten wird es als gut als der wein.
also ist es in der sele, die wol geordent ist in dem grunt
der diemfitichait vnd also auffchlimmet vnd wirt auffge-
zogen (BL 23a) in der gotleichen chraft. die enrwet nym-
mer, sy enchume die richte auff got vnd rflret in plos vnd
peleibt alles inne vnd ensuchet nicht neben got noch pei
got, sunder alles die richte in got in der lauterchait des
vorsens. darinn ist auch der sel wesen, wann got ist ain
lauter wesen. es spricht ain maister: in got, der ain lauter
wesen ist, enchumet nichts nicht, es ensei lauter wesen.
darinne ist auch der 1 ) sel wesen, die da chomen ist die
l ) Korrigtert aus die SB.
6 Wilhelro, Deutsche Mystikerpredigten.
richte auff got vnd in gote. darfimb spricht er: 'er vnder-
hfib sein augen vnd sach in den hymel'. es sprichet ain
chrischicher (!) maister: der hymel peteutet als vil als ain
hfit der sfinnen, wann der hymel geusset sein chraft in
die sunne vnd in die stern, vnd die stern giessen ir chraft
enmitten in das erdreich vnd wurkent golt vnd gestain
also, daz das gestain hat chraft ze wfirchen wunderleiche 1 )
werch. ain haben die chraft, das sy an sich ziehen eysen
vnd gepain. iegleich stain vnd chreutlein ist ain heuslein
der sflnnen, das in sich verslussen hat ain hymelisch chraft.
also, daz der hymel geusset sein chraft in die stern, also
geussent sy die stern furpas in die chreuter vnd in (BL 23b)
die 2 ) steine. das chraut ist edler dann die stain, wann
es hat ain wachsend leben. es vermacht im nicht ze
wachsen vnder dem leipleichen hymtl, da w&r dann aine
vernunftige chraft inne, von der es sein leben emphScht.
also als der nidriste engel geusset sein chraft in den hymel
und machet in vrhblauffen, vnd wurket also der hymel
sein chraft gar hairaleich in ain iegleiches chraut vnd in
die t^r; vnd da von hat ain iegleich ding ain aygenschaft
des hymels vnd wurchet alluifib sich sinewell als der hymel.
die t^r treten pas auff vnd habent synnichleich leben vnd
peleibent doch in der zeit vnd in der stat. aber die sele
trittet ^ber an iren hochsten in ir naturleich liecht vber
zeit vnd fiber stat in die gleichnflss des liechts des engels
vnd wurchet mit ira vernunftichleich in dem hymel. also
sol die sele alles auffchlimmen in der vernunftigen wfir-
chunge, da sy vindet gotleiches liechtes vnd gotleiches
geleichnfisses. da sol sy hfiten vnd nicht widercheren,
vntz sy aber pas auffchlimmet; vnd also sol sy sich pas
aufferheben in dem gotleichen liechte vnd also chomen
fiber all hut des lauter plossen angesichts gots mit den
engeln in (BL 24a) den hymeln. darumb spricht er: 'er
sach in den hymel vnd sprach: vater die zeit ist cho-
l ) Danaeh chraft getilgt SB.
') Danaeh stan getilgt S.
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 7
men, clarweis deinen sfln, daz dich dein sfln clarweis\ wie
der sfln den vater chlarweis vnd wie der vater den sfln
chlarweis, da ist pesser von ze sweigen dann zereden. sie
solten engel sein, dy da von reden solten. aber von dera
wortlein ain wenig, da er sprichet: 'all die du mir gegeben
hast\ der den syn aigenleich ansicht, also maint es: als
vil als du mir geben hast, ich gib in das ewig leben; daz
ist daz selb, daz der sfln hat in dem ersten auspruch vnd
in dem selben grunt vnd in der selben lauterchait vnd in
dem gesmack, da er sein aigen saelichait inne hat vnd da er
sein aigen wesen inne besitzet. 'das ewig leben gib ich in vnd
anders enchains', disen syn *) hab ich etwan gesprochen*) ge-
mainchleich 3 ), vnd aber hie lassen in, vnd leit aigentleich in
der latein, als ich in immer gesprochen han. du pit in selber
vnd sprich chflnleich auff meinen leip: das ist das ewig leben,
daz sy dich erchennen als ainen waren got. pechanten zwen
got, ain 4 ) erchante tausent, vnd der ander erchant got, mer,
wie chlain das w&r, er erchante (BL 24 b) mer, dann der
tausent erchante. w&r mein sel synleich vnd w&r edel
vnd lauter, waz sy erchant, daz w&r nicht dann ain. pe-
chant ain engel, vnd w&ren des zehen, vn pechant ain ander
engel, der edelSr w&r, daz selb w&r ain. daruifib spricht
sand Augustein: erchante ich [ich] all ding vnd erchante
ich got nicht, ich het nichts pechant. erchenne ich aber
got vnd anders chain ding, so hab ich all ding erchant.
je man got ie tieffer erchent, ie mer man erchent die
wflrtzlein, aus der all ding geprachen sint, ie mer man die
wurtz vnd den chern vnd den grunt der gothait mer er-
chennet ain. darflmb spricht er: 'daz man dich erchenne
allain ainen waren got*, er sprichet nicht: 'weisen got'
noch 'gerechten got* noch 'gewaltigen got', mer, er sprichet:
'allain ainen waren got' vnd main, daz die sel abeschel
alls, das man got zugelegt in gedancken oder in verstand-
') Vertceiszeichcn fiir das vom R. an den Band geschricbent hab ich.
*) danach ban gttUgt R.
*) in die ohristenhait danach getUgt R.
4 ) Danach vnd gttilgt R.
8 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
nuss vnd nemen [in] plos als erist: ain lauter wesen. also
ist er wan darflmb spricht vnser herr: 'das ist das ewig
leben, daz sy dich erchennen allain ainen waren got*, daz
wir ch6men zu der warhait, daz ist lauter wesen, vnd ewich-
leichen da peleiben, des helff vns got. Amen.
III.
(Ygl. Frant Pfeiffer, Deutsche Mystiker II 130, 25 f. und PBB. 34, 339.)
(Bl.25a) T Tvnser herr der sprichet: 'in der porten des gots
^ hauses stand vnd sprich aus das wort' (Jer. 7, 2).
der hymelisch vater der sprichet ein wort vnd sprichet daz
ewichleich vnd in dera wort verzerte er allew seine macht
vnd sprichet sein gotleich natur alzemal in dem worte vnd
all creaturen. das wort ligt in der sel verporgenleich, daz
man es nicht enwais noch enhort, im werd dann entraumet
in dem grund des horens, e wirt es nicht erhSrt; vnd all
styram vnd all lewtfT) rofisen ab vnde mfls ain lauter stilnfiss
da sein, ain stillesweygen. von dem synne nicht mer. 'nu
stand in der porten', wer da stet, des lid sint geordent.
er wil sprechen, das daz obrist tail der sele solte auffge-
richtet sein st&tichleich. alls daz da ist, das mfls alls ge-
ordent sein vader daz ober im ist. all creaturen gevallen
got nicht, das naturleich liecht der sele vberschein das liecht
der sel, das gotleich liecht inne gewurchen mflg; wann got
enwflrchet nicht in leipleichen dingen, er wflrchet in ewichait.
darflmb mfls die sele gesamnet sein in in vnd aufgezogen
vnd mfls ain gaist sein. da wurchet got (BL 25b), da pe-
hagen all werch got. chain werch gevellet gote wol, es
enwerde da gewflrcht. 'nu stant in der porten in dem
haus gots\ daz haus gots ist die ainichait seins wesens.
daz ain ist, daz heldet sich aller pest allain. darflmb dew
ainichait dew heldet got [got] zesammen vnde legt nicht zfl.
da sitzet er in seinem nesten 1 ), in seinem essencie, alls in
sich, nindert aus sich. aber da er smeltzende ist, da smiltzet
er aus. sein aussmiltzen ist sein gut, alls ich nu sprach
1 neste (sic) aus raeste corrigiert S. Vielleicht iuuisten?
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 9
von pechantnflss, daz ist pesser dann dew lieb. aber zvvai
sint pesser dann ains. wann das pechantnflss tregt die lieb
in im. die Hebe vodert vnd pehanget in der gflte, vnd
pehange ich in der porten. vnd dew liebe w&r plint, vnd
enwir das pechantnflss. ain stain hat auch liebe, vnd des
liebe suchet an dem grunt, fewres liebe suchet den luft.
pehange ich an der gflte in dem ersten smiltze vnd nim
in, da er gut ist, so nim ich die porten, ich nim got nicht.
darflmb ist das pechantnflss pesser, wann es leidet die liebe.
aber *) liebe wille pegerunde maynunge. ainen ainigen
gedanck leidet es nicht. zfl dem ersten loset es ab vnd
schaidet sich abe vnd (Bl. 26a) lauffet vor vnd rflret got
plos an vnd pegreiffe[n]t in seinem wesen. *herr, es zimet
wol deinem hause, das es hailig sey, da man dich inne lobt,
das es sey ain pethaus in der lenge der tage (Ps. 92,5)' . jch
maine nicht die tage hie, wann ich sprach: ain lengan ende.
da ist a[i]n lenge a[i]ne praite. wann ich sprich: all zeit, so
main ich fiber zeit, mer: alles hin fber, als ich nfl sprach,
da weder hie noch nfl enist. ain fraw fragte vnsern herren,
wa man petten solte. do sprach vnser herr: die zeit sol
chomen, ist ietzunt, das die waren petter got sullen anpitten
in dem gaist vnd in der worhait. wann got ist ain gaist,
darflmb sol man in an petten in dem gaist vnd in der
warhait, der dew warhait selb ist. des ensei wir nicht,
mer: wir sein war, dapei ist etwas vnwar. also enist es
in got nicht. mer inn dem ersten auspruch, da dew war-
hait auspricht vnd enspringet in der porten des gots
hauses, sol dew sele sten vnd sol ausprechen vnd fur-
pringen das wort, alls das in der sele ist, vnd sol sprechen.
deew 2 ) stymme sol niemans horen in der still vnd in der rfi,
als ich nfl sprach von den engeln, die da sitzen in choren
der warhait; die sint stull gots (BL 26b) } in den got r\H.
In diser still vnd in diser rfr sol dew sel sten; vnd in dieser
porten da spricht got in die sel vnd sprichet sich alzumal
*) Danach die getilgt. SB.
s ) Oder drew zu lesen f
10 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
in sie 1 ). da gebirt der vater seinen ainporn siln vnd hat
so gross lust in dem worte, vnd im ist so gar Hep dar zu,
daz er nymmer aufgehoret, er enspreche das wort allzeit,
daz ist ober zeit. es chflmpt zft vnsern worten, daz wir
sprechen: deinem haus zimpt wol hailichait, vnd das man
dich darinne lob vnd daz nicht darinne sey, dann das dich
lobt vnd sprichet vnser maister vnd fragen: was got lob?
das tut geleichait. alls das gleich ist, das in der sele ist
das enlobt got nicht, als ain pilde lobet seinen maister,
der es in sich gedrukchet hat vnd ims so gar geleich ge-
machet hat: dew gleichait des pildes lobt seinen maister
an wort, das man got mit wort loben mag oder mit dem
mund pettet, daz ist chlain. vnser herr sprach: 'ir pittet,
ir enwisset, was ir pittet (Marc. 10 y 38)\ was ist gepittet?
Dionisius spricht: 'ain vernunftleich auffchlimmen in got das
gepittet'. ain hay den spricht: 'wa gaist ist vnd ainichait vnd
ewichait,*) da wurchet got (BL 21a). wa flaisch ist wider flaisch,
wa zestorung ist wider ainichait, wa zeit ist wider ewichait,
da enwfirchet got nicht, mer: enchan da mit nicht*. ich
sprich: alien lust vnd all penfigde vnd wflnne vnd all welde,
die man hie gehaben mag, die mus alls ab. der got loben
wil, der mfls hailig sein, samnet sein vnd ain gaist sein
vnd nindert aus sein, mer: alls geleich auffgetragen in die
ewichait hin auff fiber allew ding, ich main nicht all crea-
turen, die geschaffen sein, sunder alles, daz er vermochte,
ob er wolde: darflber sol dew sel chomen. die weil vor
der sele ich ist, daz got nicht enist, so enchomet sy nicht
in den grunt in der leng der tage. sand Augustinus sprichet:
'wann das liecht der sele vberscheinet die creaturen, da inne
sy ir wesennement, das haisset erainen morgen; als des engels
liecht vberscheinet das liecht der sel, daz haisset er ainen mitten-
morgen'. David spricht: 'des rechten menschen steige ist
weishait vnd nimmet zfi im ainen mittentag' (Prov. 4, 18).
der steig ist schon vnd peh&gleich vnd lustig vnd haimleich.
>) Danaeh eel getUgt SB.
*) ewi durch$trichen.
Wilhelm, Deutsohe Mystikerpredigten. H
mer : als das gotleich liecht oberscheinet das liecht des (Bl.27b)
engels, vnd das liech der sel vnd des engels sich flissen in
das gotleich liecht als ain flos, den haisset er den mittentag.
dann so ist der tag in dem hochsten, vnd geusset die sfinne
iren schein in die sternen, vnd die stern giessent iren schein
in den manen, da es alles geordent wirt vnder die sfinne.
vnd hat daz gotleich liecht des engels liecht vnd der sele
liecht in sich peslossen, daz es alls geordent ist vnd auff-
gerichtet stet; vnd da so lobt es allzemal got. da enist
nicht raer, das got nicht enlobe, vnd stet alls gotleich
im geleich ie voller gots vnd lobt alzemal got. vnser herr
sprach: 'jch sol mit ew wonen in ewrem hause.' wir pitten
des vnsern lieben herren, das er mit vns wone hie, das wir
mit im ewichleichen wonen muessen in seinem haus vnd
ewichleich mit im saelig sein: des helf vns got. Amen..
IV.
(Ygl F. Jostcs, Mtistcr Eckhart Nr. 76 & 79 f.)
f^ptaui et datus est mihi sensus et invocaui et uenit in
^^ me spiritus (Sap. 7,7). disew wort sint geschriben in
dem pfich der weishait. die sprechent ze tewtzsch also:
,jch han gewunschet, vnd mir ist gegeben der syn; vndich
han gerueffet, vnd in mich ist chomen der (Bl. 28 a) gaist, der
gaist der weishait. darflmb han ich gemerchet, das chunig-
reich vnd gewalt vnd herschaft vnd reichtum ist also chlain
als ain santchorn weder des meres ader, zeraal nicht enist
ze raten wider dem geist der weishait*. an disen worten
mtigen wir merchen, wie gros wir sflln achten den gaist
der weishait vnd wie wir chomen zfl dem gaist. zwai
ding sflll wir merchen an den worten, da er sprichet: jch 1 )
rieff zu got, vnd in mich ist chomen der gaist der weis-
hait/ das erst ist sflssichait vnd smack des gaists. darumb
sprichet er, das chunigreich vnd gewalt vnd reichtflm
zemal nicht mflgen geleich werden dem gaist der weishait.
J ) Danach ze durehstriehen S.
12 Wilhelm, Deutsohe Mystikerpredigten.
der das pefunden hat, das ich nu sprich, dem sein ze
chlain all vergengleiche ding wider die ewigen ding, ain
maister vnd Gregorius sprechent: wann ain mensch von
chinde gezogen wirt vnder dererden vndvonainemmenschen
gelabet wirt, der im sagt von der chlarhait der sftnnen vnd
zirde des erdreiches, er mocht es nicht gelauben. also
ist es vibb den menschen, die weil er pesprengt ist mit
irdischen dingen vnd das liecht der weishait in in nicht
erscheinende ist: was man im da von gesagen mag (Bl, 28b),
er glaubt es nicht. hie von spricht ain haidnischer
maister an ainem pflch, daz haisser (!) er den ,prunne des
lebens vnd auch ain stuck der ewigen weishait*; vnd in
dem pilch da lerte er seinen iunger vnd sprichet: ,wiltu
gaistleiche ding pechennen, so soltu dich ziehen an das
hochste deiner sel vnd an das gaistleichist vnd solt dich
ziehen von der vnfl&tichait zergengleicher dinge vnd solt
dich enpl6sen vnd enprechen von der gevengnflss deinr
selbs natflren vnd solt choinen an ein vorgesehenhait deiner
selbers natur; so werdent dir chomen allew vergengleiche
ding an ainen winckei deinr sel; so wirstu peschawen, daz
all zergengleiche ding nichtz sint wider die weishait/
darumb penfigt den weisen menschen nicht an allem dem,
daz got nicht enist. nu senden wir aus die hant rekchende
ffir den tisch vnsers herren gots vnd piten vihb aimflsen
von gote: wann in der weise, so sei wir all pettier, hie
von spricht chunig David: ,got der hat angesehen die
g&rung seinr armen' (Ps. 9,13). ain weiser maister sprichet,
daz got sey ain ausfliessentz gut vnd trag vail all seine
volchumenhait (BL 29 a), mit der er sich entgussent hat
in dem sfin. die tregt er vail vnd pewtet sey an vnderlos
alien lewten. ain iegleicher entphach sein, als er mflg.
waruifib entphahen all lewt nicht seinr volchumenhait?
daruihb daz sy nicht arm sint ir selbs. nu sfillen wir
merchen, das got ist ain austlissentz wesen, vnd im werd
dann pegegent vnd es wert dann enthalten, so engibt es
chain chraft. der gute mensch sol gote pegegen mit
inichait vnd andacht. da mit so entphahet er vnd pehaltet
Wilhelm, Deutsche Myatikerprediglen. 13
gotleich volchumenhait an sich, als ain schosspret, daz das
wasser enthaltet, das es nicht enfleusset. also mag man
merchen an der sfinnen, daz sy iren schein aussgeusset an
den luf't; da enmacht man nicht volchSmleich erchennen
den schein, er gewunne ain widerslag von der erden vnd
von andern groben dingen. auch mag man merken an
dem glas, die weil daz es durchscheinig ist, so enmag
man nicht daran erchennen, da enwerd dann ain hant
vndergelegt von leib, so entphahet es ain pild vnd alles,
daz im gegenwurtig ist. ain maister spricht ain sauber-
leich wort: die weil daz 1 ) (Bl. 29b) aug icht gleichnflss in
im hat an dem ding, daz im gegenwurtig ist, als ain haus
oder ain ander ding, so enchan es nicht erchennen ander
ding, da es sich furpas auff verfleissen wil. nu mflg wir
merchen die volchomen offenparung vnsers herren got in
alien dingen, wie sich ain gotleich liecht phligt zu peweisen,
als man merchen mag, was pei ainem weisen tfich leit:
js es rot, es scheint rot, jst es weis, es scheinet weis,
jst es swartz, es scheinet swartz vnd peleibt doch an im
selben lauter vnd rain, von der vnderlegung, da es auff-
vellet, so scheinet es manigualt vnd ist doch ainvalt an
im selben. darnach daz die garung gotleich ist, darnach
wirt sy gotleich entphangen vnd geleicht dem gotleichen
liecht. ain maister sagte seinem iunger so vil von der
ewigen saelichait vnd von edelchait der sel vnd von gaist-
leichen werchen, die got wurchet in der sel, die man nicht
gentzichleich erchennen mag, die weil man gepunden ist
mit dem karker des leichnam. do der iunger das geh5rte,
dem gieng es so sere ze hertzen, das er sich lies von der
mawr vnd viel sich selb ze tod, darumb daz er chame zfi
den dingen, die er gehort het* vnd wer sich (BL 30a) selb
ertottet, der hat an der hilff gots verzagt vnd wirt sein
nymmermer von gote gedacht vnd mtis ze hell immer
peleiben vnd tet doch tflrleich. der selb maister sprichet:
wir sein vnsers selbs nicht, daruihb wir vns selben nicht
l ) Danach icht getilgt 8.
14 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
losen aus sflnden, e vns got lost, des gevangen wir sein.
auch der ze recht gevangen ist, der endarff sich selben
nicht 18sen, e er rait recht gel&set wirt. ain chrichisser
maister sprichet: ,all weiss lewt pegerent ze sterben'. auch
spricht ain maister, das wir von pechantnfiss der weishait
sterben sfillen von allr vnfl&tichait, vnd daz sich der mensch
entziech von der sfissen leng der pechorung. 1 ) es spricht
ain ler£r: 'ain ding pringt raich ze sch&m vnd ze vorchten,
als ich gedenck, daz got seinew augen so gentzichleich
auff mich gechert hat, als ob chaine creatur mer sey dann
ich Vnd chert sich wider zu seira gepresten vnd sprach:
'ir vnrain flekchen, wie lang welt ir petrflben die augen
meins allrliebsten, der mich so recht Hep hat? vart von
mir! ich wil ewr nicht mer leiden noch vertragen, daz ir
im so dick in seine augen stosset, die mich so lauterleichen
vnd so chlarleich ansehent wer gibt mir, daz ich got von
mir enziehe ain weil, vntz ich gelautert wert, vnd dann
widerch6m vnd also pey mir pelaib? 'das (Bl. 30 b) ander,
daz wir sflllen merchen die edelhait der werche. ain
maister vnd sand Dyonisius sprachen von den engeln, welchs
ir werch sein, daz sy rainigen vnd erleuchten vnd vol-
pringen. daz sol ditz gaistleich werch sein an der sel, daz
sy gerainigt vnd erleuchtet werd und sich flbe an vol-
chumenhait. dar an wirt sy den engeln geleichet vnd ent-
phahet von gnaden, daz die engel pesitzen von natur.
daz vns das auch widerfar, daz verleih vns got. Amen.
V.
(Ygl. PBB. 34 t 363 Nr. XXIII.)
y^Racia dei sum id, quod sum (!. Cor. 15,10). die wort
^^^sprichet sand Pauels: 'das ich pin, das pin ich von
gnaden gots, vnd gots gnad was in mir nie muessig/ an
<lisen worten still wir prueffen zwai ding: was die gnad
.sei vnd in welhem weg sy zfl dem menschen chomen, zfi
') Danach Ain ding getilgt SB.
Wilhelm, Deutsohe Mystikerpredigten. J 5
dem andern mal, was sy an dem menscben wurchen. zu
dem ersten mal, was die gnad sey. sy ist ain saelig ding,
das nyramer chflmpt, dann an dem ende der natflren, vnd
swellet die natur, dar zfl sy got geschaffen hat. die natur
ist ain fundament ader ain tempel der gnaden, vnd die
gnad vellet auff die natur, vnd die gab (Bl. 31a) vellet
auff die gnad, vnd auff die gabe vellet saelichait. darfimb
so enchflmpt die gnad nymmer, die natur hab sich auff-
gereckt vnd geweitet, vntz sy nicht furpas enmag, so
chuifipt ir die gnad zehilf. darurhb mfls sich die natur
16s vnd weit machen von kestichait vnd hertichait, als daz
silber vnd golt: ie mer man das wurchet, je dunner es
wirt vnd geringer vnd los, daz es die lufte hinw&t.
niminer chain ding mag sich rait dem andern verainen
gentzichleichen , das es z wai gestaltnflss hab , sam ain
mensch zwai antlutz hat, daz ain antlfltz nyder sey zu den
sunden vnd daz ander aufgerichtet sei ze got. das enmag
in chainr weise gesein nicht, das der mensch paid der
natflr volge vnd auch den gnaden. das ist natur, daz zfl
aim ding ist, als daz ain mensch sihet an vernunft vnd an
willen. das ist weder sunde noch almflsen. Pla[i]to spricht,
daz der mensch sey ain waidenleich tyr, wann die t^r
horen vnd sehen vnd haben funff synn, als der mensch.
die natur stet also vast an irem ringe, daz sy daraus nicht
engeret zechomen. jch engeret noch nie das, das ich flflg
sam ain vogel: des enhat mir die natur nicht gegeben.
(BL 3lb.) wann daz meinen synnen gewurchet ist 1 ), des
ger ich vnd des lustet mich. wa sol 8 ) ich mit meinem leip
hin, ob mir dew gnade nicht ze helff chflmet? nieman en-
w&n des, daz er in den gelflsten des leibs in im gnad ent-
phahen mfig, der mensch enrichte sich aus vnd derre sich,
als das erdreich enmitten in dem sumer, daz sich da chleubt
nach dem durste des regens. also sol sich der mensch
auffluften, das er die gnad enphahen mflg. wann, die
weil daz sich ain ding selber gehelfen mag, so endarff man
l ) Nachgetragen 8; danach daz ger ger getilgt R.
% ) Nachgetragen 8; noch ich so getilgt S.
16 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
im nicbt helfen, daz ist: die weil die natur icht verraag,
so enchtimpt Ir die gnad nicht ze helf. sol ain ding
gentzichleichen ain sein mit dem andern, als der luft rait
der sunnen ain ist, daz dy paid auff ainr stet pesten,
also rafts die natur rait der gnad verainet sein, das ir ains
dem andern nicht enschade, vnd die gnad ist raittel zwischen
der natur vnd got vnd sprichet zu der natur: 'schon
mein, so schon ich dein*. daz die natur der gnaden
antlutz gewinnet, das chumpt von drein dingen: von ainr
chraft, die haisset racio, die ander haisset wille; aus den
paiden zeuhet sich die dritte, die haisset frey willchftr. die
hatt (BL 32a) die chflr mit der edelchait vnd den ge-
chornen willen mit dem ainvaltigen willen vnd haisset frey
willechflr; vnd in dem scheint dew gnad, das dew red-
leichait erleuchtet wirt, daz sy pechennet das aysleich
antlfltz der sfinden vnd peginnet ir ze rewen, daz die ding
ie an ir geschahen vnd ie gut an ir versaumet wart, vnd
wirffet sich der willechiir rait aller chraft an die rechten
seiten, vnd zehant wirt sy verainet gentzigleichen mit
gnaden. wa mocht ich pessers dings pegeren, die weil
mir mein aines leben alien enden wol pehagte? ain heilige
der sprichet: der mensch der mag nymraer pechert werden
von seinen sfnden, sy enmissevallen im. dann die weil
daz wir ain ding nicht enlassen, die (!) uns gern halden, so
ensei wir nicht pechert. sand Augustinus zweifelt daran,
wann der mensch rew hat vAb sein sflnd, als in die sfind
haben gelassen* 'ich engib im', sprichet er, 'chainen trost
genczichleichen. jch versag im auch der gnaden nicht.
aber wil er sicher sein, so lass er sftnd, die weil er sflnden
mflg vnd den sflnden tfige\ daz ist von dem ersten, wie
die gnad chumet zu dem menschen. das ander, was dew
(BL 32b) gnade wurchet an dem menschen: daz erst, daz
sy wandelt, was pechantnfiss ist. daz ist gut, was man
verterbens dar in geusset, das es wider gut wirt. das
sint vnser vertorben werch, daz wir gut tftn ane andacht
oder ubel tfln ane synne. das wirt alles gepessert in der
gnad. das ist auch ain gut vas, das weder pas noch gut
W il h e 1 m , Deutsche Mystikerpredigten. 17
ist, daz wirt gut. daz sint all naturleich aflgen, die da
sint als chalbsaugen ane gnad vnd allew vnser vieheleich
synne. das wandelt dew gnad in gotleiches liecht vnd in
gotleiche sitte, das der mensch so gotleiches pechantnflss
gewinnet vnd in gotleicher andacht allew seine werch tut.
das ist auch ain gut vas, was guts dar in chumet, daz es
volchoraen wirt. allew die gab, die wir entphahen in der
gnade, dew werdent volpracht ze gots lob. zu dem andern
mal machet dew gnad smackhaftig die g&rung. was mocht
ich ains dings pegern mit hitz, ob es mir nicht ensmecket?
an gotleichem pechantnflss wirt die peg&rung vertriben vnd
von der liebe wirt sy smackhaftig. ain ding sull wir wissen
von der liebe, so sprichtDyonisius, daz sy den men(BL 33a)-
schen aus im selb setzet vnd ordent in an ainen, den er
lieb hat, vnd machet den menschen vnsynnig, daz er des
schaden nicht achtet, daz er enes willen volpringt, den er
liep hat. das dritte, da die gnade den menschen volpringt
an rechter freihait, das wir gots chinder werden: so sei
wir sein erben, so hab wir rechte freihait, so ist er chomen
zu der hochsten volchomenhait. wann alls hymelreiche
leit an freihait vnd aller creaturen edelchait. darflmb
pegeren vogel vnd ander creaturen der freihait vnd all t^r
vnd versmahen alls das gemach, da[z] in vangnfiss von
geschehen mag. wann der vogel gefligen mag, so ist er
chomen zfl seinr edelchait; also ist der mensch, den gots
gnad frey hat gemachet von alien vangnussen. all mensch-
leichew zung 1 ) mag nicht volsprechen vnd all irdisch vernunft
mag es nicht pegreiffen, was in got wil geben, den die
an seinr gnad peleiben.
l^v mechtu sprechen: wie mag ich wissen, wann got
bei mir sey? ich verstunt nie, wie got zu 2 ) mir ch&m 3 )
oder wie er von mir fflr, allain ich wol wais, daz er (BL33b)
vnderweilen pey mir sei gewesen. darfiber spricht sand Bern-
') all nack zung, dock dutch Zeichcn ah davor gchorig bezeicknct SR,
') Vor zu go ausgestrichen und wie got an den Band geschrieben E.
•) Vor oh am oder getilgt R.
Mllnohener Museum f. Philologie des MA. 1. 1. 2
18 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
hard: er ist lembtig vnd zehant, so er in mich ch6m, so
erwacht mein slaffend sel. er erweckt vnd erwaicht mein
hertz, daz da hert was vnd erstainet. er pegund auch
ausprechen vnd zest6rn, zimmern 1 ) vnd pflantzen, pe-
giessen dew diirren, die vinster [die] leuchtent, die pe-
slossen eroffent, die chalten entzundet vnd die chrurapen
slecht machen, also das mein sel got lob/ vnd alles, das
in mir was, seinen heiligen namen. alsus pechant ich pei
nichtew anders, dann pei der peweigung raeins hertzen,
wann er pei mir was, vnd von der flucht der vntugent
vnd von der verdruckchung der fleischigen vntflgend vnd
pegerung prueff/ ich den gewalt seinr macht vnd von der
vndersuchung vnd straffung meinr taugen wundert ich
mich fiber dew tieff seinr weishait vnd von etleicher pes-
serung meiner sitt ervant ich die gflte seinr miltichait vnd
von der widernewunge nieins gaists vnd meins gemfits pe-
chant ich seine schon vnd von der angesicht der ding
aller miteinander erschrack ich fiber die menig seinr gross,
so aber*) er (f) hin fur, so pegunden disew ding all mit
ainander slaffen von (BL 34 a) gaehem siechtura vnd ligen,
sam der ainem wallenden hafen daz fewr entzeucht; vnd
daz ist mir ain zaichen seinr hinschidung. so mils mein
sel durch not petrubt sein, vntz daz er wider cher vnd mir
mein hertz wider erwermet in mir, vnd daz sei mir ain
zaichen seinr widerfert da von, die weil vnd ich leb, so
mfls mir immer sein g£b daz wort: cher wider mein trawt,
cher wider! als dick er mir entsleiffet, so wil ich in aber
suchen vnd wil niramer gesweigen ze rueffen noch dem
ruck des hingenden mit haisser gSrung meins hertzen, daz
er wider cher vnd mir wider geb die fraud seins hails vnd
sich selben. ich vergi[l]h, das mich vnder dew nicht an-
ders lustet, so der pei mir nicht ist, des mich allain lust.
|^ ar vnvolchomen lieb gegen gote ist, wann die sele mit
^* aller garung, gehugnflss vnd chraft in got sich geusset
*) Tor zimmern Zeichen fiir das vom an den Band geschriebene
vnd zestftrn.
*) Einter aber ioh getilgt 8.
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 19
allain durch sein aingeporn gut vnd saelichkait. das
lernt sy von im, wann er sich in dew sele geusset vergebens,
nflr von seinr vnm&ssigen lieb. die 1 ) wiir lieb sol vns pringen
warew gots pechantnfiss, wann an im ist rechte materia
aller liebe, weishait vnd saelichait (BL 34 b). vrchfind warer
lieb spricht got an sande Johannes ewangelio: 'wer mein
gepot pechennet vnd an den werchen pehaltet, der ist der
mich da liep hat' (Joh. 14 } 21). spricht sand Augustinus:
'als vil haben wir got lieb, als vil wir pehalten seine gepot,
weder mynner noch mer\ das selbe ist auch an gelftbden,
die also pinden etleich al[l]s gepot. spricht sand Gregorius:
get in ewr herz vnd fragt euch selben, ob ir got lieb habt.
niemant sol im selben glauben, daz er got lieb hab an ge-
zeugnfiss guter werch: wann dew ware lieb ist nymmer
muessig. wurkt sy aber nicht, so ist sy nicht die warew
lieb. auch spricht sand Augustinus: 'der mensch hat got
lieb, der gots gepot nicht heltet durch gyr des lones oder
durch farcht der pein, sunder in zwingt des das aller peste
ist, das got gepewtet\ auch ist das volchomne lieb, als
die geschrift spricht (Hatth. 5, 44), das man den veint mit
woltfin ziech zfi seinr lieb. wann Johannes mit dem gul-
deinen mfind spricht, das nicht dem menschen got so gleich
macht, als daz man den veinten vnd fbeltatigen lewten
woltfi vnd in liepleich zftgep&r. auch gepewt got, daz
wir vnsern nachsten liep han, vnd auch die natur, wann
'ain iegleich tyr hat liep sein geleich', als der hailig gaist
spricht (Eclus 13, 19). auch (BL 35a) spricht ain ewangelist :
'j&merleich ist, das immer chain mensch des pedunckt, daz er
got lieb hab, die weil er daz zaichen des hasses an seinem
hertzen traet\ auch wirt die lieb pest&tigt von vns von
zwain dingen, als vnser herr selb spricht: 'halt ir mein
gepot, so peleibt ir stat in meinr lieb, als ich pehalten
han meins vater gepot vnd stilt pin an seinr lieb* (Joh. 15, JO.)-
das ander zfl dem ebenchristen von mitleidung, als der
hailig gaist spricht: <du solt nicht trost entzihen den j&;n_
l ) Davor an getilgt S.
20 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
rigen vnd solt ^mbgen mit den wainenden vnd la dich nicht
verdriessen ze gen zfl den siechen vnd sew ze trosten, wann
yon disen dingen alien wirstu pestaligt an deinr lieb
(Eclus 7, 55/.;.
TVTarew vnd volchumne diemutichait ist, daz der rnensch
versm&cht er, die man ira erpewt, vnd ir nicht gert
vnd alle zeit furcht, daz ira icht er erpoten werd vnd pe-
trflbt wirt vnd erzittert so sy im erpoten wirt, wann er
wais wol, daz man got allain loben vnd eren sol. der w&r
diemutig mensch gleichet sich nymraer dem er geleich ist,
wann er w&nt, daz niemans vnder im sey, vnd versmacht
sich selben allain vnd pegert, daz in all lewt versm&hen,
vnd frowt sich von allem hertzen (BL 35b) f so er ver-
sm&het wirt. 'der diemutig mensch', spricht sand Bernhart,
'der pegert nicht, daz man win oder sprech, daz er diemiltig
sey, sunder daz man in Schte fur ainen pSsen man', auch
spricht der prophet: *die vrsach deinr diemutichait vin-
destu enmitten in deinem hertzen' (Mich. 6 t 14). auch
spricht die geschrift, daz der nimmer erwerbe[n] die ttigent
der diemfltichait, der da fleuhet diemfltige werch. die die-
mfltichait wirt davon pestatigt, daz der mensch wer-
leichen pechennet, daz er weder gaistleich weder fleisch-
leiche pechorung uberwinden mag von seines selbes macht
noch chain werch getfln mag an sunderleiche hilf vnsers
herren Jesu Christi. auch dunchet den diemutigen menschen,
daz got lobleicher sey, daz er alle gn&den enp&r, dann daz
er gnad nam, die er so verworcht hat, der er nie genossen
hat nach gots ordenung.
ITochfart erchennet man an zwein dingen. auswendig als
der hailig gaist spricht: ,das chlaitdes lebens, lachen
des 1 ) mundes vnd gel&zzet des menschen chundet aus-
wendig, was in dem 8 ) hertzen ist* {Eclus 19,27), als man
den paum pechennet pei seinr frucht; wann all wort vnd
werch choment (BL 36a) aus dem hertzen. spricht sand
Augustinus: ,als der pds rauch choraet von dem magen„
') laohen des] laohenden.
f ) Danack mesoh getUgt IL
Wilhelm, Deutsche Mystikerprodigten. 21
also ist das vnchausch aug ain pot des vnchauschen hertzen.'
auch pruft man hoffart inwendig: so der mensch wil ge-
vallen den lewten vnd pegeret fiber ander lewt gehShet
werden, der hat nicht gemainschaft rait dem diemutigen
maister Jesu Christo, vnserra herren, der ira selben nie
geviel, als Paulus spricht: ,er cham nicht darfirab, daz man
im diente 1 ), sunder daz er diente, oder er fiber ander lewt
w&r, sunder daz er vndertSnig war/ der maister zestosset
die pain der iunger, die den lewten gevallen wellen, als
Dauid spricht: ,si sint geschant, wann got der hat sew
versmacht* (P$. 52,6).
^*ar vnd volchomen gehorsara ze gote ist, daz der mensch
^"^ fleissichleich pedenchet, was got zfi iegleicher zeit
vnd an iegleicher stat allermeist gevalle, vnd war zu der
weise got aller maist geordent hab, daz er daz mit allem
f leiss volpring, auch ist w&re gehorsam gegen der maister-
schaft, die an gots stat sint, so der vndertan willichleich
vnd getrewleichen volpringet, daz im allermaist wider ist
vnd nimmer mer erzaigt weder mit worten noch mit (BL
36b) werchen, das im das gepot wider sey. aber da mag
man nicht wol pechennen war gehorsam, da der vndertan
daz gepot selbtichtet vnd er trachtet des in gelustet.
Augustinus spricht: ,der ist dein dienstman, herr, der des
nicht engeret von dir zehoren, des in gelustet zetfin, daz er
von dir gehort'. dew war gehorsam erpaitet nymmer des
gepots seins maisters, sunder den willen, wa er den wais
oder w&net, erfullet er nach dem pild vnsers herren Jesu
Christi, dem seins vater will das hochste gepot was an
alien sachen. auch vnderschaidet der war gehorsam nicht,
was gut oder tibel sey, als her Abraham nicht vnderschiet,
ob gflt oder flbel w&r, daz er seinen sfln t5te vnd in gote
oppferte. jst dann, das daz gepot offenpar pSs sei, so
sprichet Gregorius, daz man durch gehorsam nymmer soil
vbel getfln, allain man eteswanne das gut lassen sol durch
gehorsam. auch sol uns zfi gehorsam pringen die hoch
gehorsam vnsers herren Jesu Christi, der nicht allain was
x ) dienten 8.
22 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredtgien,
gehorsara seinem vater, do er sprach: ,dein will geschech
vnd nicht der meine' sunder auch den tewfeln und den
lewten, posen vnd gflten. auch sol vns darzfi pringen
dew gehorsam der creatur, die gote vndertanig sint ze
alien zeiten, (BL 37 a) vnd er sew dem menschen vnder-
tanig geraacht auf die rede, daz er gote dester gerner
vndert&nig sey, auff die red die sflnn vnd man waren hievor
vndert&nig Gedeon: die stunden still an ainr stat, vntz er
sich gerach fber gots veint. das erdreich was Moyses
vndertan, das verslant Dathan vnd Abyron seine veint also
lembtig. das mer was sand Peter vndertan, daz er mit
trukchen fuessen darfiber gieng, vnd Moysi, daz rot mer,
daz sein volch da durch gie, die wilden t^r vnd die vogei
den ainsideln, vnd die tisch sand Francisco, die luft vnd
die sloz Samueli dem propheten, die regen Helye vnd daz
fewr Azaria vnd Misahel, die tewfel den zwelfpoten. sand
Augustinus spricht: ,die (!) war gehorsam fristet nicht seine
gepot seinr maisterschaft f ntz morgen, sunder er peraitet
seine oren ze horen, seinen mund ze sprechen, seine hend
ze wurchen, sein ffls ze gen vnd samnet sich inwendig
gantz und gar, das er volpring das gepot seins maister*.
auch spricht sand Bernhart: ,die gut gehorsam gibt seinen
willen vnd seinen ynwillen, das er w&rlfeich mflg gesprechen :.
mein hertz ist perait, was du mir gepewts ze tfln oder ze
lassen, zewflrchen vnd ze peten\
(BL 37b) YVTarew vnd volchomne gedult ist, so ain mensch
^^ lait vnd vngemach, daz im vnpilleich ge-
schicht gedultichleichen leit. hie von spricht Job: 'ich
han nicht gesunt vnd doch so leid ich pitterchait' (Job 17,2).
auch spricht sand Peter: 'ewr chainr sol sein vngemach
leiden als ain mordrar, wann es pesser ist, daz ir vngemach
leidet durch got f mb gut, dann fmb fbeP (1. Pet. 4,15).
auch sol man vngemach leiden von frewden vnd fmb
gut leben: so ist gots freundinne als die 1 ) lilig vnder den
dornen. allaine stekchent die lilien die dornen, doch pe-
l ) Danach Hebe getilgt 8.
Wilbelm, Deutsohe Mystikerpredigten. 23
haltet sy ir weise varben vnd smekchet pas, dann ob man
sei nicht enst&che; alaine werde gots praut gemfit von den
lewten, die gots freunt scheinen, doch wirt sy nicht vnge-
gedultiger, sunder sy fleisset sich zfi pehalten die chlar-
hait ir gewissen vnd den smack irs ltimden. auch ist das
war gedult, daz man nicht vertrage vngemach, sunder daz
man sein gere als got spricht: 'ich gerte vnd paite iet-
wisses vnd iamers\ der war gedultig mensch murmelt
nicht, als Job, vnd vnschuldigt sich auch nicht vnd chlaget
niemant sein vngemach, wann von chlag vnd entschuldi-
gunge wirt geringert das (BL 38 a) hertze. das achtet der
gedultig nicht, sunder er tregt sein vngedult mit gote.
drew ding die sullen vns pringen zfl gedult. ains, daz
wir mit vnsern sfinden verdient haben die pittern ewig
pein der hell: die lesche wir mit dirr pein. das ander ist,
daz vnser herr Jesus Christus lange grosse vnd manig vn-
gemach durch vns erliten hat: dem sfill wir gelten. das
dritte, daz der grosser), langen pitterchait der pein messen
sol grossew, lange, manig, wunnchleiche frewd des hymel-
reichs, als Paulus spricht: 'ditz chlain churtz vngemach
auff erdreich so/ vns widerwegen gross vnd ewige her-
schaft in hymelreich' (2. Cor. 5,1?). auch ist das war ge-
dultige, daz sich der mensch nicht reche, so er es getfin
mochte, vnd auch die rache wendet, als Dauid seine
feinde 1 ^ tet, daz sy nicht t&ten ainen mah Semey, der in
mit stainen vnd mit horwe geworffen het, vnd halt manig
fleg tet fur seine veint, als Christus fur sein chreutziger,
vnd Steffanus fur seine verstainer. auch zwinget der w&r
gedultige vnsern herren got, daz er sich f ber seine veinte
erparme, als Moyses sprach : 'entweder vergib disen oder
vertilge mich von dem puch, da du mich inne geschrieben
hast' (2. Mos. 32,31 f.).
(Bl 38b) i^ar vnd volchomen armut ist, daz man all ding
^^durch got lass froleich vnd willichleich vnd
man icht pehalte*) das, das man dann notdurftig ist vnd
l ) Aus fretmde gebessert S.
*) pehalte das das me (durchstrichcn) da"nn ma"n notdurftig 8.
24 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
des sol man vnwirdig dunchen vnd sol sein froleichen vnde
willichleichdurch gotenperen. drew ding, schreibtsand Bern-
hart, sfillen vns pringen zu der Hebe des armuts. got ist nicht
so Hep vnd den engeln nicht so wunnichleich noch den lewten
so nfltz, dann das man mit armut in gehorsam sein leben end.
das aber armflt gote loblich sey, das spricht sand Bernhart:
jn hymelreich waz flberfluss alls gftts, aber armuts des
geprast da. des was genug auff erdreich. aber der [der]
mensch west nicht, wie tewr vnd wie edel es was. darfimb
cham gots stin auff erdreich ze sflchen die armut, daz er
vns mit chauffe gezewgte die tewr vnd die edel des ar-
mutes. auch sol vns pringen dar zfl, daz arme vnd snSde
lewt sitzen sullen pei der seiten vnsers herren Jesu Christi
ze vertailen reiche vnd edel lewt. auch gehdrt zfl dem
armut, daz man nicht sorg vifib weltleiche hab, sunder
daz man sich gote pevelhe, der den tyeren vnd vogeln ir
speise geit (BL 39 a) als er selb spricht (Matth. 6 t 26 f.):
'nempt war der vogel des hymels vnd der lylien des
akchers, wie sy got chlaidet vnd speiset', vnd aller maist
der den iungen rSblein speis gibt, so sew der alt rab l ) lit
als sy weis sind, untz sy peginnent swartzen: die speiset
got entweder mit dem thaw, daz er in das nest sendet,
oder mit den mukchen, die in an der chewen haften von
dem grossen schreyen.
I Talscher armut ist, daz man gab gibt oder nimpt, der
man ze not nicht pedarff wirt aigen, als ain weiser man
sprioht: chlain*) not ze nemen ist freihait ze verchauffen.
auch spricht dew schrift, daz *gab verplent die augen
weiser lewte vnd vercheret gerechtew wort der lewt* (Eclns
20, 31). wie mag der armut Hep gehaben der nyramer
cheine gepresten wil leiden?
T^arew volchoraen cheusch ist, daz man nicht allaine
den leip pewar vor pewollenhait, sunder auch daz man
die sel raine pehalte vor fleischleicher wollust, als fraw
') Vgl. K. t>. Megenberg, Buck der Natur 176, 27 f.
*) Aus chain gebessert 8.
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 25
Sara sprach, pei der der tewfel siben man ertfit het: 'herr
du waist wol, daz ich nie pegerte marines, sunder daz ich
mein sel raine pehalten hau vor falschleicher glust vnd
von den dingen, dievrsach sein flaischleicher girung: wann
ich wolt nie der megde geverte werden, die da mit spil vnd
mit mangerlai (BL 36b) ey telchait vmbgen (Tob. 3 9 17).' auch
sol vns darzu pringen daz pilde vnsers herren Jesu Christi
vnd seiner mflter Marien vnd sand Katherein, vnd sand
Agnesen, die dy welt versm&chten vnd den tod erwelten
durch cheusch, vnd aller maist das chausch haidnisch weip,
von den sand Jeronimus schreibt, daz sy den tod e er-
welten, e sy ir chausch verlurn. auch spricht got an sand
Johannes ewangelij: 'wer fleischleichen lust vberwindet 1 ,
der sol sitzen rait mir in meinem thron, als ich uberwun-
den han vnd sitz mit meinem vater in seinem thron' (vgL
Matth. 19, 28. Luc. 22, 28 f.f). wann dew unpewollenhait
sitzt got allernachst, als der hailig gaist spricht (vgL Eclus
cap. 31): 'dew chausch wird pehut vnd pest&tigt von mes-
siger speis vnd tranck vnd snoden chlaidern, von leipleichen
vngemach vnd das man flihe stat vnd zeit, die ze vnchausch
treffen. hiet das getan fraw Tyra, so het sy nicht ent-
phurt ains chflnigs stin. auch sol man flihen die lewt,
zu den man pegyrd hat, er sei gesipt oder nicht, gaistleich
oder weltleich. darflmb verlos fraw Thamar, chunig Dauidis
tochter, iren magtflm von irem prflder Amon, wann sy
sich nioht besorgte vor im, do er sich siech schain vnd
sy im allain zessen trug. Jeronimus spricht: wiltu deine
cheusch pehalten, wie h&ilig ain weip sey, hab sy lieb an
dem hertzen, nicht mit fleischleicher [ge] (BL 40a) geinwur-
tichait: gaistleich trost von got vberwint vnd pest&tigt
allermaist die cheusch. da von spricht Gregorius: die sel
mag nicht sein an wollust, entweder sy sucht freyen trost
an got oder aber an den creaturen. auch sol man die
funff synn enziehen von fleischleicher wollust vnd daz
hertz von leipleicher g&rung.
! ) Aus vberwinden hat geandtrt SR.
26 Wilhelm, Deutsche Myetikerpredigten.
\7rchund va/scher cbausch ist vnmass speis vnd trinchens.
* davon ward Noe vnchauschleich enplost vnd Lot slieff
pei seinen zwain t&chtera* da von spricht sand Paulus:
'vbertrinckt ew nicht mit wein, der ain vrsach ist der
vrchausch' (Eph. 5, IS), auch spricht Augustinus: 'das
vnchausch aug ist ain pot des vnchauschen hertzen'; wann
vnchausch gang vnd gelazz vnd wort des weibs enprent
den man, spricht der hailig gaist (Eclus. 0, 4f.). auch en-
sol ain degen nicht merken ains andern gelazz oder ge-
staltnflss. das widerrat der hailig gaist: 'sich nicht [nicht]
an die rnagt, daz du icht geergert werdest an irr schon-
hait' (Eclus. 9, 5). vnd Job, der macht gelubde nicht
allain mit seinem augen, das er die rnagt icht ans&ch, sunder
mit seinem hertzen, daz er icht dicht von ainr rnagt (Job
31, 1).
i^ar vnd volchomen vast ist, daz man meyd alles daz,
^des man von ehafter not enpern mug, speis vnd chlaider
vnd alles, daz man tewr chauft, also sand Johannes Bap-
tista. der ass selbwachsend speis vnd nam selbwachsen
tranck, nicht wein noch 1 ) pyr, vnd selbwachsen chlaider,
daz waz (Bl. 40 b) ch&mlein har. auch spricht sand Paulus:
'wann wir speis haben ze notdurft vnd chlaider, da mit
wir vns pedekchen, so lass wir vns penflgen' (L Tim. 6, 8).
wann gots chnechte sullent nicht haben chlaider ze zierd,
sunder pl6s ze pedekken, spricht dew geschrift. sand
Augustinus spricht: welherlai wollust ein*)mensch neusset
an wollust, die schadet nicht. aber snode speis mit grosser
wollust entphangen ist gar schedleich. darftmb hies Dauid
daz wasser hingiessen, das er es in gelust icht trunck,
wann 8 ) er sein pegert het. Esaw verlos seinen segen
nicht von ainr guten speis, sunder ^mb linsen. auch sol
man meyden ey telchait weltleicher frewd , fleischleicher
fruntschaft: dew faste gote lobleich ist. auch wart Daniel,
der prophet, der weisiste vnder den andern chinden, die
') Danach met geWgt 8,
*) ein mensch mit Vertoeiszmchen am Rand nachgetragen B.
•) Danach sein getilgt.
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigtcn.
Zi
der chunig pehielt, von vasten vnd vberschalt all weise
maister, vnd von seinem gepet wurde[n] gewitzigt Nabu-
chodonosor siben iar vnd siben manod. Jeroniraus schreibt
von den alten Pers[t]er, daz sy allzeit miien fleisch vnd wein
durch fleischleichen wollust, die da 1 ) von wachsen; selten
assen sy prot, daz sy iren magen icht pesw&rten; 61 tet
man in allain in ir gemfis, daz es in icht wol smeckte.
auch*) miten sy ayer vnd milich vnd sprachen, das ayr
fleisch w&r vnd milch plut mit gewaltiger varbe (BL Ala).
Jeronimus spricht: 'gibt den armen, daz"du selben essen
solt, ob du nicht vastest 3 ), daz dein vasten sey ein sattung
deinr 4 ) sele, nicht ain fullung deins pauchs.'
r\er chunig Asswerus peczaichent vnsern herren got. der
'^nam Asswerus der hat drey petewtung, dew^f) man
an vnserm herren pezaichent. das erst haisset hostia: da
haisset vnser herr ain tftr. dar an merk wir, daz vnser
herr selb torw&rtel wil sein, das sein gemahel ze haus vert*
also spricht vnser herr: 'vil liebe gemahel vnd schone
junchfraw, ich wil selb da torwertel sein vnd wil dich
froleichen vnd liepleichen da entphahen mit frewden\ da
wirt die sel entphangen ingotleich gezelt, vnd vnser herr
spricht: 'o du vil liepleich sel, hewt solt du dich frewen
mit mir; wann all die frewd des hymelreichs wil ich dir
immer geben ewigchleich; vnd mich selb gib ich dir also,
daz ich von dir vnd du von mir nymmer mer geschaidest.
da mit endet sich all dein trawrichait, all dein swar, all
dein arbait, leibs vnd hertzes, gerflret dich nymmer mer.
da entph&chst du mer frewd, wann dein pegyrd pegreiffen
mag, vnd mer, dann dein sel vmbvahen mag, da swebt
vnd svvymmet dein sel 5 ) in dem hohen prflnn der hailigen
driualtichait/ das ander ist, atria, daz ist: (BL 41b) fridhoffe.
') Aus dar ge&ndert 8.
s ) auoh bis milich mit Vtrweiazeichen am Rand nachge-
t rag en R.
') Danach die ain getilgt und dafiir dein bis ein am Band R.
*) Davor sei getilgt R.
*) Danach da getilgt R.
28 W il h e 1 m, Deutsche Mystikerpredigten.
daran merchen wir, daz vnser herr die wirt freyen 1 ) vor
aller maisterschaft vnd vor alien panden, daz du immer mer
solt freys mfits vnd willen sein, vnd alls daz du wilt vnd
des dich lustet, daz soltu freileich tun. das dritte ist beati-
tudo, das spricht: ain gancz saelichait, owe saeligew sele,
wie gros dein frawd, die wunn, dein sfissichait dann jst,
so dich got vmbvahet rait seinem gotleichen armen, vnd
so du gestattet wirst rait seinr Sbristen gut, vnd so er
dich durchfleusset mit gantzer saelichait. die frawd 'enmag
ain hertz volpedencken noch ain mfind volsprechen* (vgL 1.
Cor, 2, 9).
Cand Bernhart spricht: der ain prdsem in wein legt oder
in h6nig, so durchfleusset das hfinig die prosem, daz
sy rechte wirt, vnd swaiffet sich das h6nig fiber die prosern
allenthalben. recht zegleicher weiss, spricht er, durchfleusset
vnser herr dew sel, daz sy recht vol wirt der gotleichen
sfissich&it vnd swymmet doch allenthalben fiber, recht daz
sy in got swebt. also gebent die maister auch ain gleich-
nfiss : als da ain prfinn in ainem vels entspringt, der enmag
sich nicht enthalten, er swemmet sich fiber al, also swem-
(BL 42 a) met vnser herr vber die sele fiber al allenthalben
vnd ist doch also gar vol, daz nicht me in sey mag. da
von spricht der weissag Ysaias: Vidimus, amabimus: si
sehent vnd habent lieb und zerfliessent dann von sfissichait
vnd werdent sich dann wundern, vnd wirt gepraitet in ir
hertz, nu merchet ditz wort: zu dem ersten sehen sy
got, darnach habent sy lieb. wann des enrafigen sy nicht
ubrig werden, so sy an got so vil sussichait vnd schonhait
[an got] sehent, so muessent sy lieb haben. darnach zer-
fliessent sy von der vberflfissigen gfite, da von got fleusset
in die sele, vnd werdent sich dann wundern der wunder-
leichen gfite, die an got leit; vnd von der gfite wirt ge-
praitet ir hertz, daz sy all creaturen lieb haben in got 2 )
l ) Aus frewen gebessert RS.
■) Hierduf vnd bis creatur am Rand von R nachgetragen mit
Verweiszeichen ; aber nach creatur steht noch etwas, das man fur
Eretn oder getilgte, fthlerhafie Schreibung fur creatur halten kann.
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten 29
vnd got (?) in aller creatur. vnd wirt ir sele also gepraitet,
daz sy lieb habent all ding, vnd vnser herr fleusset sey
allflmb, daz sy recht mit got allflmbvangen sint.
Oand Augustinus sprichet von der sel, das sy stat hat
^ zwischen got vnd der creatur, wann die sel ist edel,
daz nichtz obir ir an got. nu spricht er, wann sich die
sele pechere uber sich auffgegen got, der ob ir (Bl.42b)
ist, so wirt sy entzuktet vnd gepraitet vnd wirt volpracht. 1 )
wenn sy sich aber her nider chert gegen der creatur, so
wirt sy geplendet ynd gepossert vnd zestort. vnd all sflnd,
die wir tfln, die geschehent all daran, daz sich der mensch
chert von got an dew creatur. wann stunt dew sele all
weg in irr statt zwischen got und der creatur, so sundet
wir nymmer. wann sich dann die sel niderchert, dar an
geschehent all sflnd.
von den Tier tngenden
TVjtz sint vier tugent. die sint ain exemplar aller tugent.
*"^ditz sint die tfigent: prfldencia, fortitudo, temperancia,
justicia. prudencia sprichet weishait. die tflgent sol der
mensch flben zu dem ersten gegen dem menschen also,
daz der mensch gedenck zu aim iegleichen dinge, daz er
tfln wil, weder ist das ding gut oder flbel. jst es gut, so
sol er es tfln. jst es flbel, so sol as (sic!) er meyden. also sol
der mensch ain iegleich ding mit petrachtung tun vnd mit
fursicht. daran ubet der mensch die tugent, die da haisset
prudencia. dew ander tugent, temperancia, die sol man also
flben, als ain weiser man lert: mensch du solt ain iegleich
ding also sprechen vnd tfln, das es dich nymmer gerew.
dew dritte tugent, fortitudo — daz petewt sterk — (BL 43a),
die sol der mensch also flben, daz er seinen leip wol ge-
turre angreiffen vnd chestigen, an vil wachen vnd peten
vnd an andern gaistleichen dingen. die vierd tugend, iusti-
cia — daz sprichet gerechtichait — dew sol man flben, daz man
gerecht sey an alien dingen, an worten vnd an werchen*
') Aus gepraoht gedndert 8.
30 Wilhelm, Deutsohe Mystikerpredigten.
die selben vier tflgent sol der mensch inwendig an der
sel auch flben. prudencia sol man daran flben, daz im dew
welt vnd all dew ding 1 ), dew 1 ) zw der welt gehSren, t6t
in seinera hertzen sint. temperancia, mass, die sol der mensch
daran flben, daz er nichts nicht gern sol sehen noch hflren
noch tfln, wann daz er zfl der notdurft pedarf. fortitudo,
die sterk, sol man daran flben, daz man dem leip wol
geturr abprechen der ding, die dich zu der notdurft nicht
hindero. aber iusticia, die gerechtichait, sol man flben,
daz der mensch seinen willen also setze nach seins maister-
schaft will vnd daz er wol vndert&nig mflg sein aller gfiten
dinge. an dlsen vier tflgenden chflmpt die sel in lauter-
chait. so dann dew sel mit lauterchait chumpt, so flbt dann
dew gel&utrot sel die vier tflgent in ir selb gegen got.
prfldencia, die flbt sich gegen got also, daz sy sich gegen
got haldet, als ob auff dem hymel vnd auff der erd niemant
sey, dann sy vnd got allain; vnd dann so hat sy got lieb
vor alien dingen, wann sy erchennet daz (BL 43 b) wol,
daz nichts nicht[s] gut ist, dann als gat, als got allain. so
sy dann erchennet, daz got allain gut ist, so wirt sy dann
erchennen, daz all creatur vnd all geschepfde von got ge-
flossen ist. so sy das erchennet, so wirt sy lieb haben all
creaturen durch got. aber temperancia, die flbet die ge-
lawterot sel als Maria Magdalena, do die zfl vnsers herren
fuessen sas, vnd Marta ir s wester zfl unserm herren sprach:
^herr, ist dir icht acht, daz mich mein swester allain lat
dienen vnd die sorg allain auf mich gelegt hat' (Luc. 10,40)?
Maria Magdalena die het iren synn so gar pechummert
mit got, daz sy die chlag irr swester nicht enmerkte. aber
got der must fur sey antwurten vnd muste sey entschul-
digen gegen irr swester. also sol auch die gelauterte sel
iren synn pechummert haben mit got, vnd daz sy chain
merkung hab zu zergengleichen dingen vnd irdischen. aber
fortitudo dew flbet dew gelautert sel also, daz sy weder
') dew bis gehflren am Band nachgctragen R,
') Danach ding dew getilgt R.
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 31
von liebe noch von laide nymmer pewegt werden soil vnd
an alien zeiten st&t sol 1 ) sein in ir selber gegen got. aber
iusticia, die tibet die gelautrot sel. also sol sy sich fiben,
daz sy iren willen sol setzen in alien dingen, daz sy nichts
nicht sol wellen, wann daz gat wil. also flbt die gelaute-
rot (BL 44 a) sel die vier tugent in ir selber gegen gote.
Ps spricht Ysodorus: 'das ist ain grossew tugent vnd ain
^grossew chraft, daz du dera woltust, der dir da flbel tfit\
es sprichet Paulus: du enraacht mit chainen dingen so
vil vberwinden als mit dem, daz du dem woltust, der dir fibel
tflt (Rom. 12,21?), es spricht Augustinus: 'daz ist das obrist
vrchund der lieb, daz du den liep hast [den], der dir wider ist\
sand Bernhart spricht disew wort: lieb ist ain gross ding
vnd ist doch vnderschaiden. lieb ist ain sterk zfi dem
hymelreich vnd ist vnderschaiden mit staffeln. auff dem
hochsten staffel stet dew sel, die gats ausserwelte gemShel
ist. dise staffel man erchennen sol pey den chreften, die
dew liebe hat in des menschen sel. auff dem ersten
staffel machet dew liebe, daz dew sel wirt nfltzleich chrangk,
daz 2 ) ist, wann dew chraft gegem haupt swindet vnd der
fibel stark will nimpt. da von sprach dew sunderleiche
gemShel vnsers herren, da sy auf den 3 ) staffel cham: 'jr
tSchter von Jerusalem, ich peswer euch, das ir chundet
meinem lieben hymelischen gem&hel vnd prautigan, daz ich
von liebe siech pin' (Cant 5, 8). auf den andern staffel
nach der liebe, daz dew sel got suchet an vnderlos, daz
ist also gesprochen: so an alien creaturen got suchet vnd
erchennet (BL 44 b) den vater vnd seiuen gewalt an dem,
daz er allew ding hat gemacht von nichtew, vnd erchennet
den sfin vnd seinew weishait an dem, daz er allew ding
schon vnd ordenleich hat gemachet, vnd erchennet den
hailigen gaist vnd sein gut an dem, daz er allew ding hat
gemachet nfitzleichen an alien creaturen, so disew sel get
*) Danach sel getilgt S.
') daz ist wann am Band nachgetragen S.
*) den getilgt i?., danach dysen von 8.
32 Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten.
also sflchen, daz sy mit liebe pei chainen creaturen icht
peste, dy sy des irren mflgen, daz sy iren prautigara icht
vinde. da von sprach dew sunderleichew gem&hel an der
liebe pflch: 'da ich fur gieng vnd pei der creaturen nicht
pestund, da vand ich den raein sel liep het* (Cant. 3, 4). auf
dem dritten stappfel raacht dew lieb, daz dew sele gutew
werch wurkch christenleichen. da von sprichet sand Gre-
gorius: gottes lieb ist an dem menschen nymmer mflssig.
jst dew liebe in der sele, so tfln ich gute werch; wurchkt
sy aber nicht guter werch, so ist dew lieb nicht in der sel.
auf disen stappfel ist dew sele choraen, dew durch got
grosze werch 1 ) tut vnd dunchet sy doch chlain vnd tut
raanigualtigew werch vnd dunchet sy der wenig vnd dient
lang vnde zimpt sey des churtz. darflmb spricht vnser herr
an dem ewangelio: 'so ir alls das getut, daz ew gepaten
ist, dannoch so suit ir sprechen (BL 45 a): wir sein vnnfitz
chnecht' (Luc. 17, 10.). auff dem vierden stappfel macht
dew liebe, daz dew sele widermfit an vrdrflss leidet. da
von spricht sand Paulus: 'die liebe leidet all widerzirae
ding gfltleich' (vgL 1* Cor. 13, 4f.). man erchennet wol
an aussern werchen die innern liebe, jedoch erchennet man
vil pas die liebe an der leidunden sel, die auff den stappfel
ist chomen. die hat got liep, daz er nymmer von ir schaidea
wil. da von spricht vnser herr an Dauidis pflch: 'jch wil
mit dir sein in der not vnd wil dich nicht lassen' (vgL
1. Par. 28, 20). auff dem funften stappfel machet dew
lieb, daz dew sel ain vngedultige pegSrung gewinnet nach
gat. disew g&rung chumpt in dew sel, so sy von irdischeu
wirt erlaidet vnd der ewigen sflssichait gots ersmekchet. da
von spricht vnser herr an der weishait pflch : 'der mit meinem
gaistleichen sflssen trost wirt gespeiset, den hungert noch
[nach] mir, vnd der mein gotlich sussichait trincket, der
wirt ze grossem durst geraitzet\ auff dem sechsten stappfel
mach dew lieb, das die sele nach gote stichling lauffet.
da von spricht sand Bernhart: 'der aller hitzichleichist liep
\
l ) Danaoh duroh getilgt RS.
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 33
hat, der lauffet (Bl. 45b) aller paldist'. so sew auff dem
vodern stappfel ist chomen zu gaistleichem hunger, so mfls
sy treten auff disen stappfel vnd nach got snellichleich lauffen
ze gleicher weis als ain iagender hunt, der nach dem tfv
lauffet vnd chaine nfr hat, vntz er es erlauffet. da von
sprichet sand Pauel in seinem pfich: 'ir suit also lauffen,
vntz daz ir got pegreiffet' (L Cor. 9, 24). auff dem sibenten
stappfel machet dew lieb, daz dew sel chune wirt mit gote/
ze gleicher weise als dew sorg den menschen zaghaft machet,
also machet dew liebe den menschen chfin. da von sprichet
sand Johannes an seinem puch: 'dew volchomen lieb ver-
stort von ir dew forcht\ (L Joh. 4 } 18.) auff dem achten
stappfel machet dew lieb, das die sele prinnet senftichleich,
da von spricht sand Gregorius: 'do die zwelfpotten 1 ) in
fewrleicher gleichnflss gat entphiengen, da wurden sy
senftichleichen prinnund'. dew gotleich lieb ist ain gaist-
leiches fewr, von dem got sprichet an Moysi pfich. das
fewr der gotleichen lieb sol ze alien zeiten prinnen in dem
altar des menschleichen hertzen, vnd sol daz der prister
sterchen mit holtz, daz ist, mit der ged&chtnfiss des hailigen
chreutzes. so daz fewr in der sele (Bl. 46a) ist, so prinnet
sy senftichleichen : wann sy verprinnet nicht, zegleicher
weise recht als Moyses wunderleichen sach, daz ain staud
pran, daz nie nicht verprennet noch versenget wart, auff
clem neunten stappfel machet die liebe, daz die sel sich
geleichet gote an tugenden gentzichleichen. da von spricht
maister Hugo von sand Victore: 'sel mein, ich wais das wol
was du nimst, von der chraft der liebe wirstu verwandelt
in des dings gleichntiss, daz du liep hast, hastu gelt liep,
du wirst gelt geleich. warumb pehutestu dich nicht vor
dem ewigen fewr?' auff dem zehenden stappfel machet dew
lieb, daz die sel got anhaftet ewichleich. da von spricht
Moyses an seinem pflch: 'hab got liep, deinen herren, vnd
wis gehorsam seinr lere vn hang in an statichleichen, wann
er ist dein leben'. auff disem stappfel stunt die hailig sel,
l ) Danach do die zwelff getilgt ES.
MUnchener Museum f. Philologie des MA. I. 1.
34 Willi elm, Deutsche Mystikerpredigten.
die da sprach an der liebe pflch: 'ich han got gevangen.
icb han in fast vnd las sein nicht, wann armut vnd wider-
mflt sol mich von seinem lob nyramer mer pringen (vgL
Cant 3, 4)\ des helf vns got alien. AMEN.
Die fitnf hier veroffenilichten Predigttexte stehen im Cgm.
64 Bll. 18b — 46a* Die schon geschriebene Pergamenths. ge-
hart nach Ausweis der Schrift der 1. Htilfte des 15. Jhs. an.
Sie ist von ein und derselben Hand geschrieben, die die Bitch-
staben und Zeilen bald welter auseinander, bald enger zu-
sammensetzte. Der R(ubriJ:ator) ist m. E. mit dem S(chreiber)
identisch. Sowohl nach Vollendung der reinen Schreibarbeit,
wie bet der Hubrizierung wurde der Text der H?. auf Aus-
lassungen hin dttrchgesehen und verbessert. Trotzdem lasst er
an vielen Stellen zu wiinschen ilbrig.
Der Inhalt der Hs. weist in mehreren Stiieken nach
Bdhmen, nach Prag. Die 1. hier abgedrackte Predigt tragi
das Rubrum: ain predig, die darauf folgenden vier jede: ain
ander predig. Hier an reihen sich Bll. 46 b— 122 a filnf
weitere Predigten, die vielleicht noch in kleinere TeUe zu zer-
legen sind. Ich hebe besonders die Rubra zum 2. und 3.
(bezw. 7. und 8.) Stuck hervor: BL 61a daz ist dez hern
petern predig und BL 86 a: ain ander predig von prag.
In des Herrn Petern Predigt findet sich folgendes fiir die
Datierung dieses Textes und des Cgnu 64 uberhaupt wichtige
Rubrum: BL 69a vnd daz ist auch ze merchen an ainr
offenparung die Christus tet der hailigen witeben sand
Brigytten furstinn ze Sweden. Bll. 122a — 153b folgt
dann eine deutsclie Uebersetzung der Abliandlung De quattuor
instinctibus des Heinrichvon Frimar, ilberschrieben: hie hebt
sich von den vier inspruchen. Die Uebersetzung scfdiesst
BL 153b mit dem interessanten Rubrum: Hie endent sich
die insprflch von prag. darnach hebent sich an der tractat
von der vnderschaidung der gaist des wirdigen vnd
des derleuchten maister hainreich von hessen der den
tractat gemacht bat in dem Studio ze wien Anno domini
M°CCC°1XXXXV. Auch ist ze merchen das der tractat
gar pesunder vnd tewffer verstenticbait ist vnd darfirnb
Wilhelm, Deutsche Mystikerpredigten. 35
wer in wil nfitzleich versten der sol in gar oft mit fleiss
vberlesen wenn die teutzsch gentzichleich gemacht ist nach
der latein vnd darflmb ist die Teutschz etwas seltzam vnd
ist mit grossera fleiss ze merchen. Gemeint ist die auf
B1L 154a — 182 b folgende Uebersetzung der Schrift de dis-
cretione spirituum des Heinrich von Hessen ($. ADB. 11,637).
Das DeuUch ist in der Tat etwas seltsam and liefert fur das
Worterbuch reiche Ausbeute. Das Interessante an dem Rubrum
aber ist doss es trick genau so in einer Prager Hs. f der H$.
Kr. 405, der fiirstl. Lobkomtzischen Bibliothek befindet (vgl.
Serapeum Ig. 1867 S. 323). Der Inhalt beider Hss. ist sonst
gang verschieden, nur die inspriiche und die unterschaidung
folgen hier ivie dart aufeinander. Den Schluss des Cgm. 64
bildet die deatsche Uebersetzung des Traktats de octo bea-
titudinibus des Heinrich von Frimar mit der roten Ueber-
schrift auf Bl. 183a: Daz ist die ausslegung fber die Acht
Saelichait die tnaister hainrich der swab zfl sand Nyclas
in der pfarr ze prag gepredigt hat.
Die Beziehung eines grossen Teils des Inhalts der Hs.
nach Prag steht also ausser Zweifel. Freilich, wie es
sich mit dem Prager Aufenthalt des Heinrich von Frimar
verhdlt, lasst sich vorldufig noch nicht sagen. Der Jiingste f
der die verwickelte Frage iiber die Heinriche von Frimar
behandell hat, W. Fiisslein (Zs. d t Ver. f. Thiiring. Ge-
schichte u. Altertumskde. XXV. 391 f.\ hat diesen Punkt
leider nur kurz streifen konnen. Ich meine, ein so altes
Zeugnis ist doch nicht ohne weiteres beiseite zu schieben.
Von den oben abgedruckten Prediglen sind Nrr. 2 — 4
schon nach anderen Hss. gedruckl; der Text des Cgm. 64
ist aber an vielen Siellen besser, und deshalb der voll-
Mandige Abdruck kauin uberfliissig. Nr. 5 ist, so viel
ich weiss, nur dem Anfang nach bekanni; Nr. 1 m. W.
iiberhaupt nicht. Nr. 3 und 5 sind hslich fur den Meister
Eckhart bezeugt und es hinderl nichls daran, ihm auch
die ubrigen drei Stiicke zuzuschreiben. Strenge Kriterien,
um iiber echt oder unechtzu entscheiden, besilzen wir alter-
dings nicht und wer den sie nicht besitzen, solange nicht
36 Wilhelm, Deutsche Myatikerpredigten.
eine Oeschichte der philosophischen Terminologie im Mhd.
geschrieben ist. Der Versuch von Robert Rattke war zu
durfiig und mit der Stilstatisiik Otto Behaghels PBB. 34,
530 f. lasst sich erst recht nichts anfangen. 1 ) Ich habe mog-
lichst wenig an den Texlen zu dndern gesucht, zu Strei-
chendes in [] gesetzt, Ergdnzies Kursiv drucken lassen.
Ich mache auf die haufigen sandhiartigen Erscheinungen
aufmerksam y die ich absichtlich be Hess; ebenso auf die
die fur daz (aus dc?) und der, die m. E. Behler sind.
Bet Kirchenvaterzitaten habe ich die Anfuhrungszeichen
nur da gesetzt, wo tnir Anfang und Ende des Zitates
sicher zu sein sehien.*) Die Bibelzitate > die ich bis auf ein
paar identifizieren konnle t sind teilweise recht frei. Im
iibrigen habe ich dieselben Qrundsatze bei der Textbe-
handlung walten lassen, wie Franz Josles t auf dessen
treffende Ausfiihrungen y Collectanea Friburgetisia fasc.
IV. S. XI ich verweise.
Ob Nr. 5 ein einheitliches Stiick ist oder nichi, konnen
bloss weitere Hss. entscheiden. PBB. 34, 363 ist leider
derSchlussdesentsprechendenStuckesimMellicensis371(2 }
nicht angegeben und meine Bemuhung ihn zu erfahren
war vergebens.
l ) Eine Eompilation wie das Heiligenlcben von Herman von Fritz-
lar kann man nu.ht fiir stUkritische Schlusse verwenden.
*) Gleiches gilt fiir die ubrigen Zitate, wie das auf S. 12 aus Avencc-
brols Fons vitae 3, 56 (= Clemens Baumker 204 t 13 f) stammende mehr
umschriebene als zitierte Stuck,
Miinchen, 15. Juni 1911. Friedrich Wilhelm.
Der Feigenmuntorden.
Das merkwiirdige, schon von Schmeller fur sein bay-
risches Worterbuch benutzte Gedicht ist in dem zuletzt
dem Kloster Wessobrunn gehOrigem Cgm. 444 iiberliefert,
einer Hs., die den Gerraanisten keineswegs unbekannt
ist (vgl. z. B. P. Zarncke, der deutsche Cato S. 71; W.
Grimm, Freidank 2. Ausgabe S. V. f. und B. Wiesotzky QF.
113). Der Verfasser des Feigenmuntorden, ein deutscher
Kaufmann, lebte, als er dies schrieb, offenbar in Venedig.
Wahrscheinlich war er ein Augsburger oder Ulmer Kauf-
herr. Wenigstens wiirden der Reim V. 73 haws: gros und
die a-Formen von gdn und sidn am besten zu dieser An-
nahme stirnmen. Das Gedicht ist lexikalisch und kultur*
geschichtlich interessant und deshalb wird seine Verflffent-
lichung nicht unerwunscht sein. Auffallig ist die Uberein-
stimmung der Eingangsverse mit Laurin A (hg. von G.Holz)
273 f.: kin gein des meien zit, so got die sitmmerwunne git,
so koment tins abet rosen viL viirwar ich daz spreclien wih
BL 3r Hye hebt sich dor feygenmuntorden.
Noch hewer gegen diser sumerzeit,
So vns got den meyen geyt,
So kumment aber feygenseck vil ;
vffur war ich das spreohen wil:
5 Ir koment ein hundert oder mer.
Die koment alle ze Fenedig her:
Ucberschrift rot feigenmunt V. 25, 49, 53, 82, 182 wird von
Schmeller I* 697 wohl richtig mit „Feigenna$cher u erklart. Ebenso sind
die Zusammemetzungen feigenkmt V. 30, 100. feigenknecht V. 55. feigen-
korp V. 7,$r,80. feigenmaul V.61J1.99. feigenrittor V. 774. feigeneeck
F. 3 aufzu/dssen, — 1. N von Koch rot
38 Wilhelm, Feigenmuntorden.
I oh main die feygenkorb grosz oder klein
Von alien landen gemeyn.
Man scholt sy halb in dem mer ertrenken,
10 Den alfancz solt man an ein feygenpawm bencken.
Man solt sy hahen an ein sail,
So wllrden vns die feygen wolfeil.
Wolten sich die ponesser ir lans ergeczen,
Sy soltens mit kuntten ausz der stat heczen,
15 Wann sy machen vns die huner tewer:
Das ist vns gar ein grosze pose stewer,
Wann sy sten all vmb sust,
Das ist vnser grosze verlust.
Nemen sy aber gUten solt,
20 So wiirden wir in in dem herczen holt;
Aber sust well wir all iiber sy clagen
Bl. 3v Vnd wellen nymmer gUcz von in sagen.
Wenn ich die worheit reden sol,
Sy sind aller poszheit vol.
25 Wenn der feygen munt
Von allererst kumpt
Gen Fenedig dar,
Der frutria nimpt er wol gewar.
Wo die pesten feyen sint,
SO Do get hin das feygenkint.
Er kauff ir vm iiij schilling:
Die wigt er also ring.
Gegen der feygenkirchen ist im also gach.
Sein gesell lauffet im hintten nach.
35 Er seczt sich hinder ein merblein stein.
Er schewbet sy in das mawl sein.
Sein gesell siczt neben der steinwent.
Dem wessern vil ser die ozent.
Er sprioh: ,gib mir der feygen auchl*
40 'Peyt, noch ist nicht vol mein pauch,
Seyt ich die worheit reden schol,
Ich pin noch nicht halber vol.
Gee vnd lauff paid
Hin wider an den Realt
BL 4r 45 Vnd kauf inir der feygen iiij % oder mer
Vnd pring mirs schir her*
13 ponesser vgl. F. 180, s. DWb. 2, 226 unter Bohnenfresser. —
14 himmten. — c 15 hn* 28 er]ir; frutria = ituL fruttiera Obsttellert
Schmellcr I* 831 vermutet als Bedeutung ^Nascher*, aber er liest auch
fitr ir des Hs. in. — 38 wessern in dieser Bedeutung wohl der altestc Beleg.
Wilhelm, Feigenmuntorden. 39
So la ioh dioh essen mit mir*.
Die feygenmunt hetten sich des vermeszen
60 Vnd wolten in der feygen gar genuck eszen.
Wenn sein frewnt went, er wer in der rechensohiil,
So siczt er in der feygenkircben in dem still,
Icb main den edeln feygenmunt.
Er rechent, wie vil feygen kumen vmb ein pfund,
55 Ieb main den edelen feygenknecht.
Micb czimet, er bab sein wol reobt.
In czimet des in seinem synn,
Es sein nit grat dorynn,
Er sey von Franoken oder von Durgen,
60 Er mag eich nicbt doran erwiirgen,
Wann den das feygenmaul ist feygen sat,
Wie paid er an den Realt gat
Vnd siicbet sein herren,
Das im nit werd ein grantwerren,
65 Das er in nit wort selden,
Wann er mag sein wol entgelden.
Bl t 4v Wenn der feygenkorpp binder seinem berren stat,
Das mawl er voller feygen hat.
Wenn er mit im reden schol,
70 So hat er payd paoken vol.
Wenn das feygenmawl kumpt auff die Realtpruck,
Seynem herren kert er den ruck.
Er laufft in das theucz haws.
Er nympt im ein cleins oder ein gros.
75 Er heist im pringen wein in augstern vnd in flasohen.
Er maint er well die feygen hinabwaschen.
So klimpt sein frewnt vnd wil in straffen,
Er spricbt: »was hastu mit mir ze schaffen?
Gee vnd schaff das dinck dein
80 Vnd lasz micb feygenkorpp mit frit sein!"
Audi thU ich euch kunt,
Das der feygenmunt,
Nymantz straff auffnemen wil.
Des wirt er haben vnglicfc viL
85 Auch lat er sich nit fceviln,
Er wol auff den wiirffeln spiln
58 grat, Gen. PL f ,Graten lt . — 65 selden wohl — schelten. —
67 Schwarze Initiate. — 70 er fehlt — 73 Ueber das deutsche Hans vgl.
W. Heyd, Hist. Zs. 32, 193 f. und R. Simons/eld, Der Fondnco dei Te-
deschx in Venedig II 6 f. — 76 hinabwaschen = hinterspulen. — 84 vn-
glick vil] vnglicb. — 85 beviln] vil.
40 Wilhelm, Feigenmuntorden.
Hoimlich in dem ke merle in
Vmb grosohen vnd vmb giilden.
Wenn er das gl5cklein in dem thewtzen bate* hart iewten,
Bl.5r90 Das kiindet im ze bedew ten,
Das er seinen herren sebol siioben.
So begynnet er ze fltiohen.
Es spricht: ,das mtisz mein herr als vnglick hanl
Ich sobolt an den Realt gan,
95 So ban icb mein gelt verlorn,
Das tilt mir in dem paucb zorn.
Auob ban iob verlorn den herren mein.
Das tuDoket raich nicht gilt sein.*
Wenn das feygenmawl sein herren an dem Realt nicht vint t
100 Palt dann laufft bin heim das feygenkint.
So empfehet in die ma sera schon;
Er spricht: „das dir got lonl
Preohstu mir ein engsterlein mit wein,
So wolt ioh dir holt sein.* 4
105 Auob hat im die czitta
Verporgen in sufitta
Ein kriiglein mit Malfasir,
Das ander mit Ruminir:
Das tregt er in sein kemerlein
110 Vnd lest im do mit wol sein.
Das edel leben kan er nit nemen vergUl.
Bl. 5v Er gedenckt im des in seynem milt,
Er well faren Uber mer
Vnd woll sehen das heidentscA her
115 Vnd woll werden reicb.
Ioh sag euch aber werloiob:
Des er sich frewt vm iij oder vmb iiij pfunt.
West er aber, was im wiird kunt,
Er liesz die fart vnderwegen
120 Vnd begilnd anders pflegen.
Wenn er von allererst kiimpt auff die galloin,
So hat ein end das giit leben sein.
Wenn er kUmpt fur sant Niclas porten hinausz,
So hebt sioh an sein erster grawsz,
89 Das Kursivgedruckte dutch Nasse verwischt. — 95 gelt]helt. —
101 masera = itaZ. massaia, die Frau des mas sari us, des Hausmeisters
des Fondaco, vgl. H. Simonsfeld II 21. — 105 czitta — ital. oitta, zita
jjunges Ding". — 106 surTita]sufFira = iteZ. soffitta, Dachboden. — 108 Ru-
minir vgl. DWb. 8 f 1480 unter Rumonir. — 114 heideimichs. — 123 ge-
meint ist 8. Nicolo in Lido.
Wilhelm, Feigenmuntorden. 41
125 So Bwindelt im das hawbt,
Recht als er sey betawbt.
Auch speyt er vil drat,
Was er in drey en tagen geessen hat.
Auch siecht er vmb sich;
130 Er gedenckt im: „wo pin ich
Kumen nur zw diser stunt?*
Spricht wider sich der feygecmunt.
»Wer ich wider zw Fenedig in der stat,
Bl. 6r Do man die gliten feygen bat,
135 Ich kom nymmermer
Auff das wild mer her.*
Ktimpt er gestanden auff den wolkenstein,
So kiimpt er sust vil sicher heim
Vnd spricht: „gan zw dem fugan,
140 Anders du mUst vngellick hanl a
Auch kiimpt der kamifo mit dem sail
Vnd grust in auch mit vnhail.
Der galiotta vnd der marner,
Einer stosz in bin, der ander her.
145 Also get er in der galein ellenter
Von dem popen vncz an den proben.
„Das leben kan ich nicht geloben."
So gedenokt er in dem synn sein.
„Wer ich do heimen by meinem miiterlein,
150 So wer ich des lebens uberhaben.
Auwe mir armen knaben,
Das ye mein wart gedachtl
Ich hab mich selber dar hinder pracht.*
Die floch vnd auch die wanozen,
Bl. 6vlbh Die machen in in der galoin tanczen;
Vnd wenn in die lewsz werden peissen,
So beginnt er das hawbt mit den negeln zereissen.
Wenn er des morgens fru auffstat,
Wie paid er zw seinem gesellen gat
160 Vnd claget im sein not.
Er spricht: „ich pin nahent hungers tot;
131 nurjwir — 137 wolken stein, nicht belegt; wohl, wenn nicht
verderbt, eine dus Matrosenkreisen stammende. scherzhafte Bezeichnung
fur den hbchsten Standort auf dem Schiff. Mastkorb oder Mastspitzef
Das Folgende ist wohl luckenhaft — 139 fugan — ital. focone Schiffs-
herdf — 141 kamito]kamico = ital. comito Gallerenvogt. — 143 gal-
iotta = ital. galeotto Ruder er. — 146 — ital. da poppa a prora vom
Hinterteil zum Vorderteil des Schiffes.
42 Wilhelm, Feigenmuntorden*
Hawbt mir vnd hent
Vnd der rilck vnd auch die lent
Thlit mir also we,
165 Das ich kawm auff den fiiszen ste."
Wenn in der regen vnd der wint
Wirt plewen vmb sein grint
Vnd der dUrren pischoten wirt nagen,
So mocht er erst verzagen:
170 In den pischoten in
Sint wlirm, schurpinn vnd spin
Vnd ist auoh altzo swarez,
Swertzer denn ein harez.
Aber gedenoke im der feygenritter;
175 (Wol wirt im sein leben pitter)
Bl. 7r „ Wider das ioh gehabt ban,
Ich das flirpasz lasz stan;
Vnd mocht ich gosunt wider heim kumen,
Zwar 63 must mir ymmer f rum en."
180 Aber der arm ponesser,
Der leydet grossen hunger;
Er Bey auff koken oder gallein,
So leydet er doch grosze pein.
Der pein kainer pein geleioh ist,
185 (Das sag ich euch zu aller frist)
Von durst vnd von hunger,
Er sey alder oder iunger,
Von frost vnd von hicz,
Das im zerint aller seiner wicz.
190 Der feygenorden hat hie ein ende.
Der almechtig got vns genade sendel
Anno dm m°cccc°xxij scripta est hec
scrip tura.
162 mirjim.— 176 Schwarze Initiate. — 170 pischote, vgl.Schmeller I*
293; 298. DWb. 2, 46. H. Simons f eld II 273. Samuel Kiechd berichtet
kieruber (StuttLit Verein Bd.86, 158): Am heimgohn nach der her-
berg wurden wur in der herrn bachaus gefuert . . * . und wiirt kein
anderr brot do gebachen dan poscoten, wolches harrt und 2mal
ingelegt wiirt . . . und kompt solches brot alles uf ihre, der herr-
schaft schif und gallea, dtle marinari, sclaven und andere, wblche
doruf sein, domit zu speisen. — 171 scbiirpin $. Lexer mkd. Hxcb.
unter schorpe und schurpe und DWb. 9 f 1582.
MUnchen, den 28. Juni 1911. Friedrich Wilhelm.
4a
Wandlungen alten Sagengutes im Russland
der tiegcnwart.
AIs ich mich im Juni 1904 im Gouvernement Charkow,
Kreis Bogoduchow, auf den Giitern des Zuckerindustriellen
Kflnig aufhielt, wurden dort gerade die ersten Mannschaften
zum Kriege mit Japan eingezogen. Das Land war in starker
Erregung. Die unerwarteten Niederlagen fiihrten zu be-
standig erneuten Verratsgeriichten und Spionenlegenden,
wie auch anderwarts bei solchen Gelegenheiten. Eigenarlig
war aber, wie zugleich damit die mythenbildende Kraft des
Volkes zutage trat: in einer urspriinglichen Unbefangenheit
namlich wie sie auf unserem alten Kulturboden im Westen
nicht mehr gedeihen will. Selbst statistische Angaben wur-
den von der Phantasie der Leute mit alten Marcheniiber-
lieferungen in Verbindung gebracht und zu lebendigen
Anschauungen umgestaltet, denen ihrUrsprung dann freilich
kaum noch abzusptiren war.
1. Die Japaner als Tampyre.
So horte einer von den Gutsverwaltern die Bauern er-
zahlen: es ware kein Wunder, dass die Russen nichts aus-
richten kOnnten; denn die Japaner waren nicht grosser als
ein Finger; tags kOnnten sie sich schon hinter Gras-
halmen vor den Feinden verstecken; nachts aber schlupften
sie den Russen in die Stiefel und saugten ihnen das Blut
aus. — Der Verwalter, der diesen Vorstellungen auf den
Grund kommen wollte, fragte bei den Leuten herum, woher
sie denn das wtissten, und brachte schliesslich so viel heraus:
dass die Japaner so klein waren, sei ganz sicher; denn in
der Stadt (Charkow) hingen iiberall Bilder an den Strassen-
ecken, an denen konnte man es sehen. Das waren aber
Plakate, auf denen die iiberwaltigende Grosse des russischen
Heeres gegenliber der Minderzahl des japanischen vergleichs-
weise in Einzelfiguren vorgefiihrt war, um das Volk zu
ermutigen. Hier hatte also das Missverstandnis sofort zu
44 Weber, Sagengut in Russian d.
<einer phanlastisch-plastischen Ausgestaltung durch den alt-
heimischen Vampyrglauben gefiihrt.
2. Horatier and Kuriatier.
Einera andern Verwalter wussten die Leute von einem
-eigentumlichen Wettkarapf zu erzahlen, der in Japan aus-
getragen worden sei. Der Zar dort h&tte drei gefangenen
Kosakenbriidern die Preiheit versprochen, wenn sie drei
japanische Briider, seine bestenKriegsleute, besiegen kOnnten.
Schon waren zwei von den Kosaken gefallen, schon jagte
der dritte, der jiingste, vor der Ubermaeht seiner Gegner
davon, da karaen diese bei der Verfolgung auseinander, und
nun wandte er jahlings sein Ross und erschlug blitzschnell
einen urn den andern. Da sahen die Japaner, was fur ein
verwegenes Volk die Kosaken sind.
3. Aus dem Alexanderroman.
Ganz unverkennbar antikes Sagengut tauchte auch in
den Vorstellungen auf, mit denen der Glaube des Volkes
den Eingang des Krieges ausschmiickte. Da hatten sich
zunachst einmal die beiden feindlichen Zaren „geruhmt tf :
der russische sandte dem von Japan eine machtige Schiissel
mit MohnkOrnern und liess ihm sagen: „so gross ist mein
Heer! a Aber der verfluchte Japaner schickte ihm dawider
ein Buchschen voll Pfeffer mit den Worten: „und so ist
das raeine: es beisst!" — Die Verwandtschaft mit der be-
kannten Episode in der Historia de Preliis (c. 23 ff.) und
darnach im Strassburger Alexander (Kinzel, Halle 1884,
v. 2044 ff.) liegt klar zutage. Da die Anekdote auch von den
orientalischen Versionen des Alexanderromanes tiberliefert
wird (s. K. Fr, Weymann, die athiopische und arabische
tJbersetzung des Pseudokallisthenes, Kirchhain W.-L., 1901),
so liegt die Vermutung nahe, dass sie ihren Weg nach
Russland liber Persien gefunden habe. Denn dass die Ge-
schichte neuerdings durch Gebildete ins Volk getragen wor-
den sei, ist bei der grossen Kluft zwischen den St&nden in
Weber, Sagengut in Russlaod. Wilhelm, Freidanfc. 45
Russland iraraerhin nicht ohne weiteres wahrscheinlich.
Doch so oder so, verdient ja wohl die Tatsache allein schon,
dass der Stoff zu unseren Zeiten lebendig weiterwirkend
im Volke umlaufen konnte, der Sagenforschung zur Erwa-
gung gestellt zu werden.
Miinchen, den 30. Juli 1911. L. Weber*
Freidanks Todesjahr.
In den Annales Caesarienses, die Georg Leidinger ent-
deckt und mit einem gelehrten Kommentar in den MSB,
phil.-hist. Kl. Jg. 1910, Abh. 7 herausgegeben hat, findet
sich zum Jahre 1233 derEintrag: Freidankus magister mori-
tw\ Leidinger, der so freundlich war, mich auf die Notiz,
aufraerksam zu machen, konnte ebensowenig wie ich die
Quelle fur diese Nachricht auffinden. Die Kaisheimer An-
nalen sind nach Leidinger „wohl 1295 oder kurz danach
abgefasst", also nach Rudolf von Ems, Heinrich von Krole-
witz und anderen Zeugen fiir Freidank geschrieben. Die
Angabe zu bezweifeln, liegt kein Grund vor, zumal sie zu
dem stimmt, was sich aus der Bescheidenheit iiber die
Zeit ihrer Abfassung ergiebt. Wie bei Rudolf wird der
Dichter im Kaisheimer Eintrag magister genannt, d. h. als
ein Mann biirgerlicher Herkunft mit gelehrter Schulbildung
gekennzeichnet.
Miinchen, den 2. August 1911.
Friedrich Wilhehn.
Virginalbruehsttteke
aas der Benediktinerstiftsbibliothek Metten.
<iol. 1.)
I.
-348,9 Da spraoh dye konegynen wijs:
10 'Er 1st vfi seltea kramig
Gewesen her bf sfnen tagen.
Er bat gestridden manohen
strjft,
Dan er vns gurtel habe
beslagen.'
349 Alsus quam dfe konegfn,
Mit ir lieffen gecronten
megetfn,
D^e andfr schappel drugen:
Von rodem golde irluchten dye.
5 Vil schoner frauwen naoh ir
Die sorge gar vfrslugen [gie,
D^e gesten vfi der hfrscbaft,
Der bertze s^e intslossen
Mft yn also manig froudencraft.
10 Myt den so quam geflossen
Dj^e mynne vn bracbte fn fr bant
Vz rechter liebe der s el den*
seyJ,
Da rayde sfe manchen rittir
bant.
350 Dye frauwe hern hiltebrant ir
each,
Sfe drang byn nahfr vfi spraoh:
'Got willckum, Hebir herrel
Lob vn ere s^ uch gesaget
Vo* frauwen vn vO mancber
maget,
Der 1 o p* fst warden mere
Dan iz vf erden fe gewan
. hat irfochten dyne bant.
din lop alsam ein scharpes
swert
Aant alle lop vn herre dang/
DEn grus Den gait her hilde-
brant.
'Ir edeln frauwen booh genant
vn auch fr megde reyne,
hette ioh uch gedfenet vil,
mil warheft icb daz sprechon wil,
daz ruwet mich gar cle^ne:
wax uch zu seldfn b$ geschehen,
dez dancket ro^me herren.
die warheit wil ioh uch iehen
der selden vn der ferren.'
spraoh zu fn her hiltebrant:
'waz ich eren ie gewan,
die hat ir focbten mfr sfn hant.'
Bye spraoh: 'vil lieber herre
so liep alse ich uch moge sin,
daz uch got vmmer lonel
wer fst der ritter der dort stat,
eyn habich er uf der bende hat,
(fol.
lv.)
10
351
10
352
Huber, VirginalbruchstUcke.
47
vnd uch dfe frauwe sohone,
dye da haft daz hermelin
daz spielet in irme schosse?'
'aye ist dez bruder dochtfr myn:
(fol.2) 10 Ich in wefs nfcht irn genossen.
Der herre helfferich fst ir man,
Der junge fat helfferiohes
kint:
Myn hertze in aller selden gan.*
353 >)Dye frau
Lait mic
Dan ich b
Des byden i
5 Ir triuwe br
Vil schiere
Von kunigin
Sie entph
Sie hiezz in
10 Mit manci
Wart yn der
Alrerste 80
Die lange
354 E^n getwerg z& hildebrande
gtog*
s^nen sobilt iz fme inphing:
vn wolde ^n han getragen.
Er waz mit stahel wol durch
leit
5 fingers dicke vfi* spaanen breit
zwelf spangen daruf gestagen.
Dar vndlr fz da nydder viol
von dem sweren Iaste
Daz blat fm fn d^e oren wil
10 vn druokete vn so faste.
Da schrey iz helffe von grossfr
not:
'Snmet fr mich e^nes fingers lang,
So bin ich endelichen dot.'
355 Da quamen syner bruder dr£.
S^e machten iz der sorgen* hf
Al . . . von des kampes dache.
S^e sprachen: 'frunt her hilto-
brant,
Nemet den schilt in uwfr hant,
Ob ymant m^t gem ache
Leben wil, der hude sich
Vor uwfrme menlicheme zorne.
vn ginge er hohen boumen glich
So were er dfr vfrlorn.
Ddt m^r uwfr kraft bekant:
den schilt getruge kume efn
wagen*,
der 1st uch efn fedfr in* der
hant/
Dez irlachte her hildebrant.
Er nam den schilt in d^e hant,
Drug in alse von irste.
deB wart yme hohfr eren gelt.
Sie furten fn* widder in* daz
gezelt
dte dursten vn d^e hirsten,
nach yme dye werden geste
rich;
die wurden freuden bere.
die frauwen frageten alle gelich,
welches der berner were:
sie wolden ^me dang han ge-
geben.
sie sprachen: 'frunt her hilde-
brant,
Zant vns den faat vo berne sehea.'
HEr hildebrant spracb alse: *wfe
fragft ir mfch? er ist doch hie
vor acht dagen gewesen I
e^ne.'
die Konegyne uf frn eft da sprach,
daz sfe yn m^t augen nfe ge-
sach
noch ke^ne* ir megde re^ne.
des irschrag her hildebrant,
daz man in sach frblichen.
eftefreude^m also gar* virswant
im hertzen sichfrliohen.
er sprach : 'daz fch fe wart geborn,
daz mich der dot nichtlango nam,
han ich den herron myn virlornl'
10
(fol
2 v.)
356
10
357
10
l ) Sir of e 353 ist am Band nachgctragen.
48
Huber, Virginalbruchsttickc.
{fol. 3.) 358 Alsus rete der werde raan:
•Was ich kommers ie gewan,
Daz ist gain dem ©in stuppe,
D^e ich durch in lyden mas.
5 Sorgen wirt* rair* nummer*
bos.'
Man Bach d e s waasers t r o p p e n*
Dye wangen fliessen zfi dal,
Daz iz* dye frauwen eahen.
Syo weinten vnft fxn ubir al,
10 Wan In begunde nahen
Ir vfrlost dez fursten leit.
'Ich wefz vioYj sprach her helffe-
ricb,
'Daz er den weg gefn rautfr reit\
359 'Waz weges ist daz' ? sprach hil-
debrant.
Wer ist uber daz selbe lant
3 Voget vn herre dar ynne?' 1 )
5 Der ist geheissen ny tiger.
Ist iz ale ich mich virs^nne;
Er hat zwelf resen durch daz far,
Dye gent mft staheln stangen.
9 Ich weiz daz sichir virwar.*)
11 Sfe sin rair lange wole ir kant,
Daz sie vil manchen edel man
An hohen eren han gesant.")
363 Sye wurden* trurig vn vnfro
Vn olageten alle ein andir do
Den grossen komer strenge.
5 * solte ich ir 4 ) zorn tusent
lant/
(fol. Sprach der aide hildebrant:
3v.) 'D^e breyde vn. audi dye lenge,
Ich muz ir farn, wo er s^,
Solte ich dar vmme sterhen.
Ich will lebens werden fry
10 Odir heil noch irwerben.
Vil getruwir furste helfferiob,
Wise mich den reohten weg
Gein mater, helt, des bidden ich
dich.'
Da sprach der furste helfferich: 364
'Man sal in kurtzen z^den mich
Da schauwen in* dem* lande
M£t mancheme ritter wole getan.
Ich solte ^m widder saget han: 5
Vir bir ion's, daz ist schande.
No foohten ich abfr, dun ion daz,
Daz ich den schaden ergen;
Dye resen die sint mir gehaz,
Daz sie den herren bergen
bergen (wc/), 10
Daz wir in gesehen nummer me.
No gebent alle samet rat,
Daz mynen eren wole ane ste.' a )
Wife iz dem berner irging in dem
gefangnus&e*
Sye waren alle leydes rich. 366
Nu sagen wir von hern dietherich:
Den begunde sere irlangen.
Er hatte leit vn vngemach.
Widder sich selber er da sprach : 5
*Wes ligen ich hie gefangen? (fol. 4.)
Ich in han doohnyemann^t getan:
Ich in weiz wee man mich zyhet.
Des ich got za vrkunde ban,
Daz vf mich hie gediet. 10
Hoffart vn groz* gewalt:
Darvmme man mich schetzen wil,
Daz hat ein kaufman balde ge-
zalt.
Iz ist wole waz mir geschiet: 367
Ich in wolde deme fol gen ntcht,
Der mich daz beste leret.
Wer ubir get der frfinde rat,
Iz ist billich, daz iz fme missegat. 5
Sfn 1 ip wirt dar vmme gevneret.
Er ist zu der wernlde ein selig
man,
Der da nicht virsmahet,
Daz er frunden folgen kan:
») Vers 4 fehlt. ») Vers 10 fehlt. •) Die Strofen 360, 361 und
362 fehlen, *) ir ilbergeschrieben. 6 ) Strofe 365 fehlt
Huber, VirginalbruohstUcke.
49
(foL
4v.)
10
10 Vil selden yme nahet.
Der wisbeit darf ich mir* n^t
iheben.
Getruwer meister hiltebrant,
Sal ich dicb nummer me gesehen I
368 Code wistes du, wfe Iz mfr stat,
Daz man mich hfe gefangen hatt
(hait?)
Vm vnferdfenete sache,
Din truwe vn auoh din menliob
mat
5 Wegete den lyp vn auch daz gut:
Ich inqueme vz vngemache.
Din helffe mich nooh nie vfrlie
In keener not d£o lenge:
Za staden (scaden?) queme du
mir fe
Za stride vn za getrenge,
Dez ich noch gat gedinge han,
Ir freischses to den kommer
m£n,
Da dust diz lant in sorgen stan.'
369 Nv hat der furste nytfger
Eyne sohone sweetfr her,
Eyne iungfrauwe wandels eyne,
Dfe hern dieteriches plag
5 Heymeliche nacht vn dag
Myt stedir hute reyne.
Sfe gap ym manchen guden trost,
Da er lag in der hilte:
Er wdrde docb vil wol irlost,
10 Dfe wile sye scbatzes wilte.
'Mag mir dye stunde gen in bant,
Ich geben uch silbers hundert
marg:
Ich sprech in, iz sy uch gesant.'
370 Dos dankkete ir her d^etberich:
'Vil sohone maget myn-
neclich*,
Were ich da midde inbunden
Von deme vngeliuren man,
5 Dee ioh grossen schaden han,
So wil auch* an diesen*
stunden
Mtlnehner Museum f. Philologie des MA. I. 1.
Von mir han der bruder dfn
Vil burgen vn gysel.
mochte ich der intladen sin,
Noch frowfr dann e^n zysel 10
Were mir daz hertze myn: (fol.5.)
Daz singet gefn der somer zijt;
Mit dem wolde ioh in freudensin.'
,War vmme sijt ir so vngerne hye ? 371
Man geliez uch eyne stunde nfe
Altirs efne blyben.
So sehet ir mauchfr hande spil,
Freude vn kurtzewile vil 5
Von mannen* vn von wiben.
So wirt uoh naohtes abe ge loit
Von mir din staheln* ringe;
Ein schones bette ist uch bereit:
Daz freuden rioh gedinge 10
hat ir von mir vn dannoch me.
Ich sliessen uch heymelich
widder in.
Wo von ist uch by mfr so we?
So sit ir nachtes wole* bespart 372
Vnde vor den resea wole
bewart :
Sfe mogen uch nicht rfrterben.'
Da sprach von berne her
dietherieii:
,Vil schone magit mynnec- 5
lich,
Man wil mich hungers sterben*.
*Ach, herre myn, wie komet daz?*
Sprach die maget re^ne.
*Mfn brudir an vch n£e nicht gaz
So we nig noch so cle^ne, 10
Iz wurde uch uwir te^l gesant.'
't/unglrauwe, da get der rese (fol.
her vor* 6v.)
vn let mir nichles in der* hant.
Desistmynmachtvilnachedahin. 373
Durch dax ich beslossen bin,
so hat er mir gar gessfn,
umz mir von hofe wirt gegeben.
alsus krencket er mir dazleben. 5
bo hat er sich vfr messen,
4
50
Huber, Virginalbruohstticke.
toh musse yen* geben* gar
daz gut.
daz yme gelobet wurde.
da von so truret mir der mftt;
10 in grossir iammer burde
/ruret mir der freuden last,
fteynefrauwe wart so schone n^e,
daz ich sus wolde Bin ir gast. (
374 DEr rede die iungfrawe sere
ir schrag.
Siesweig bit* an den mitten dag,
Bit daz man essfn ginge.
da sprach die maget wole getan :
'aolde fz an mynen handen stan,
den resen ich irhinge.
der halt der da gefaogen lijt,
by den waz ich gesessen:
trie vil man yme von hofe git,
daz wirt yme alles gessen.
daz hat wickram getan:
. r ie von guder art
10
fol.6.) 1 )
II.
mil efme ste^ne irwurffen.
dar hornet, helffet in flz dor not.
10
(fol.
383 12 die burg irbebete allesamet
da der vngefuge rese* n^dder
viel.
384 Den vngefugen val
den shorten sie da ubfral,
die in der burge waren.
die resen dye bere^ten sich:
5 die not erhorte her* dieterich
vnd er begunde faren,
daz tme des resen stange wart,
die er drug in den handen,
er sprach: *uf m^ne leste fart
10 towr ich dz dyesen banden,
ez m#sste hie ein strijt gesehen:
biz an den iunstliohen 1 ) dag
mUest man mir lobes ieheu/
385 Der hertzoge nit iuliez,
vil balde er ^me irfaren biez,
waz fcrachtes da vzse were,
daz wart irfarn vn geseit:
5 l die resen d f e sint alle b eft :
man saget vns starcke mere,
randmgrus der lige dot
6v.)
Den lyp muz er verlorn nan.'
Uf sprang der hertzoge alzu bant: 386
Sin swertdaz hing an e^ner want,
Daz nam er in dfe hende.
Er lieff, da er die resen sach:
Gar zornlioh er da sprach : £
'Daz uch der* tuuel* schende,
Daz uwir lip virgessen* hat,*
Waz eren missezemet,
Vfi also gar der schanden rat
Den sig an vch gewynnet. 10
Warumme* nemet* ir* den
solt?
Ir si Age t ir sus e^nen man,
Vch wfirde d^e wernlt nummer
holt/
DEs antwurte ^me wolfferat:* 387
'lr sent wol, daz er vns hat
Mines bruder son irmordet.
Vir war ich uch sagen daz:
Minen eweclichen haz
Hat er uf sich gebordet.
Sin starcker \fp der ruwet mich :
5
l ) oben teilweine abgeschnitten. 9 )viMeicht audi iflnsclichen.
Huber, VirginalbruchstUcke.
61
Sin fochte dfe waz cle^ne.'
Da sprach von berne her dfe-
therich :
10 'Weren feh vn du alleyne,
Da vfrgessist wole dfnes nefen dot:
(fol.7.) 1 )
388
10
389
10
390
(fol.
7 v.)
die hochvart mustu amen;
reicheut mfr dfe stange m£n.'
Ala daz ir sach daz megetfn:
sie kunde in wole be warn.
den jungen helt sie vfrbarg
in efn vil gat* gewelbe.
'Nu Zebet nymant also starg
zwiachen rin vn elbe/
aprach za fme dfe hertzogin.*)
'und queme er her uf uwfrn dot.'
Dfe resen warn leydes rich,
durch daz von bern her dfe-
therich
so faste waz beslossen.
der hertzo der wart zorne vol:
^emmet (?) daz mynen eren wol ?
ez hette efn man genossen
hinnen sechtzig mylen hin,
da man mien hette gen en net:
da ist uwfr hoffart worden schfn
un myn gewalt zoxtrennet,
daz ich eynen bergen mas,
der swirlieh hfe ge fan gen lit:
mines basses wirt uch nummer
buz.
Von weme hat fr dfe gewalt,
5
lm werde als uch gedrencket.
Wenet fr gar herren sfn
In e^gen m^me lande?
Nein, ir vf vf (aid) dfe truwe
m^n.
Dez hette ich grosse sohande, 10
Geleubet, sollet fr eren ge-
sfgen,
Hebet fr uf uwfrn tod en:
Wes lat fr in so lange lygen?'
Uffhubens£eden*randfngrus. 391
Vn* trugen in* schfere vor daz
has;
Da stunt eyn alt cappelle.
Da bestaten sfe fme za deme
grabe:
Sioh hub dfe mfchel vngehabe 5
Von schrfen vngefelle.
Vier myle durch den tan
Wart man dez schrefs fnne.
So wise wart n^e kefn man
Mit alien s^nen s^nnen 10
Der rede, waz iz mochte sfn.')
In vmmaoht vil dfe hertzogin.
Sye schruwen faste vn fe n o o h 392
baz.
Sich hub der aller groste haz
Vn vngehures clagen.
Daz horten berne*, lewen*
starg:
. grosse wurme inhertzen 5
arg: (fol. 8.)
ir mat der wart ein zage,
da der vngehure schal
mit storme quam gedossen,
rechte als ein wilder donner
schal
uz herten felschen gesohossen. 10
der diere mat waz gar virzaget:
sie lie Sen a 1 1 e durch ruwen
wait
. e sie brechte ein her ge-
iaget.
Sie lieffen wait, dal vn berg. 5^3
dfe&e not horte efn getwerg,
*) oben teilweiae abgeachnitten. *) Vera 13 fehlt *) Vera 12fehlt
4*
52
Huber, VirginalbruchstUcke.
daz sohr^eschin vn daz schrien.
stoinde floch iz vn lief.
5 siuen magen iz gerief
grefwerohe manchir leige:
'v&chet, myn vil selges folg,
in starckir berge crufte.
erzurnet ist dez hymmels wolg
10 vnd dar za die lufte.
der tuuel der ist az gel an
oder der gotlichir zorn:
die wernlt wil ein ende ban.'
394 i r flyehen daz waz also starg,
daz sich ioder man vfr barg
von dyeseme gross en gruwen
. hinder fn daz gebirge dfef.
5 tote vil man uf der burge rfef.
(fol. Sye warn der sinne gar ein roub.
8v.) I>a sfe begunden ruffen,
Vn maohten yil der lude daup.
10 Sfe in wisten waz sfe sohuffen.
Ir stymme waz so vngezeme,*
Rete f m a n zq deme andern font,
Dez in kunde ez n^e wort
virnemen.
395 Des hoben fursten swestfr ffn,
D^e waz geheissen ^belfn;
Die ging zu hem dietberiche
In daz gewelbe, da er lag*
5 Da er yil manchfr sorge plag.
Sie bat yn flfzlichen:
'Acb, herre myn, nu gebent rat,
Wie sullen wir genesen?
Die wernlt in grossen sorgen stat,
10 Er will ein ende wesen,
Daz n^man freude haben mag:
Vnsir gloube ist ubfr ah
Iz sy der iunstliche 1 ) dag*.
396 DEs frlachte her dfetherich;
'Were ioh noch also sorgen rich,
So muste ich uwer spot-en,
Die wile ich daz leben hau.
Kunnet ir uoh nioht vfrstan,
Iz ist wickram mit der rotten?
Ir hant selden me virnomen*)
398 (fol. V.)
Das ros raustet ir verlorn han:
Des in kan nyt ioh erwerben.
No vochten ich, kumment ir
in den dan,
Ir werdent gar verirret:
Ir synt eyn verlorn man.
Waz auoh dana gewirret,
Weme olagent ir dan auwer noit?
So s fnt ir vngemaohes vol:
Ir wolt auoh geben in den doit.
Mioh muwet auwer vngemach,
Sit daz ie so vele gesaoh
An auoh der freuden bresten.
Iz ist nyt verre in auwer lant,
Wie iz auoh si gegangen in hant
So vil der sorgen lesten.
Wapen vnd dinst man,
Wa hant ir das gelassen,
Daz ir sit kumen in den dan
Of die wilde strassen?
Ir hant noch hie nahe hi,
Of ir trost vn of ir kunst (kunft?)
Bit (sic!) ir aller sorgen fri. T
Do sprach von heme her dieter ich :
Yil kusobe maget min n enclich,
10
399
10
400
(foL
9v)
5
Der ist geheiszen hildebrant:
Sin lip ist vnuervorcben,
Der brae lite mich in disz lant.
Vil heiden vil er worchen
Dorch eyn kuniginne clar:
10
l ) vielleicht auch ianscliche. *) Vers 396,8-398,4 fehlen (= 23
Verse). FoL 9 oben stark beschnitten.
Huber, Virginal bruchstilcke.
53
Wir han gefriet ir daz lant.
Sie raubeten eyn beiden alle iar.
401 Eynos dages ich in freuden saz,
So vil der schonen frauwen az,
Of eyn palas schone.
Die helde vnd auch die ritter-
schaf
5 Die batten manheit vnd craft.
Des ey n wart lop zu lone.
Sie veriahen manichen strit
Dorch korzwile den frauwen
In walde vnd of velde wit,
10 Waz von yn were verhauben.
Da badenmich die frauwen fromen
Vme ebfnture: ich kan ir nyt,
Sio was wir nie zu handen komen.
402 Die schanden mich von eren stiez,
Da mich die frauwen sagen heiz
Ebinture dorch freude.
4 Der rede ich harte sere er schrao,
ifol. Wan mir daz ding so nahe lag.
\{j\ Ich wart ir aller gude.
Ich bat mir sagen hiltebrant,
Waz ebinture were.
Der belt sante sa zu bant
10 Nach eynem burgere:
Dem bevalen mir die stat.
Die reise in wiste nieman me:
Wir suchten manichen w i 1 d e pat.
403 Eyne halbe mile dan noch me
Wir horteu daz eyn maget schre,
Die was in dodes plichte.
Drivaldeo was ir sorge groz:
5 Gegeben hatten sie eyn loiz
Eyme argen bosen wichte.
Der brachte eyn heidenissiz heer
Gar alle iar zu meye.
Gen deme d a was d i e k e y n e wer :
10 Sie machten grozzis geschreie.
Die kunigyn zinsit yn ir lant:
Eyne maget gap sie yn alle iar.
Alsus was d i e s e von y m e gesant.
404 Herr hildebrant hyn zu ir reit.
Sie olagete yme ir arbeit:
Er wolde vor sie fechten.
Wie stare er was, er slug yn doit:
Er machte sie fri vor aller noit. 5
Achzig heidennisser man (fol.
Begunden of mich dringen. 10 v.)
Yeclicher mich da began
Zu groszen sorgen bringen. 10
Da wirthe sich myn frihe hant,
Juncfrauwe, bit of den fimften
dac:
Zu helfe quam mir hildebrant.
Fro wande er mich funden han. 405
Er brachte d i e maget wol gedan
Vor in syme schosze.
Nu sag er, wa dorret diokes laup
Vn dorch die hohe baume staup 5
Die flamme oz helmes dozze,
Er leiz die wonnenkliche maget
Schono by der linden.
Zu mir quam der helt geiaget,
Da er mich truwete fin den, 10
Wazlebindfgwas, dazelugerdoit.
Wir reden vorbaz in den wait
Vnd brachten worme in grosze
noit.
Dooh suohten mir daz megetin. 406
Wir funden sie in der blumen schin
By waszer vnd bi velschen.
Sie twucsich in des brunnen bach :
So schone eyn bilde ich nie gesach. 5
Wol zemot ir daz helsen:
Des wart ich an ir wol gewar
.*■■■*.*
Vil rosse lief en her vnd dar, (fol.
Die waren her en ane. 11.) 10
Wir viengen daz da daz beste
schein.
Wir reden her vnd dar vorbaz
in den wait. 405, 12
Vns brachten worme in grosze
noit. 405, 13
Dooh suobten wir daz magetfn. 400 (!)
Wir funden sie in der blumen schin
54
Huber, Virginalbruchstttoke.
Bi waszer vnder velsen.
Sie twug sioh in des br Add en baoh :
5 So schoneeynbildeichniegesach.
Wol zemet ir daz helsen:
Des wart ioh an ir wol gewar
In herzemlyben wane.
Vil rosse liefen her vnd dar,
10 Dye waren her en ane.
Wir vingen da daz beste.
Dar of s o s as ten wir die maget :
Wir schichten m zun fr eft-
den hyn.
407 Sie zageten dorch blumen
vnd gras.
Wir hiezzen gruzzfn was dorte
was.
Sie wanden hie verliben
Bi eyn brunnen; der was olar:
5 Dar uber wolden wir vor war
Die stunde han verdrieben,
Vil lioh dri dage oder me:
So were vns mude intwichen.
Von slegen was vns beden we,
Creftig, groz vnd engslich,
Der mioh wolde veslinden.
Da must ich mich weren dorch
noit:
Vor yme s o friste ich mynen doit.
In des begonde vinden
Her hildebrant der jungen vil,
Die slug er gar zu dode:
Da vone wart yn eyn hardes spil:
Eyn worm det yn so node.
Sie gaben kamp eyn ander groz.
10
10
(fol.
11 V.)
408
So wolden wir dan in daz lant.
Vns drug der dufel worme zu,
Da vone vns kommer gienc in hant.
Wir horten manichen wilden
Bchal,
Dar da von jungen wormen
sohal
Wir nie gemerken konden,
Waz daz wonder mochte sin.
6 Ich sucht iz vn der meister myn:
Mit schaden wir sie funden.
Mir gedet ny fart so we.
Seht, daz befant ich schiere.
Iz kamen alter worme me:
id Vil rysen, heiden, diere
Vingens of der wilden vart.
Dye trugen sie da in ir nest:
Bit den ir kynt gespiset wart.
409 Eyn star ok worm der kerte an
mich
Sit in den loften weder doz. (fol.
Biz er myt elent after hant \2.)410
Den starken worm da uber want.
er horte in korzen stunden
eynes jungen ritters clage groz.
des lip was aller freuden bloz:
den bracht eyn worm verslunden
her biz an die armen syn.
da er sag hildebranden,
er clagete ieme synes herzen pyn :
des loste er yn vz den bandon. 10
mit mynen augen ich daz sag:
sit daz die werleit an geflng,
da (f) grozer stryden nie ge-
schach
voneynenman: daz dunket mich. 411
Der worm was groz vnd engis-
clich,
doch si ug en wir in of die grune.
dar nach such teer den jungen hilt,
der in deme worme was verquelt. 5
uf rechte in da der kune
/runtlich in des win des vart
vn liez yn vnder blachen.
do in wart langer nyt gespart:
eyna,nder sie da sprachen: 10
der was ir bruder dochter kynt.
daz was yn alle ir dage vnkunt:
. . t befonden sie i z (t) da synt.
Dri starke worme waren doit
Von myner hant erfellet.
412
(fol.
12 v.)
Huber, VirginalbruchstUcke.
55
Vf eynen ronen ich gesas:
5 Min herze freuden gar vergas,
Daz was in zorne erwellet.
Dersweiszmirdorchdieryngeran,
Da ich begunde siczzen.
So grosze noit ich nye gewan.
10 Bi alien bi mynen ziden
Kam ich, daz ich mich nyt versan.
Saget mir des dinstes ieman
dank:
Mir istleit, daz ich syn ie began.
41S Kulre wint mich vnder ging,
Da von ich s e n f t e lufte intphing :
De sturte mich zu den synnen.
S o horte ich eyn groszen storm :
5 Daz wa8 myn ros vnd au c h m y n
worm.
Der node wart ich ynnen.
Ich ylte swinde doroh den dan
Deme rosse myn zu troste.
Den starken worm den kerte ich an,
10 Daz ich daz ros erloste.
Ich were worden segelos,
Wan hildebrant. der suchte mich:
Der hilt mich an den slegcn
kos. 1 )
414 Der worm der konde manichen
wanck,
Wan ich daz swert nach erne
schwanck,
(fol. so traf ioh man i gen harten steyn,
13.) d&r vz die rode flam me drang.
5 die selben fures blicke
auch ersag myn frunt her hilde-
brant
und auch syn mag der junge:
zu mir quamen sie gerant.
IQ eynes wisen pafTen zunge
seite nyt myn vngemach.
helfe in wart mir nye so noit:
min swert mir in den hen den
bracb.'
Da sprach die wonnenkliohe 416
maget:
Mr bait mir uwer noit gesaget,
daz ich von sorgen swiczze
daz auwer swert gebrochen was, 8 )
tvie auwer junger lip genas, 8 ) 5
vor synes zornes hitze.
got selber vnd die muder syn
half auch an den stunden.
nu wartent, of die truwe myn
tr werdent noch inbunden: 10
auwer sorgen wirt gut rait,
iuch wirdet dusent valdis Ion;
den auwern lip herarnet hait.
Nu sagent, here, vorbaz wir, 416
Bescheident, wie erwirtent ir
des wormes auch bit henden?'
da sprach von berne her
died er ioh :
#•■>*»■■
Ich wart an manigen enden
Als der lebens wol bedarf
Gedacht ich an den stunden:
Manigen steyn ich an yn warf,
Die vfng er bit demme munde.
An ich yme grosze wonder kos 4 )
Wie vil ich ronen an yn warf,
So scheyn allez er grondelos.
So noit wart mir von yme gedan: 417
Ioh mochte keyne gewere han
Der stocke noch der steyne
Vf hup er, daz er mich geschilt.
Den schilt ich da zu schirme hilt: 5
Er half doch vil kleyne.
Zu eynre bach er mich gedrang,
Da muste ich syn verdorben:
Her hildebrant da vor mich
gesprank,
Der mir hait dicke erworben 20
5
(fol.
13v.)
10
l ) Vers 14 fehlt; cfr. unten 416, 11 Zupitza, hat Hier 14 Verse,
bei 416 dagegen bloas 12. *) = Vers 5 bei Zup. •) = Vers 4 bei Zup.
4 ) = 413 t 14 bei Zup., der hier bloss 12 Verse hat*
56
Huber, Virginal brucbstUoke.
Vngemach vnd dar na trost.
Mit slegen det er yn so we,
Daz ioh von dode wart erlost.
418 Na hatte ioh zorn vn vngemach,
Da ich yn vor m i r vechten saoh :
Ich strafte yn barte sere.
Da det er als eyn wiser man,
5 Der sicb zu aller zijt versan:
Er gonde mir der ere,
(fol. D& spracb bit zoohten sohone:
1 4.) tool her, welt ir den worm bestan :
10 t*oh wirt noch lop zu lone.
von yme versmahete mir syn
swert.
sin mag rentwin leig mir daz
sin:
daz was mir dusent marke wert.
419 Da ich daz swert so gut gesach,
Da zu ging myn vngemach:
dm kerte ich an den groszen.
der hatte schupen als eyn visch,
5 dickez horn feste vnd vrisch. l )
8 sine kraft begonde dragen
9 Aerte siege, manigen steyn:*)
11 die machten yn an stride lasz.
ei schre, daz man den galm ver-
nam,
der dannen eyn myle sasz.
420 Synen hale den raohte er vber
mich.
Recht als eyn swin so strubete
er sich:
man sag die bloszen ringe
an Byrne halse horns bar.
5 des wart her hildebrant gewar:
Er gap TDxr(f) daz gedinge. •)
der hisz mich swinde hauwen
hyn,
da er daz horn sag offen:
von ieme so nam ich die sen syn.
der worm wart von mir troffen, 10
alz ich ieme daz heubet abe slug.
des half mir syn wiser rait,
Eyn bode wart nach vns gesant, 421
Der vns bit groszen noden vant (fol.
Zu arone of der veste. 14 v.)
Daz ist eyn hus vnmazen groz,
Vor alien vinden vol besloz, 5
Da waren wir lieben geste.
Der wirt heiszet helferich,
Der zu der vesten horet,
Vn frauwen wounenklich,
An ir ist gar verstoret 10
Vntruwe, vnfuge und arger hasz.
Waz lieber geste zu huse i e q u a m,
Die worden nie intphangen baz.
Den ritter, den her hildebrant 422
In eynes wormes munde vant.
Der was eyn kynt der beider.
Syn vader quam in den wait,
Da vor vns lag der worm erfalt 5
Er sag wapen cleider
An syme sune blut var,
Der helt er sohrag sere:
Er hup sich snelleklichen dar.
Da hort er freude mere: 10
Vnser dat wart yn bekant.
Er furte vns zu arone off sy n hus.
Da gieng vns grosze freude y m
iehant (sic!).
An vns beide wart geleit 423
III.
(fol. .
15.) .
l J Ver* 6 und 7 fehUm, ») Vers 10 fehlL 3 ) Vers 6 am Raihd.
Huber, VirginalbruobstUoke.
57
i4(> IODbx ynne sitzent frauwen,
Die dienend eyner kunegyn.
Eyn ritter heiszet hildebrant,
Zu den saltu myn bode syn.'
441 Er spracb : 'der berg zu ieraspunt
1st mir bit hinnen dar wol kunt:
Der weg ist ruwe vnd enge.
Eyn brunne stet deme berge bi
5 Vil nach in kurzer mylen dri:
Icb weisz syns floszes lenge.
Er ist geheiszen la riant
Vnd rynnet dorcb die vnger,
Genesyt in der heiden lant.
10 Da icb was dri stunt i linger,
H atte icb wol daz lant vernomen:
Zu jeraspunt, daz geleubent mir,
Konde icb vor zwenzig iaren
komen.'
442 Da wart besegelt vnder brief.
Nacb ziergelt die maget lief,
Die gab deme boden schone
In liebe da zwei hundert punt.
5 Sie spracb zu zim der selben stunt:
'Diz babe dir zu lone:
So dicb ber weder hait gesant
15 v.)
10
waz von vns da go^chriben st*\ l )
Der bode da von dannen s c b i e t 443
Den rechten weg, dazergeriet
Gen ieraspunt gar sohone
Quam er bit an den nunden 4
dao, >)
zu bant man lute none. 6
Sacb er mauio scbone gezelt
Bi eyme waszer cleine.
D i e w a r e n geslagen of eyn vel t.
Vil kuser mede reyne 10
Vant er bi eynander stan.
Der bode weder sich selber spracb :
'Myn sorgen wil eyn ende han.
Gedanket musze dir, here, syn, 444
Der zu der lieben muder dyn
Der belferlicber sturre (stiuref),
Der ioh von dynengnaden ban. 1 )
Du hast mir lie bos vil gedan. 5
Nu ist mir leider dure,
Daz ich den alden hildebrant
Nit recbte kan erkennen,
Vn ich byn kummen in diz lant
Vnd kan in wol genennen. 10
Hie stet so manig schone gezelt:
IV.
(fol. 16.)<)
453, 12 Nu bin ioh komen ber zu uch(f):
der warheit wil ioh gerne
veriehen/
454 Sie hiez in wilkummen syn.
'Sage doroh 6 ) den willen myn,
distu mir gesendet
von muter, als ich mich ver-
stan?
myn sorge wil eyn ende han; 5
myn leit daz ist erwerdet (aid),
daz ich lange han gedragen
in herzin gar besloszen.
daz wil ioh vmmer gode clagen:
wit leide myn ich begozzen, 10
da vor ich keyne ruwe Ian.'
'swfgent', spraoh der bode gut,
'eyn brief ich in der tessen hnn.*
Den brief den nam er in die bant 45')
Vnd gab yn meister hildebrant.
x ) Bin Vera fehlt. *) Vera 5 fehlt. 8 ) Vera 4 und 5 umgeatellt.
4 ) oben halb abgeachnittm. ft ) dorch am Rand,
58
Huber, Virgmalbruehstuoke.
da, spracb die kunig^nnen:
Repent, here, konnent ir.'
5 '6eident, frauwe, iz ist royn gir.
/ant mich yn baz besynnen.
tch gelebet noch die zijt,
ten hette yn wol gelesen:
nu bristet an den augen syt,
10 die wollent mir nyt wesen.
(fo). . . . . . . . .
16v.)
• 4 * * • * 4 •
45£ Her hilde brant den brief ofbraoh,
Das erste wort, daz er da sprach :
'Vns grusset hie bit schalle
Eyn hocb gelobete kunegyn,
5 Frauwen vnd megetyn,
Dar zu die ritter alle.
Vnd eynre heizzet hildebrant,
Den gruzzet sie besunder:
Er ist ir, weiz got, nyt bekant.
Sie niemet mi oh el wonder, 10
Wa der belt bo lange si,
Daz syn here ge van gen lit:
Er solde yn machen sorgen fri.
So gruzet hie ein junngfrauwe 457
olar.
Die hat geschriben her
vor war,
Sie plege des heldes gerne
In demo gewelbe, da er lit.
Wasz yrae die hirzoginnen git, 5
Des danket ir der von berne,
Wan eyn groszer bosewicht,
Der kummet dar gegangen
Vfi iszet yme syn geschicht.
Des wirt er noch herhangen. 10
Vnd eynschal heizzet randengruz.
Eynes dages warf her diederiob
(fol.
17.)
506, 7
10
V.
507
to
tool geweldig vber den berg,
. . . . mede vnd frauwen;
dar zq manig kleyne getwerg.
von ir so ban ich drauwen
vnd eyn knnig mir wieder seit.'
des spottetin die ryeen alle gar:
ez wart ynsintvormotir leit.
dev herre zu deme rysen
sprach:
*&chade, sohandevn groz vfi-
gemach
muz ioh von vch dolden.
. . lidenmichel leit.
. . ait eyn konig wieder seit,
. . kummet von f ren sohuldin,
. ir yn nyt in liezzit gan,
ryden vf der strazzen.
. elucke muszit ir han:
. e dufel syt verwaszen!
. dut mir alliz wiokeram.
. ufel breohe yme eynen hals,
. r ye gen mutir quam.' 508
de8 ant werte yrae der ry se vn iach :
'ir wen it, ir habit vngemaoh
geliden durch vns die lenge:
. iden michil groszer noit. 5
mir ist eyn junger ryse doit
gcworfen in uwer euge.
. ir mir vrlaup gebin,
. . yn sohier erstoohin. 10
Wie lassint ir yn so lange lebin? 9
Ioh hette vns schieregeroohin: 8
So mochtit ir mit eren lebn.
Ioh wil gerne in der hellen sin:
Ich han den hymel vf gegebin.' 1 )
Hie quam bybung gen vngertu
Nv laszenwir d i e rysen gedagio :
Wir soil in ander mere sagin
Von eyme ritter oleyne,
Bybung so ist er genant.
Der ist do hyn gen vngerlant
532
l ) Strofe 509—632 fehlen.
H u b e r , Virginal b rue h s tUoke.
59
Geryeden alters eyne
zu deme kunige ymian
Vn wirbit syne mere —
Zu jeraspunt vf den plan
10 Mit eren er gerne were, —
AIs yn hiez her hildebrant
Vn auoh dye kunigynne verginal;
Alsus wart er do hyne gesant.
533 Her bybung vor den kunig gieng.
Eyn scbone garte yn vme fiong
Mit mancher hande baume.
Da insprungen viol vn cle,
5 Der reynen worze miobils me
Gewasin zu eyme saune.
8 Vnder eyner grunen linden
7 Er vant den kunig wol gedan.
10 Alse er yn begunde vinden,
P Sus gieng er vf den plan,
(fol. 11 Der kunig gruszte yn willeclicb
18.) Vn hiez yn willekumme syn.
*Nq lone vch got von hymen-idi!*
534 Rjtter vn mede clar
Die in spraobin alio nyt eyn
har;
Sie swiegin alle gemeyne.
Sie besahen ye den kleynen man:
5 Der hatte lychten harnesch an
Luter vnd reyne.
Sie stunden ernsthaft gemut:
Syn in dorste nyman spottin.
Der harnesch duchte sie so gut.
10 Die gigen vn die rotten
Vn waz von anderm spiele was,
Die hiez man alle swigen gar,
Vn lachtin sie nyder vf daz gras.
535 'Heiszint lesin diesen brief!'
Eyn bode balde dannen lief
Nach dem kappelane.
>
Den brief las er vf der stat.
AIs her bybung yn des bat.
Da bi vf demo plane.
*Vch gruszit hie eyne kunegin,
frauwen vn mede.
In uwerm dienste wollint sie sin.
Sie clagint michil clegede: 10
Kommer ist yn gegangen in hant.
Der berner yn gefangin ist: (fol. 18 v
des truret meyster hildebrant.* ')
Da sprach der kunig ymian: 543
'Mochte ich eynen degin han,
so wolde ich myt yme riden.
der ist do in stierer lant :
yme sint die rysen wol erkanl. 5
er gedar wol mit yn striden:
er ist byttierolfis sun,
e\n helt gar vz crwegin.
strides ist er wol gewon:
er hait sin vil gep login.' 10
*/*erre myn, dar sendit mich.
ich brengin vch den fursten her:
daz sollit ir wiszin sicherlich.*
Da sprach der kunig so zu hant: 544
( Du inkummest nummer in daz
lant.
ich wil selber sendin
^ynen bodin so zu stunt.
deme sint die straszen alle kunt : 5
er sal die mere volendin.
er ist derreysenselber fro;
er machit sich vf die straszen.
er inlet nyt durch keyne dro.
der helt gedar syn nyt laszin. 1C
Er ist eyn degin endelich.
Er brengit ritter vn knechte:
Die furent eyn schone banyr
rich'
l ) Die Strofen 536—542 fehlen.
60 Huber, VirginalbruohstUcke.
Das oben abgedruckte Virginal-Fragment hat vor einiger
Zeit der damalige Stiftsbibliothekar in Metten, P. Gallus
Ritter O.S.B. , in einem alten Biicherdeckel der dortigen
Stiftsbibliothek entdeckt. Da die IJberlieferung dieser
Dichtung ziemlich mangelhaft ist und diesbeziigliche Hss.
zu den literarischen Seltenheiten gehCren, dxirfte der Ab-
druck dieses Pundes als hinlanglich begriindet erscheinen.
Das Buch, in dessen Einbanddeckel diese Bruchstiicke
gefunden wurden, ist ein Sammelband, der verschiedene
Drucke des 16. Jhs. von alteren Schriftstellern liber Me-
dizin enthalt. Dieser Sammelband tragt gegenwartig die
Signatur: Arzneikunde II y 15. Derselbe hat, wie das erste
raehrfach beschriebene Titelblatt bezeugt, eine grosse Wan-
derung durchgemacht. In kraftiger, tiefschwarzer Tinte
ist zunachst zu lesen: „Sum magistri Johannis (?) Ziegl-
brunner*. Dieser Name wurde spater mit blasser Tinte
fast bis zur Unkennlichkeit uberstrichen, wahrend ein an-
derer, nicht genannter Besitzer die medizinische Wissen-
schaft gegen deren Verleumder verteidigt: n Novi heretici
in terra inferiori: Libertini tarn impudentes sunt, quod
dicunt Medidnam in mundum venisse a diabulo, cum
constet a Deo venisse, quia est scientia bene utendi crea-
turis, quas nobis dat deus ob necessitates quibus nos sub-
jecit" Eine sp&tere Hand fugte bei: n Unde angelus To-
biae .... docet sum de corde et jecore et felle piscis,
cujus utilitatis sint" Schliesslich bezeugt eine ziemlich
spate Hand, dass dieses Buch in die Bibliothek der Fran-
ziskaner zu Dingolfing (Niederbayern) gehSrte. Bei der
Sakularisation hat es dann wohl eine langere Wander- und
Irrfahrt angetreten, bis es schliesslich in der von Dingol-
fing nicht allzuweit entfernten Mettener Stiftsbibliothek
ein bequemes Asyl gefunden. —
Im ganzen wurden 27 B1L (20X14 cm, urspr. wohl
23 X 16 cm) aus zwei verschiedenen Papierhss. im Biicher-
deckel gefunden. Da von enthalten 18 Blatter den Virginal-
text. Diese Blatter unterscheiden sich von den iibrigen 9
durch Papier und Schrift. Den Inhalt der 9 Blatter bilden
Huber, Virginalbruohstucke. 61
deutsche Homilien, welche spater im MM. herausgegeben
werden sollen.
Was die 18 Blatter rait dera Virginaltext betrifft, so
betragt die noch erhaltene Grosse derselben 20X14 cm.
Die Rippen, die in einem Abstand von 4 ram senkrecht
stehen, sind ziemlich dick. Soweit Stege zu erkennen sind,
wechseln dieselben zwischen 44 und 55 mm. An Wasser-
zeichen lassen sich zwei Gattungen unterscheiden : ein Dop-
peladler auf Bl. 1 und 9 (Durchmesser 38 mm, Abstand
voneinander 10 m) und ein einfacher Kreis auf Bl. 2, 4, 18
(Durchmesser 35 mm) mit einem Fahnlein (Lange ca. 10 mm)
an einer Stange, welche den ganzen Kreis durchzieht und
noch 30 mm iiber denselben hinausragt. Bei Keinz (Die
Wasserzeichen des XIV. Jhrh. in den Hss. der Munch.
Hof- u. StaatsbibL Abhandlungen d. philos.-philol. Kl. d.
Ak. d. Wiss. XX, Munchen 1897, 479—524) findet sich
dieses Wasserzeichen nicht in derselben Form oder Grflsse.
Die dort (1. c. nr. 21—27, aus den Jahren 1367—1393) an-
gefiihrten Kreise, die einfachen oder die doppelten, haben
alle einen kleineren Durchmesser und kein einziges davon
weist das Fahnlein auf.
Nur wenige Blatter (Bl. 2, 17, 18) enthalten noch samt-
liche 28 Zeilen, da die meisten Blatter entweder oben (BL 1,
6, 7, 9, 15, 16) oder unten (Bl. 3, 4, 5, 8, 10, 11, 12, 13,
14) beim Einbinden in den Buchdeckel mehr oder minder
beschnitten wurden. Die Textseiten sind mit zwei leichten
schwarzen Linien (Abstand 8 mm) umrahmt, so dass die
erste und letzte Zeile jeder Seite in diesen Leisten zu stehen
kommt. Die Zeilen selbst sind mit einem Metallstift ein-
geritzt. Die ziemlich dunkle Tinte ist noch sehr gut erhalten,
soweit sich nicht beim Einbinden die Schrift der dar-
aufliegenden Seite abgedruckt hat. Die Schrift selbst ist
gross (ca. 4 mm), steil gestellt und wohl alter als die im
Cod. germ. Pal. 324 (Heidelberg). Doch geht sie nicht iiber
den Anfang des XV. Jahrhunderts hinaus. Eine gewisse
Kunst und Abwechslung ist darin deutlich zu erkennen.
Die erste und letzte Zeile, sowie die fast immer grossen
62 Huber, Virginalbruohstiioke.
Anfangsbuchstaben jeder Verszeile sind gerandert. Die
Initien jeder Strophe haben rote Uncialbuchstaben in der
Hflhe von etwa zwei Verszeilen. Auf BU. 9 — 14 fiihrt
durch die Anfangsbuchstaben einer jeden Verszeile eine
roteLinie; ausserdem weisen die roten Anfangsbuchstaben
der Strofen von Bl. 9 ab meistens ein eingezeichnetes Ge-
sicht auf. Ueberschriften, und zwar in Rot, finden wir nur
zweimal (Bl. 3 T und 17 T ).
Da die Blatter bei der Auffindung nur aus dem Biicher-
deckel abgelflst und ohne Riicksicht auf ihre bisherige Zu-
sammengehdrigkeit innerhalb des Biicherdeckels zusaramen-
gelegt wurden, konnten dieselben erst nach muhsamer Ver-
gleichung wieder in die friihere Lage eingereiht werden.
Dabei kam allerdings der Umstand besonders zustatten,
dass sich die eine Seite Ofters auf der andern, allerdings
fast bis zur Unleserlichkeit abgedruckt hatte. Der vordere
Biicherdeckel enthielt 14, der andere die iibrigen 13 Blatter.
Die ersteren lagen wie folgt auf einander (V = Virginal,
P=Predigten; F, P= die umgesttirzten Blatter):
1. Deckel- V5v 6. V3 - V12 11. V14v — V9
2. V5 - V7v 7. V12v - Vllv 12. V9v - Vl6v
3. V7 — V4v 8. Vll — VIS 13. V16 — V15
4. V4 — V8 9. V13v - VlOv 14. V15v — P9
5. V8v — V3v 10. V10 — V14 15.PPr— Vorlagblatt
Die letztern:
I. Vorlagblatt — PI VIII. P7v - P6v
H. Plv - P2 IX. P5 - V18
III. P2v — Vlv X. Vl8v — P6v
IV. VI — P8 XL P6 - VJ7v
V. P8v - P4 XII. V17 — V2
VI. P4v — V6 XIII. V2v — P3
VII. V6v — P7 XIV. P3v - Deckel
Die Reihenfolge der Virginalblatter, nach dera fort-
laufenden Texte geordnet, ist demnach mit dera gegen-
seitigen Abdrucke die folgende:
Huber, VirginalbruchstUcke. 63
1 = P8
7 - V4v
13
- Vll
lv - P2v
7v V5
13v
VlOv
2 V17
8 V4
14
vto
2v P3
8v V3v
Hv
V9
3 V12
9 V14v
15
- V16
3v - V8v
9v -■- V16v
15v
P9
4 - V8
10 = V14
16
V15
4v - V7
lOv - Vl3v
16v
F£t>
5 - V7v
11 - V13
17
V2
5v ^ Deckel
llv = V12v
17v
= P6
6 -~ P4v
12 - V3
18
- P5
6v - P7
12v - VI lv
I8v
- P6v
Der Text dieser Virginalfragmente ist mit h (cfr. J.
Zupitza DHB. 5, V ff.) nahe verwandt, weist aber eine
grflssere Anzahl w eigentiimlicher Laa. auf. An eine
Mischhs. ist jedoch nicht zu denken. Die Vv. 348,9 — 398
sind nur in h, dem Mettenerfragmente und w (hier Str.
534,9—584) iiberliefert. Die den Mettener Bruchstilcken
eigentumliche Laa. sind gesperrt gedruckt; diejenigen, die
sie mit w teilen, dureh * hinter dem betreffenden Wort
kenntlich gemacht. Was kursiv gedruckt ist, wurde nach
Zupitza erganzt. Die Abkurzungen sind aufgeltfst worden.
Die Mundart des Fragmentes deutet auf das nordostliche
Rheinfranken.
Met ten (Niederbayern), den 4. September 1911.
P. Michael Huber O. S. B.
64 Wilhelm, Hymnus auf St. Godehard von Hildesheim.
Hymnus auf St. Godehard von Hildesheim.
In dem Kodex Bosianus 4° Nr. 1 der Jenenser Uni-
versitatsbibliothek , der das silteste uns erhaltene Necro-
logium des Klosters Niederaltaich enthalt und vielleicht
noch Ende des 12. Jhdts. begonnen wurde (vgl. B. G. Stru-
vius, Acta litteraria ex manuscriptis eruta, torn. II, Jenae
1717 SS. 207—225, und Pertz, Archiv XI [1858], 508 f.),
findet sich auf Bl. 155 a von einer Hand des 13. Jhdts. ein
bei Chevalier Repertorium hymnologicum nicht verzeich-
neter Hyranus auf den hi. Godehard von Hildesheim, den
einstmaligen Abt von Niederaltaich. Die Strofen sind wie
in unserem Abdruck abgesetzt und rait Neumen versehen.
Das Anfangswort jeder Strofe beginnt mit einem roten
Buchstaben. Bei den Strofen 4, 5 und 6 ist dieser spater
ausradiert worden.
1. Laudum uota mundi tota Christo reddat machina,
Ade natos qui damnatos suo soluit sanguine
deitatis sue gratis eacro signans nomine I
2. Inde ounoti sumus uncti spiritali graoia,
ut te, Christe, oredens quisque patrem possit dicere,
ad te sursum oui cursum monstrasti dirigere.
3. Quo beatum iam translatum Godehardum presulem
dies pandit, in qua scandit deus ante hominem,
eius dono ut et homo spem sequenti oaperet.
4. Hicque pie hao in die Christi faotus assecla,
presul clarus deo carus magna oum letioia
intrat oelum olaustra rerum linquens temporalium.
5. Ergo plaude summa laude, felix mater Altaba,
que te nati tarn beati ounis iactas dulcibus,
quern patronum eque bonum habebis in omnibus!
6. Alme uultu Godeharde nos sereno respicet
iuges fund en s supplicatus nostris pro reatibus
nobis irapetres eternam oum Sanctis Ietitiaml
7. Gloria et honor deo usque quo altissimo
una patri filioque inclyto paraclyto,
oui laus est et potestas per etema seculal Amen.
Jena, den 1. September 1911. Friedrich Wilhelm.
Zu Aynard von St jfcvre.
Aynard war urn die Mitte des 10. Jhdts. Kloster-
lehrer zu St. Evre in Toul, wo vor einigen Jahrzehnten
wahrscheinlich die Ecbasis captivi entstanden war und wo
sich eine sehr reichhaltige Buchersammlung 1 ) befand, die
naraentlich viele Schatze aus der alten Literatur besass.
So spricht Aynard im Eingange seines Glossars, das sich
anscheinend nur im Metensis 500 saec. XI fol. 9a — 24b und
fol. 136a — 160b findet: Incipit glosarfijum ordine elemen-
tonim agregatum ab Aynardo anno db incarnaiione domini
DCCCCXLV1III indictionc Xllimperio magni Ottonis sepulchro
diindicatum Apri Leuchorum quinti pontificis ad snplementum
inibi degentium pusionum. Obsecro ne ab aHqno posterorum de-
struatur, ne incurrat vindictam domini nostramque imprecatio-
neni. Es folgen die zwei Verse
Utenti quo sit venia et tollenti anathema
Tenareis Erebi cum zabvli sotiis.
Man besass in St. Evre unter anderera auch ftinf Bande
Glossare (Becker 68, 264 — 268) und Aynard mag diese
Werke seinem Unterricht vielfach zugrunde gelegt haben.
Dabei kam ihm wohl der Wunsch, selbst ein solches Werk
abzufassen, das sich aber nicht nur auf den alten einschlagigen
Glossaren aufbauen sollte, sondern hierrait Etymologisches
im Sinne Isidors, Notizen aus den Differentiae verborum*),
Stlicke aus Scholien zu den alten Autoren, allerhand grie-
l ) Namlich Becker, Catalogi bibliotheoarum antiqui Nr. 68.
F'erner kommt die Literaturkenntnis des Yerfassers der Ecbanis cap-
tivi binzu (vgl. Manitius, Gesch. d. lat. Lit. des Mittelalters 1, 618),
falls dieser wirklich nach St. Evre gehorl.
■) Die sogenannten Differentiae Ciceronis waren in der Biblio-
thek, s. Becker 68, 211.
MUnobeoor Museum f. Philologie des MA. 1. 1. 5
66 ManitiuB, Zu Aynard von St. Evre.
chische Erkl&rungen sowie Uebersetzungen lateinischer
Wtfrter und endlich Bestandteile enthielt, die aus dem
Sprachgebrauch der Gegenwart und aus deren Leben und
Anschauungen stammten. So hatte ja auch schon Smaragd
seine Grammatik auf das Niveau der Gegenwart stellen
wollen, indem er viele frankische Zutaten machte. 1 ) Ausser-
dem aber hat Aynard die altere abstruse Gelehrtensprache
Siidgalliens, die uns aus den Schriften des Virgilius Maro
etwas bekannt ist,*) in sein Werk hineingeschmuggelt, denn
viele seiner Erklarungen und viele hflchst merkwurdige
Wtfrter lassen sich nur so auffassen, wenn auch so manche
Form korrupt sein diirfte, wie es ja in alien Glossaren der
Pall ist. Das alphabetisch geordnete Glossar stellt daher
eine seltsame Mischung von allerhand Wissenswiirdigem
zusammen, wobei allerdings der gewflhnliche glossographi-
sche Inhalt uberwiegt. Aynard beschliesst seine Arbeit
mit kurzer Beruhrung der karolingischen Geheimschrift,
die jeden Vokal mit dem auf ihn folgenden Konsonanten
vertauschte, und erwahnt, dass er selbst eine andere Ver-
tauschung erfunden habe; er berichte das nicht, urn sich
zu riihmen, sondern sein System sei wirklich in Gel-
tung. Die Stelle heisst in der Hs. fol. 160 a He littere
pro quinque vocalibus more avitorum adhuc ponuntur, pro a b,
pro ef t pro i k, pro o p, pro ux, sic enim in libris eorum invcni-
mu$. Inveniuntur etiam quedam consonantes more Ainardico*)
pro ipsis vocalibus apposite, pro a d, pro e g, pro i I, pro
o r y pro u z. Et quisquis hec legerit } sciat nos non causa
tumoris hec dicere, sed auetoritatem habere. Es folgen am
Schlusse noch einige grammatische Bemerkungen, die bei
ihrem Mangel an Zusammenhang den Eindruck erwecken,
als ob sie Aynard zura Diktat fur die Schtiler hingeschrie-
ben habe , oder als ob sie ein schon nachgeschriebenes
Diktat darstellten. Daraus hebt sich fol. 160a ein Satz
l ) Vgl. meine Zusammenstellung N. A. 36. 63—65.
•) Vgl. G. Goetz, Berichte lib. d. Verh. d, Sachs. Gee. d. Wiss.
48, 90 f. und Manitius, Gesch. d. lat. Lit. dee MA. 1, 123 f,
*) ainardaco korr. in ainardico Hs.
Manitius, Zu Aynard von St. Evre. 67
hervor, dessen Inhalt sowohl auf eine Geheimschrift zu
gehen scheint, als auch dem Aberglauben der Zeit Rech-
nung tr£gt: Si quis habuerit b c b t J m in amdo, gratiosior
omnibus se videntibus erit.
Ohne Zweifel hat Aynard fur sein urafangreiches Werk
als Grundlage ein oder mehrere altere Glossare benutzt.
So hebt sich als Quelle unbedingt der verbreitete Liber
glossarum heraus, der sehr h&ufig erkennbar ist. Ich fiihre
hierfiir nur an die Glossen fol. 15b Baxea supit calciamenta
mtdierum (Goetz, Corp. gloss, lat. 4, 252, 10); 16a Bustiaritis
cremator corporum (4, 173, 14); 140a Getrocomium 1 ) est do-
mus in qua pauperes ac propter senectutem infirmi homines
curantur (4, 241, 35). Neben ausfiihrlichen lateinischen
Wflrterbuchern muss aber auch ein griechisch-lateinisches
Glossar benutzt sein, denn die Zahl der lateinisch erklarten
griechischen WGrter ist sehr gross und es ist unzweifelhaft,
dass Aynard etwas Griechisch verstand, Preilich bezeugen
inanche Stellen, dass diese Kenntnis nur sehr oberflachlich war,
wie fol. 10a Artos grece latine panis f copos est labor inde dicitur
artocopos pistor. 15a Acrasia vel ansaria quoddam genus cecitatis,
quo quedam videntur et quedam non. 15a Alogotheta est sermo
divinus. 136 a Erx est lis, itos terra, hinc Erictonius de lite
terre natm. 136 a Elementum dicitur quasi elevamentum eo
quod inde cuncta sint elevata. vel elementum*) dicitur agreco
quod est ilen, id est materies, eo quod inde sint condita. 141a
Inponnestico accuso. 3 ) Aber es finden sich doch auch Wtfrter,
die in den griechisch-lateinischen Glossaren iiberhaupt fehlen,
wie fol. 136a Excolopendria (soil heissen Scolopendria) est
lingua cervi. 136a Ermologus est interpres verborum. 138a
Hinc parafrastes est falsus loquitor (I). 143 b Lipsana sunt
monumenta vel corporis reliquiae. 144a Macrocosmus minor
mundm.*) 147 b Olimpionices sunt circumspectores. Olimpio-
l ) Uebergesohrieben vel geroto, Hs.
*) Id der Hs. zasammengezogen in Vementum.
•) Wunderbar ist auch fol. 16 b Bare grece latine vir farti$,
inde barones.
*) Hieraus ergibt sioh deutlioh das Exzerpt aus einem voll-
standigen Glossar.
68 ManitiuB, Zu Aynard von St. Eyre.
dorus est princeps Alius ludi. 160a Phtiatdw se ipsum amans.
154a Stratogenia est militalis (!) Indus. 155a Stauroforia est
portatio cruris, nam stauron crux foron fert. 155b Senno-
logia sunt magni sermones. 156a Sincategoro 1 ) predico (Sincar
tegoremata sunt predicamenta vd consignificancia aus Priscian
2, 15)* 156b ScemaUsmeons est figuratus. Und es ist nicht nur
die Zahl der griechischen WOrter bei Aynard sehr gross,
sondern es finden sich auchStellen, die griechische Ueber-
tragung seiner Quelle vermuten lassen ; so heisst es bei Isidor
Etyra. 16, 25, 26 Artaba mensura est apud Aegyptios sex-
tariarum LXXI1, bei Aynard fol. 11a Artabdis metreta est
genus mensure conHnens septuaginta tres sextarios. Auch Neu-
bildungen hybrider Art finden sich wie fol. 147 b ortho-
docus recte docens. Ausser dem Griechischen finden sich
auch hebraische Lemmata, die aus Hieronymus erklaxt
werden, so fol. 10a Arid est civitas David et interpretatur
vincens leo. 17a Batdim est femoralia. 157a Terafim sepulcra
vel ornamenta templi. 157b Tectifim est serinia. 156b Sola-
malac?) est ave.
Von besonderer Bedeutung ist die Benutzung des Nonius
Marcellus, auf die Goetz (Berl. philol. Wochenschr. 1889
Sp. 1331) aufmerksam machte. Aynard fuhrt den Nonius
an vier Stellen an, und er verdankt diese Kenntnis wohl
der im 11. Jhdt. in Metz befindlichen Hs. 8 ), die wohl mit
Voss. P. 73 (aus St. Martin in Tours) und mit der von
Lupus von Ferriferes verwendeten (vgl. meine Gesch. d.
lat. Lit. 1,488; zu Hincraar von Rheims vgl. daselbst 1,349)
in Verbindung steht. Jene vier Stellen sind s. v. Bidentes,
Slrophium, Silicemium, Vopiscus, die Benutzung erstreckt
sich aber viel weiter und ist z. B. evident bei
fol. 1 1 a Amotinus est qui ex sorore patris natus est (Nonius
p. 557,8).
lib Actuarie sunt naves amplissime et ad agenda honera
') Sincatero, go Ubergeschrieben Hs.
*) Wohl das hebraisohe Schalom alechetn.
') Vgl. Manitius, Philologieches aus alten Bibliothekskatalogen
S. 83; ausserdem Zentralbl. f. Bibiiotbekswesen 11,88 Nr. 24.
Manitius, Zu Aynard von St. Evre. 69
bene able, sunt namque constrate et militari pugne
preparate (p. 535, 1).
14 a Anquina est Junis quo ad malum antenta con-
stringitur (p. 536, 6).
19b Comvasso est furor (p. 87,24); ebenso Concinus
(p. 43, 21) und Cerritns (p. 44, 20).
140 a Oe$a hasta lingua Oallortim (p. 555,9).
143 a Lira est genus musae et dicitur apotu lirin
id est a varietate cordarum et ponitur pro
sulco. Hinc deliros homines dicimus insanos
exorbitantes a ratione, hinc delirant boves cum
exorbitant (p. 17, 31 f.).
154 a Silicernium 1 ) decrepita senectus et dicitur eo
quod cernat silicem (p. 48, 3 ff.).
Wahrscheinlich hat Aynard auch eine Placidusiiber-
Heferung gekannt, wohin wenigstens zwei Erklarungen
fuhren namlich fol. 10b Archisterium est monasterium
(Goetz 5, 168, 1) und Orchia grece sacra Liberi patris
quia orchi grece latine ira 3 quia furiosi ea celebrabant
(Goetz 5, 35, 12. 90, 13. 127, 34).*) Eine Hauptquelle aber
bildet Servius fiir Aynard, sein Vergilkommentar wird un-
gemein h£ufig fiir Mythologisches und Sprachliches aus-
geschrieben. Wie weit freilich Aynard den Servius selbst
benutzt hat, wird sich erst zeigen, wenn die von Remigius
von Auxerre verfassten Kommentare unverkurzt und un-
ver&ndert vorliegen, denn diese sind von Aynard sehr stark
ausgeschrieben worden. Das ist zunachst unbedingt sicher
bei den Remigiuskommentaren zu Priscian de XII versi-
bus Aeneidos und zu Phocas, die mir — allerdings wohl
in vielfach verktirzter Gestalt — ira Rotomag. 1470 s. XI
vorliegen. Ich gebe hier die Belege. 3 )
l ) Ausser der von Goetz Corp. gloss, lat. 5, 623, 43 gedruckten
Stelle. Goetz bat hier p. 615—625 Excerpte aus dem Werke ab-
gedruckt.
*) Vgl. allerdings auoh Servius Aen. 4, 312.
•) Die meisten sind naoh dem Excerpt von Goetz im Corp. gloss,
lat. 5, 615-626 gegeben.
70
Manitius, Zu Aynard von St. Eyre.
Remigius.
(Priscian bei Keil G. U 3, 463, 3)
dextrockiria vero omatnenta dex*
tere manus.
(463, 3) Subero quasi ere cooperio.
(466, 33) Hinc stratoria dicuntur
bancales.
(475, 7) a postica parte corporis .. .
quando ostium produdtur. Idem
est et posticum neutro genere,
unde Ovidius: Atria servantem
postico falle clientem . . . Inde •
posticum quod et setido tirum
dicitur a seducendo grece.
(478, 2) Libripens dicitur qui li*
bram appendit
(480, 10) tricurium quasi triplex
et multiplex cura . * . Tel tris-
curium genus est ludi.
(486, 4) Liceo epnenatuo dicitur.
(495, 36) Philaxe servare.
(497, 1) Tragemata dicuntur vilia
grece, colubida Mebrei, colobistas
munuscula.
(Phocas bei Keil G. L. 5, 412, 1)
Glis 1 ) gliris animal, glis glisis
terra tenax, glis glitis lapta id
est carduus.
(412, 20) damma bestiola velocissima
et timida secundum Virgilium
masculini generis ut trepida dam*
meccrviquc, Oratius tamen femu
nine protulit pavide damme.
(412, 21) Lixe serve militum qui et
calones id est lignarii dicuntur
quia calon grece lignum, hinc
calopodia forma lignea.
(413, 16) Latro nomen dignitatis
erat apud antiquos, dicti latrones
quasi laterones y quod lateribus
Aynard.
5, 618, 27 Dextrocerium ornamen-
tum dextre manus.
5, 623, 34 Subero est acre cooperio,
5, 624, 14 Stratoria sunt bancales.
5, 622, 41 Postica est ostium iuxta
portam longa ti, idem est et po-
sticum neutro genere quod seu-
dotinum dicitur grece a seducendo,
Hinc Ovidius: Atria servantem
postico falle clientem.
f . 143 a Libripens est trutina vel una
libra pensans.
5, 624, 26 Tricurium est triplex
cura vel genus ludi,
5, 620, 34 Liceor est epimatizo.
f. 138 a FUaxe grece servare.
5, 617, 42 Colobiste sunt qui colo*
bia vendunt id est vilia munus-
cula que et bellaria vocantur.
fol. 139 b Glis ris animal. Glis
lis lapa id est carduus. Glis sis
evulsa herba,
5, 618, 37 Dama vel damula capra
sUvatica vel ibex.
fol. 17b Calon grece latine lignum.
Calopodia est pedis. Calones sunt
servi ligna ferentes.
5, 621, 9 Latro hinc miles ob-
sequens dicebatur qui stabat secus
principem et ad omne discrimen
l ) Vgl. hierzu die Glosse dee Remigius zu Eutyches Keil 5,
449, 2 und die Panormia dee Osbern p. 259 und 264 (ed. A. Mai,
Classioi auctores VTII).
Manitius, Zu Aynard von St. &7re.
71
regis assiderent r nunc autem a
latendo dicuntur.
(428, 6) antes extremi ordines vi-
nearum.
(428, 7) Pugillarestabule manuales
in quibus nomina militum scribe-
bantur.
mittebatur, vel etiam quasi late-
rones quod iuxta regum later a
stabant
fol. 14 b Antes sunt extremi ordines
vinearum.
5, 622, 29 Pugilaris est manualis
tabula vel stilus. 30 Pugilares
sunt romani milites.
Aber auch der Remigiuskommentar zu Martianus Ca-
pella, von dem ich leider nur den Anfang vergleichen konnte
(im Paris. 12960 f. 39a— 46b), ist durch Aynard benutzt, wie
gleich eine seiner ersten Glossen allubesco consentio (fol. 9 a)
ausweist, vgl. Remigius zu Martian 12, 2 (im Paris 13029
s. X f. 23 b) Allubesco faveo vel consentio vel aplaudo.
Wahrscheinlich sind hieraus auch genommen die Erkla-
rungen zu Creagres (Mart. 9, 997), zu Condilus (Mart. 1, 88),
zu Corporeum — Corporalum (Mart. 6, 607), zu Farcino
(Mart. 9, 998), zu Andolichia (fol. 10 b Andolichia grece
laline perfecte etatis consummatio, vgl. Remigius zu Mar-
tian p. 4, 2 Endelichia secundum Calcidium perfecta etas).
Ebendaher und aus Fulgentius Mitol. 1, 12 (p. 23, 15—22
ed. Helm) stammt die umftingliche Erklarung der Namen
der Sonnenrosse. Das mir zur Verfugung stehende Stuck
aus Remigius zu Martian p. 13, 4 lautet: Quatluor equi
solis Eritreus Acteos Lampos Philogeus. Eritreus inter-
pretatur rubens, Acteos splendens, Lampos lucens vel ar-
dens, Philogeus terrain amans. Aynard schreibt fol. 137b
Eritreus Acteon, Lampos Filogeos sunt quatuor equi
solis. Eritreus grece latine rubens dicitur, quia malu-
tino sol lumine 1 ) rubens est. Acteon splendens dicitur,
quia tertie hore vehemens insistens lucidior fulgeat. Lam-
pos vero ad umbilicum diet id est hore sexte centratum
conscendit circulum. Figoleus grece latine dicitur amans
terre quod hore none proclivior vergens occasibus nonus
occumbit.*) Isti etiam dicuntur equi solis Xanteos, Xan-
l ) Also hat Aynard eine zu p (vgl. Fulg. ed. Helm p. 2) ge-
horende Hs. benutzt.
*) Bis hierher reicbt die Benutzung des Fulgentius.
72 Matiitius, Zu Aynard von St. Evre.
tusj Etheus y Dios. Xanteos interpretatur rubens quia
mane rubet sol. Xantus dicitur floridus et tertia
hora diei quasi floret cum in quodam profectu 1 ) est.
Etheus dicitur ereus quia in meridie sol jerveniior vide-
tur et ideo quasi ereus. Dios clarus dicitur, quia hora
nona decrescente sole clariorem liquet esse. Fur manche
Remigiusglosse diirfte ubrigens bei Aynard der Ursprungs-
ort nicht leicht zu bestimraen sein, da sich ja Remigius
unausgesetzt selbst ausschreibt. Auf diesem Wege ist wohl
auch manches, was dem Johannes Scottus gehCrt, in Aynards
Glossar geflossen. Nun werden bei diesem nicht selten
Erklarungen zu Juvenal, Persius und Horaz gegeben. Da
wir wissen, dass Remigius den Juvenal kommentiert hat
(vgl. meine Gesch. d t lat. Lit. im MA. 1, 512) und dass
sein Lehrer Heiric sich mit Persius und Horaz besch&ftigte,
so wird wohl die Erkl&rung von Glossen aus Horaz, Per-
sius und Juvenal bei Aynard dem Remigius als Quelle zuzu-
schreiben sein. Allerdings scheint Aynard auch die alteren
Persiusscholien benutzt zu haben, wie aus seinen Erklarungen
zu Citree (fol. 17 a Citree sunt sponde ubi antiqui noctibus
scribebant), vgl. Persius ed. F. Leo (1910) p. 9 zu 1, 52) und
zu (Goetz 6, 616, 25) Balanatum gausape hervorgeht (id
est balano herba Hnctum, vgl. Pers. ed. Leo p. 40 zu 4,
37). Da ferner Remigius eine Erklarung zu Terenz ver-
fasst haben soli.*) (Chronicon abbatum Ramesensium 4,
361 Remigius super Therencium) und bei Aynard die
Worte cetarii und cupedenarii benachbart erklart 8 ) werden
(aus Ter. Phorm. 257 und 256), so ktfnnten diese Stiicke
auch auf den gelehrten Remigius zurxickgehen.
Eine wichtige weitere Quelle Aynards bildet der Aus-
zug des Paulus aus Festus, der zuweilen wtfrtlich, Gfters
aber verkiirzt und missverstanden ausgeschrieben wird. Als
benutzt kommen folgende Stellen in Betracht:
*) proftctu$, 8 radiert Hs.
*) Vgl. allerdings meine Gesch. d. lat Lit. im MA. 1, 511.
•) (Goetz 5, 618, 8) Cetarii sunt piscatores. (9) Cupedenarii vet
cetarii $unt lautiores cibos vendentes.
Manitius, Zu Aynard von St. Evre.
73
Feet us (ed.Tewrewk dePonor).
p. 3, 27 Album quod nos dicimus,
a Oraeco, quod est dtXqpAv, est
appellatum . . . Unde credi potest
nomen Alpium a candore nivium
vocitatum.
56, 32 Examussim regulariter,
amussis enim regulafabrorum est
30, 30 Camillus proprie appellator
puer ingenuus.
76, 27 Incicorem inmansuetum et
ferwn . . . interdum cicur pro
sapiente ponitur.
47, 12 Duonum bonum.
59, 27 Forum sex modis intelle-
gitur. Primum negotiationis lo-
cus . . . Alio in quo indicia fieri
cum populo agi conttones haberi
solent Tertio cum is, qui pro*
vinciae praecst, forum agere di-
citur, cum civitates vocat et de
controversiis eorum cognoscit . . .
Quinto locus in navi sed turn
masculini generis est et plurale.
Sexto fori significant et Circensia
spectacula, ex quibus etiam mi-
nores forulos dicimus, Inde et
forare foras dare et fores . . et
foreculae id est ostiola dicuntur,
81 1 9 Iniuges boves, qui sub iugo
non fuerint
82, 3 Lemnisci id est fasciolae co-
loriae dependentes ex coronis
propterea dicuntur, quod anti-
quissimum fuit coronarum la-
nearum.
85, 11 Lucaris pecunia, quae in luco
erat data.
7, 1 Aurichalcum vel orichalcum
quidam putant compositum ex
Aynard.
fol. 14 b Alpes dicuntur quasi Al
pkes quia semper albescunt nive.
Alphon enim grece latine dicitur
album. Hinc alphita farina vel
alphitus pants.
f. 10 a Amusis est regula, hinc 1 )
examusim regulariter.
(Goetz 5, 618, 4) Camillus est puer
ingenuus vel minister.
f. 18 a Cicur est mansuetus unde
cicuro mansuetum facio.
(Goetz 5, 618, 25) Duonus est bonus.
f. 138 b Forum multa significat y
nam forum est mercatum, vel
forum est locus in quo indicia
vel contentions populi agi solent
vel forum est cum is, qui preest
provintie, dicitur agere forum t
cum civitatem convocat vel fori
generis masculini pluralis est lo-
cus in navi, vel fori stmt*) spec-
tacula circensia unde et maiores
forulos vocamus. Hinc forace
quasi foras dare dicitur. Hinc
fores et forule kostia dicuntur,
vel forus est prelum.
f. 154 a Iniugis vel seiugis est bos
qui numquam fuit iunctus.
(Goetz 5, 621, 5) ex quo et lemnisce
dicuntur corone que de fasciis
fiebant
f. 142a Lucar est lucrum vel quod
ex luco deorum reddebatur vel
apertio domus vel campanarium.
f. 147 a Ori grece monies, chalcon
aes. Hinc oricalcon quod in
l ) hint Us.
•) forts Hs.
74
M a n i t i u s , Zu Ay nard von St. Ii3vre.
acre et auro . . . Orichalcum sane
dicitur quia in montuosia locis
invenitur. Mons enim Qraece
£pot appellator.
77, 1, Inporcitor qui porcas in agro
facit arando. Porca autem est
inter duos sulcos terra eminens.
275, 1 Porcae in agris sunt die-
toe quod porcant id est prohibeant
aquam frumentis nocere. 306, 1
Porcas . . ait Varro did quod
porrigant frumentum,
280, 10 Praejicae diountur mulieres
ad lamentandum mortuorum con*
ductae, quae dant ceteris modum
plangendi } quasi in hoc ipsum
praefectae.
343» 5 Querqueram frigidam . . .
Item Plautus: Is mini erat bilis
querqueratus.
473, 1 Sarpta vinea . . unde et vir-
gulae abscisae sarmenta, sarpere
enim antiqui pro purgare pone-
bant.
475, 4 Sdrte ponebant pro integrc.
Ob quam causam opera publica,
quae locantur, ut integra prac-
stentur, sarta tecta vocantur.
497, 7 Schedia genus navigii in-
conditum . . unde mala poemata
schedia appellantur.
413, 3 Solium enim lingua Oscorum
significat totum et solidum.
455, 1 Stlatta genus navigii.
515, 4 Stiricidium quasi stilliridium,
cum stillae concretae frigore ca-
dunt SHria enim principale est f
stilla deminutivum.
449, 14 8utelae dolosae astutiae t
539, 9 Tonsilla palus dolatus in
acumen et cuspide praeferratus
qui navis religandae causa in
litore figitur.
') ferrenus He.
montibus repperitur id est aes
aurt.
f. 151 b Porca terra duos inter sul-
cos eminens dicta quod porrigat
frumentum vel quod portat id est
prohibet aquam nocere frumento.
f. 151 b Prefice sunt principes planc-
tus.
f. 151 b Querquera estfrigida t hinc
querqueratus id est frigidus.
1 156 a Sarpo est exstirpo velpurgo.
f. 153 a Sarta tecta est reparatio
edificii vel interruptiones domus.
f. 156 a Sceda sunt laciniosa et vi-
ciosa earmina.
f. 154 a Solium eet multum.
f. 156 b Staltana est navis marina.
f. 156 a SHria estgutta aquae unde
stilla et hinc stillicidium.
f. 155 a Sutela est astutia.
f. 157 a Tunsilla est navis vel quo
naves religantur vel genus piscis
vel uncinus ferreus 1 ) vel ligneus.
Manitius, Zu Aynard yon St. Evre.
76
560, 15 Vesticeps puer qui iam
vestitus est pubertate,
577, 5 Vinnulus dicitur molliter $e
gerens et minime quid viriliter
faciens.
(Goetz 5, 625, 3) Vesticeps est qui
pubertate vestitur.
f. 158 b Vinnulus est client.
Allerdings kann das eine oder andre hier angefuhrte
Wort auf ein Glossar zuriickgehen, da ja Festus' Erklarungen
vielfach in die Glossenliteratur tibergegangen sind.
MOglicherweise sind drei Worte aus Aldhelm oder einem
diesen Schriftsteller beriicksichtigenden Glossar entlehnt
denn es ist bekannt, dass Aldhelmglossen im Qloss. Amplo-
nianum secundum stehen; die Worte sind pupupi (Ald-
helrni praef. de laude virg. 20); Toradcla (Laud. virg. 38
p. 51, 9 ed. Giles); Tippula (aen. hexast. 3, 6 und Auf-
schrift). Andere der Zeit Aynards nahestehende Quellen
konnte ich nicht ermitteln.
Doch hat weiteres Zuriickgehen auf die Glossenliteratur
ergeben, dass Aynards Erklarungen ausser dem Liber glossa-
rum den sog. Glossae Isidori, den Glossen im Vatic. 1468
und 1469, sowie im Vatic, reg. 215 und dera Gloss. Amplonia-
num primum nahestehen, wofur ich hier einige Belege
gebe: Alogia (Goetz, Corp. gloss, lat.) 5, 583, 4. Archi-
pirata 5, 339, 30. Aberunco 6, 343 17. Anquilla 5, 591,
20. Bau cuius 5, 583, 9. Badanola 5, 583, 12. Birolum
5, 583, 11. Batillum 6, 492, 47. Guragulus 5, 593, 25.
Galerus 5, 522, 21. Lidia 5, 666, 10. Orphanotrophium
5, 524, 27. Ptochotrofium 5, 525, 12. Scenofactoria
(s. v. Seed) 5, 526, 21. Sinetie 5, 584, 14 u. a. m. Hier-
neben wird Priscian und naturlich Isidor reichlich verwertet,
dessen Etymologien den Aynard wohl hier und da zu
eignen Versuchen anreizten, wie etwa fol. 14b Atefrici
dicuntur sine frigore, hinc dicta est Africa oder daselbst
Avarus dicitur auri avidus, oder f. 16a Boas dicuntur
leones eo quod tales sint ut boves. 1 )
Von besonderem Interesse sind mehrere l&ngere Aus-
*) Vgl. auch zu Lira, Elementum und Yperion (f. 159 a Yperion
dicitur sol, hinc Iperiona id est super omnia secula).
76 ManitiuB, Zu Aynard von St. fevre.
einandersetzungen im Sinne der alten Synonyma und Diffe-
rentiae. So fol. 23 a Driades sunt nimfe que quercubus
delectantur, Potamides sunt fluviorum nimfe vel Neides,
Napee arborum velfontium y Amariades sunt nimfe, que
cum silvis nascuntur et pereunt, Odeades sunt montium y
quia or os mons; die Stelle ist nach Serv. Aen. 1,600 Georg.
4, 534 und nach Lactantius' Kommentar zu Stati Theb.
4, 254 (ed. Jahnke 210, 4 ff.) gegeben. Ferner f. 147 b
Omnis cantilena tria debet habere in se (f. 148 a) id est
altitudinem claritudinem suavitatem, altiiudinem ut au-
diri possit vel intelligi y claritudinem ut clara sit y suavi~
tatem ut aures demulceat f. 155 b Senecte sors est quies y
pueriiie ludus adolesceniie amor, iuvenilis etatis ambitus.
Ferner f, 155 b Sinciput est pars capitis de una auricula
usque ad aliam } que etiam dextica dicitur y in qua quoque
intelleclus dicitur manere. Anciput est pars capitis an-
terior in f rente scilicet^ ubi etiam memoria fore aiesidiur.
Occiput est inferior pars capitis retro scilicet in cervice y
que siquidem postica correpta ti vocatur. In qua vero
ratio inesse memoratur. f. 145 b Metensicosis est tran-
situs animarum in aliena corpora. Palingesian est
revolutio animarum post multum temporis ad propria
corpora. Endlich Vesper vesperis est quotiens sol in die
nubibus obcecatur vel luna ferruginibus hora noclis ob-
cecaiur et est tertie declinationis neutri generis. Vesperum
vesperi dum sole occidente dies deficit secunde declinatio-
nis neutri generis. Vespere est ab hora nona sole des-
censum inchoante indeclinabile. Vespera vespere est cum
lucis aurora oriente nox finitur prime declinationis femi-
nini generis. Dieses letztere Stuck scheint wieder auf
Remigius hinzuweisen, und hat die Behandlung des Wortes
Vesper vollst&ndiger erhalten, als der von mir schon ab-
gedruckte 2 ) Eintrag im Paris. 13029 f. 9b von einer Hand
des 10. Jhdts.
') Vgl. N. A. 36, 74. — Auoh f. 167 b Tihdu* est illuminaUo geht
auf Remigius zurtick, vgl. N. A. 36, 48 das Remigiussoholion zum
Titel des Phooas fur Keil G. L. V, 410.
Manitius, Zu Aynard yon St. Evre. 77
Manche der gegebenen Erkl&rungen oder der Syno-
nyma erwecken den Anschein als beruhten sie auf der
Geheimsprache des Virgilius Maro oder dessen Mitgelehrten,
wohin ja auch andre Glossenliteratur hinweist. Die An-
nahme w&re freilich auch mflglich, dass Aynard das ihm
bei Virgilius Maro zu Gebote stehende Material erweitert
und dessen Geheimsprache ganz in seinem Sinne bereichert
hat; denn dass jener Grammatiker wirklich von Aynard
gekannt ist, geht aus der Stelle hervor fol. 1 36 b ego eg is
vivo, preteritum egi, vgl. Virg. Maronis epist 1 (p. 115, 11
ed. Huetner) et sic declinatur ego egis ei praeterito tempore egi.
Und da Aynard, wie wir oben sahen, der Erfinder einer
Geheimschrift ist, so kann er auch Virgils Geheimsprache
weitergebildet haben. Die Worter sind, ausser ego> folgende:
fol. 14 b Artiplex est ingeniosus. 19 a Com pro mox diet solet.
22 a Dedo predo. Didens est firmus. 22 b Desciens valde sieens.
23 a Dix est consecrator (vorher Dico as consecro). 23 b Digo
gis cilligo. Damia est arnicas. 136 b Ebrex est senior. 139 a
Flagrada est misellits. Fertor vel parix est pater. 139 b Oossor
est latro. 140a Oripsia scriptura. Gaurizo gaadeo. 142a
Lambis est mors. 144a Murgisto est ccdidus. 144b Montis
neris est monitio. 148 a Onasus est olentem nasum habens.
153 a Barnes mis est bonitas. Ramola est insidiator. Renifris
est cooper Iks. 154 a Simpleo est compleo. 154 b Scodus deris
scelus. Suo as activum verbum est stiadeo. 165 a Soles sunt
dies. 158 a Tridax est lactuca. 159 Vipa est iter. Velix est
insipiens. Vabrum est varium. l )
Anderes mag auch vielfach korrumpiert sein, denn das
Glossar enthalt manches Unverstandliche; nur das wenigste
mag hieraus angefiihrt werden: f. 9b Artareptrices stint cor-
nua testtidinis. 10a Apost fragisma vel imago sigUli. Abdui-
coicas respuo. Adcicocis adjligo. 10 b Asipex est matematicus.
11a Aistera est ubi venduntur bona. 14 a Arietina sunt rubra
vasa. 15 b Angeavia est locus vel sedilia per navim et ponitur
l ) Der bei Virgilius ofters genannte Cicero scheint im Glossar
des Vatic. 1469 s. x beuutzt zu sein, ygl. Goetz 5, 521, 48 Eresim
Cicero sine aspiratione scrxbi debert ait
78 Manitiua, Zu Aynard yon St. Eyre.
pro ipsa navi. Amilcar est cants rusticus. f. 16 b Blasaride
stmt vacce mxdsales. Brabertus est intercessor. 17 a Bubtis est
venter. Blanx scabellum scamnum. Birevolus est astutus vd
versipeUis. Burindis sustentaculum. BibUes sunt suppe. 18 b
Orepiduius est grecus poeta. 138 b Fessara est ccdlina vd ornix.
144b Martianea est stipendia militum. Muncino est vana
somno. 150 a Pauguia est frenum. 152 a Pugito est scribo.
153 a Ruder est trita tegida. 154 b SUaecium est tenebrosus
locus vd infemus. SUonaste est emplumentum. Scismen est
seism. Scamaris est vovabtdum. 159 a Vincanvalagie sunt
labiorum obtortiones. Vielleicht stammt manches hiervon
aus dem Keitischen, das ja auch zur Glossenliteratur bei-
getragen hat.
Hierzu koramen nun noch einzelne Erkl&rungen, durch
die Aynard seiner Zeit Rechnung trug, indem er mittel-
alterliche WOrter und Bedeutungen auffiihrte und dabei
auch den Aberglauben nicht vergass. Ich erwahne hiervon:
f. 10 a Armarium est ubi sacra arma ponu/ntur 1 ) id est
libri. Armamentarium est ubi biblica*) arma ponuntur. 12 a
Anger est genus piscis, qui etiam si vivus fuerit, in cdrro XII
boves nequeunt eum movere. lib Armorica est Britannia.
16 Bare grece latine vir fortis, inde barones. 17 b Camputta
est baculus episcoporum. 18 a Cefalargia migrania. 19 b carexo
as scribo. 22 a Draconea est gemma in cerebro serpentis. 142 a
Indus est libertus. Liguritt est amoenus locus. Logotheta est
rationator vd disscussor id est vice dominus. 145 a Mandragora
est herba ad concipiendum jeminis apta; et est mascuius et
femina, quod si hngefuerint denuo iunguntur.*) Earn si quis
effoderit et exiraxerit statim moritur. Unde iungitur ad earn
cants extraensque mox deficit. 143 a IAnx est lupa cervalis
que Jertur dormiendo videre hinc lincini oculi dare videntes.
146 b Nomeneulator comes paiatii. 142 b Levitonarium colo-
bium monachorum sine manicis. 151a Pavo vd solarium
solet pro voluniate poni vd est genus cutris. 151b Poliistor
l ) putur Hb.
*) bilica He.
*) iuniuntur Hb.
Manitius, Zu Aynard von St. Evre. 79
est rmdtarum scriptor historiarum. 152 b Roga est prebenda vel
elemosina vel distribution 153 b Suber est genus ligni qiwd
ponitur in retibus vel etiam cortex. 156 b Sfragis est signum,
hinc sfragizo est signo, abhinc sfragistirium est signacidum.
Dass einige WOrter in dem von Aynard gebrauchten
Sinne (condilus } cernuus, Croesus) sich bei Liutprand von
Cremona finden, hat P. Ktfhler, N. A. 8, 52, 57. 60. 68 ge-
zeigt. Spuren von Benutzung Aynards erscheinen bei
Papias, wozu die Worte Archimagirus und Capis zu ver-
gleichen sind. Hingegen durften die Aehnlichkeiten bei
Osbern in der Panormia rait Aynard wohl eher auf die
gemeinsame Benutzung von Remigius hinweisen. Hoffent-
lich regen diese Zeilen zu weiterer Untersuchuug des inter-
essanten und reichhaltigen Glossars von Aynard an, das ja
insofern von den meisten ahnlichen Arbeiten eine fur die
Bearbeitung ftirderliche Ausnahme macht, als es Ortlich und
zeitlich datiert ist.
Radebeul b. Dresden, den 19. Juli 1911.
Max Manitius.
Ein Natargedieht Georg Gtreflingers.
„Ueber Georg Greflinger von Regensburg als Dichter,
Historiker und Uebersetzer" hat Wolfgang von Oettingen
1882 eine literarhistorische Untersuchung angestellt, die fur
die damalige Zeit erschOpfend war. Trotzdera ist es mir
mOglich, hier eine kleine Erganzung zu bieten. Die Unter-
suchung beschr&nkt sich auf die in Buchform erschienenen
Werke, wahrscheinlich aus dera sehr einfachen Grunde,
weil die Einzeldrucke dem verehrten Herrn nicht bekannt
waren; 1 ) so kommt er zu dera Urteile: „Gelegenheits-
gedichte und Gedichte an Personen hat er wenigstens in seine
Samralungen nicht aufgenommen : und so sind die lyrischen
Lieder die einzige Gattung, die er neben der gnomischen
und epigraramatischen Poesie in grSsserem Umfang pflegte,
und eben deshalb ist er von der Manier und den Elementen
frei geblieben, welche den gelehrteren und vielseitigeren
Dichtern seiner Zeit mehr oder weniger intensiv anhaften."
(S. 39 f.)
In dera Wtfrtiein „wenigstens a spricht sich der Zweifel
aus, ob Greflinger solohe Gelegenheitsgedichte und Ge-
dichte an Personen nicht doch geschrieben habe, wie das
bei einera Poeten des 17. Jhdts. eigentlicb stets anzunehmen
ist, so lange der Beweis des Gegenteils fehlt; aber der
Schlusssatz geht doch stillschweigend von der Voraus-
setzung aus, dass dies nicht der Fall gewesen.
Mich hat der Zufall auf eine ganze Reihe solcher Ge-
legenheitsgedichte Greflingers gefuhrt. Bei raeinen Tscher-
ningstudien, die spater Hans Heinrich Borcherdt fortgesetzt
l ) Nur ein solcher wird S. 10 genannt, der aus Danzig stammt,
sich aber in dem gleich zu erwahnenden Sammelbande nicht findet.
Schmidt, Ein Naturgedicht Georg Greflingers. 81
hat, *) fiel mir ein dicker Sammelband der Danziger Stadt-
bibliothek in die Hande, der gegen 300 Einzeldrucke,
fast durchweg aus dera 17. Jhdt. enthalt. Darunter sind
nicht weniger als vierundzwanzig Stucke aus der Feder
Greblingers, wie er sich mit einer einzigen Ausnahme in
den Drucken der Danziger Jahre durchweg schreibt, je elf
Hochzeits- und Leichengedichte, dann eine $utfce $oetifcf)e
23efd)reibung be$ pracf)tigcn unb matfjttgen Sinsugs in Sanfctgf/
be3 ©ro|mad)ttgften unb ©icg^afftigften V LAD IS LAI IV.
RflntgcS in S($of)len unb @d)tt)cben etc. etc. etc. §erfcgeltebten
Bxaut LUDO V1CJL MARINE GONZAGJE &c. &c. &c. ©e*
fatten ben 11. Februarii 1G46 2 ) und endlich das hier ver-
offentlichte Gedicht, das im Sammelbande die Nr. 81 b tragt
Das Gedicht staramt jedenfalls aus der zweiten Dan-
ziger Zeit, die Oe. auf die Zeit vom Fruhling 1644 bis
bis zur Jahreswende 1646/47 bestirnint. 3 ) Es tragt zwar
keine Datierung, auch ist die Offizin nicht genannt; aber
die gleiche Schlussvignette findet sich noch bei funf wei-
teren StCicken des Saramelbandes, die alle Typis viduce
Georgii Rheiii in Danzig gedruckt sind. Auch schreibt
der Dichter seinen Narnen in der Form ©rebltngcc, die hier
siebzehnmal bei Gedichten der Danziger Zeit wiederkehrt
(den Druckfehler ©re6inger bei Nr, 77 b eingerechnet); zwei-
raal erscheinen nur die Anfangsbuchstaben des Namens
und der Heimat: G. G. i?. und fiinfmal die Form ©ref linger,
darunter bei vier Hochzeitsgedtchten, die in den Jahren
1652—1654 au§ Hamburg iiberfanb sind; das funfte tragt
keinen solchen Zusatz, aber auch keine Datierung. Diese
l ) Sein Buch tiber Andreas Tscherning ersoheint eben im Hans-
Sachs-Verlage in Miinchen.
') Das angehangte Lied, das Oe. S. 20 unter a erwahnt, ist
hier 3ur SfafefuUung beS *BIatte8 .... fjerbetjgefefcet, hat aber sieben
Strophen — eine rnehr als Oe. angibt — und scheint nach den bei-
den von ihm gegebenen Anfangzeilen auch sonst Uberarbeitet zu sein.
*) Die erste Danziger Zeit lasst er mit 1642 abschliessen; doch
liegt (Nr. 72 des Satnmolbandes) ein ©rabgetidjtc auf den Tod der
Frau Cordula Giesen geb. Bodeckin vor, das die Jahrzahl 1643 tragt,
also den ersten Aufenthalt in Danzig lunger erscheinen lasst.
UUnohener Museum f. Philologie des MA. 1 1. 6
82 8chmidt, Ein Naturgedicht Qeorg Greflingers.
Zeitbestimmung unseres Gedichtes ist aber urn deswillen
interessant, weil Greflinger in dem Gedichte rait seinen
lateinischen Zitaten offenbar den Gelehrten spielen will,
Diese lateinischen Stellen sttfren nicht die Richtigkeit
des Urteils, das Oe. fallt: ^Greflinger hat die Alten durch-
aus nioht inne, was ja nach Opitz eine Hauptfertigkeit des
Poeten sein muss fc (S. 39); wenn es aber weiter heisst:
„er steht deshalb jener klassisch-gelehrten Dichtung, die
elegante Episteln und Eleginen aus antiken Bruchstucken
zusararaenzusetzen unterniramt, vollkommen fern", so macht
das vorliegende Gedicht eine Ausnahme, die freilich die
allgemeine Regel bestatigt. Dass die Zitate aus Ovid usw.
auf eigener Kenntnis der romischen Dichter beruhen,
braucht durchaus nicht angenomraen zu werden; es gab im
17. Jhdt. wahrlich Gelegenheiten genug , solch einzelne
Worte aufzulesen. Und gerade der Umstand, dass zwei
Prosastellen mit ausdriicklicher Quellenangabe aufmar-
schieren (nach v. 149 und 213), die bei alien anderen fehlt,
erscheint mir als Beweis fur die Annahme, dass sie alle,
teils ohne, teils mit Quellenangabe, aus zweiter Hand
stararaen. Der Dichter wollte offenbar seinen Danziger
Gtfnnern 1 ) zeigen, dass er auch die gelehrte Art zu dichten
meistern kOnne — fast sieht es aus wie ein Zweckgedicht
zur Erlangung irgend einer Stellung.
Diesen Zitaten haftet also „die alles durchdringende
Bewusstheit, der Fluch des 17. Jahrhunderts", wie Oe.
(S. 48) sagt, sehr deutlich an. Aber nicht urn ihretwillen
steht das Gedicht hier, sondern weil Greflinger liber seine
zusamraengetragenen Zitate hinaus einen ganz entschieden
frischen und lebendigen Ton findet, der ihm, dem Dichter
sangbarer Lieder, mit Recht immer wieder nachgeriihmt
wird. In dem Gedichte steckt wirklich etwas mehr als
blosse Nachahmung; und ich glaube, man darf Greflinger
hier ruhig als einen Vorlaufer des biederen Brockes an-
l ) Ueber die Personlichkeiten, denen das Gedicht B wolmeinend
Uberreichet* wurde, kann nur ein Danziger Lokalhistoriker naheres
ermitteln.
Schmidt, Ein Naturgedicht Georg Greflingers. 83
sprechen. Von diesem ruhmt sein Herausgeber in Kiirsch-
ners Nationalliteratur, Ludwig Pulda: „Brockes stellte zum
erstenmal dar, was er sah" (39. Bd. S. 275). Ich meine,
auch Greflinger weist auf das Sehen der Natur hin:
6o, fo metn Itebet ©Fjrift
3ft bic SRatut ju fe§n vnb une fax voixdzn ifi. (o. 197 f.)
Und wie er den ersten Fnihlingsaustrieb des jungen Stieres
(65 ff.) schildert, wie er den briinstigen Stier Locher in
den Sand bohren lasst (113), von den Adern der Lilien-
blatter spricht (157), zeigt doch, dass er ehrlich mahnen
darf:
Unb Icrnct bet SJtatur ifjr SBefen im befdjatoen (135)
— 6e§t an/nitf)t, n>ie toir pftegen,
3$t Junfteln obcn Jnn/t>erftanbtg fefjt eS an. (150 f.)
Dazu kommt das gleiche Ziel wie bei Brockes: die
Verherrlichung des Schopfers. Man vergleiche v. 136 mit
Brockes Eingangsgedicht:
3t)t SRenfrfjen mbd)V cud) bodj bieS ©udfj au aeigen taugen,
SBte Icid)t ber fdjflne S3au bet @rbert,
Den i§r anifct butd) (Bet 3, burd) ffteib, butdj ©tola unb Sprad^t
Sud) letber fclbft jut §5 lie maa)t,
(Sudj alien !5nnt" ein Qimmel roerben.
Unmittelbare Beziehungen bestehen selbstverstandlich
nicht; aber es ist reizvoll zu sehen, wie verwandte Ge-
danken in immer neuer, iramer htfherer Form wiederkehren.
Man kann ja ohne Zwang bei mancher Stelle dieses Ge-
dichtes selbst an Worte Goethes denken: die Verse 137 ff.
erinnern bei aller Pedanterie an die bekannte Stelle aus
dera Terzinenmonologe Fausts in der ersten Szene des
zweiten Teils:
Du, Erde, warst auch diese Nacht bestandig . . .
Du rubrst und regst ein kraftiges Beschliessen,
Zum hochsten Dasein immer fort zu streben.
Und an der Gottheit lebendiges Kleid fuhlt man sich
bei den Versen 190 — 197 gemahnt. Freilich sind es hier
6*
84 Sohmidt, Ein Naturgedioht Georg Greflingers.
nur einzelne Gedanken, aber mit Brockes erstreckt sich
die Beriihrung nicht nur auf solche: der ganze Geist, den
die Dichtung atmet, ist im wesentlichen beiden gemeinsam.
Wie sehr Greflinger dera Liede zustrebt, zeigen Ein-
gang und Schluss des Gedichtes, namentlich dieser, der
mit seinem halben Alexandriner deutlich in den Liedton
einlenkt. Die Alexandriner scheint er nicht ubermassig
geliebt zu haben. Die Zasur ist wohl stets vorhanden
und fallt, worauf schon Oe. hinweist, gern mit dem Satz-
abschlusse zusammen ; das Enjambement ist (iberhaupt
h&ufig. Ich mOchte aber nicht unbedingt mit Oe. annehraen,
dass diese Freiheit nur eine Folge mangelnder Geschick-
lichkeit sei. Bei manchen Versen mit Nebenzasuren hat
man das Empfinden, dass sich der Dichter gegen die Starr-
heit des Alexandriners auflehnen mflchte, um ihm neue
Seiten abzugewinnen: wie bedeutungsvoll wirkt z. B. durch
seine Nebenzasur v, 87. Aehnliches beobachtet man in
den Versen 62, 67, 70, 140, 180, 184, 206, 214, in denen die
Nebenzasur dem Sinne starker entspricht als die Haupt-
zasur und so den hergebrachten Trott des Alexandriners
meist nicht ungliicklich durchbricht. Zu Greflingers Reim-
praxis, wie sie Oe. darstellt (S. 88), bringt das Gedicht
nichts Neues bei, nur dass einmal (v. 95 — 98) der regel-
massige Wechsel stumpfer und klingender Reimpaare, diese
„ conditio sine qua non a ausser acht gelassen wird, was als
einmaliges Beispiel freilich keine Schlussfolgerungen zulasst.
Der nachfolgende Abdruck schliesst sich buchstaben-
und zeichengetreu an das Original an, verbesserte Druck-
fehler wurden in den Fussnoten angemerkt, die Seiten-
bezeichnungen, soweit sie nicht vorhanden waren, cursiv
beigefugt.
Sohmtdt, Ein Naturgedioht Georg Greflingers. 85
2>ie burdj ben SB inter etngefdjliifs
fexte nu abcr mxbtx erroadjte
N A T V R
JtiirfeKcf) befd^rieben
8on
GEORGIO GREBLINGERO
RatifbonS
SJencn Sfjrenneften tmb 2BoIgead)ten
$erren
£errn ©teffan SSerent/
§errn £f)imotI)eu§ Sllbrec^t
©einen Ijodjgeeljrten §erren
SBolmeinenb iibcrrcic^ct
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»et 66. Jpfatm.
SJmn ro6t bid& §@rr mit SBtUen
3" 3»on in bem ©tiflen
JBnnb brtngt bir Opffer fur/
£)ann bu erfjdrft boS bcten
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2>er Senbenbe ju bir.
©ebencfe ntd)t bcr ©unben/
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10 2Bol bem /ben bn erroefjleft/
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86 Sohmidt, Ein Naturgedicht Georg GreflingerB.
£> $egt bet 6ee onb drbcn
Saft on8 geljolffcn toerben/
2Bir tooffen bancfbaljr fegn.
§drt bu fanft SBerge fefcen/
20 &nnb bifi ung juergefcen
SDHt <8naben ftetd geraft/ ij Du
Du ftillft bet Snellen ©raufen/ A2*
Defe grimmcn 9torben8 faufeit
SBnb trad fo rot brig tft.
£a$ du<| fftt betnen $e\$ml
Die 3M(i)ttgften erbleidien/
Die gernc ©fitter ftnb/
SBenn griebe roirb g etna diet
@o madiftu bafe onj* lac^et/
30 2Ba$ ft* im Seben finbt.
Die ©terne tniiffen feudjten/
Die ©onne tnufj on$ leudjten/
Du fudjeft bie fiftnber Ijeim
5JIU betnem retc&en ©egen/
(IS trlfft auff affen SBegen
Witt 9JW<$ onb ©onigfetm.
©ein JBrfinlein Wft mit ©auffen
Die <8naben*6trdme Iauffen
geugt onfre gfetber on.
40 Du fdjtcfeft onS (Settegbe/
Den SfHnbern jfjre SBegbe
Dag jebeS bancfen fan.
Du trfindeft toad totr pflugen/
Shtb fegneft nad) ©ergnftgen
SBaS einer au&geftreutot.
©ibftu bte groffen ©droer/ Cornu Copiae
@o toerben §unbett Stdmer
gflt egneS abgemetjt.
(£8 tttfft auf betnen 2Begen Som
60 S*om befien Sett' onb <5egen/ A£«
Du frdneft on8 baS galjr
SJltt beiner ©utte*<Srone/
2Bo tdj in SSfcften toofjne
@o trtfft bein fetteS Sttar.
Da* 93ieE) ftecft in bet 2Begbe/
Det 8lcfer im Oettegbe/
Die §flgel in ber Sufi
28. aaoh diesem Verse stent im Drucke irrtUmlioh ein Punkt.
Schmidt, Ein Naturgedicht Georg Greflingers. 87
2)a8 Sanb liegt im ©etiimmel/
SBnb rii§mt nm8 bu 6 §immel
60 3n feinen ©ranfcen tfjuft.
2)93 matrjeft fr61idj/©ott/bafi Sanb tntt beiner ©fltc
2)a8 afleS §erfce friegt / nrirb nem/aucf) mein ©emutfie
Sftetfft alien ©orgen auS tmb fttmmet frciubig an
2Bo c8 in biefer 3 C ^ rtic^t tool oerf)nUen fan.
2Bte/roann cin junger ©tier br.i ©inter burcr) gelegen/
3m StaHe/morgcnd friie/bie tr>eld)e feiner pflegen
3^n an ben grunen jprafc erfaffen / fpringt er auff/
SBnnb brMet in baS gelb/nimt enblid) feinen Sauff
Sluff frifdje SBenbc au/rool gar fidj aubegatten/
70 34) autf)/bie ©dget bie bifcf)er geftecfet fatten
3n Cddjern pgen aufe/tmb futlen gelb tmb Eufft
9ftit tiriliren an /id) audj/nad)bem bie ©rufft
(Avia nunc re/bnant avibus virgulta canoris)
5)er £raurigfeit tnein ©etft von £uft geretfct nettaffen/
So ftctlct fid? ber 2eib com Dfen in bie ©affen/
SDnb fdngt ben 2Beftn>inb auff. $te yunge ge^t empor
SBnb [xxxqet folgents fo: (SBeTgdnnet Slug tmb £)fjr.)
3ttan toeife baS bie Natur im §erbftc/fo 5U fagen/ SBon
SBon ifjren 28ircfungen fcfjr matt tmb fialb erfdjlagen A3*>
9Hd)tS roetter murden mag. SBmb biefeS jiefjet jfjr
80 3^t §err bie flleiber auS bie fie flu jbrer $kv
2)en ©ommer i)at gef)abt/tmb fufjret fie ju Sette/
Drucft jljr bie Slugen ju/ba fte an finer Stette
$>en ganjen SBinter tuf)t/bifj i&r bie alte 3Jtadjt/
5Bon jOrem ganfeem Slfl roirb nriber bengebradjt.
3nbeffen f)at ber groft baS ©cepter nberfommen/
griffft auf/n>a8 ©tabt unb 3Dorf an grud)ien eingenommen/
Xic giiiffe fatten ein / erftarren / pffen nidjt
(Glacialis hyems Aquilonibus a/porat vndas.)
2)a8 erbreid) fjattet fid) /baft groffe $immeU2id)t
(Rura gelu claudit hyems.)
93erad)tet onS aufcfm: Die JBdutne ftnb entlaubet/
90 S)ie ©arten jfjrer *|$rad)t tmb SRufcbarfeit beranbet/
(§8 ruf>et bie Natur. 2Bann bann ba& !©inter*2enb
(Natura dicitur, quia res na/ci faciat).
2)ie (5nbfd)aft f)at erreid)t/tmb bet (Srfte^ungSsgeit
£er ©d^laffenben getrdumt / errDad^t fte/tnifdjt bie 8lugen/
69 Druckfehler: mot. 72 Virg. Georg. 2, 328. 87 Virg. Aen. 2,
286. 88. Virg. Georg. 2, 317.
88 Schmidt, Ein Naturgedicht Georg Greflingers.
SSerrreibet i^ren ©tf)Iaff/fjebt roibcr an flu taugen/
Stad) jfjrem altcn 83raud)/mtb trwdfet rr>a$ fie fan.
SBmb biefeS jeugt fie ©Dtt tnit neraen flleibern an
3&t 9iocf ifl bunt/jljr §ut tnufe gruner garbe feon/
SSorauff bie SBlute fte^t/roie meiffe geberlein.
©a giebt bcr drbenfreifc auffe neme perfennen/
ICO 2)afc fcinc neme grud)t bet Xobten gteitf) junennen.
9ttan fann e8 mertfltd) fefjn toad btc Natur gemadjt
3u 5Racf|t big an ben £ag/oom flRorgen bife aur $frad)k
SBaS man im ©inter Ijat faft ganfc fur tobt gefefjen
ftann in ber gruttngSjeit auff frifctjen ©etnen fteljen.
3m SStnter Iiegt ba8 gelb beraubet aller $prad)t/ 3m
3m grilling ooller £uft baS aQeS lebt t>nb ladjt. A4<*
(Ver novitas mundi. Ver £ap quod ab £o>, quod cum tellus
omnia denuo emittat, vel a virore)
£>er fromme ©tord) fommt an/bie fuffc 9ted)tigattett
2)ie laffen \fyxt ©timm in alien SBufdjen ftf)a&en/
9116 aller 9ttetftere. Die Surteltaube fieuc&t
110 Unb futfjet ob jljr flflann ftdtj aual $ur anbern neigt/
3)a» leid^te nid^t gefd)id)t. £ie abgeftorbnen ©djroalben
(Praenuncia veris hirundo.)
Sntreiffen au$ ber See /ber a3oHen=2iebfte !aI6en/
£er tfalber 3ft utter* 3ttann boljrt Sdajer in ben ©anb/
SBrommt fcincm geinbe $u nut OTciftcr in bem 2anb*
SBnb flatter SBater fenn; S)ie smr>Hen*3nutter Ifimmern/
2)ie ©tfibte lagern fid), auff J^ren ©djtflffern / ©Smmern
SBnnb ma8 an fie gefjort/bie ©lumen bredien auS
(Nuno conniventes oculos violaria eolvunt)
SBnb bringen ben ®erud) in jfjrer ©erren ©aufe/
©iefj an ben 21 cf orb an) fan fo mad fajdnerS glanfcenf
(Jam parturit almus agor)
120 28a8 obertrifft bie ©aat an ©d)dnfjeit in btm Senfcen?
$ie ganfce 2Belt ift fro/onb fan nid)t rufjig fegn
33or greuben biefeS roefjrt bifj in ben ©erbft Ijinein
$>fe SBdget frenen ftd)/fein SBilb/fein Sftinb oerblenbet
3n feiner alten ©tabt alfj bie ber Sltfjetn treibet
S)eS ©djdpfferS aller 2Mt. ®ic ©trdme freroen fldt> /
Die gifa^e fpringen auff/O grilling nur rnnb bid).
SSarumb mir menigerS. £>er 3Binter ift nergangen/
2>er Sftegen ift baf}in/ba8 (5rbreid> f>at empfangen
S)ie abgemente Cuft. $er grii(ing ift ^erben
Nach Vera 106: Im Original stebt bei den griecbisohen Worten
der spiritus aspcr: lap, §a). Vgl. Ovid Fast. 1, 160. Ill Ovid, Fast.
2, 863. 117 Columella 10, 259. 119 Virg. Georg. 2, 33a
Schmidt, Ein Naturgedioht Georg Greflingers. 89
130 Die Dutteltaube fflttt bie SBflfdje mit ©efd)teg:
(58 §at bie flnoten/fef)t/bet gengenbaum gemonnen/
Det SBeinftocf ift geaugt tmb bullet mit bcr ©onnen 3n
3n ©offnung gutet Qtu<f>t. ©en ftembig flcinc XBelt A4&
3Rtt bicfer / toctc^e bic& in fie befd)Ioffen Ijelt/
JBnnb fetne bcr SRatut jljt SBefen im befdjamen/
(58 Ian bir cincn ©ifc tm gfilbnen ©tmmel ban>en.
©ie§ an ben groffen gleife oljn' afleS mflbe fenn
6ie fieflet jfjte 9ttuf> nocf) Sag* nod) 9tda)tltd) ein
JBife fie aum ^raede fommt; ©ebecfe nu mit (Srben
140 ©in ©enfffotn/morgen mitb eS in ber SDluttcr metben
@in Iebenbige8 Ding. SBebenrfe bid) mit mit
Smb fage: meldien gletfj oetfpuret man won bit I
3n bem bie bundle ?tad)t
Sie SBelt in ©djlaff gebradjt/
2>ie SKenfcfjen / SBatb onb SBief)
©id) nu betoegen nie/
$)a merdet man bie ©pur/
S3nb SBirdung ber Uktur.
©(Sbcntfe beto Shtnft/roet ift bir obetlegen
(Quid callidius Natura? Cic. d. N. D.)
150 Du £aufent*Stunftletin? ©e§t an/nt3|t xoit mit pflegcn/
3§t funfteln oben Ijin / oetftdnbig fef)t e$ an/
S5nb faget ob and) met betgletd)cn madden fan?
3ft nid)t bit Silie oiel fdjfinet auff bem %tlbtj
Dann Slflntg ©alomon tm gfllbenen ©ejelbe/
JBen gtoffet &enlid)feit/tmb foniglidjet <ptad)t?
2Bet Ijat bie Stlie fo fd)fln tmb mettfj gemadjt?
Die funftltdje Natur tmb jljt bie Slbetn geben?
Die ffinftUdie Natur (Setud) bie garb* tmb Ceben?
Die funftlicfce 9tatut. Srett Ijer jljr fliinftler/ jl>r/
160 SBemeift ba8 3Mftetftfid tmb maf>lt bergtetdjen mit. Apelies
Apelies, Zeuxis, Dur, Thimanthes fommt ju meifen Bl<*
23et enter @ud) fut 3§ r am bitttgften flu ptenfen.
3lid)t einer finbet ftd). Matux Du Jjelft ben ©tid)
ftetn Zeuxis, fein Thimanth lein Dur ift obet Did) .
Hud) fein Apelies nid)t. Dutd) men mitb eingefldffet
Die geudjiigfeit bem JBaum alfcber etft gans entbloffet
Son feinen JWeibetn mat /tmb nu voU SBtettet ftef)t?
Dife mitdet bie Sftatut/bie alleS obetgeljt
SJHt jfjtet SBtffenfdjaft. Du meift unS au Curiren
170 Die SB6et Pfftgfeit of)n einigeS Purgiren,
149 Cic. de. nat. deor. 2, 142.
90 Schmidt, Eia Naturgedioht Georg Greflingers.
SBot auff / JBarbirerin / bu fjeilft ben ©djaben s"
Sfttb Brau^ft !etn spffafter ntdjt. 2Ber ift Natur, mte bu?
2Ber $at bie SBeberfunft von ©terblidjen erfunben?
Die ©ptnne le&rte fte. 3*) r bleibet tool entbunben
$)ed erften 9MfterftQ(!S/jljr groffen Stfinftter jf)r/
3$r folget ber Sftatur/alfe ond bad ©ffentfjier.
(Are naturae siraia)
3Jlein ©ammann fage mir/roer §at bid) leljren baroen?
S)ie ©ienen. 2>erer ©aufe mit fiuft ift anjufdjamen/
Stab biefe bie SRatur. &$ofjer fjat fte gelernt
180 $ergteic$en Shtnft? SOon bent ber obet tmd entfentt
Shtb alle 2Belt regirt; 2>ann ber fjat erft gefprodjen/
©8 fommen au& ber (Srb in 2ufi Ijerfur gebrodjen
SBiel ©lumen /font wtb ®rafj. 83nb ed bcroege ftdj
2)aS Sttaffe btefer 2Belt mit fcljieren / meldie bid)
D ffltenfdj mein (Sbenbilb tmb Siebfted neljren merben.
S)i6 treibet bie SRatur tmb ffinftelt cuff ber (Srben/
Stud ©Dtted ©tffenfdjaft. ©o fo mein lieber <E$rtft/
3ft bie Slatur aufe&n onb true iijr mirden ift.
34 merbe btdj Ijieromb nidjt con bent ©d)flpffer meifen/
190 3^ mil bt& ©drren 5Heib nt<$t fur ben (Edrper pregfen.
S)ann f>3re bie SRatur ift nur ein gtoffer $rad)t/ ® 3n
3n welder ®Dtt fur tmd ftdj offenbaljrlid) mad)t #i&
2)ann nur uermdgen ntdjt ben ©<$8pffer anjufeljen
©o mil dr bod) fur tmd /in feinen SMetbern fteljen
(Senennet bie 9latur/bie ool bed ©(Erren ift
3n ber er ond gu tljun bad befte ftetd geruft
Stuff biefem Sftunbe fdjmebt ©emt mad jljr fe^et n>eben/
3u folcfcem Ijat ber ©err fein trftfftig SBort gegeben
SBnb ift in feiner ©anb. $ann mie ein Sniffer fuljrt
200 $ad Sftuber in ber $auft tmb fo ba& ©#iff regirt
9Hd)t anberd eben fo/ljat ©£>tt in feinen ©dnben
S)ie fiinftlidje Statur mit ber er after ©nben
©emeifet feine Strafft/6ie mtrb aud) mol bie ©anb/
©ie nemblid) bie 9tatur/befe ©(&rren felbft genant
®ie aEe ffiett regirt. (Sin Safe bad mufe man faffen/
3Wit reiffen/mtrftu fie nidjt an benfelben laffen/
©o fftu*t ed ober eind. K^ folte ®Ott bie SOfla^t
dntjie^en ber 9tatur/ed folte bait oerbrac^t
Sttit biefer drben feun. S)rumb meldjer folded fi^et/
210 2Bie frue tmb fpSt eind ^ier mirb reiff bad anber biuret/
®er fcjrene frembig auff: ©ier fe$ i^ mad bie (Ecofft
$>efe Slftgemattigften far meinen Wugen f^afft.
184 Druokfehler: S^ietn.
Schmidt, Em Naturgedicht Georg Greflingers. 91
@o titcl bu ©xafttein fteltft/fooiel bu fle^eft ftefjen
(Nullum naturae opus eft, in quo divini aliquid non
refulgeat. Arist. I. d. N. anim.)
Dex SWhnlein/ja fo titel tanftu ®e3etd)nift feEjen/
Dex SBeiftfjett betneS $(5xxn. Du §aft aud) 3 cu 9*k §i* r
Daft ®Dtt mafjxljafftig ift onb Ejelt aud) fur onb fux
2BaS ex ocrfprod^cn Ijat: 60 long bie SBelt nrixb ftefjen
60I @ommex/2Bintex ©ifc/nnb gxoft nidgt ontexgefjen
(58 mongclt nic baton. 8Jtein ®eift ber mixb mir jefet
220 SBon beinex Shrafft/D ©Ott/oon beinem ©afft erljifct
Daft id) bid) loben muft/baft id) tnit Sobcn fd)lueffe:
D bierjmal gxoffex ©Dtt/e8 fommcn bcinc gluffe Det
Dex ©naben mix gu gut /ad) mix ju gute roebt i?2<*
Die ffinftlidje fttatux in bex bex §dd|fte Iebt.
3$ ad)te mid) su fd)te($t gu allex beinex ©fitte
SBomit nexgelt idj eS? Sin banrfenbeS ©emutfje
SSixb bix am Biebften fenn,
3d) lobe bid) tnit SB ill en
3u gton in bem SttHen
230 Hhtb bxing' ein Cpffex bix.
Da8 Cpffex meincx 3 u "9«n
3Rit bex feu bix gefungen
din ftetei Dantf non mix.
Miinchen, den 21. August 1911.
P. Expeditus Schmidt 0. F. M.
Mitteilnngen aus dem Clm. 15613.
Die im folgenden mitgeteilten Stiicke stehen im Clm.
15613, einer Quart-Sammelhs. aus Rot, deren einzelne
Telle der Zeit vom 14. bis Anfang der 2. Halfle des
15. Jhdls. zugehoren. Nur die drei letzten Lagen, deren
erste mit fol. 312 beginnt (das erste Blatt ist ausgerissen) y
enthalten, von einigen Erlauterungen abgesehen, Deut-
sches: auf fol. 319 ro. das hier abgedruckte Vaganien-
lied, fol. 312 ro. einen spruch von den planeten vnd
astronomia vnd arisraetrica fol. 323 ro. — 326 ro. die Oster-
predigt, darauf eine Versification der Fabel von den
beichtenden Tieren, welche aber bet der 39. Zeile ab-
bricht, da alle folgenden 19 Blatter ausgerissen sind;
moglichy dass sie noch derbere Kost boten, als die uns
erhaltenen. Auf der Innenseite des Einbands unserer
Papierhs. ist zu lesen; Da gloriara Deo V. W. 1469.
1. Eln Yagantenlted.
fol.SWro Boll awff, schulerr, ynn dy taffernn,
Aurora lucis rutilat;
Lieberr gesell, ich trunck alzo gerrne,
Sicut ceruus desiderat.
5 Vnfi ist ein voll vafi auffgetan
lam lucis orto sydere,
Ich wayfi chain pessern auff meinen wan
2. Anfang des bekannten Hymnus paschalis; siehe MSL 17 } 1241
(hymni S. Ambrosio attributi Nro. LX) una* Chevalier, Repertorium
hyrnnologicum, Nro. 1644. 4. Vgl Ps. 41, 2: Quemadraodum desiderat
cervus ad fontes aquarum, ita desiderat am* ma mea ad te, Deus.
6. Anfang des Hymnus ad Primam*. MSL. 17, 1226; Chevalier Nro. 9272.
Seem an n, Mitteilungen aus dem Clm. 15613. 93
A solis ovtus cardine.
Lieberr wyrt, gib vnfi den wein,
10 Te deprecamur supplices;
Lafi vnfi trincken vnd frolich sein,
Criste, qui lux es et dies;
Gib vns deines brotts ein krwst,
Exaudi preces supplicum,
15 Wyrr haben geliden garr grossen durst,
Agnoscat omne seculum. —
Er warff das glafi an dy wanth,
Procul recedant sompnia,
Derr dich hab gemacht, der werd czw schant
20 Perr infinita secula.
Trinck aufi derr kandel, das ist dein frum:
Inpleta gaudent viscera;
Mein hercz raeint, es sey ein am,
Quis audiuit talia?
25 Raych vnfi den wurffel auff den tisch!
Ex more docti raistico
Dy sagen, werr da schuldig ist;
Jubilemus dolio!
8. oito die Hs.; Anfang des Hymnus de nativitate Domini:
MSL. 17, 1209 und 86> 1298; Chevalier Nro. 33 und Anfang des Hymnus
alphabeticus von Sedulius: MSL. 19,763; Chevalier Nro. 25. 10. Hym-
nus de Virginibus: Jesu corona virginum (Ex Brev. Rom.) Strafe
4* 1: MSL. 17,1259; Chevalier Nro. 9511. 12. Anfang des Hymnus
adCompletorium: MSL. 17,1214; Chevalier Nro. 2934. 13. Krost die Hs.
14. Hymnus in adventu domini: Conditor alme siderum Strofe l y 4:
MSL. 17, 1237; Chevalier Nro. 3234. 16. agcescit die Hs. Anfang
des Hymnus de nativitate domini: MG. And. antiquissimi IV 1
384 Anhang zu Venantius Fortunatus 7. der unechten Gcdichte ;
MSL. 88, 264; Chevalier Nro. 758. 18. Anfang der 2. Strofe des
Hymnus: Te lucis ante torminum, siehe vers 30* 20. Vgl. die
Schlusse der Doxologien (Wackernagel^ Deutsches Kirchenlied I t
9): per seterna (immensa) eaecula, in sempiterna saBeula, in sseca-
lorum s. usw. 22. Anfang der 5. Strofe des Hymnus de die Pente-
cosies: Jam Christu8 astra ascenderat: MSL. 17, 1231; Chevalier
Nro. 921516 und 8505. Die Strofe fiihrt weiter: afflata sancto
Spiritu. 23. ame die Hs. 24. Jer. 18,13. 26. Anfang des Hymnus
quadragesimalis: MSL. 17, 1249\50; Chevalier Nro. 5610 und 5609.
94 Seemann, Mitteilungen aus dem Clm. 16613.
Raich mir dy kappen, ich wyl beczalen
30 Te lucis ante terminum,
Ich wyl haim gan geld holen,
Numquara reuertarr in perpetuum.
2. Eine Osterpredigt.
f ol - B23r ° Sequitur aliud.
(Ein predig «w ostern.)
Inter nates mulierum,
Quidquid loquor non est verum.
Dy wort, dy ich in der lattein han gesprochen,
Die han ich von einem alten czaun gebrochen,
5 Dy beschreibt vns der herrlich sand Sixt
An dem czechenden tail seins text
In dem bfich, do er syn kapitel tailt,
Do es im gar offt velt.
Dy lautten czfl tewtzsch also:
10 Wir sullen alle syn fro
Zfi diser oster zeitt,
So man vns dy haifien fladen geyt.
Ir lieben Kind,
Also ir her gesamnet synt
15 Mein predig zu horren,
Ir miicht wol sein recht doren,
So helffet mir got pitten
Gar mit ainem gflten sytten,
Daz ich mein predig mug gesagen,
fol.323v<> 20 Daz ir kain nutz mflcht daruon tragen,
Und czu einer pesser rorstendigkait
Der wort, dy ich han aufigeleit
In der lattein,
Sy mOchten wol war sein.
29. beczalen diob die Hs. 30. Anfang d#s Hymnus ad Com-
pletorium: MSL.17, 1223124; Chevalier Nro. 20138 und 20136. 32.
imppetaa die Ha.
L Int'na.,..s. 6, ozecbende. 13114. An/ einer Linie: ebensc
stets das Lateinische. 18. aim 6. 23j4 t und 41\2. auf einer Linie.
Seemann, Mitteilungen aus dem Clm. 15613. 95
25 Wy ich dy wort han fiir mich genoramen,
Defi han ich mich gar ein wenig versunnen.
Nun wil ich mein predig tailen in 3 tail
Vmbe daz, daz es mir nit vel
In raeiner predig aufilegung,
30 Daz euch kain nutz daruon kumra,
Daz ich ein gilt mug geben,
Daz ir verdient daz schebig leben,
Vnd mug euch pringen in daz himmelreich,
Daz oben cztigewelbt ist vnd vnden nit gar gleich:
35 Ich main ain grossen pagkoffen
Als dy pawren haben in iren hoffen:
Wenn dy wol gehaisset seind,
Do helff euch got alien ein,
Do sind gAt fr5d innen,
40 Hytz vnd kelden mochten euch wol entrinnen.
Sprecht alle amen
Pro secutoribus clericorum.
(Ein red von der vasten speis).
Mauluas pastorum
Slimphart slamphart predicatorum.
45 Dyabolus in rore
Permerdat uobis dentes in ore.
Ir lieben kind! Dy wort, dy ich in der lattein han
gesprochen,
Dy reimen sich in der karrwochen,
Dy reimen sich in tewtz also:
50 Der nit feder hab, der lig mit dem ars in dem stro.
Ir lieben kind I siizt ein weil nider
Auff ewr gar gemfide glider
Vnd lafit dy ein weil rasten,
Wenn euch gar we ist geschechen in der vasten,
55 Wenn ich daz wol han gesehen,
Daz raflfi ich auff mein priesterlich ampt iechen, fol.324r°
Von der vastenspeyfi,
Dy lag vns in dem magen als ein reyC.
50, dem fehlt. 51. sitz. 55. ich fehlt.
96 Seemann, Mitteilungen aus dem Clm. 16613.
Von ol vnd von herring,
60 Von hechten und von persin^en,
Von sWren vnd von haufien gfit,
Da mit haben dy reichen gehabt ein guten rafit;
Feigen vnd mandelkerren,
Dy habn auch dy reichen gessen gem,
65 Rosinicken vnd weinperr gfit,
Mit reyfl haben sy gehabt eynen guten mfit;
Czwyppelen vnd knoblauch,
Dy lissen sy hangen in dem rauch,
Mit k alt em kraut vnd mit ruoben,
70 Domit wolden sy sich gar wenig betrflben. —
Ach, dw lieberr, milderr got,
Nw sag vnfi an alien spot,
Was haben dy armen gessen,
Wenn sy czw tysch sein gesessen?
75 Krauth, gersten vnd rockeyn brot,
Da mit haben sy vberbunden yrefi hungerfi noth:
(Hetten sy des gehabt genug,
So hetten sy gehabt eynen gfltten mflt,
Aberr ewer armer predygerr
80 Mfist darben der aller)
Vnd darrczw ein vngeOltz krawt,
Do mit fulten sy dy hawt.
Klotzpyrn vnd rftben,
Do mit haben sich gefult dy pueben.
85 Preczen vnd krump brot,
Das hat gemacht grosCe not,
Alzo ich ewch wil sagen
Vnd ich von eynem armen man hort clagen,
Derr wafi czw tisch gesessen
fol.S24vo 90 Vnd wold preczeln mit seynen kinden essen.
Ich wayfi, wye efi im gyeng:
Eyn stuck im in dem hals behing,
60. perifle. 61. Zu haufien aiehe Schmeller, Bayr. Worterb. I 1 ,
1179; DWB. 4, 2, 656: acipenaer huso.
Seem an n, Mitteilungen aus dem Clm. 15613. 97
Wann er nachet erburget wafi,
Von dem tod er garr kawm genafi,
95 Ich han efi alzo gehort,
Ich sage ewch daz an alien spot,
Das dy geolten suppen
Milsten dy pawren in sich schluppen,
Ein delczserr kfichen darrczw,
100 Derr macht yn yn dem pauch grofi vnrw,
Vnd dy 6l phanczelten,
Dy assen dy armen garr selten;
Hetten sy derr genflg gehabt,
So weren sy worden sath.
105 Ir liben kind, last ewch nit vordryessen,
Yederman sol sein taschen vnd bewtel czwslyessen,
Vnd secht mich nit alzo vast an,
Daz ir icht mocht an dem schaden bestan.
Auch hflrt, yrr frawen vnd yrr man,
110 Vnd merkt, wafi ich ewch sagen kan:
Ir solt ewch frewen vnd frolich sein,
Daz ir seyt kummen aufi derr vasten pein,
Dar ynnen wyrr vil haben gelyden
Vnd wyder den tewffel gestriten,
115 Wann dy gesalczen hering
Habn vnfi gemacht den pewtel ring,
Vnd dy argen geyfilicz
Haben vnfi oft machen swyczen;
Gewollens pyrr vnd auch sewrr,
120 Dy sollen wyr auch lassen feyren,
Send es doch alzo ist kummen,
Wann wyrr nit fast da pey haben czwgenummen;
Vnd darrczw dy diirren klocz pyrren, fok825r<>
Dy well wyr auch czw dysser czeyt vorschwern,
125 Wann sy haben vnfi den pauch aufgeplet,
Alzo er vnfi sey awfigederret;
99. Zu delczerr siehe Schmeller I*, 603 unter Tolz. 117. zu geyClicz
sUhe Schmeller I 2 , 952: Hafermus. 124. dyfi.
MUnchener Museum f. Philologie dus MA. I. 1. 7
98 Seemann, Mitteilungen aus dem Clra. 15613.
Vnd auch dy getflten gersten,
Dy must wyr essen czw dem ersten,
Mandelkern, weynper vnd derr feygen,
130 Der well wyr auch gesweygen,
Wann es hat vnfi vnerr gemacht den mund,
Wann ein wenig get yrr nyt in den schlunt.
Dy vastenspeyfi ist unfi gebesen kald in dem magen
Und hat vnfi gederret unfiern kragen;
135 EC ist vnfi nicht wol ergangen,
Wann dy fastenspeifi hat vnfi diinne gemacht vnfier
wangen,
Vnd wyrr wellen hinlegen dy fastenlich czeyt,
Wann unfi sein kummen dy flsterlich frewd,
Dy sollen wyrr auch nw haben in eren
140 Vnd das lob derr gottlichen ostern gemeren.
Dar vmb trett herfiirr, yrr fleyschheckerr,
Dy vischerr vnd Olerr sein vnfi worden garr vnmerr,
Wyrr wellen yrr auch stille gedagen
Vnd in das geld nummer alz vast czwtragen,
145 Wann es ist hewt derr ostertag.
Welcherr mensch fleysch wol gessen mag,
Dem wil ich alzo raten,
Daz er hab ein gilten braten
Vnd nem ein alt schulter pain
150 Vnd trag es mit im haim
Vnd nag es nach seynera mflt,
Das dunckt mich sein gar gilt,
Noch wyl ich sagen mer:
Vberesset ewch an dem fleysch nit czw serr,
155 Das ewch icht geschech, alz einem eynfiten geschach:
Dem wafi nach dem fleysch zo gach,
fol.325v<> Das er het geslunden vnd gefressen
Ein clewl, das sein weib pey dem bussen (f) het vor-
gessen;
131 Zu unerr vgl. Schrneller P, 125. 136. festeulioh. 143. wyrr
ch|
auoh stiller gedagfi vgl. vers 130. 156. eyfien. 158. bu ( asfi.
See man n f Mitteilungen aus dem Clm. 15613. 99
Da sy dy sulzen saczt in den schrein,
160 Do fyel yrr das clewl darein.
Do man das clewl herwider aufl wanth,
Do het es acht vnd newnczig vnder pand.
Do von sag ich ewch czw dyfier frist,
Das Jesus hewt erstanden ist
165 FrOlichen von dem tod
Vnd hat vnfi pracht aufl aller not;
Des frewt ewch kinder alle
Vnd singet gar mit grossem schalle:
Christ ist derstanden von der marterr alle.
Dy heyligen tag.
(dy verkundung der vasnachtzeit).
170 Nw sold yrr auch sycherleychen merken
Vnd sold auch ewch darnach stercken,
Ich wil euch sagen in kurczer frist,
Wye manyger heyliger tag in der wochen ist.
Pyfl montag haben wyrr ein heyligen tag,
175 Salig ist nicht der, der im gedynen mag,
Vnd ist gehayssen margek
Vnd ist gewessen ein peck.
Pyt wyr in, das er dy fladen alzo pach,
Das er vor vns pleib mit gemach.
180 Auch habt irr pyfl dynstag
Eyns heyligen tag,
Derr ist gehayssen marckecklerr
Vnd ist geweszen ein fleyflheckerr.
Pytt wyrr in, daz er vnfi dy praten alzo hack,
185 Das sy sicher sind vor vnfi auf dem marckt.
Pyfl mitbochen hab wir eynen heiligen tag,
Dyr ist gehayssen marckenckg,
Derr ist gweflen ein wein schenck. fol.326v°
Pyt wyr in, daz err vnfi den wein alczo schenk,
169. Siehe Wackernagel, das deutsche Kirchenlied 2 y 726 ff* 182*
ist ist.
7*
100 Seemann, Miueilungen aus dem Clm. 15613.
190 Daz man vnfi mit dem harr czich vber dy puck.
Pyfi Dorenstag haben wyrr ein heyligen tag,
Derr ist gehayssen markuster
Vnd ist gewefien ein schuster.
Pytt wyrr in, daz er vnfi dy schuch alzo Schick,
195 Das sy vns von den fussen vallen czw stucken.
Auch hab wyrr pysz freytag ein heyligen tag,
Der ist gehayssen markischerr
Vnd ist gewefien ein vischer.
Pytt wir in, daz er vns geb solch visch,
200 Daz sy vnfi nit schuphen von dem tisch,
Pyfi sampcztag haben wyr ein heiligen tag,
Der ist gehaissen ewfraderr
Vnd ist gewesen ein paterr*
Pytt wyr in, daz er vnfi alzo reib,
205 Daz vnfi nindert kain gancze hawt pleib.
Nicht heyliger tag haben wyrr merr,
Got hat ewch gesamnet herr,
Czw singen mit gar lawterm schall:
Crist ist derstanden von derr marterr all.
3. Die Belchte der Tiere.*)
fol.326r* Sequitur aliud carmen.
(Ein peiobt eines wolffs, eines fux vnd eines esel.)
Czw eynerr czeyt daz geschach,
Daz ich ein efiel vnd ein fuchfi sach,
1. heilgen zeit geschaoh. 2. Ein wolff einen fucbs sach.
*) Debet die andern deulschen Versionen dieser Fabel sishe
Goedeke, deutsche Dichtung im Mittelalter 617, ff. Verschiedene
Belege aus der Predigt-Literatur bringt H. Regnier in seiner Aus*
gabe der Werke von Lafontaine (Paris 1884) in der Einleitung
zur ersten Fabel des 7. Buches: Les animaux mdlades de la pesie
(Band 2 «. 88 ff.). Siehe femer Grimm Reinh. Fuchs, s. CLXXXV
und s. 391 ff. Die gleiche Fassung wie die hier abgedruckte hat Ad,
v. Keller in den Erzahlungen aus altdeutschen Handschriften
L. F. XXXV s. 503 ff* herausgegeben aus einer JEfo, die in manchen
Stucken ziemlich abweicht. Wo Abweichungen vorhanden sind,
seize ich sit als Varianten unter den unverbesserten Text.
Seemann, Mitteilungen aus dem Clm. 15613. 101
Darrzw kam ein wolff gegangen.
Dy drey machten sich czw sammen,
5 Sy pegunden an ein ander czu sagen:
YVyr sullen peicht vnd rew haben
Vmb vnfier grosfie missetat,
So mag vns werden ratt. fol326vo
Ir yetlicher sprach also:
10 Des pin ich von ganczem herczen fro,
Daz wir gflten willen han;
Wir sullen vns peychten sam
In einer kapellen stett hie pey,
Do wiirden wir vnfir siinden frey.
15 Sy komen in daz kirchellein;
Der wolff sprach : Ffisch, geselle mein,
Vernim, waz ich dir sag,
Ich wil dir raein stinde clagen
An gotes stat all hie,
20 Wie ich beganden han sye.
Daz rewet mich gar ser:
Ich pin gewesen ein rauber,
Ich hab genommen schaf vnd swein,
Pock, gens vnd ferchellein,
25 Vnd han geraubt pfert vnd rint,
Oschen, kiie vnd auch ir kind,
Vnd han mich dick geflissen,
Daz ich sy czw han gepissen.
Vnd wo mir kurit ein esel werden,
30 Den warff ich nieder czw erden
Vnd paiC im ab dy kellen sein
Vnd frafi in in den pauche mein.
3. ein esel. 5. zue einanders. 6. w. s. guete rewe. 8. vnser w.guetr
10. beeunder stall von ganczem herczen. 11. d. w* des ... I2 t w. s,
recht beycht thuen. 14. werden. 18. Mein siind ich dirklage. 20. Wye
ich han begangen sye. 22. Ich byn ein grosser r. 23. vnd fehlt.
24. geyfi. 25. phert rinder. 26. vnd ire kynder. 28. tot stali zw.
29. vnd fehlt. 30. der erden.
102 Seemann, Mitteilungen aus dem Clm. 15613.
Es sind auch kaum achtag,
Daz ich des esels vater hab
35 Gefressen in den pauch mein
Vnd dar czw sein prfiderlein;
Daz rawt von ganczem hertzen mich,
Darumb, gesell, so pitt ich dich,
Daz du mir daz wellest vergeben
35. vnd die muetter sein was auch die Quelle hat: Brunellus
t>. 21 (nach der Ausgabe van Voigt QF. 25 t 82): Istius matrera solus
sine sode uoraui.
Munchen, den 23. August 1911.
Erich Seemann.
Die ScHftlarer Augustinerregel.
Das kgl. bayr. Reichsarchiv in Munchen bewahrt
unter den Liter alien der ehemaligen Pramonstratenser-
abtei Schaftlarn als Nr. 4 einen Sammelkodex, der auf
den Seiten 56a bis 68b den Text der Augustinerregel mil
einer deutschen Uebersetzung bietet. Der lateinische Text,
BL 56a bis 61b, und der deulsche, BL 62a bis 68 b, sind
von ein und derselben, der zweiten Halfte des 14. Jhdis.
angehorenden Hand geschrieben. Jeder von ihnen ist in
35 AbschniUe eingeieilL Jedem Absatz im lateinischen
Text geht ein Rubrum voraus, im deutschen der Anfang
des entsprechenden lateinischen Abschnitts. Aus den
Rubren erfahrt man, dass diese etwas gewallldtige Ein-
teilung zu Leklionszwecken vorgenommen war. Der Stoff
ist auf ftinf Wochen verteilt (vgl. den Anhang). In einem
dlteren, aus der zweiten Halfte des 12. Jhdts. stammen-
den Schdftlarer Kodex, dent heutigen Clm. 17174, der
BL 3a bis 8b die Augustinerregel enthall } flndet sich
ebenfalls diese Einteilung zu Leklionszwecken mit Rubren,
doch ist sie etwas abweichend. Abschnitt 7 beginnt einen
Saiz friiher. Die Rubren 10> 13, 16 und 34 fehlen. Da,
wo das Rubrum 20 stehen miisste, findet sich jetzt eine
Rasur.
Unsere Uebersetzung ist sicher nicht das Original.
Das zeigen die Auslassungen und Verderbnisse in den
Abschnitten 1, 6 und 20 und die Lesart neglexeris = er
sich nit pessert in 15. Auch den Fehler in Absatz 30
wird man dem Schreiber unserer Hs. zur Last legen
diirfen: beim Uebergang zur neuen Seile kam er in Ver-
wirrung; aber ein grosses Licht war der Uebersetzer
auch nicht Bei seiner unbeholfenen, an eine Interlinear-
104 Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel.
version erinnemden Uebersetzung, weiss man offers nicht,
ob er wirklich einen Fehler macht oder lloss „wortlich"
ist (vgL z. B. Absatz 13).
Wenn tvir aber auch das Original der Uebersetzung
nicht mehr haben, so kbnnen wir doch zeigen, dass sie
in Schafllarn enistanden ist. Der lateinische Text un-
serer Hs. steht ndmlich in Beziehungen zu dent Text des
Clm. 17174. In letzterer Hs. lautet der den Worten mer bis
leydet in Abschnitt 10 entsprechende Passus: amplius acci-
pere (auf Rasur) non quia honorantur sed quia tolerantur;
es folgt eine Rasur, auf der urspriinglich accipere stand,
dann beginnt der ndchste Satz mit ne. Diese in Scftafi-
lam vorgenommene Korrektur (vgl. dazu MSL. 32, 1380)
ist in unserer Hs. beriicksichligt und war es wohl auch
schon in deren Vorlage, d. h. dent Original. Denn ich
denke mir den Ueber lief erungsvor gang etwd so: Es sollte
in Schafllarn ein Einzelexemplar der Augustinerregel
filr Lektionszwecke angefertigt werden. Man benulzte
den Clm. 17174 oder eine verwandte Hs. als Vorlage,
nahm einige Aenderungen in der Leklionseinteilung vor
und fugte eine entsprechende Uebersetzung bei, um dent
Vorleserdie Vorbereitungsarbeit zu erleichtem. Auf diese
Hs. geht dann die des Reichsarchivs zuriick.
Ein Meisterstiick ist, wie gesagt, unsere Uebersetzung
nicht; aber sie bietet doch sprachlich manches Inter-
essante: einige schone Beispiele fiir Proklise und Enklise,
die durchgehende Schreibung mon stall man und fur
Wortschatz und Wortbedeutung manches Beachtenswerte.
Auf Letzteres habe ich in den Anmerkungen aufmerksam
gemacht. Da y wo der deutsche Text gar zu unverstdndr
lich war, habe ich den lateinischen nach dem in der Hs.
dem deutschen vorgesiellten beigefugt. Den Leser, der
die Uebersetzung ganz mit der lateinischen Regel ver-
gleichen will, verweis ich auf MSL. 32, 1377 f. und 1449 f.
Unter den Hss. der kgl. bayr. Hof- und Slaatsbiblio-
ihek befinden sich zwei deutsche Ueber setzungen der Au-
gustinerregel. Der Clm. 7847 vom Jahre 1501, aus der
Wilhelm, Die Sohaftlarer Augustinerregel. 105
Indersdorfer Bibliothek stammend, bietet BL 60b bis 63a eine
Uebersefztcng> die mit Absatz 16 der unseren abbricht. Vollr
stdndig ist die Uebersetzung im Cgm. 148 BL 26 b bis 36 b.
Die Hs. ist vom Jahre 1577 mid war nach BL la Eigentum
des Monastery B. Mariae Virginis in Gars. Beide Ueber-
setzungen haben mil der Schiiftlare)' nichts zu tun, sind fliis-
siger als diese geschrieben } aber ohne sprachgeschichtlichen Wert
1. ANte omnia fratres karissimi diligatur deus etc.
VOr alien dingen lieben brflder sol mon got lieb haben,
darnach den n&chsten, wann das sind dye ersten gepot,
dye vns geben sind. dye brfider sfillen wfirchen von smorgen
bis zw sext. von sext bis nown sullen sy lesen, uud
zw nown sullen sy pflcher widergeben. vnd wenn sy
geessenn habend jm gartten oder wo das ist, so sullen sy
wfirchen bis zw lyechtzeit. nyemand sol sich ychts aygens
vnderziechen jn gewant oder andern dingen, wann wir be-
geren der zwelfpoten leben ze fuern. nyemand sol mit
widersprechen ychtz tfin, das er nit verderb mit 1 ) der mfir-
brer. sy sullenn trewlich gehorsam sein. jren prelaten*)
nach got sullen sy eren. jrem brobst sullen sy zucht vnd
er erpieten , als heilig la\Vt angeh6rt. siczent zw tisch
sullen sy sweigen vnd sullen hSren lesen. w&r aber ainem
etwas not, darumb sol der brobst sargfeltig sein.
2. SAbbato et dominica situt etc. AM samstag vnd
an demsuntag, alzgewonheit ist, welhewellent, dyetrincken
wein. ob mon von des chloster notdiirft etwen mfisst
sentten, so sullen zwen geen. nyemant ausserhalb des
chlosters sol essen oder trincken an vrlab, wann ez geh6rt
nicht zw des chlosters zucht. ob dye brflder gesannt
wurden, dez chloster werh zu verchawffen, so sullen sy
flezzichleich warnemen, daz sy nicht tfln wider daz gepot;
wann sy sullen wissen, daz sy got erzurnent in seinen
dienern. ob sy etwas chawffent zw des chlo- (BL 62b)
l ) Die eimili iudicio entsprechenden Wbrte fehlen.
*) patrem (BL 56a),)
106 Wilhelm, Die Sohfiftlarer Augustinerregel.
sters notdurft, das sullen sy fleizzichleich vnd trewleich tfin
als dyener gots. mfissigs wort sol nit sein bey jn.
3. A Mane fratres ad opera sna sedeant. VOn smorgen
9ullen siczen dye brfider zfl irem werch. nach tercz sullen
sy wyder zw werch gen. sy sullen nit steent spachten 1 ),
es sey dann zfl der sel hayl. wen sy bey der arbayt
siczen, sullen sy sweigen, ez sey dann das des werchs not-
durft reden erforder. wer aber nit mit aller chraft durch
hilf der parmherczichait vnsers henren der ding sich fleiss,
sunder aus geswollem herczen verm&chayt, vnd, wann
mon jn ainsten oder mer hat ermonet, pessr&t: der sol
wissen, das er ist geuallen jn dye pfifi des chlosters, alz
sich fflgt. jst*) aber sSleichs altter, so sol mon jn slahen.
wenn jr aber die ding gfltleich vnd trewleich hallt, so werdt
ir aufnemen vnd nit chlaine fr&wd von ewrs hayls wegen
haben.
4. HEc sunt que nt obseruetls precipimus in mona-
sterio constitute WIr gebieten, das ir, dye jmm chloster sind,
dye ding haltt; darvmmb jr zfisamen gerflffet seyt, das
jr ainmutig wonet jmm haws vnd sullt haben ain sel vnd
ain hercz jn got. vnd sprecht nichts aygen, sunder allew
ding sein ew gemain, also daz ewr yegleichem von seinem
brobst gewant 3 ) vnd wat getaylt wert, nit alien geleich, wann
jr mugt nit all geleich, sunder als yegleichem not ist: wann
also list mon jn actibus: *alle ding waren jn gemain vnd
mon tayl&t yegleichem, alz jm not was.'
5. (Bl. 63 a.) QUI alqnid habebant in secnlo quando
ingressi etc. DEr etwas gehabt hat in der welt vnd in
ein chloster gangen ist, der sol daz allez gem lassen ge-
mayn. dye aber nit gehabt habend, dye sullens jn den
chlostern nit suchen, daz sy ausserhalb nit gehaben machten.
doch irer chranchait sol mon notdurft geben, wie daz ir
armtit, do sy dawssen waren, notdurft nit vinden macht.
% ) fabulas oontexant (BL 56 b).
*) si autem talis etas ipsius (BL 56b).
*) viotus et tegumentum (Bl. 56b).
Wilhelm, Die Sohaftlarer Augustinerregel. 107
doch daz sy sich nit des saeliger schaeczen, daz sy narung 1 )
vnd wat funden habend, daz sy dawssen nit gehaben
machten! sy sullen auch sich des nit vbernemen 2 ^, daz sy
zw dem chomen sind, darzfi sy hieawssen nit geen ge-
torsten, sunder 3 ) ir hercz sullen sy ubersich haben; vppigew
irdische ding sullen sy nit suchen, das nit di chloster den
reichen nucz sein vnd nit den armen, wenn die reichen
da diemutig werden, vnd die armen geswellent.
6. SEd rursns etiam 1111 qui allquid videbantnr esse etc.
FUrbas : die sich etwas habend dawcht in der welt, die
sullen nit ein verdriessen haben jn iren brudern, die zu der
heiligen gesellschaft aus armfit chomen sind, sunder sy
sullen sich mer rumen von der armen bruder gesellschaft,
dann von irer frewnt wirdichayt. sy sullen sich auch nit
vbernemen 4 ), daz sy dem gemainen leben etwaz von irem
gflt zubracht habend. sy sullen auch nit hochfertiger
werden darumb, daz sy ir gut dem chloster mittaylt habend,
dann daz sy noch in der welt sich darjnn erlusten 6 ). ein
andrew vngerechtichait vbtt mon jn 6 ^ guten dingen.
(BL 63b) hochfart ist guten dingen feint, damit sy ver-
derben. vnd waz ist nucz, daz mon armen lawten geit
vnd arm wirt, wenn doch die arm sel hochfertiger wirt,
wenn sy da9 gut hat hingeben, dann do sy ez noch besaz?
darumb sullt ir all ainmutichleich leben vnd eret got in
ew, dez wonung ir worden seyt.
7. ORaclonlbus Instate horls et temporibus constltu-
tls etc. In gepet sullt ir st&tichleich sein zu gesacztter
zeit vnd weil. in der chirchen sol nyemand anders tun,
dann darczfi sy gemacht ist vnd den nora hat. vnd ob
ettleich wollten peten ausserhalb der gesecztten zeit, ob sy
l ) yictum et tegumentum (BL 57a)*
*) erigant ceruioes (BL 57a).
■) sed sureum cor habeant (BL 57a).
4 ) extollantur (BL 57a), vgL oben Anm.
•) fruorentur (BL 57a); vgL Diefenbach 01. 249.
8 ) verderbt: in malis operibus exeroetur ut fiant. superbia*
(BL 67 a).
108 Wilhelm, Die Sohaftlarer Augustinerregel.
weil habend, darjnn sullen sy nit irren die etwaz gedawht
dar zfi tfln.
8. CArnem vestram domate In ieiunljs et abstlnen-
cia etc. Ewrn leib sullt ir zaraen jn vasten vnd abprechen
speiz vnd tranck, alz vii ewr vermugen verhengt. wenn
aber ainer nit geuasten mag, so sol er doch ausserhalb
der mal chain speiz nemen, nwr wenn er siech ist.
wann ir aber zwm tisch get, biz ir davon aufstet, daz
mon ew von gewonhayt list, sullt ir hfiren an tfimel 1 ) vn
greynen, daz nit alayn der mund ess, sunder daz die 6ren
hunger nach dem wort gocz.
9. QV1 inflrml sunt ex prlstina consnetndlne si alitor etc.
Dye chranch sind auz alter gewonheit, ob mon die anders
hanndelt in speiz, sol den andern nit layd sein noch vn-
recht geduncken die gewonhait stercher gemacht (BL 64 a)
hat. sy sullen auch dye nit dez saeliger sch&czen, daz si
daz emphahend*), sunder sy sullen sich dez fr&wen, daz sy
mflgen, daz die nit mflgen. vnd ob mon den, die aus
lustiger weiz in ain chloster choment etwaz speiz *), gewant,
wat gegeben wirt, daz mon den sterchern, vnd so nil dez
saeligern, nit geit,
10. COgitare debent quibus non datur qaantam etc.
SO sullen sy gedencken, den mon nit geit, wieuil die von
irem weltlichem leben zfl dem sich ergeben 4 ) habend, wiedaz
sy nit zu der andern sp&rlichait 6 ) habent chomen mflgen,
die stercher sind. sy sullen auch nit all wellen, daz sy
etlich mer sehent nemen, nit daz mon sy damit er, sunder
mon leydet. daz nit geschech daz smah vnpild, daz die
reichen arm werdent vnd die arraen haygkel 6 ) oder lustig
oder zartl
') tumultu et contentiontbus (BL 57b)>
") quia eummunt quod non summunt ipsi. sed {Bl. 57b)*
*) alimentorum restimentorum operimentorum (BL 57b),
*) descenderint (Bl. 57b).
•) frugalitatem (BL 57b).
•) haygkel bis zart = delioati (BL 18 a).
Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel. 109
11. SAne qaemadmodum egrotantes necesse habent etc*
Alz die chranchen mflssen mynner neraen, daz sy icht be-
sw&rt werden, sol raon sy nach der chranchayt al so
handeln, daz sy dez schierer widerchomen, vnd ob sy von
diemfitiger armftt der welt chdmen sind, sam jn daz die
new chrancheit zubracht hab, daz die reichen habend von
alter gewonhait. aber wenn sy ir altew chraft wider
bringent, so sullen sy wider steen in saeligerew gewonheit,
die den dienern vnsers herren souil raer zugehfiret, alz sy
mynner bedfirffen. sy sol auch nit der lust da halten, die
widerchomen sind, die notdurft von chranchait (BL6ib)
aufgehebt hat, vnd sy sullen die sSliger sch&czen, die in
sp&rlichayt 1 ) sind stercher gewesen: wann ez ist pesser
mynner bedurffen, dann vil haben.
12. NOn sit notabilis habitus vester nee affectetis etc.
Ewr gewant sol nit merchleich sein. begeret nit z& ge-
uallen mit gewant, sunder mit siten. wenn ir ausget, so
sullt ir mit einander gen. wenn ir chSmpt, do ir hin wellet,
so steet bei einander. in weis, in p&rde vnd in allem
wflrchen sol nichcz geschehen, daz yeman macht gelay-
digen, sunder daz ewrer heilichait zymet. ob ewr awgen
sich werffent gen ainer frawen, so sullen sy doch nit
statigs darauf steen. raon 2 ) wert ew nit, daz ir frawen
ansehet, wenn ir get, sunder begeren: daz ist sundig, daz
mon wil begert werden nit alain mit rtiren oder begir,
auch mit sehen oder mit tat: wann weibs begir begeret
des. jr sullt nit sprechen, daz ir ein sch&rnig hercz habtt,
wenn ir ein vnsch&migs awg habt: wann vnsch&migs awg
ist vnschamigs herczen pot.
13. ET cam se inuicem sibimet etiam tacente etcet.
Und wenn yeczu vnrainew hercz mit sweigender zungen
1 ) parcitate (Bl. 58 a).
2 ) Nequo enim quando proceditis feminas videre prohibemini
sed appetere aut ab ipsis appeti velle criminosum est Nee solo
tactu et affectu sed aspectu quoque et effeetu appetitur et appetit
coneupiscentia fern in arum (31. b8a).
110 Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel.
durch sehen sich verchundent vnd nach dez leibz begir
in lieb sich erlustent, yeczfi an leipleichs rflren von vn-
Mtiger fr&flung flewcht die chawfch von tugenden. er
sol auch nit winen, der sein awg zfi einer frawen riht vnd
sicht gem, daz sy jn ansicht, daz es nyeman sech. ist nu daz
ez chain mensch sihet, wie vmb den, der von oben (BL 65 a)
sihet, dera nichcz verpargen ist? oder wflnet mon, er sech
darumb nit, daz er duldichleich vnd souil weisleicher siht?
vnd darumb der heilig man sol im 1 ) ffirchten, daz er Obeli
gefall, der einer frawen wol gefallen wil: wann ez ist ge-
fchriben: 'vnserra herren ist er sm&eh, der sein gesicht
nit in hut hat/
14. QVando ergo simnl estis in ecclesia uel vblcun-
que etc. Vnd darumb: wenn ir in der chirchen seit, oder
wo frawen sind, do sullt ir ainer dez andern scham behfltten,
wann got, der do wonet in vns, behfitt vns aus vns. vnd
ob ir vihishew begir yndert in ainem vermerkat, so sullt
ir jn zuhannt ermonen, daz er nit volfar in dem fflrsacz,
sunder sol mon jn straffen. vnd ob er nach der ermonung
eins andern tags raer t&t, so sol mon jn 6ffen, wer daz
vinden mag, alz ainem der wunt ist, daz jm geholffen
werd. doch sol mon daz vor einem andern oder dem dritten
zaygen, daz er aus zwaier oder dreier mund raflg f ber-
wunden werden vnd pilleich genStt werd. jr sullt ew nit
vnchfistig sch&czen, wenn ir daz sagt. jr seit auch nit
dez mer vnschuldig, daz ir ewr brflder lasset verderben
rait sweigenn, die ir mit vrtaylen m&cht gestrafiFen oder
pessern.
15. SI enlm f rater tuns wlnns haberet In corpore
quod vellet occnltaii et cetera. Und ob dein prflder ein
w\mden jm herczen hiet, die nit er wolt lassen sehen, wann
er f&rcht, mon schint 2 ) jn, so wirt von dir gr&wleich ver-
swigen, ob ez parera- (BL 65b) herczichleich nit wirt ge-
urtaylt. darumb solt ee geSffent werden, dann ez jm
l ) Illi ergo vir sanctus timeat displicere (BL 58 ty,
*) secari (BL 59 a),
Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel. HI
herczen fawl. ee l ) daz ez andern lawten zaygt werd, darait
mon jn vberwinden sol, lawgent er aber, so sol mon dera
brobst zaygen, ist daz er sich nit pessert, wenn er gemont
ist, daz nit villeicht, wenn er hairaleicher gestraft wirt, daz
die andern nit ynnen wurden. jst daz er lawgent, so sol mon
jm ander zu seczen, also daz er yeczti nit vor ainem zewgen,
sunder vor jn alien gestraft vnd von zwain oder dreyen
uberwunden werd.
16. COnuictus vero secundum propositi uel presby-
ter! etc. Und wenn er also uberwunden ist, so sol er pfiss
aufnemen nach dez brobst willen oder dez, den daz an
geh6rt; vnd ob er die nit ley den wolt vnd ob er felb nit
weiche, so sullt ir in von ew tfln — vnd daz gefchicht
nit gr&wleich, sunder parmherczichleich — daz er ycht mit
seinem sfichtigen berflren die andern wfist. vnd daz ich
gesprochen hab von awgen an werffen, sol mon halttenn
von alien sfinden, die mon weren sol, vrtailen oder aus-
nStten sol mit lieb der menschen vnd mit has der sflnden.
17. QVicumque autem in tantum progressus fuerit
malum etc. Welher aber alz vasst austr&t, daz er haim-
leich von yeman brief oder gab n&m — ist daz er daz
willikleih vergiht — , so sol mon daz tibersehen vnd sol
ftir jn bitten, jst daz mon jn darjnn ergreiffet, so sol er
von dem brobst oder von dem briester nach irem willen
sw&rleich ge- (BL 66a) strafft werden.
18. UEstes vestras in rnum habeatis sub mo custode.
Ewr gewant sullt ir beieinander haben vnder ainera hfitter
oder zwaien, alz uil genfig ist, daz man ez st&b*), daz ez
die schaben 3 ) nit fressen, vnd als ir speiz nerapt auz ainem
cheller, also sullt ir chlayd nemen aus ainem gadem.
■
*) Sed antequam alijs demonstretur per quos conuincendus est
si negauerit prius preposito debet ostendi si admonitus neglexeris
corrigi: ne forte possit secretius correctus non innotescere ceteris
(BL 59a).
% ) excuciendas (BL 59 b).
•) ne a tynea ledantur (BL 59b).
112 Wilhelin, Die Scbaftlarer Augustinerregel.
19. SI fieri potest noo ad uos pertineat quod aobis etc.
Ob ez mag gesein, geh6rt ew nit an, das mon ew zu
zeiten gewant furtr&t, ob ira daz werd, das er dahin ge-
lit hat oder daz ein ander gehabt hat, werm mon newr
eirn yegleichen nit verczeiht, daz jm not ist. jst aber daz
zangk vnd greinnen vnder ew auferstflnd, daz ainer chlagt,
er hab ein pOsers vor vnd ez sey vnpilleich, daz er nit
gechlait ist, alz ein ander sein prfider, daraus brflfet dann,
wieuil ew abget in der jnwendigen heiligen wat dez herczen,
die also chriegent vrab daz leipleich gewant.
20. TAraen si vestra tollerat infirmitas at hoc etc.
DOch mag daz ewr plSdichait vertragen, so nem yegleicher
daz er dahin gel&t hat, doch an ein stat vnter gemainen
huttern habt daz. doch also, daz ewr chainer jm selb
ychcz arbait, sunder allez ewr wflrchen sullt ir in ain tdn
mit grossem fleiss, mit emsiger frolichait, dann titt ir daz
ew (BL 66 b) selben. wann 'die lieb% dauon geschriben
ist, 'sficht nit daz ir': sol mon versteen, daz sy die ge-
mainen den aygen, nit die aygen den gemainen furseczt.
vn' darumb, alz ir yeraer den gemainen nucz suchet, da
den 1 ) so sullt ir wissen, daz die lieb furdringen wirdt in ew
uber alles, dez zerg&nchleiche notdurft newset.
21. COnseqnens ergo est at eciam qui sals etc. Dar-
nach get, ob yemant seinem sun oder der jrn zugehort jn
ein chloster etwaz gab — gewant oder andrew notdurft, —
daz sol mon nit nemen. aber ez ist in dez brobsts gewalt,
daz es in ein gemain geben werd, dera dez not ist. w&r
aber, daz ainer solicher gab lawgnat, den vrtailt mon alz
ein dewb.
22. INdumenta vestra secundum arbltrium prepositi
lauentur. Ewr gewant sol mon waschen nach dez brobsts
willen durch einen zawer 2 ) oder durch ew selben, das nit
vbrigew begir sawbers gewands der inwendigen sel vn-
flatichait an sich ziech.
! ) die propriam vestram entsprechendm Worte fehlen (BL59b).
•) a uobis eiue a fulloaibus (BL 60a,)
Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel. 113
23. LAnacrnm eciam corporum cum inflrmitatis. Wad
oder waschen nach p!6dichait notdurft sol mon nit ver-
czeihen, ez sol geschehen an widerred nach ercznei rat;
vnd ob der siech nit wolt, wenn ez der brobst schaffet,
sol er es tun, waz jm nucz ist zu gesunt. ob aber der
siech wolt vnd ist nit nucz, so (BL 67a) sol mon der
begir nit gehorsam sein. wann er das wiinet, ez sey nucz
dez da lusst, wenn es doch schad ist. jst aber, daz der
smercz verporgen ist, vnd der sieh chlagt, so sol mon jm
gelawben. ob 1 ) aber daz nucz sei, den siechtumb zu
hailen oder nit, sol mon einen arczt fragen. sy sullen
aber nit gen pad noch yndert gen mynner denn zwen oder
drei. vnd der gen wil oder mils, sol mit den geen, die
der brobst darczu geit.
24. EGrotancium cura siue post egritudineni etc.
DEr siechen acht; oder die nach siechtumb plod sind oder
mit fieber swah, sol mon emphelhen ainem, der aus dem
cheller foder, waz yegleichem not sei.
25. Slue antem qui cellario slue qui codicibns etc.
Die uber den cheller, pucher oder gewannt geseczt sind,
sullen an widerred dienen jrn brudern.
26. COdices certa bora singulis diebus petantur etc.
Alltag zu einer genanten or sullen sy nemen die pucher;
vnd welher ausserhalb der or pitt, dem sol mon nit leihen.
27. UEstimenta vero et calciamenta quando fuerint.
Gewant vnd schftch, wenn dez not ist, sullen die geben,
den daz empholhen ist, an vercziehen.
28. LItes aut nuilas habeatis aut quani celerrime.
Chainen chrieg sullt ir nit haben oder palt macht end, daz
nit der zoren gerat zu has, aus dem halm 3 ) ein tram, vnd
die sei ein t6tterinn, alz geschri- (Bl. 67b) ben ist: 'wer
*) eed tamen utrum sanando illi dolori quod deleotat expediat:
si non est certum medicus consulatur (Bl. 00a).
*) festuca (Bh 60b), vgl. Diefenbach gl.2B2a. Ein dem faoiat
entsprechendes Wort fehlt
MUucheuor Museum f. Philolo^ie des MA. I. 1. o
114 Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel.
seinen brflder hasset, der ist ein mannschlaher\ ob aber
ainer den andern gelaidigt hiet, mit scheltworten flflch oder
yn czicht gross sund, der sol gedenchen, daz er gar paid
daz abtrag; vnd der gelaidigt ist, sol an widerred ver-
geben. habend sy bed aneinander gelaidigt, so sullen sy
aneinander vergeben durch ewrs gepets willen, daz ir
durchnachtichleih tun sullt, alz ir daz emsicbleicher tfit.
29. MEIior est aatem, qui qaamais ira sepe temptatur
Der ist pesser, der offt von czorn beweget wirt vnd eylet
doch, daz jm vergeben werd von dem, dem er vnpilleich
getan hat, dann der selten zurent vnd ist hert 1 ) darczu
zebringen, daz er gnad pitt. der 2 ) aber nymmer gnad wil
bitten oder nit von herczen vergeben, der ist an sach jmm
chloster, vnd ob mon jn nit heraus stSzzet* darumb seit 3 )
gemessen in herten wortten; ob aber die auz ewrra mund
choraen waren, so lasset ew nit verdriezzen, daz ir ercznei
daher bringet, da die wunden geschehen sind.
30. QYando aatem necessitas discipline minoribus.
Wenn aber not darzu dringet, daz ir gen jurigen 4 ) oder raynnern
hertew wort sprechen raflsset, vnd ob ir selb erchennet, daz
ir die mass ubertreten habtt, so bedurffet jr nit gnad von
jn bitten, daz nit aus diemutichait gen den vndertanen der
gewalt oder maysterschaft zebrochen werd. aber 5 ) von
einem ygleihen, (BL 68a) herren sol mon gnad piten, der
auch erchennet, daz er zu hertichleich gestraffet hat. wann
ez sol zwischen ew geistleichew nit leipleiche lieb sein.
31. PReposito tanqunni patri obediatur multomagis.
Dem brobst sol mon gehorsam sein vnd mer dem briester,
der ewr aller aht hat.
l ) diffioilius (BL 60b),
*) Qui a u tern nunquam wit petere veniam aut non ex ammo
petit sine causa etc. (BL 60b),
») parcite (BL 60 b).
*) jungen oder mynnern = minoribus (BL 61a).
5 ) Sed tarn en petenda est venia ab omni domino qui nouit
eliam bos quos plus iusto forte corripitis quanta benivolentia diligatis.
Non enim carnalis etc. (BL 61a).
Wilhelm, Die Sch&ttlarer Augustinerregel. 115
32. UT ergo cnncta ista seruentur ©t siquid minus.
Und daz die ding allew gehalden werdenn, vnd daz nit
gehalten ist biz her, furbaz nit vndergee, sunder gepezzert
werd, geh6rt den brobst an, das er daz bring an den briester,
der bei vns mer gewalts hat, vil 1 ) ez ubertrifft dez brobsts
vermiigen.
33. IPse nero qui nobis preest non seexistiutet lure etc.
Aber der ew vor ist, der sol nit sch&ezen, daz er von recht
oder gewalt daz tfi, sunder 2 ) durch diennendew lieb ist er
ern saelig vnd ew furgeseczt, aber vor got sol er vnder
ewrn fuessen sein. gen alien sol er sich erczaygen alz
ein pilder 3 ). er sol straffen die mfileichen vnd sol trdsten
diechlainmfitigen. er 4 ) sol leydleich sein gen alien menschen.
die chranchen sol er aufnemen. zucht sol er gem haben
vnd mit forcht auflegen. vnd wie daz yetweders not ist,
so sol er doh mer begern, daz ir jn holt habt, dann vasst
furchtet, vnd sol alczeit gedenchen, daz er got rechnung
von ew tfin mils.
34. UXde uos magis obediendo non solnm vestri etc.
(BL 68b). Vnd darumb sullt ir ew erparra nit alain uber
ew mit gehorsam, auch uber jn. wann alz er hoher vnder
ew, also mit grosserm schaden. geb got, das ir die ding
alle halt alz liebhaber geistleicher sch6n vnd daz ir also
wol smecket mit gutem nom gfltes wandels, nit alz diener,
die vnderm gesaczt sind, sunder als freien vnder der genad.
35. UT autein vos in hoc libello tamquam et cetera.
Darumb daz ir ew in dem puchel mugt geschawen alz in
eim spiegel, daz ir durch vergessen nichts versawmt, sol
ez ainsten in der wochen gelesen werden; vnd wo ir vindet
daz geschriben ist, suit ir fleizzichleich tun vnd danehen
vnserm herren, der alles gfit geit; wo aber ainer sah etwaz,
*) quod modum uel uires eius excedit (Bl. 61a).
*) sed caritate seruiente felicem. Honore coram vobis prelatus
sit uobis (Bl. 61a).
8 ) exemplum (Bl. 61a).
4 ) paciens sit ad omnes: suscipiat infirnios (Bl. 61a.)
8*
116 Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel.
daz jm gepr&h, dem sullen layd sein die vergangen sund
vnd sol sich hfitten vor chiinftigen vnd sol piten, daz jm
sein sund vergeben werden vnd in bechorung nit verlait werd.
Anhang.
Die Rubra des dem deutschen Text vorhergehenden
lateinischen.
1. Incipit regula sancti Augustini de labore et non habenda
proprietate. Dominica prima. (BL 56a.)
2. Quod sabbato et dominioa qui volunt vinum aocipiant. Feria
secunda. Lectio.
3. De opere et silentio operis et ooercendis eontumacibus. Feria
tercia. (Bl. 56 b.)
4. De non habenda proprietate. Feria quarta.
5. De religiosis in monasterio oonstitutis. Feria quinta.
6. De superbia cauenda in sancta oonuersione. Feria sexta
(BL 57 a.)
7. De concordia canouicorum. Sabbato.
8. De abstinencia et leccionis recitacione ad mensam. Dominica
secunda. (BL 57b )
9. De infirmis fratribus. Feria secunda.
10. Item de eodem. Feria Tercia.
11. Item de infirmis fratribus. Feria quarta. (BL 58a.)
12. De pudicioia seruanda. Feria quinta.
13. Item de eodem. Feria sexta. (Bl. 58b.)
14. Item de pudicicia seruanda. Sabbato.
15. De lapsu corporali, quod nemo sit conuincendus sine duo-
bus uel tribus testibus. Dominica tercia. (Bl. 59a.)
16. Item de eodem. Feria secunda.
17. Ne cononicus ab aliquo quicquam ocoulte aocipiat. Feria
tercia.
18. Ut vestes in vnum habeatis. Feria quarta.
19. Item de eodem. Feria quinta. (BL 59b.)
20. Item de eodem. Feria sexta.
21. Si alicui quicquam datur non occulte accipiat. Sabbato.
22. Qualiter uestimenta abluantur. Dominica quarta. (BL 60a.)
23. Qualiter infirmis fratribus balneo sit subueniendum. Feria
seounda.
24. Ut infirmis fratribus assiduus minister delegatus Feria teroia.
25. Ut qui obedienoias habent libenter seruiant fratribus.
(BL 60b.) Feria quarta.
Wilhelm, Die Schaftlarer Augustinerregel. 117
26. Ut determinatam horam leociones fratres ha bean t. Feria
quinta.
27. Ut sine mora fratribus necesparia dentur. Feria sexta.
28. Ne discordia maneat inter fratres. Sabbato.
29. Item de eodem. Dominica quinta.
30. Ne a preposito venia exigatur. Feria seounda. (Bl. 61a.)
31. De obediencia exibenda preposito siue presby tero. Feria tercia.
32. Ut propositus commissum fratribus presbytero referat. Feria
quarta.
33. Quid preposito sit facieudum. Feria quinta.
34. Item de eodem. Feria sexta. (BL 61b,)
35. Ut bee regula semel per septimanam legatur. Sabbato.
Miinchen, den 12. Oktober 1911.
Friedrich Wilhelm.
Handschriftliches zur lateinischen Dichtung.
Der Bruxell. 10470—10473 s. X enthalt die Werke Mi-
cons von St. Riquier, die auf f. lb Kol. 2 einsetzen und
nur auf f. 12a— 13b durch ein kurzes Martyrolog in Versen
unterbrochen werden. Voraus gehen f. la— lb Gedichte
und zwar in fragmentarischer Gestalt und ohne Zwischen-
absatze geschrieben. Dies Blatt ist am Unterrande defekt
und ausserdem stark abgerieben; der Verlust, der dadurch
auf Kol. 2 von f. la entstand, lasst sich nach der Zeilenzahl
derKoluranen auf zwei Verse berechnen, wahrend auf Kol. 1
die drei letzten Verse ira Anfang durch Abreiben gelitten
haben. Den Beginn macht ein Fragment aus Beda de die
iudicii und zwar Vs. 124-153 (MSL. 94, 636); dies Gedicht
hat Beziehung zu Micon, denn Carm. Centul. 161, 1 (P. L.
3, 362) ist Vs. 1 nachgebildet Die Ueberlieferung in unserer
Hs. ist gut und gibt zum Druck bei MSL. Vs. 140 die Emen-
dation altithrona, das mit sede zu verbinden ist und nur in
dieser Form einen Sinn gibt. Das Gedicht endet aber hier
mit 153 Sedibus et siiperum semper gaudere beatis, daran
schliessen sich folgende Verse:
Qui lavat igne pio latici# post tnunera vivi,
Dum sator ac socius gemino stringuntur amove
Sidereusque color peccati solvit acervos.
Hoc tibi compenset donati sorte saponis,
Lactea virgineum servent tit pectora fucum,
Pixide pro vacua virtutum fraglet acerra.
Sed damns, interea fluidum quod pellat humorem
Flegmatis aut morsus exiorum tergat acutos,
Lenia stridit
S
Darm fehlen zwei Verse ganz und als Fortsetzung erscheint
Virgil Georg. 1, 428—435, mit fast abgeriebenen Scholien
Manitius, Handsohriftliches zur lateinischen Dichtuog. 119
versehen und rait den Lesarten 428 comprehenderit, 430 Ad,
432 Si in. Als drittes Stuck folgt Juvenal Sat. 6, 147 und
Persius Sat. 5, 91 und 117, Das alles ist also im gleichen
Zusammenhang geschrieben worden, doch ist wohl anzu-
nehmen, dass die Hs. am Anfang defekt ist und ein Teil
verloren ging, der den Anfang von Bedas Gedicht enthielt.
Das auf f. 12 a — 12 b stehende Gedicht ist das angeb-
liche Martyrolog Bedas mit Voranstellung des Gedichts
Bis sena mensum, also wie ira Voss. O 15 s. XL Da die
neuesten Ausgaben dieses Gedichts (Baehrens P. L. M. 5,
332 und Riese, Anthol. lat. N. 680) unsre Hs. nicht beriick-
sichtigen, so gebe ich hier die Kollation rait Riese.
(Anth. lat. 680) 4 Qui. divisus. 8 Jtdiiis octimber. in-
moderantur. 9 pariterque flagrare. 10 Octenisque simtd pares
sunt idibns omnes. 11 semper mensisque. 12 dents tantum
denisque. 13 Ad, korr. At qztaternis. 17 idtis. balendis, korr.
kalendas; es folgen
Festaque que passim sanctorum inscripta leguntur
Sub certis que sunt anni celebranda diebus. 1 )
Das hierauffolgende sogenannte Martyrologium Bedas 2 )
ist zuletzt nach unsrer Hs. von v. Reiffenberg im Annuaire
de la bibl. roy. de Belgique 4, 107 ff. gedruckt (fruher
MSL. 94, 603), aber mit sehr vielen Fehlern, so dass eine
Kollation der Hs. notwendig ist, die ich hier mit Reiffen-
bergs Druck veranstalte
Jan. 1 iam] itani. 4 optinet eque. 5 Tresdecimas. refer-
tur. 7. Martyriu Febr. 1 iam est qua. Mart. 3 eihra. 4 Oc-
tavos, korr. Octavos. April 3 Hegerabliis. virtittum. 4 vene-
ranter. olimpxm. 5. p-esul. uulfridus. 6. cell. 10 eqimm.
11] es folgt Tempore posterior non morum fiore sectindus.
Mai 1 filippiis. 3 antistis. iohannis korr. iohannes. Jun. 2
thatbertL 3 equal. 5 regnumqite. 7 pulchre. 10 claret claret
l ) Also fast genau wie ira Voss. O 15, vgl. Baehrens P. L.
M, 5, 353.
*) Vgl. Traube, P. L. 3, 294 app. orit.; dort sind p. 294 f. sieben
Verse als dem Mieon gehorig herausgeboben.
120 M an i tiu s, Handschriftliches zur lateinischen Dichtung.
sibi. Aug. 1 Maehabei. ortu. Sept. 7 decimas. Octob. 2
Sollemnes. olimpo. 8 ittde. Nov. 4 wte. 5 Cecilia. 6 Ze&.
8 crisogonus. 10 iws£ veneratur. Dec. 2 Bissenss korr. Bissenis.
cehim.
Das Marty rologium stimrat gewOhnlich rait dem Wan-
dalberts, es besitzt aber auch mehrfach Abweichungen.
Die Frage nach dem Verfasser diirfte sich wohl erst durch
grundliche Untersuchung der altesten Hss. Iflsen lassen.
Radebeul b. Dresden, 5. Oktober 1911.
Max Manitius.
Kgi. Hofbuchdrucherei Kastner & Callwey, Milnohen.
Micons yon St. Riquier De primis syllabis.
Bel Gelegenheit seiner Ausgabe von Micons prosodl-
schem Florileg versprach L. Traube (P. L. J. 295 kriL App.J
eine baldige Ausgabe des Prosawerks von Micon. Er isl
aber dazu nicht gekommen und ich habe daher, als ich den
Rotomag. 1470 wegen seiner Remigiuskommentare in Dresden
benutzte, jenes Werk Micons abgeschrieben. Es findet sick
aber auch im Bruxell. 10470 — 10473, wo es an der Spitze
der Sammlung von Micons Poesie stehL Beide Ms. weichen
nun stark von einander ab y indent in jeder grossere Stiicke
der andern fehlen; sie erganzen sich also. Vor allem fehL
im Codex von Briissel das ldngere y elnleltende Gedlcht, das
der Rotomagensls voranstellt und das von Traube In den
Carmlna Centulensla ausgelassen 1st, da Ihm damals die
Ueberlleferung von Rouen unbekannt war; er machte erst
In den Nachtrdgen P. L. 3, 753 darauf aufmerksam. Ich
gab das Gedlcht Inzwlschen N. A. 36, 52 heraus. Aber auch
die sonstlge Ueberlleferung 1st recht verschleden. Ndmllch
der ganze erste Tell des Werkes, wle er Im Bruxellensls steht,
1st In der andern Hs. vom Haupttell abgetrennt und als
eln elgenes Werk hlnter dlesem — er schllesst mlt Explicit —
koplert worden. Die Aehnlichkeit belder Stiicke In der Dar-
stellung, In den Quellen und In der Sprache bestimmte
mich, als Ich den Bruxellensls noch nlcht kannte, (N. A.
36, 54) dlesen hlntangestellten Tell auch fur M Icon In An-
spruch zu nehmen, was slch nach Kenntnlsnahme dieser Hs.
als rlchtlg herausstellte. Nun 1st aber dieser erste Tell Im
Bruxellensls — Ich nenne Ihn nun B — gegenuber dem
Rotomagensls — er helsst fortan R — auch abgesehen von
dem fehlendem Gedlcht Im Anfang stark verkiirzt, und
das konnte dazu verlelten, die Ueberlleferung in R fiir die
UUnohener Museum & Philologie dea MA* L 2. 9
122 Manitius, Micons you St. Riquier de prim is syllabis.
bessere zu halten. Dem steht aber entgegen, dass R auch
nicht we nig vom Bericht in B ausldsst und namentlich eine
seitenlange Liicke am Schluss jenes ersten Teiles besitzt,
die B a its fill It. Den Ausschlag gibt das in R Uberlieferte
GedichL Da hier die Anordnung des Stoffes ziemlich aus-
fiihrlich vorgetragen wird und sie im allgemeinen mil der
von B ilbereinstimmty so trage ich kein Bedenken, B fur
die massgebende Hs. bezUglich der Ueberlieferung zu halten,
wenn sie auch den Anfang recht unvollstdndig wiedergibt.
Das ist ja auch insofern wahrscheinlich, als B die Gesamt-
Uberlieferung von M icons Werken enthdlt und da her woht
den Vorzug verdient Es ist allerdings ja nicht ganz aus-
geschlossen, dass eine Doppelbearbeitung schon auf At icon
selbst zuriickgeht und beide Hs. je eine Recension von De
primis syllabis geben kdnnten.
Der Bruxellensis 10470 — 10473, in Gembloux im 10.
Jhdt. in karolingischer Minuskel und zwar von mehreren
Hdnden geschrieben, ist liickenhaft (iberliefert, denn der
Anfang ist unvollstdndig und auch in der Mitte und zwar
nach f 23 ist ein Blatt verloren gegangen. Den Beginn
machen Gedichte, deren erstes (foL la 1 — la 2 ) ein Fragment
von Beda de die iudicii darstellt Es folgt lb ' ein kurzes
Stiick Oratio quando corpus et sanguis doraini sumitur bis
lb 9 . Von hier bis lib steht das prosodische Florileg Micons.
FoL 12a das Gedicht Bis sena mensum vertigine volvitur
annus (A nth. lat. 680), dessen Vs. 2 als 25 in den Exempla
diversorum auctorum (ed. Keil p. VIII) und als 344 (P.
L. 3, 292) in Micons Florileg steht Dann folgt ohne Absatz
und eng verbunden mit dem vorigen Gedicht, f 12a — 13b ein
kurzes poetisches Martyrolog, 1 ) das nach Traube p. 274
dlteren Ursprungs und mit Nachrichten aus St. Riquier
vermehrt ist; vielleicht weisen diese Zutaten auch auf M icon
als Verfasser, es schliesst Necnon Basilius magnus cele-
bratur in orbe. Hierauf beginnt f 13b Micons De ultimis
*) Hrsg. von v. Reiffenberg in Annuaire de la bibl. roy. de
Belgique 4, 107 //♦ und unter Be das Namen MSL. 94, 603.
Manltltfs, Mieon^von St. Riquier de primie syllable. 123
syllabis ohne Auf schrift. Die Hs. weist mancherlei Ver-
sehen auf, die nicht immer durch den Korrektor (m) be-
seitigt sind. Ausserdem hat sie gegeniiber R viele Liicken
and es fehlt vor allem das Eingangsgedicht. Aber sonst
ist B bedeutend vollsWndiger als R. (VgL MM. I, 118 f.)
Der Hotomagensis 1470 1 ) (vgL CataL gin. des mscr.
Dipart. (8°) 1, 440 — 445c) ist ein Sammelband und stammt
nach dem Eintrag auf f 4a aus Ficamp (De Vabbaye de
Ficamp n. 72); es ist die Ms., die im Katalog von Fecamp
(Montfaucon, BibL bibl. manuscripta 2, 1241 ff) unter N. 72
aufgefiihrt ist als 'vol. grammatica in 4°'. Sie besteht aus
zwei Teilen, deren erster bis Quaternio 16 reicht. Diese
Lagen sind mit A — Q bezeichnet, dock sind manche Num-
mern ausradiert. Die Schrift stammt aus dem 11. Jhdt.,
sie ist im allgemeinen gut und zierlich, hat aber viele
Fliichtigkeiten, die oft vom Schreiber oder vom Korrektor
(m) verbessert sind; es sind mehrere Hdnde f doch von gleicher
SchreibUbung, zu unterscheiden. Der zweite Teil setzt mit
Lage 17 ein, seine Schrift wechselt mehrmals und in Lage 19
beginnt auf f 150 b mitten in der Zeile langobardische
Schrift; f 172a setzt eine neue Schrift ein, die bis zum
Ende bleibt. Diese seeks Lagen des zweiten Teils gehdren
kirchlicher Literatur an, wdhrend der erste Teil philologischen
und grammatischen Inhalts ist. Ich habe dariiber schon
im N. A. 36, 36 — 55 gehandelt und die meisten der hier
iiberlieferten Glossenwerke dem Remigius von Auxerre zu-
gewiesen. Mitten in den Remigiuskommentaren steht mit
Lage N beginnend, die Prosa De primis syllabis des Micon,
dessen Prosaeingang — er fehlt in unserer Hs. — Traube
in P. L. 3, 295 nach B abdruckte. Das Werk hat keine
Aufschrift noch Unterschrift ; es wird hier, wie oben berichtet
wurde, in zwei Teilen iiberliefert, deren erster f 107 a mit
Explicit schliesst und deren zweiter nach einer Zeile Zwi-
schenraum beginnt (bis f 11 2b). Die Zusammengehorigkeii
>) Ich erhielt die Hs. durch gUtigc Vermittlung von CL Casimir-
Perier und H. Omont zu Idngerer Benutzung in Dresden.
9*
124 Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllable.
beider Stiicke erhellt schon aus inneren Griinden and wird
durch die Ueberlieferung von B erwiesen. Diese Teilung
sowie die von B abweichende Anordnung ist wohl spdterer
Bearbeitung zuzuschreiben, wenn man nicht Doppelbear-
beitung durch den Autor annehmen will. Das Werk ist
filr die philologischen Studien in der ersten Halfte des
9. Jhdts. — es isl nach Schlussvers 2 /. bei Traube 3, 295
imjahre 825 abgefasst — entschieden wichtig, Micon zeigt
sick hier besonders in Priscian er/ahren, dessen Werk
er griindlich kenni tind exzerpiert; auf Priscian ist die
game Darstellung aufgebauL Er geht aber dock zuweilen
iiber Priscian noch hinaus. Ausserdem benutzte er von
grammatischen Werken Placidus, Donat, Charisius, Maxi-
mus Victorinus, Pap iritis, Servius, Isidor. Aus seiner Zeit
kennt er den Auszug des Paulus aus Festus und Alchvines
Orthographie. Auch die Zahl der angefilhrten Dichter ist
nicht gering, Lucretius, Martial und Avian gehdren dazu.
Da ich Micons Schrift vollstandig — wenigstens nach der
heutigen Ueberlieferung — herausgeben will, so erlaube ich
mir hier einen Neuabdruck des einleitenden Gedichts 1 ) wie
der schon von Traube p. 295 abgedruckten Einfuhrung in
Prosa vorzulegen. Der Ausgabe liegen beide Hs. zu grunde,
da sich beide, wie schon oben gesagt, ergdnzen ; B = Bru-
xellensis, R = Rotomagensis, m bedeutet bei beiden die
Korrektorhand.
*
(R /. 98a) Ars cum nulla*) fuit, nosci qua syllaba prima
Posset, hec vobis fatiam brevitate b > videri,
Ut iuvenes valeant reperire h§c absque labore;
Nam labor est illis in metris querere cuncta,
5 Que nee habent positum*) aut dyptongon non retinebunt.
Hie metricos titulos primum canto breviatos
x ) N* A. 36, 52 /. Die Inter punktion habe ich jetzt mehrfach
verbesserL *) Gleich positionem.
Das Gedicht in R f. 98, fehlt in B. *) //unulla R, c ausradiert;
nicht nonnulla wie Omont p. 440a meinL b ) Urspriinglich brevidete /?.
Manitiua, Micons von St Riquier de primis syllabis. 125
Postquam de cursu*) solis luneque locutus,
Ponderibus raultis raensuris atque notatis;
Si dominus vitam michi perraittat comitantem
De prima longa bannita 1 } porro profabor 10
In sex iam mediis coustanti partibus ipsis.
Nam pretermittam certe innumerabile nomen,
Quod habet innumeras bannitas b ) prorsus utrasque,
Hoc est natura productas vet breviatas.
Hoc tamen ignorans, 2 ) cuicumque relinquo perito 15
Dicendi partem, quam postremam ordine multi,
Post alias omnes conscribunt quippe sorores, 3 )
Quam Greci haud numerant, servant numerare Latini,
Effectos ) animi motus qui sgpe revelant.
Idcirco hanc partem demum incertam d ) esse relinquo, i*0
Quod rarum in pedibus metrorum habitare videtur
Et quod multarum aut cunctarum s$pe notatur
Linguarum fieri toto e ) coramuniter orbe,
Quas linguas varias nunquam nos scire valemus
Iam preter patriam linguam 4 ) nostramque Latinam. 26
Ergo modis binis partem incertam ecce') relinquo,
Appellatur qu§ Rom§ interiectio vero.
Linquentes dicta h$c de primo iure loquemur,
Bannit§ primg verborura tempora servant,
De primis aliis dirivatisque gregatis, 80
Qu$ inter se semper contraria tempora servant,
Ac de, prout potero,*) qu§ per se dictio non est,
Hac etenim, h ) qu§ Romany pars septima lingu§.
Quam bene Honomtus breviter prescripserat olim,
Sed pro qua simplex verbum retinere videtur, 35
Hoc est quam retinet verborum syllaba prima.
l ) Gleich syllaba, vgL P. L. 3, 279, 4 und Index p. 801. •) Gleich
transiens. *) Nttmlich die Artes liberates; gemeint ist die Inter-
jektion, vgL Vs. 19 und 27. *) Dies beweist, dass Micon frdnkischer
und nicht romischer Abstammung war.
*) decursus R. b ) bannita R. c j Effectus R. d ) Urspriinglich
inoerte R. •) totum R. l ) vielleicht esse zu schreiben, vgL 20. «) po-
tuero R. h ) Hoo eat fi R.
126 Manitius, Mioone von St Riquier de prim is syllabis.
Verborum dico parte hie pro quaque loquelg
De verbis inter presens iam preterituraque,
De defectivis inpersonalibus atque,
40 Atque gerendi verborum distantia quid sit,
Contra particulam, que dirivata videtur
Non aliara tantum verbo nisi parte loquelg.
Partibus en istic modice de quinque loquemur
Ac de vocali et rauta liquidaque sequente.
45 Quando erit aut nee erit communis syllaba, dicam,
Pellitur atque metro quando s littera vel non
In modulis senis priscis eventibus*) olim.
Finiti tituli, nunc inehoat iste libellus,
Metriea iura prius postrema gramatica aiens,
60 Qu$ pueris fieri poterunt discentibus apt$
Metra silent, modo dictabit b ) nunc cetera prosa
Verba locans, pueri, vobis ) sermone sequente.
(B f. 13b.) lam d ) quia retro aliquid tetigi metric^ de
correptione et productione syllabarum, lector, volo nunc etiam
breviter prosaice parumper addere, partim iuxta Prisciani
dicta grammatici, partim etiam veluti a modernis philosophis
5 per diversa repperi loca, ut si alicui fastidiosori") lectori
forte unum displicuerit, saltern ex altero delectetur legendo
ludere. At si neutrum profuerit illi, parcat, oro, talia craxanti
Miconi pusillo, qui haec propter suffugium invenculorum
arripere studui atque in unumparvum corpusculum coadunare,
10 Qua de re, qui has insipidas legere voluerit litterulas, divinis
instructus iustitiis simul et humanis, non dubitet f ) dicere
suffocat penultima longa, quia componitur ex sub et fauce
et illud au dyptongon convertitur in o longum, iuxta exemplum
Paulini summi filosofi
16 Corpora quem nullis suffocat amoribus ilex 1 )
*) Paulini Nolani NataL 13, 504.
*) euatibue R. b ) eolent modo diotabunt R korr. von H older -
EEg* r < •) nobis R. d ) Jam quia — plurimis displicet B f. 13b, fehlt
in R. •) fastidiosi B, korr. von Iraube. ') dubitetur B. korr.
Manitius, Mioona von St. Riquier de primis syllabis. 127
Sed Euticius 1 ) vult, ut a sub et foco componatur, quod
plurimis displicet. Decapoleos Eliopoleos si servaveris
Grecam declinationem, producta penultima pronuntiabis.
Quodsi malueris Latinorum*) in his servare flexuram, corri-
pies eandera penultimam, quoniam teste Prisciano*) difficile 6
invenitur apud Latinos vocalis b ) ante vocalem in eadem
dictione producta, exceptis genetivis ) pronominum, apud
Grecos invenitur ut spondeus et cetera. Arbitrio lectoris
conceditur correpta an producta pronuntiare velit. Eadem
regula tenenda est in allegoria ethimologia d ) (f. 14 a) ana- 10
logia euphonia philosophia et cetera. Similiter Alexandria
Nicomedia*) omelia scenophegia') cynomia Getulia secundum
Grecos.
Paro paras de apparatu corripitur pa tarn in simple
quam et in compositis*), sicut est preparo, similiter de 16
comparatione vel assimilatione 3 ). Pareo vero pares, unde
componitur appareo et compareo h ), producitur pa, sicut
est illud 1 ): Puer non comparet*). Dirivo ideo producitur
quia i ante consonantem u positum est k ). Traduco vero 1 )
componiatur a verbo duco, quod est a nomine dux m ), cuius 20
nominativus producitur, sed n ) obliqui eius corripiuntur sicut
est 5 ): ex traduce carnis ). Voluto volutas u p ) productam
habet, quarn productionem retinet dirivatum ab eo volu-
tabrum.
[Raro*) enim in Latinis dictionibus vocalem penultimam 26
! ) Findet sich nicht in der Ars des Eutyches. % ) Prician bei
Keil G. L. 2, 465, 26-^66, 2. •) Prise. 2, 460, 2L 4 ) Gen. 37, 20.
8 ) Prudent. Apoth. 915. •) Priscian 2, 465, 26—466, 2.
Decopoleos — volutabrum /. 1 10a R. *) latinor R. b ) vocalem
R. °l genitivis B. d ) analogia philosophia ethinologia euphonia B, 30
Arbitrio — ethimologia am Oberrand von f 14b von einer Hand saec.
XIII wiederholt. a ) nichomedia B. f ) scenopheia R. *) composito B.
h ) compares BR, korr. B. ! ) siout est illud] veluti dicimus B. k ) Di-
rivo — positum est] Comburo et R. ') vero fehlt R. m ) quod est —
dux fehlt B R, vom Korrektor Ubergeschrieben B. n ) sed fehlt R. **) t*x 85
carnis] traduce R; bei Prudentius statt ox ne, me auch Micon im
Florileg 382 (P. L. 3, 393) liest. v) a B R.
128 Manitius, Mioons von St. Riquier de prim is syllabis.
ante alteram vocalem productam invenies. Ideo autem
diximus raro quia in fio verbo auctores producunt penul-
timam. Virgilius:
Omnia vel medium fiant mare vivite silv$ l ).
5 In Greets dictionibus sepe hoc invenitur ut Menelaus
spondeus. In ius enim, ut Servius, terrainantis genitivi
anceps est].*)
Peragrat, per habet accentum, nam a longa quidem
est sed non solida b ) positione, videlicet quia communis est
10 syllaba. Muta enim et liquida quotiens pomentur, metrura
iuvant, non accentum.
In*) x producta Greca et Latina masculina vel feminina
vel communia trium generum, hie flnix huius fenicis, h$c
comix huius cornicis, felix felicis, bombyx bombycis c ),
15 pernix pernicis. Excipitur fornix fornicis masculinum, quod
penultima in obliquis corripitur. Oportet autem scire, quod
Greci i et y ante x brevera esse volunt, quamvis in obli-
quis producatur, ut phoenix phoenicos, bombyx bombycos.
Titan Titanis d ) sicut delfin delfinis producito 3 ). Fiscina*)
20 corripit penultimam, quomodo fuscina; quanam') ergo produ-
citur piscina? Quia dirivatum est a pisce et a mutis venit
animalibus 4 ).
Dicit Priscianus 6 ): Cipriacus sicut Italicus corripitur
a penultima.
26 In io terminantia plerumque a participiis fiunt preteriti
temporis, quorum genetivus*) assumpta o h ) et correpta i l ),
ut abolitus aboliti abolitio, unde abolitio sicut et inolitio k )
corripitur*); internectus internecti addita o fit internecio 1 )
l ) Eel. 8, 58. *) Aus Priscian 2, 322, 26—323, 1 and 325, 15.
30 *' Prise. 2, 216, 8. *) Prise. 2, 80, 14 ff. 4 > Prise. 2, 69, 22. «) Prise.
2, 490, 3 f.
a ) Raro — est steht in R als Anfang des zweiten Teils f. 107a
vor Peragrat, der Wortlaut ist von der friiheren Stelle versehieden,
obwohl dieseibe Quelle vorliegt. b ) sola R. c ) fenix . . cornicis bom-
35 bix bombicis R. d ) tianis, t Ubergeschrieben B. e ) Fisoina — ani-
malibus fehlt B. f ) Quana R. *) genitivus B. h )&5,a /?. l ) i fehtl
R. k ) abolita sicut et (fehlt R) inolita B R, fcorr. B. l ) interuectio R.
Manitius, M icons von St. Riquier de primis syllabi's. 129
abiecta t causa euphoniae*) 1 ). Quam ob rem penultima
syllaba habet accentum, sicut et quamvis melior metiris
metitur b ), si ad mensuram pertinet producitur penultima 6 )
metitur, sinvero d ) ad metendum corripitur, facit enim*) metor
raeteris metitur; sed ut quibusdam videtur non habet f ) nisi 5
tertiam solummodo personam.
In ax correptam r ) Latina et Greca ut h§c fax (f, 14b)
huius facis, hie abax huius abacis, et h ) hie abacus huius
abaci sepius invenitur correpta penultima sillaba*).
Genetivus et 1 ) dativus quintg declinationis similes sunt, 10
fiunt enim extrema s nominativi k ) abiecta et assumpta i, ut
hie dies huius diei huic diei 1 ) et cetera; servant quidem
productionem nominativi si i habent penultimam, ut acies
aciei, rabies rabiei, sin autem consonantem habet ante m ) s,
corriptur et tarn in genitivo quam in dativo, ut hgc fides 15
huius fidei, res rei, spes spei, plebes plebei n ) et cetera 3 ).
Omnis nominativus Grecus non debet in his nominibus
n ante s litteram ) habere ut elefas gigas Athlas, in obli-
quis tamen recipiunt Servio teste p ).
Notandum est enim, quotienscumque 4 ) post di vel ti 20
sillabara q ) sequitur vocalis, illud di vel ti r ) in sibilum verti,
sicuti est iustitia sapientia litium § ) petiit hozie*) merizie*);
nisi s littera precesserit quae sibi T ) sibilum vindicat w ) ut
castius iustius, hinc non est vertendum ti in sibilum *)
propter supradictam regulam, Tamen tunc 7 ) fit, si media 26
h§c sillaba 1 ) sit, nam si prima*) fuerit, etiam si sequatur
\j Prise, 2, 122, 2 /. ") Prise, 2, 322, 13 f. •) Prise, 2, 366, 3—8,
*) Papirius bet Keil G, L, 6, 216, 8 ff,
*) euphonie causa B, b ) metitur fehlt /?. °) penultima fehlt R,
d ) si B, *) faoit enim fehlt R, f) b et R, *) corripitur R. b ) et — 30
sillaba] quod tamen et hie abacus et huius abaci sepius invenitur R,
l ) enim et B. k ) extrema nominativa B, korr. m, >) huic diei fehlt R*
piunt. N.
m ) ante fehlt B. *) blebei B, °) literam B, *) recipservio tes B, <i) di
— sillabam] dissillabam vel ti B, r ) ti vel di B, •) litium fehlt R,
h
*) ozie R (m), °) me ritie B, T ) qu$ sibi wiederholt B. w ) vindicat sibi- 35
lura B. *) in sibilum ti B. *) ti R. ») sillaba h$c B. *) pra B.
130 ManitiuB, Micons von St. Riquier de prim is syllable.
vocalis, non est vertenda*) in sibilum ut dies b ). Nam in
compositione vertitur ut nieridies ).
Inter h$c pauca inserenda sunt verba, donee in mei
manent memoria, quae a lectoribus sgpe dubie d ) leguntur.
5 Post h$c verocoeptus ordo sequendus est 6 ). Tunica dicendum
a f ) tuendo, nam siquis tonicam*) a tonando dicere velit 1 )
attendens ad eius ethimologiam, tunc dicat poteumapotando,
non puteum, quod minime h ) convenit. Similiter 9 ) subolem 1 )
per u in prima bannita. Quia componitur ex sub preposi-
10 tione et oleo, quod est cresco, verbo, et in priscis ita reperitur
libris. Ita et iucundum, quod venit a iubilo, non a ioco
ut multi opinantur. Nam Victorinus in sua orthographia •)
grammaticus commemorat vocalem i litteram k ) pro conso-
nante accipere 4 ) in his nominibus: Jane iecur Jovis 1 )
15 iucundus, ecce i ante u. Qu$ ratio manifesta esse potest
(f, I5a) omnibus audientibus ni ). Sic et n ) incolumis ) quia
venit a columna, qu$firma 6 ) et recta est; similiter 1 *) homo
incolumis firmus et rectus esse videtur.
Renuo per unum n. Cur? Quia componitur ex re et
20 nuo, audi exemplum:
Flagris dorsa, alapis maxillam atque ora salivis q )
Prebuit et figi se cruce non renuit.
Similiter alioquin r ) atqui careant n teste caput 6 ). Ita et laterna,
qu$ venit a lateo verbo. Suflat') per unum f, Avienus*):
25 l ) So Isidor Etym, 19, 22, 6, »> Paulas epit, Festi ed, Thewrewk
p, 445, 5 f, *) Bei Ktil G, L, 6, 24, 18 f, *) ace ed ere bei Victorinus
p. 24, 18, *» Isidor Etym, 10, 128, •) Die Ueberlieferung in R ist
hier verderbt und B fehlt zur Kontrolle,
*) vertendum B. b ) in sibilum ut dies fehlt B. c ) nam si —
30 meridies in B unter stricken, d ) dubie, radiert zu dubie B, oonfusa R,
*) ojptus ordo sequendus R, f ) au B, *) nam — tonioam] si quis per
nim
o B, h ) mine R (m). l ) sobolem R, li ) prepositione fehlt B, k )lit-
tera B, l ) iovis R, m ) manifesta — audientibus] manifesto patet B,
in
Nam — patet unterstrichen B, n ) sic et] Similiter R, °) columis
85 R (m), p) Unde et. i) dorsal apis ... & ora korr, B atque] et R,
T ) Similiter alioquin — h$c leoturus «rit fehlt B, •) tuiflat von m
liber geschrieb en, *) augenus korr, R (m).
Manittus, Micons von St. Riquier de prim is syllable. 131
Hie ubi ferventem labris contingere testam
Horruit algendi rursus ab ore suflat. ! )
Priscianus vero per duo. Sollempnia per duo 1 dicendum,
sollo enim lingua Oscorum totum dicitur, unde sollempnia*)
eo quod totis celebrantur annis iuxta Paulum*), qui hoc 6
excerpsit e glosis Festi Pompei. Similiter dicit Felix Ca-
pella. 8 ) Alcuinus vero solemne b ) per unum 1 T eo quod solet
in anno fieri dicit.*) Quis eorum sit magis sequendus, perpen-
deat apud se, qui hgc lecturus erit. Salio salivi do saltu per
unum 1 dicimus, nam sallio sallitum de condimento salis per 10
duo l c ), unde in participio sallita d ) non salita 5 ) dicendum est.
Jesus et Jerusalem seu Jericho*) in principio sine as-
piratione esse debent*), quia consonantibus numquam pre-
ponitur in capite Prisciano 6 ) teste*). Similiter 11 ) tropaeum
sine aspiratione Porphirio consentiente. 7 ) Ita et maceria 15
de muro secundum Alcuinum. 8 ) Similiter 1 ) sepulcrum k )
Abraam ymnus ostium Cananeus martyr sine aspiratione. 1 )
Chorda de fidibus cum aspiratione™) craxandum 9 ) est,
quod in Grecis qui velit exemplaribus cognoscere potest;
corda vero, qug est animus, sine aspiratione. Nomina vero 20
auctorum nimis longum 11 ) inserere per omnia fuit.
Nunc de c littera perparum est scribere mihi. )
l ) Avieni Fab. 29, 17 /. mit eigner Lesart algendi und Hin-
neigung zu CPRT (vgL Baehrens P. L. M. 4, 59). *) ed. Thewrewk
p. 427, 2 ff. *) Die Stelle (and ich bei Martian nicht. 4 ) Orthogr. 25
ed Keil G. L. 7, 310, 32 f ») Prise. 2, 546, 2 f. 9. «> Prise. 2, 12, 25 ff
und 2, 35, 24. Optat. Porf Carm. 5, 11 und 6, 33 (ed. L. Mailer
p. 8. 9). •) Orthogr. ed. Keil G. L. 7, 305, 5. d ) caraxare (schreiben)
ist von den Iren der Latinitdt zugefiihrt worden und ist im 9. Jhdt.
h&ufig, vgl. Micon bei Traube P. L. 3, 295, 3. 30
•) sollepnia R. b ) sollemne, das erste 1 radiert R. •) 1 fehlt B.
d ) salita non sallita /?. •) Jhesus et iherusalem seu iherico B. f) in
principio und esse debent fehlt R. s) Hierauf folgt Similiter tropaeum
numquam preponitur in capite teste Prisciano, aber ausgestrichen R.
b ) Similiter — secundum Alcuinum fehlt B. ') Similiter] sic et R. k )se- 36
pulchrum R. >) martyr sine aspiratione] martir R. «) cum aspiratione
longum
de fidibus R. n ) nimis prosum B (m), prosum nimis R. °) littera —
mihi] perparum est fan d urn R.
132 Manitiut, Mioons von St. Riquier de prions syllable.
Saccellum quia venit a sacco, per duo c scribendum est,
ne si dixerimus*), sacellum remur*) esse, quod est sacrum
locellum ). Similiter buccella a bucca d ), nam si dixerimus
bucella, erit minima bucula. A scamno enim venit sca-
6 mellum, velut Apuleius commemorate) scamillum. l ) Sic a
scalpro') scalpellum. A mundo itaque*) mundalis; mundus
raundi, converte in in a longa, fit mundalis non mundialis.
Similiter verbum verbi verbale. Ubi vero h ) duo i in
penitivo 1 ) inveniuntur veluti participium participii, ultimum
10 absumptum et k ) conversum in a, fit participiale. Ita Cesar 1 )
Cesaris Cesari addita e fit c$sari§. Similiter Cyrus Cyri m ),
addita nen fit Cirinen non Cirenen"), sicut multi nescientes
legunt. Sicut et Ninus Nini, unde et°) Ninive. Greca no-
mina in os desinentia mutant o in u et secund$ sunt
15 declinationis ut KYPOC Cyrus Cyri,*) IHAOC pilus pili,
HEAArOC pelagus*) pelagi, 1 ) sic XAOC caus cai.
Censualis vero r ) dirivatur aquarta declinatione abiecta s
et") assumpta alis, sicut et 1 ) man us manualis, spiritus spiritua-
lis. (f. 15 b) Recenseo facit in preterito recensui u ) teste Pris-
20 ciano; s ) usus tamen*) veterura docet recenseti uti Prudentius
Cumque recensetis constarent partibus ille. 4 )
Placidus 6 ) recensiti vult dicere sicut praebiti non prebeti. w )
Codex codicis codici, inde codicillus non codicellus,*)
cuius diminutivium codiculum dtcimus. 7 )
25 l ) Prise. 2, 111, 1 f. ») Prise. 2, 26, 23 ff. «) Die Stelle kann
ieh nicht finden (2, 492 17?). *) Prudent. Peristeph. 11, 147. 5 ) Pla-
cidus bei Goetz, Corp. gloss, lat. 5, 39, 10. Recensiti libri non re-
oenseti quomodo praebiti non praebeti.
*) dixeris R. b ) retur B. •) videlioet locellulum sacrum R. d ) buc-
30 cella a buca B. *) comemorat R. t ) Sficut sacalpro B. *) itaque] enim
R. h ) vero fehlt R. *t in genitivo duo' i R. k ) absumptum et fehit R.
i
*) Oesar vero B. m ) cirus oiri B. n ) cir///nen (e ausradiert) non oirenen B,
cirinen non cirenem R. °) unde et fehlt B. p) cyiri B. *) cyrus . . .
pilus . . . pelagus sind Ubergeschrieben B. r i enim B. *) et fehlt R.
35 ') et fehlt B. u ) recensi, sui korr. B (m), recensi R. T ) tamen fehlt R.
w ) Plaoidus — prebeti fehlt R. *) non codioellus fehlt /?♦ ') codi-
oulum dioimus] codiculu* R.
Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllable. 133
In ensis desinentia 1 ) si sint a nominibus prime, vel*)
secund§ declinationis mutant extremam partem nominativi
singularis vel pluralis b ) in en et assumunt sis, Catina
Catinensis, castrum castrensis; excipitur ) Athens Athenien-
sis. d ) Sin vero tertie, sunt declinationis, abiciunt extremam 5
s genitivi et assumunt ensis, ut Cartago Cartaginis Carta-
giniensis non Cartagensis, e ) pistor pistoris Pistoriensis.
lllic istic illuc istuc iliac istac et cetera f ) ideo in
ultimo loco servant accentum, quia integra illorum illicce
isticce illucce istucce 2 ) illacce istacce*) fuit. Similiter 10
nostras et vestras, quia nostratis et vestratis fuit. h )
Nitor niteris 8 ) de conatu producitur ni, similiter et in
compositione eniti/) niteo vero nites, quod pertinet ad
splendorem sive in simplicitate seu in compositione corripi-
tur. Dico dicis producitur di, ita et in compositione indico 15
et indicens; dico vero dicas, quod est sacro, corripitur tarn
in simplicitate quam etiam k ) in compositione, 1 ) sicut et m )
lego legis, lego vero legas producitur le. n )
Omnia nomina in ius desinentia genitivis ) producuntur
sicut est uter utrius, ille illius, alius alius, p ) excepto alter 20
alterius, quia q ) duabus sillabis vincit suum r ) nominativum
et ipsg 8 ) du§ sillabe, pro una longa accipiuntur/) Vincior
vinciris vincitur de conexione*) producitur, vincor vinceris
vinicitur ) de superatione corripitur, nemo tamen curiosus
h$c ignorat. 25
Onager sicut et saluber 5 ) in nominativo producitur, in
*) Prise, 2, 133, 9 ff. 12, 13, 15—18. ■) Prise. 2, 593, 14. 8 ) Prise.
2, 461, 6. 9. 4 ) Prise. 2, 228, 6 ff. 6 ) Prise. 2, 359, 17.
*) et R. b ) vel plurali B, vel p? R. ft ) excipitur ausradiert B.
d ) athene aut (m) atheniensis B. •) non Cartogensis fehlt R. f ) et BO
cetera fehlt B. *) illucce — istacce] illacce (aus illucce korr. m)
istacce B. h ) Similiter — fuit fehlt R. *) eniti fehlt R. *) tarn . .
quam etiam] et . . et R. l ) plura compositione R. m ) et fehlt R.
n ) lego vero — le] lego legas et cetera R. *) genitivi R. p) alius R. 1) qui
i vincitur 36
B R r ) suum fehlt R. •) ipse R. ') Vincor vinciris de conexione B (m);
vincitur
vincitur fehlt R. °) vinceris de B (m); vincitur fehlt R.
134 ManitTus, SJioons von St. Riquier de primis syllabfs:
obliquis corripitur, tamen in metro reperitar brevis, ut est
illud: 1 )
Dura tener est onager solaque lalisio mater.*)
Persevero producitur penultima sicut et severus sillaba,
5 quoniam unura retinent b ) sensum, nam c ) severus dicitur durus.
Siraili namque raodo perseverare dicimus perdurare, d ) nee
minus enim verof/ 16a) penultima producenda est bannita 6 )
sicut est revera.
Irrito*) verbum, quod est provoco, producitur penultima, 1 )
10 noraen si fuerit corripitur,*) ut irrita tela. V6gSto h ) namque
verbum econtra corripitur, nomen vero vegetus productione
penultima 1 ) gaudet. k )
Auster si fuerit secunda declinatio 1 ) producitur penul-
tima, 01 ) sin tertia corripitur, ut est auster austeris, et est bina
15 declinatio. D ) Peiero verbum corripitur, id est quando nomen,
producitur ut periurus. ) Intercus intercutis id est quod
intra p ) cutem est, nee mirum declinationem simplicis sui q )
ideo quoque servare, quamvis nominativiterminatione mutata,
quod in omnibus pene fieri compositis invenimus.
20 Polionima on 3 ) terminantia r ) apud Latinos in obliquis
casibus*) correptione gaudent, veluti Simon Simonis, diacon
diaconis, demon demonis, Memnon Memnonis, Agamemnon
Agamemnonis, Calcedon Calcedonis,*) canon canonis, cuius")
genitivum domnus Peda contra banc regulam produxit ita:
25 Catholicum ad iustum correxit digna canonis.*)
l ) Martialis epigr. 13, 97, 1. *) Prise. 3, 67, 20. ») Prise. 2,
220, lo ff. 4 ) In Bedas Gedichten nicht zu finden.
*) tamen in metro — mater fehli R. b ) quoniam urum retinent]
unumque retinens R. c ) nam] quia /?. d ) perdurare dicimus B. e )ban-
30 nita] syllaba B. *) penultima fehlt R. «) corripitur vana gloria R,
corripit B. h ) Vegeto R. l ) penultima fehlt R. k ) gaudet. Pegera
ita ut peiurus, e tantum mutatum in u longum R. l ) Austerus si
secunda declinatione fuerit R. m ) penultima fehlt R. n ) ut est deoli-
natio fehlt R. °) Peiero — periurus fehlt R. p) id quod inter cutem
35 B. *i) sui fehlt R. r ) Omnia nomina on terminata R. •) casibus
fehlt R. *) simon simonis mennon mennonis agamemnon agamem-
nonis calcedon nis diacon ni demon demonis R. n ) cuius genitivum
— digna canonis] nisi pauca excipiuntur B.
Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllabis. 135
Similiter Phiton facit Phitonis.*) vero finita producuntur
in obliquis b ) ut Maro Maronis, Dido Didonis, Cato nis, Macedo
nis, leo leonis; si enim dixeris leon nominativum, c ) neces-
sario servas ut genitivus secundum Grecos t habeat: leontis, 1 )
Interlitus et oblitus, quando pertinent ad linitionem, 5
corripiuntur, si ad oblivionem respicit, producitur oblitus. d )
Sciendum est enim, quod omnia verba in ui preteritum ter-
minantia producenda sunt in supinis nisi solummodo litum
et situm itum quitum citum satum; sevi quoque satum
facit penultima correpta.*) In nullo enim alio supino vel 10
participio a penultima corripitur nisi in supradicto et in aliis
tribus ratus videlicet et satus et datus. Reor deponens*)
ratus facit, satus vero e ) in compositione mutat a in i, ut
insitus obsitus.
In ir et ur et eus desinentia semper una sillaba vincunt 15
in genitivo, qui penultimam brevem habent ut Trevir
Treviri, satur saturi, Oileus Oilei, nisi poetica productio fiat
in Grecis ut Tydei.
Edoesest producito secunda sillaba, sumesestcorripe*)
unde in compositione acutum habet accentum ut illud: 20
Num quid tu maior es patre h ) nostro Abraam?*) Notandum
etenim 1 ) est, quod que ve ne prepositionibus antepositis non
erigunt extremg (f. I6b) syllab§ k ) fastigium, ut propterque 1 )
ilium, interve homines. Que m ) postponitur ut atque quoque
iamque, syllabice") quoque additur in fine et vim coniunc- 26
tionis amittit et encletici ) ut undique denique itaque. 5 )
Quando antepenultimo profertur acuto p ) videlicet* 1 ) quando
coniunctio est rafcionalis, adverbium si fuerit qualitatis, pro-
ducitur poenultima/) sicut a quodam magistro audivi ;•) ac
*) Prise. 2, 220, 16 ff. •) Prise. 2, 53 \ 14 ff. •) Prise. 2, 534, 4 f. 30
9 ff. *) Joann. 8, 53. •) Prise. 2, 183, 1.
*) Similiter - Phitonis fehlt B. *>) in obliquis fehlt R. •) si —
nominativum] si enim leon dicas R. d ) oblitus] li B. •) vero fehlt R.
*) secunda sillaba fehlt R. *) corip B. *>) parte R. l ) etenim fehlt R.
k) sillabf R. ») propter R. ™) Quae B, Que, R. °) sillabice R. °) en- 36
detici R. p) aouto profertur R. «) id est R. r ) poenultima von m
Ubergeschrieben B, fehlt R. •) sicut — audivi fehlt R.
136 Manitius, Mioons yon St. Riquier de primis syllabis,
si dicat aliquis, itaque agis sicut et ille id est similiter; ex
hoc vero satis titubo.*) Utique vero b ) si fuerit adverbium
adfirraantis c ) corripitur, simvero qualitatis producitur sicut
et itaque. 4 ) 1 )
5 Accido eninr, si de accessu id est de adproximatione
fuerit, producitur penultima sicut multi adfirraant, sed mihi
hoc verum esse non videtur. 6 ) Dedero*) quod venit a verbo
dedo dedis*) corripitur* 1 ) et est tertie 1 ) coniugationis. k ) Par
vero 1 ) et inpar in nominativo producuntur, sed in compo-
10 sitione et" 1 ) in obliquis corripiuntur. n ) Dirivo tdeo producitur,
quia i vocalis ante u consonantem positum est, sicut est
convivor livor iuvo. )
Omnia in ar, si neutra fuerint p ) et dirivativa, producunt
a in obliquis casibus, ut a lupa hoc lupanar huius lupanaris, q )
15 a calce hoc calcar huius calcaris.*) Circumvenit et invenit
seu comedit atque ad venit in preterito r ) producuntur in penul-
timis") sicut perfodit*) et invidit ac refugit, quia in preterito a )
unam minuunt sillabam et cetera.')
Tonstrina 8 ) et textrinum producitur 1 ) ita et gluttimus 7 )
20 sicut') et sanccitum seu qugsitum.*) Optimates et primates 1 *)
quorum nominativus optimas et primas ) producuntur, d )
Perimus de percussione producitur,*) alias corripitur/) Sitite
>) Prise. 2, 181, 24 f ») Prise. 2, 127, 5 ff und 222 4 ff. «) Prise.
2, 12 >, 19.
25 *) ao si dicat — titubo] veluti si dixerit aliquis itaque agis sicut
ille hoc est ita agis id est similiter R. b ) enim /?. c ) affirmants R.
d ) sicut et itaque fehlt R. •) penultima — videtur fehlt R. *) Dedere
B. *) dedis fehlt R. h ) corip B. ') tertia R. k ) et — coniugationis
fehlt B. l ) vero fehlt R. m ) in compositione et fehlt R. n ) corriun-
30 tur, von m korr. R; es folgt in R Ne dubiteris lector suffocat —
convertitur in o longum aus dent Anfang. °) es folgt in R De-
capoleos — ab eo volutabrum aus dent Anfang. *>) fuerit, von m
korr. B. *) lubanaris, korr. B. r ) impreterito /?. ») producuntur in
penultimis] producito R. ') persodit unterstriehen B. tt ) impreterito
35 R. T ) et cetera fehlt B. x ) producito B R, korr. B. *) glutimus B.
B ) sic R. a ) quesitum R. h ) primatres R. °) prinias R. d ) productur B,
producito R. e ) producito R. f ) corrip /?, corripe R.
Manitiue, Micons von St. Riquier de primie syllabis. 137
et esurite sicut sitimus et*) esurimus et aperiimis b ) ita et
sititis esuritis producito, quod omnibus liquet. 8 )
Vervex vervecis facit genitivum, 1 ) unde monstratur
productus nominativus. Incus incudis quod etiam in genitivo
producitur*) et in verbo cudo eadem syllaba producitur.* 1 ) 5
Peto petis petite sicut et legite,*) petitur et repetitur
appetitur sicut legitur; petivi vero petitum facit supinum,
unde in participio penultiraa producitur veluti petita et re-
petita, repetito verbum sicut elegito f ) facit. Samnis 8 ) Sam-
nitis pro Saranis facit/) Tibicen 4 ) producitur h ) penultima 10
ideo quod 1 ) sineresis facta est duorum i k ) brevium (f. 17a)
convertitur 1 ) in i longum; antiqui dicebant tibiicen, nos
diciraus tibicen. Excipitur enim m ) fidicen.
Solet enim ) in compositione plerumque a in i converti,
ut cado incido, iacio inicio ) reicio. Scurrilis 5 ) servilis quin- 15
tilis sextilis aedilis producitur penultima i, excipitur parilis.
Utrobique sicut et p ) ubique,
Lepos lep&ris de urbanitate eloquentig producitur po,
lepus leporis de bestia q ) corripitur. Sagina qu$, est pinguedo'),
producitur ut sagena. B ) 20
Affatim 6 ) corripit fa/) percitus, 11 ) quod est velox, cor-
ripitur^ ci. Subiugat sicut et adiuvat. Tradux et redux
corripiunt obliquos.*) Desidere, quod est deorsum ire, corri-
pitur 7 ) penultima sicut et a ) subsidere, ideo enim corripitur,
quamvis*) si longum sit, quia infinitivus b ) ab imperativo 25
l ) Prise. 2, 165, 5 ff •) Prise. 2, 269, 24 ff. •) Prise. 2, 325,
16. 133, 25. *) Prise. 2, 126, 16—21. b ) Prise. 2, 131, 16—20. 27 ff.
•) Prise. 3, 75, 7 /.
*)eX fehlt R. b )et aperimuB/e/*// B. )produ(? quod omnibus liquet
B, producito hoc omnibus patet R. d ) et in — producitur fehlt R. •) peto 80
— legitur fehlt B. f j siout et legito verbo R. *) facit fehlt R. *») ideo
producit B, producit R. l ) id quod B R. k ) ii B, is R. l ) conver-
tatur R. »>) enim fehlt R. *) vero B. °) ininoio R, iniitio reiitio B.
p) et fehlt R. <J) de bestia fehlt R. *) pinguis R. •) ut sagena
fehlt B. *) Affatim corripit fa fehlt B. u ) procitus R. T ) corripit R. Sh
x ) Subiugat — obliquos fehlt B. J) corrumpitur radiert zu corripitur
B, fehlt R. «) penultima . . et fehlt R. *) quanvis /?. *>) infinitus B.
MUnobener Museum I Philologie de§ MA. L 2. 10
138 Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllabis.
tertig*) coniugationis, qui est semper brevis, nascitur, sicut
est side addita re facit b ) sidere considere. Excipitur residere
quod componitur a verbo sedeo, cuius imperativus non
corripitur. )
5 Deinde exinde subinde proinde, que, omnia antepenul-
tima d ) habent acutum") accentum, vel quia unius partis
sunt, et ideo tertia a fine accentum habet, licet penultima
longa sit/) vel quia per adiectionera habent de, ut quibus-
dam videtur. Prequentius invenimus exin et dein pro exinde
10 et ff ) deinde. Vel magis quia pr§positiones separate gravantur,
ut coniuncte. esse ostendantur, acutum in his assumpserunt 1 ) 11 ).
Similiter siquando nequando 1 ) aliquando acuuntur in ante-
penultimam, ne due. partes esse viderentur, sicut dicit
priscianus.*)*)
16 Caveo caves in presenti corripitur ca, patior pateris de
passione 1 ) corripitur penultima, m ) quando vero n ) ponitur pro
aperire ac patefactione ) et venit a verbo p ) pateo neutrali,
producitur sicuti dicimus patera morsibus id est apertos esse
in reprehensionibus plurimorum, quia morsibus pro repre-
20 hensionibus posuit. q )
Educo educas, quod est nutrio, brevis est du, alias
longum. Aliquibus siquibus, si una pars fuerit/) corripitur
antepenultima :')
Sollicitant 8 ) alii proceres, quibus adde Catonem*)
25 sinvero du§, sicut est u ) e quibus et ex quibus, productione
gaudent.
Ab alo alere sicut a verro verrere et a vergo (f. 17 b)
vergere. Exilit de saltu corripitur, de etate producitur/)
l ) Prisc.3,67,10— 16.*) Prise. 2, 67,15^19. *) Lucan bell. civ. 2,279.
30 *) terci$ R. b ) facit fehlt /?. °) cuius — corripitur fehlt R. d ) ante-
penultimam B R. e ) accutum R. f ) vel quia unius — louga sit fehlt
/?. *) et fehlt B. h ) assumserunt B. { ) ne quando fehlt B. k ) in ante-
penultimam — Priscianus/e/r// R. l ) de passione fehlt R. m ) penultima
fehlt R. n ) producitur quando R. °) vero fehlt R. p ) ac patefactione
35 fehlt R. <*) producitur sicuti — posuit fehlt R. f ) fuerint B. *) ante-
penultimamtf. *) Sollicitant — Catonem fehlt B. u ) est fehlt R. T ) Exilit
— producitur fehlt B.
Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllable. 139
Cuiuscumquemodi quaravis ex pluribus partibus sit com-
positum, tamen una pars est et ideo corripitur teste Prisci-
ano; 1 ) istiusmodi uniusmodi ideo corripiuntur,*) quia ex
duobus obliquis composita sunt et sunt indeclinabilia.
Perforat b ) corripit ) fo. Cado cecidi concido concidi de 6
casu penultiraa correpta, c§do cecidi et concido concidi de
percussione producitur. d ) Ligus Liguris 2 ) sicut augur auguris
corripito. Controversia sicut et e ) ignavia dicendum. 1 )
Confitens, quod venit a confiteor, corripitur fi, confido con-
fidis producitur. 10
Semideos et semiviros ac semivia corripitur et in ante-
penultima*) habet accentum. Decor decoris sicut auctor
auctoris et decus decoris sicut pectus pectoris ; similiter in
corapositione indecor indecoris et indecus indecoris, 3 ) nam
sicut dicit Servius, 4 ) hinc h ) indecus non possumus dicere, 16
unde indecores. Ergo in neutro corripitur co et in mascu-
lino producitur. Nam 1 ) verbum si fuerit, corripitur utdecoro
decoras decorat, unde Oratius:
Ac 5 ) bene numatim decorat Suadela Venusque. k )
Eadem vero 1 ) quando sequitur norainativum aut ac- 20
cusativum et est generis neutri, corripitur penulthna, m )
sicuti est eadem verba et cetera talia. Nam si ablativus
fuerit producitur, ut in n ) eadem sententia et reliqua.
Liberpater sicut et Sosipater corripitur, ) quoniam
una pars est et unum nomen. Ita et pessumdatus sicut 25
circumdatus breviatur, quod a verbo componitur, quod non
facit venundatus neque verecundatus. A vereor enim venit
verecundus et exinde verecundo verecundas, unde verecun-
datus extensione in da gaudet sicut et venundatus. p )
l ) Prise. 2, 180, 2. *) Prise. 2, 82, 11. *) Prise. 2, 235, 20 ff 30
4 ) Servius in Aen. 7, 231 (ed. Thilo 2, 145, 3 ff. •) Epist.l, 6, 38.
a ) corripitur uniusmodi /?. b ) fehlt B, °) corripitur B. d ) Cfdo
— producitur fehlt B. e ) et fehlt R. f) dicendum fehlt B. *) ante-
penultimam BR. h ) hie R. *) nam vero B. k )unde Oratius — Ve-
nusque fehlt R. l ) vero] enim R. m ) penultima fehlt R. D ) in fehlt 35
/?. °) corripito B R, ur korr. B. (m). p) quoniam una pars est —
venundatus] ita et venundatus sicut circumdatus et verecundatus R.
10*
140 Manitius, Mioons von St. Riquier de primia syllabis.
Demostenes*) ideo corripitur quia pes epitritus est constans
ex tertia brevi et tribus longis.
Moneo 1 ) raones inde moniraen sicutet regimen specimen
tegimen pro tegmen; b ) omnia vero ) ista i habent correp-
5 turn, quia veniunt a secunda coniugatione vel tertia, a
quarta vero i productam habent/) ut raunio munis munimen,
molio molis molimen. Accitus vero c ) et corripitur ci et
producitur iuxta votum poetarum, quoniara cieo et cio
facit iuxta tertiam, 2 ) sicut tueor tueris et tuor') tueris*)
10 correpta penulf/. /8a)t\ma>*)
Inveniuntur 4 ) qu$dam verba in tinus desinentia penul-
tiraam corripientia sed qu§ a primitivis non habent t ut
diu diutinus, eras crastinus, orno ornotinus h ) similiter a
clam clandestimus, 1 ) quamvis Lucanus et Lucretius retro
15 producere videntur. k ) Paulopost et longopost corripiuntur,
quia unius sunt partis ut multominus multomagis postmodum,
quamvis dicatur longo post tempore venit. 5 ) Post hie
adverbium temporis est, sicut dicit Servius, 6 ) si rite recordor,
id est post longum tempus venit. 1 ) Sed oportune hoc
20 quasi soloecismo usus est, nam m ) post et B ) ante et°) circum
antiqui ablativo iungebant, quod hodie minime licet. Pario
peperi 7 ) vetustissimi tamen et secundum quartam coniuga-
tionem protulisse inveniuntur, Ennius: 8 )
Ova parire solet genus pennis condecoratum. p )
25 Supinum partum debet fore, q ) unde et partus et parturio
meditativum; plerumque enim regulam r ) supini secuntur
l ) Prise. 2, 126, 3—12. *) Prise. 2, $1 9—11. •) Prise. 2, 444,
12. 4 ) Prise. 3, 38, 20 //. 8 ) Aen. 6, 4 9. •) Serv. Aen. 6, 4C9 (ed.
Thilo 2, 64, 2). T ) Prise. 2, 503, 19—501, 7. •) Enn. Annul. 1 fr. XII.
30 *) demonstenes B. b ) pro tegmen fehlt B. °) vero fehlt R. d ) ha-
bent fehlt R. e ) Ao oitus oieo et cio facit ideo corripere et producere
lioet R. f ) tuor . . . tueor R. &) correpta penultima fehlt R. h ) orno
cl clan
ornotinus fehlt B. ! ) a danda destinus R (m) a clan fehlt B. k ) quamvis
mm » •
— videntur fehlt B. x ) Paulopost — tempus venit] Longo post tem-
35 pore venit, post hio adverbum temporis, longum post tempus venit
R. m ) nam fehlt R. n ) et fehlt R. <>) et fehlt B. p) geuus — conde-
coratum fehlt B R, ergttnzt von B (m). <») fore] esse B. r ) regulam
fehlt R.
Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllable. 141
tam meditativa quara frequentativa exceptis quibusdam,
ut lectum lecturio lectito, mictum rnicturio et mictito, sic
ergo partura parturio et partite. Idem et eidem, si mascu-
lini generis*) fuerint, producuntur penultima, 5 ) si neutrum
corripiuntur. 5
Ambio 1 ) ab eo compositum solum mutavit penultimam
e in i, itaque in io desinentiura regulam servavit in partici-
pio et in supino producta penultiraa ambitus ambita ambitum,
in nomine vero ) diflferentig causa d ) in eo terminantium
regulam servans corripuit*) penultimam ambitus. 10
Circumdo cicuradas*) facit, quia circum disyllabum*)
est et magis adverbiura et hoc solum verbum prim$ coniuga-
tionis, a penultimam in presenti et in preterito inperfecto
et futuro et finito et participio preteriti temporis corripit:
damus datis daris datur dabam dabor dare b ) daturus; da 15
enim ubique ante finim corripitur in hoc verbo simplici ut
daturus datum datu dator.
In io a antecedente*) unum invenitur aio, quod in
prima quidera persona i loco consonantis habet, in secunda
et tertia persona transit in vocalem, quia consonans sequitur 20
ais ait. Et quod penultima prim§ solius person^ producitur,
qu§ sola i habet loco consonantis, unde tertia 1 ) pluralis,
qu§ solet a priroa k ) (f. 18 b) fieri, similiter i consonantem
habens propterea dyssyllabum 1 ) proferendum est veluti
Troia Maia, non trisyllabum m ) ut multi ignorantes putant, n ) 2 ^
producit etiam penultimam; quod autem ) in aliis personis
corripitur,*) ostendit usus.
Peiero peieras verbum si fuerit, corripitur, nomen vero
producitur, q ) Alicuius naturalilege productione cu r ) gaudet,
alicui vero corripitur penultima, quoniam vocalis ante 3u
l ) Prise. 2, 547, 1—6. >) Prise. 2, 494, 2—5.
*) masoulinum /?. b ) penultima fehlt R. «) vero fehlt R. d ) causa
differenti§ B, e ) corripiunt B. *) das R. *) diesillabum R, sylla-
bum B. h ) dare fehlt R. *) tercia R. k ) a prima solet R. ') dyssilla-
bum R. m ) trisillabum /?. ft ) ignorantes putant] neglegentes autu- 35
mant R. °) autem fehlt R. p) oorripi R. <») Peiero — producitur fehlt
B. T ) cui B.
142 Manitius, Micona von St. Riquier de primis syllabis.
vocalem nisi in genitivis, sicut iam retro dictum est, et in
verbis Grecis difficile reperitur in una dictione producta
nisi tantum in verbo fio et suffio; 1 ) Virgilius 1 )
Omnia vel medium fiant mare*) vivite silv$.
6 Primas 3 ) et optimas Ravennas b ) et Capenas ) Arpinas
Crotonias Pontias Larinas ideo in fine 4 ) circumflexum
habent accentum, quia per sincopam proferuntur, perfecta
enirn eorum inveniuntur apud antiquissiraos 6 ) in tis desi-
nentia, hie et h§c primatis optimatis Arpinatis et cetera.
10 Transeo transis producitur in secunda persona in plurali
numero, in supino enim et in participio preteriti temporis
corripitur.') Similiter pertranseo, unde dicimus in participio
preteriti temporis, sicut dixi, his transitis et pertransitis
finibus sicut transito et pertransito fluvio, utrumque pen-
15 ultimam corripit. Similiter in ito quando participium fuerit.
In ite vero, quod est modus imperativus, producitur/)
Ibidem vero 1 ^ ut ubi; multi 1 ) dubitant, ubi debeat k )
esse accentus, quia ibi et ubi naturaliter breves sunt, sed
ratione 1 ) finalitatis plerumque producuntur , sicut dicit
20 Servius m ) in versu, nescientes hanc esse rationem, quia
pronunciationis causa contra usum Latinum n ) syllabis °)
ultimis, quibus particul§ adiunguntur, accentus tribuitur,
ut illene huiusce putasne. Sic ergo et ibidem.
Omnia nomina Greca or terminantia 4 ) in obliquis
25 casibus corripiuntur, ut Hector Hectoris, Nestor Nestoris,
Castor Castoris. Omnia in ax exeuntia Greca masculina 1 ')
in obliquis casibus producuntur, ut torax toracis, pyrax
pyracis; q ) nam feminina corripiuntur, ut climax climacis,
et ad Latinam transeunt declinationem. (/. 19 a)
30 l ) Prise. 2, 436, 9f. *) Verg. Eel. 8, 58. ») Prise. 2, 128,
24—129, 3. 4 ) Prise. 2, 236, 16 /.
*) mare fiunt B. b ) rabezmas B. c ) carpenas B. d ) fin em B. •) anti-
quissim B. coripitur Z?. *) pertransitis — producitur] sicut transito
et pertransito utrumque oorreptum/?, h ) vero fehlt R. *) nam multi
35 R* k ) debet B. l ) rationalem B. m ) sicut dicit Servius fehlt /?.
) Hierauf&icut dioit Servius /?. °) sillabis /?. p ) mascula &, *) pirax
piracis R.
Manitius, Mioons yon St Riquier de primis syllable. 143
Utlibet*) fli fuerit una pars adverbiura corripitur penul-
tima b ) sicut etquislibet quolibet iuxtaexempluracuiusdam ):
Neque enim utlibet et fortuitu spiritus sanctus habitavit
in ea, acsi dixisset, non enim quolibet modo ficte et casu
habitavit in ea, sed veraciter; nam si du§ partes d ) fuerint, 5
producitur li, e ) sicut dicimus: Ista res tua est, utere ea ut
libet, id est') placet. Similiter quanto minus corripitur,
quando significat quanto magis, nam alias producitur.
Omnia adverbia im terminantia producuntur penul-
tima,*) ut b ) hostiatim viritim paulatim 1 ) saltuatim speciatim k ) 10
statim interim preter affatim, 1 ) quod venit a Greco affatos.
Tergum enim, quod est dorsum," 1 ) facit nominativura 11 ) hoc
tergum huius tergi et cetera, ) pluralis h§c terga, p ) geni-
tivum 4 ) tergorum penultima producta sillaba') ad differen-
tiam*) tergus tergoris, quod est animalium, cuius genitivus 1&
pluralis corripitur, sicut dicit Comminianus 1 ) graramaticus.*)
In ix desinentia masculina*) tantum Latina corripiunt i in
penultima u ) in obliquis, ut hie fornix fornicis, calix calicis,
Pharnax Pharnacis; T ) feminina si fuerint, vel omnes x ) pro-
ducuntur in genetivis, ut h§c nutrix nutricis, h$c comix 20
cornicis, hie et h$c et hoc pernix pernicis, felix felicis. 8 )
Inveniuntur tamen in masculinis producta, sicut est fenix
fenicis.
Nervus nervi, unde diminutivum 7 ) nervicus nominativus
a genitivo prim$ positionis addita cus, cuius ablativus 25
pluralis, quod est nervicis, corripitur in loco penultimo
sicut et ceteri casus eiusdera nominis. Prodeo verbum
l ) Charts. Instil, bet Keil G. L. 1, 71, 20 ff *) Prise. 2, 279,
3 ff. ») P rise. 2, 323, 6 ff
•) Utlibet fehll R. *) penultima fehlt R. «) iuxta — cuiusdam 30
fehlt B. *) partes fehlt R. •) li fehlt R. 9 id est] vel sicut tibi
R, *) penultifn B, in penultimo /?. b ) ut interim R. ') statim pau-
latim R. k ) spetiatim R. l ) affectim B. m ) Tergum dorsum est /?. n ) no-
minativum fehlt R. °) et cetera fehlt R. p) pluralis — terga fehlt
B. q) genitivo R. r ) sillaba fehlt B. •) distinctionem B. *) gram- 35
maticus fehlt R. u ) 1 ponultimam B, i penultima R. T ) pharaicis
B. *) omnis B R. *) inde dimminutivum B,
144 Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllabi*.
neutrale,*) quod est exeo, prodit facit, inde b ) prodiraus
pen ultima producta; prodo prodis, quod est occulta pate-
facio, ) inde prodimus, penultima correpta dicimus d ) sillaba, 6 )
et 1 ) in verbo passivo prodimur.*)
5 A d§monio vero venit h ) demoniacus, in quo nomine
in antepenultiraa facimus accentum 1 ) corripitur sicut ab
Ilio Diacus, k ) quod venit 1 ) a plurali nominativo addito cus.
In o primitiva quidem, ut quando temporale et ex eo com-
posita siquando nequando aliquando, qu§ antepenultimam
10 habent acutam, ne du§ partes esse videantur. Exinde una
pars orationis est et tertia a fine accentum habet, licet
penultima longa sit, quod ideo factum est, ut ostenderetur
una pars orationis, ne prepositio iungeretur adverbio, quod
vitiosum esse non dubium est")
15 Nomina in ilis 1 ) desinentia 11 ) vel in ile neutra, si a
norainibus dirivantur, (f. 19 b) penultima producuntur, ut
edis ) edilis, senex senilis, puer puerilis, similiter neutra in
ile producuntur, p ) monile ovile sedile, a casside* 1 ) enim
cassidile') dirivatur et') producitur penultima, cuius abla-
20 tivus cassidili.*) Nam 11 ) verbalia*) seu participialia in ilis
corripiunt eandem i penultimam, ut T ) fero fertilis, utor
utilis, futio futilis, textus textilis, sensi sensibilis x ) vel
sensilis si correpta.*) Infidus enim") dicitur homo, cui non
creditur, et est fi semper syllaba longa,*) nam siquis dixerit
25 infidus quasi perfidus correpta fi, barbarisraumfaoit, quoniam b )
nusquam reperitur infidus pro ) perfido. Et ideo produ-
x ) Prise. 2, 131, 16—19. 23. •) Prise. 2, 131, 23—26.
*) verbum neutrale fehlt R. b ) faoit inde fehlt /?. «) patefatio
R. d ) dicimus fehlt R. «) sillaba fehlt B. et] similiter R. *) pro-
30 dimur fehlt R. h ) vero venit fehlt R. l ) in quo — aocentum fehlt
R> k ) illiaous B. l ) quod venit] videlicet /?. m ) In o primitiva —
t
dubium est fehlt B. n ) desinentia in ilis R. °) uedis R (m). p) oassi-
dile am Rand R (m). <i) oasule R. r ) cas///idile (s radiert) B, oasidile
/?. •) dirivatur et fehlt R. *) penultima — cassidili fehlt R. u ) nam
35 si R. T ) ut fehlt R. *) senbilis R. r) si correpta fehlt R. f ) enim
fehlt /?. *) fi — longa] semper fi longum /?. b ) quod B. c ) pro fehlt B.
Manitius, Micons von St Riquier de prirais syllabi a. 145
citur fi de infido, quia componitur a fido fidis, unde confido
confidis, perfidus vero a fide componitur unde fi corripitur.*)
Filius b ) gemini ultima syllaba circumflectitur sicut et
alia Hebrea nomina botri et metri, alias corripitur velut
gemini fratres. Nomen [salubris] ) ideo producitur penulti- 5
mam syllabam, sicut dicit Priscianus 1 ) quia derivatur a
nominativo quod est salus et abiecta s assumta d ) bris fa-
cit salubris longa penultima, quoniam salus producitur lus,
unde evenit, ut dixi, salubris. Adeo duas habet significa-
tiones, nam cum prima acuta effertur, idem significat quod *0
accedo, veluti cum dicimus: adeo pretorem; cum autera
secunda, idem quod usque eo, non quidem secundum ratio-
nera, quia ad prepositio accusativo 6 ) accommodata est, sed
vetusta quidem loquendi consuetudine est. Sunt quidam
qui dubitent de septimana utrum ma syllaba producta an *&
correpta sit, veluti sepius reperitur in libris poetarum.
Quos docet Priscianus in opere quod fecit ad Simmacura
inquiens ita:*) Primanus prim? legionis, secundanus secundg
legionis, tertianus quartanus quintanus sextanus septimanus,
unde septimana dierum, similiter usque decimanus, unde 2°
decimanaO porta deorum; sed magis debet usum auctorum
aemulari, sicut ipse dicit, quam rationem analogic Multi
dubitant de nominativo apes, utrum in es an in is esse
debet; nam secundum Priscianum 5 ) hgc apes huius apis
facit, (f. 20 a) quoniam a pede compositum esse videtur, 25
secundum vero Ovidium in is facit nominativum, quod
etiam dimminutivura ostendit apicula, quomodo fidicula a
nominativo suo fidis.
Pluo pluis, unde compluo, brevis est plu sicut et
conspuo; sed in participio producitur complutus compluta, 30
sicut consputus consputa; excipitur vero obrutus.
») Prise. 2, 133, 20 f. «) Prise. 3, 414, 25 ff. s ) Prise. 2, 107,
13 und 241, 18—242, 5.
*) Et ideo producitur — corripitur fehlt R. b ) Von hier bis zum
Ende des Abschnittes De his quae varietatem patiuntur (usque ad te) ^
fehlt R. DieUeberlieferungstehtnurinB. •) salubris fehlt B. d )asstl//ta
p radiert B. e ) aocusativus B* undeoimana B.
146 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllabis.
Macedo in nominativo corripitur c$, in obliquis pro-
ducitur do syllaba velut Maced&nes.
Inveniuntur qu^dam verba in tinus 1 ) penultimara
corripientia, sed qu§ a prirnitivis non habent t, ut diu diu-
6 tinus, eras crastinus et cetera. Nam Constantinus et Cle-
mentinus a primitivorum genitivis habent t, et matutinus
a Matuta, qu§ Aurora intelligitur. Unde etiam paries
parietis parietinis, aries arietis ariettnis et cetera talia.
Incipiunt pauca de geminis coniugationibus
10 verba discretionibusque quorundam verborum.
Tuor tueris et tueor tueris.*) Oleo oles et olo olis. 5 )
Excello excellis et excelleo excelles. 4 ) Fulgo 5 ) fulgis et fulgeo
fulges/) Sono sonas et sono sonis; 6 ) Lucretius: Caligare
oculis et sonere auris. 7 ) Uno unas et unio unis. 8 ) Calceo
15 calceas b ) et calcio calcias. 9 ) Cieo cies et cio cis. 10 ) Coni-
veo conives, quod est coniungo vel claudo, et conivo conivis,
suius preteritum tarn in ui quara in xi reperitur. 11 ) Strideo
ctrides et strido stridis. Fulgeo fulges et fulgo fulgis.
Ferveo ferves, quod est splendeo, et fervo fervis ; Virgilius:
20 Fervere Leucaten auroque effulgere fluctus;") invenitur
etiam ferbeo ferbui per b, unde et ferbesco. 13 ) Denseo u )
denses et denso densas. Oleo oles et olo olis, unde Plautus
correptum posuit infinitivum: Non omnes possunt olere
unguenta exotica. 15 ) Similiter pendeo l6 ) pendes et pendo
2& pendis. Tergeo 17 terges et tergo tergis. Calvo calvis quod
est decipio, et calvo, quod est detrunco, calvas facit. Sorbeo l8 )
sorbes et sorbo sorbis, faciunt preterito sorbsi vel sorbui.
Cupio vero cupis tertia quarta coniugatio esse videtur, unde
Lucretius': Effringere ut arta Nature (/. 20b) primus
30 *) Prise. 2, 80, 9—13. ") Prise. 2, 444, 12. «) Prise. 2, 444, 17.
*) Prise. 2, 444, 24. 6 ) Prise. 2, 445, 3. •) Prise. 2, 445, 7. 7 ) Prise.
2, 445, 9f. Lucret. 3, 156. 8 ) Prise. 2, 445, 11. ») Prise. 2, 476, 11.
I0 ) Prise. 2, 443, 23. ») Prise. 2, 478, 11 f. ") Prise. 2, 479, 3—14;
Vergil. Aen. 8, 677. «) Prise. 2, 479, 19. ») Prise. 2, 443, 21 f.
35 ") Prise. 2, 480, 5—13; Plaut. Most. 1, 1, 41. "•) Prise. 2, 398, 17.
*) Prise. 2, 5 23, 5. >») Prise. 2, 491, 13 /.
*) fuges B. b ) oaleesas (?) B. (oaloeas Prise).
Manitius, Micons ron St. Riquier de primis syllabis. 147
terrarum claustra cupiret, 1 ) ecce de quarta. Similiter pario
paris tarn tertia quara et quarta invenitur, Ennius: a ) Ova
parire solet genus pennis condecoratum; cuius supinum
partum debet esse, unde et partus et parturio meditativum
nee non et partito sicut et raictito.*) Morior vero et h
orior tarn secundum tertiam quam secundum quartam
coniugationem b ) declinaverunt auctores: morior moreris et
morior moriris, orior oreris et orior oriris; Ennius: Nobis
ostendat si vivimus sive morimur. Lucilius: Conturbari
animam potis est quicumque adorttur. Similiter potior 10
potiris tam terti$ quam quart? invenitur. 3 ) Cubo cubas
et cubo cubis cubui facit preteritum, similiter ab eo compo-
sita. Excelloexcelles et excello excellis reperitur, faciuntenim
preteritum exculi vel excellivi, quorum simplex in usu non
est.*) Fodio vero fodis tarn terti$ quam quart$ productum 15
invenitur, unde de infinito raodo dicimus de quarta fodiri
et perfodiri, et de tertia passivum perfodi vel perfodere
iuxta activam litteraturam; unde propheta: Fili horainis
perfode parietem. Edo 5 ) es est et edo edis apud antiquos;
Quintus Serenus: Sive calens febris iactatos exedit artus, 20
id est comedit. Do das dat et dedo dedis. Fundo fundis,
quod ad fusionem attinet, et fundo fundas, quod ad funda-
mentum. Mando mandas, quando ad legationem pertiuet,
et mando mandis de comestione. Dico dicas de conse-
cratione facit, et dico dicis, quando aliquid quis loquitur. 25
Similiter indico indicas et indico indicis. Volo volas de volare
et volo vis. Lego legas de legatione et lego legis. Compello
compellis, ) quando ad pulsionem pertinet, et compello d )
compellas, quando ad compellationera vel appellationem.
Similiter appello, quod est voco, appellas et appello, quod 30
») Prise. 2, 499, 6—10; Lucret. 1, 71. % ) Prise. 2, 500, 19—21,
501, 3—7. •) Prise. 2, 501, 10 ff., 16. 23. Enn. Ann. 392(ed. Vahlen).
LuciL Sat. 120 (ed. Marx). *) Prise. 2, 491, 2. 526, 18 ff. 8 ) Prise.
2, 522, 8 f.
*) emius B. b ) coniunctionem B. c ) cogia Ubergeschrieben B. 36
d ) uoco Ubergeschrieben B.
148 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllable.
est eicio vel adduco vel repello, appellis. Sero seras seravi
facit preteritum, similiter obsgcro obsecras, et sero, quod est
semino, seris, unde obsfcro obserisJ) Dureo dures et duro
duras.*) Fero feras et fero fers, seu et ferio de percussione,
6 unde ferimus producta penultima. (f. 21 a)
Nexo*) nexas et nexo nexis. Albo 4 ) albas et albeo
albes seu albico albicas.*) Misero raiseras et misereo
misereris. b ) Scabio scabis et scabo scabis, unde scabies
nomen. Fugo, quod est repello, fugas facit et fugio fugis.
10 Sugo, quod est sucura traho, sugis facit, et sugo sugas
quod est subsanno ni fallor. Colo colis, quod pertinet ad
culturu, et colo colas, quod venit a nomine colu, quod est
instrumentum rusticum. Scato scatis et scateo scates.
Lavo lavis et lavo lavas, Crepo crepas et crepo crepis.
16 Maturo maturas et matureo matures. Corno ) comis et
corao comas. d ) Metor, quod est termino, raetaris facit, et
raetior, quod est mensuro, metiris metitus vel mensus facit
preteritum, et metor meteris metitur, quod pertinet ad
collectionem. Pando pandas et pando pandis. Fundo
20 fundas et fundo fundis. Predico predicas et predtco pre-
dicis. Lambeo lambes et lambo lambis. Gemeo geraes
et gerao gemis. Gesto, quod est porto, gestas facit, et
gestio, quod est exulto, gestis et est neutrale verbum.
Tondeo tondes de incisione capillorura aliaruraque rerum.
^5 tondere facit in infinito modo producta penultima: Boni
pastoris est tondere pecus non deglubere; ad discretionera
tundo tundis, quod est percutio.
Oe geminis genitivis nominum et declinationum.
Sequester 6 ) sequestris facit genitivum et iuxta secun-
30 dam declinationem sequestri, tamen et feminini generis, ut
h§c sequestra. Similiter pedestris huius pedestris et hie
pedester pedestri. Inlustris*) et inluster inlustri, equester
*) Fundo fundis — obseris Prise. 2, 443, 13—20. ») Prise. 2,
443, 23 f. •) Prise. 2, 469, 12 f. 4 J Prise. 2, 397, 7 ff. 8 ) Prise. 3, 444,12—15.
36 *) albuoo albucas, beide u zu i radiert B. b ) mesererie B. c ) orno
tibergeschrieben B. d ) froo deo Ubergesehrieben B. e ) inlust'tris B.
Man it i us, Mioons von St. Riquier de primis 'syllable. 149
tri tris et multa talia, quae tam tertia quara secunda inve-
niuntur. Colus 1 ) vero, unde fila trahuntur, facit genitivura
coli, et colus secundara quartam declinationem. Vulgus 2 )
masculinum et neutrum, sicut cepe neutrum in singulari
numero et femininum in plurali. Plebs plebis et plebes 5
plebSi facit. Hie eros huius herois et hie erois huius erois
facit. Pelagus 8 ) sicut et vulgus neutrum et masculinum
est. Haec iuventus huius iuventutis (f. 21 b) et iuventa
huius iuvente. Similiter senectus et senecta. Scrops 4 ) vero
masculinum et femininum est. Hie volucer huius volucris 10
et h§c volucris huius volucris. Hie talp§ et h§c talpe.
Hoc pecus pecoris vel pecudis. Hoc aes §ris et hoc enum
huius eni. Hie delfinus vel delphis, huius delfini et hie
delfin delfinis. Hie biiugus biiugi et h$c biga huius bige.
Hie exanimus et exanimi et hie exanimis huius exanimis. 15
Similiter unanimus unanimi et unanimis huius unanimis.
Inermus et inermis. Hoc altare huius aitaris et hoc altarium
huius altarii. Hie demon dfmonis et hoc d§monium d§-
monii. Hoc pr§sepe presepis et hoc presepium presepii.
H§c lampas lampadis et hec lampada lampad§. Hoc tapetum 20
tapeti vel hoc tapete tapetis seu tapes nominativum facit.
Similiter hoc baptismum et hie baptismus vel baptisma.
Hie senatus 5 ) huius senatus vel huius senati iuxta Teren-
tium. Gluten vero glutinis facit et hoc glutinum glutini.
H§c ficus huius ficus vel fici secundum Comminianum. 6 ) 25
Acceptor acceptoris et accipiter huius accipitris. 7 ) H§c
menda huius mende et hoc mendura huius mendi. 8 ) Hie
stratus huius strati et hie stratus huius stratus. Hie botrus
huius botri et hie botrus huius botrus. H§c ebdomada
ebdomad$ et h$c ebdomadas huius ebdomadis. Similiter 30
septimanas septimanis, decas decadis, mirias miriadis* Hie
lebeta lebete et hie lebes lebetis. Similiter idolatra idolatry
et hie idolatris huius idolatris, est enim Greeus sermo.
Hie dromedarius et h§c dromedaria. Quercus laurus pinus
l ) Prise, 3, 445, 23. «) Prise. 3, 445, 27. *) Prise. 3 f 445, 27. 35
*) Prise. 2, 168, 6 ff. •) Prise. 2, 258, 6. •) Charisius bei Keil G.
L. 1, 95, 22. 7 ) Charisius 1, 98, 9. 8 ) Charisius I, 72, 22 ff.
150 Manitius, Micons von St. Riquier de primis eyllabis,
cornus ficus et venus tam quartg quam secundg inveniuntur.
Adeps 1 ) masculinurn et femininura *) est. Tonitrus secund§
et quartg. Hie Anchises huius Anchises et hie Anchisa
Anchisg. Hie lacus laci vel lacus. Hie autumnus autumni
5 et hoc autumnum autumni, caret plurali numero. H§c 2 )
cassis cassidis et hec cassida casside. Hie 3 ) cinis cineris
vel ciner cineris. Vomis 4 ) huius vomis vel vomer vo-
meris. Similiter et pulvis. 5 ) Cucumer 6 ) vel cucumis.
Puber 7 ) vel pubis. Hie c§tus ceti et hoc cete indeclina-
10 bile. (f. 22 a) Hoc speculum speculi, ubi homines semet
ipsos perspiciunt, dicimus, et h§c specula huius specule,
qu§ est prima declinatio, significat altitudinem cuiuscura-
que rei, unde in longe possumus videre. Hie 8 ) pavus
huius pavi, Ennius: Memini me p&vum. fieri; facit et pavo
15 pavonis. Hoc peccatura huius peccati et hoc peccamen
peccaminis. H§c apes huius apis et h§c apis huius apis.
Hie 9 ) crater huius crateris, Persius: Sit tibi crater argenti;
et 10 ) est Grecus sermo; nam Latine h§c cratera dicitur;
est enim calix duas habens ansas. Hoc tergum huius tergi
2U de dorso hominis, facit enim pluralem genitivum tergorum
go producto. b ) Ad distinctionem hie tergus tergoris, quod
est animalium. Patronus patroni et patron patronis facit
secundum tertiam declinationera.
De duplicibus preteritis vel triplicibus.
25 Plico plicas preteritum plicui vel plicavi facit. 11 ) Necto
vero nexui vel nexi. 18 ) Frico fricui vel fricavi. 13 ) Pono
posui velposivi. 14 ) Excello exculi vel excellivi. 15 ) Detondeo*)
detondi vel detotondi. 16 ) Mulgeo mulsi et muixi quidam
protulerunt. 17 ) Oleo vero, quod et cresco, olivi vel olui
30 l ) Prise. 2, 169, 8 f. *) Prise. 2, 251, 3. 8 ) Prise. 2, 24% 17 f.
4 ) Prise. 2 } 249, 18. b ) Prise. 2, 249, 16 f. 6 ) Prise. 2, 249, 17. *) Prise.
2, 249, 19 f. *) Charisius 1, 98, 4 f. 9 ) Prise. 2, 165, 5. l0 ; Isidor
Et. 20, 5, 3; (Pers. 2, 52). ll J Prise. 2, 468, 27 f. ") Prise. 2, 470,
5 /. l5 ) Prise. 2, 468, 26. ") Prise. 2, 464, 26. ") Prise. 526, 18.
35 U J Prise. 2, 482, 3. ") Prise. 2, 486, 8 f.
•) feminu B. b ) produotu B. °) Tondeo B.
Manitius, Mioons von St Riquier de primis syllabis. 151
facit. 1 ) Cavo cavas cavavi vel cavi. Soleo solitus vel
solui 2 ) secundum Salustium. Pellicio, 3 ) quod est provoco,
pellexi et pellicui veteres protulerunt ; polliceo, quod est
promitto, pollexi vel pollicui* Similiter allicio allexi et
allicui, Surripio 4 ) surripui vel surpui per sincopam. Ungueo 5
ungui vel unxi. 5 ) Consuesco consuevi vel consuetus sum. 6 )
Parco peperci vel parsi. 7 ) Sapio vel sapii ceu sapui. 8 )
Cudo cusi et cudi facit. 9 ) Scindo scidi et scicidi apud
antiquos. 10 ) Findo fidi et fissi iuxta priscos. 11 ) Pango pegi
vel pepigi seu panxi; nam secundum Servium pepigi non 10
venit a pango, quoniam pactus sura facit preteritum sed
pasciscor. 12 ) Pungo pupugi*) vel punxi. 13 ) Similiter repungo
repupugi vel repunxi; expungo quoque expunxi tantum-
modo. 14 ) Tollo vero sustuli vel tetuli. 15 ) Velio velli et
vulsi dicitur. 16 ) Excello exculi vel excellui. 17 ) Occino 15
occinui (/. 22 b) et occanui. 18 ) Lino lini vel livi b ) seu Hi
vel secundum quosdam levi. 1 *) Verro versi vel verri. 20 )
Lacesso lacessivi vel lacessui. c ) Qu§ro qu§sivi vel qu§si. 21 )
Sancio d ) sanxi vetustissimi taraen protulerunt sancivi vel
santii proferebant. 22 ) Fulcio fulsi vel fulxi different^ causa 20
a fulgeo scilicet. 23 ) Scio scivi vel scii. 24 ) Cio civi vel cii. 25 )
Mollio mollivi vel mollii. 28 ; Sevio, quod est insanio, s§vivi
facit vel sevii. 27 ) Eo ivi vel ii. 28 ) Queo quivi vel quii. 29 )
Veneo venivi vel venii. 30 ) Suffio suffivi vel suffii, non enim
facit sufitus sum, quamvis componatur a neutro passivo, 25
quiamutavit significationem. 31 ) Haurio 32 ) hausi vel aurivi
*) Prise. 2, 488, 20 f. ») Prise. 2, 489, 8 /. 8 ) Prise. 2, 496, 27.
*) Prise. 2,499, 12 f. 5 ) Prise. 2, 503, 16 f. •) Prise. 2, 508, 5. 7 ) Prise.
2, 509, 15 f. ») Prise. 2, 499, 17. 9 ) Prise. 2, 515, 16 f. ,0 ) Prise. 2,
516, 14 f. ») Prise. 2, 517, 13 f. ») Prise. 2, 523, 17 und 23 f. 30
"•) Prise. 2, 524, 2. ") Prise. 2, 524, 11. ») Prise. 2, 526, 14. l «) Prise.
2, 526, 18. ") Prise. 2, 526, 18 f. ,9 ) Prise. 2 y 529, 4. l9 ) Prise. 2,
529, 18 f. 530, 10. ») Prise. 2, 532, 22 f. ") Prise. 2, 535, 14 ff ") Prise.
2, 538, 28 f. "J Prise. 2, 539, 1 ff. * l ) Prise. 2, 539, 11. ») Prise.
2, 539, 12. w ) Prise. 2, 539, 14. 8T ) Prise. 2, 539, 14 f. a8 ) Prise. 2, 35
539, 15. S9 ) Prise, 2, 539, 15. ,0 ) Prise. 2, 539, 15 f. 81 ) Prise. 2,
539, 22. w ) Prise, 2, 510, 3 f
*) pupuDgi, r radiert B. b ) lini B. c ) lacessivi B. d ) scancio B.
162 Mani tius, tfioons von St. Riquier do primis syllable.
8eu haurii.*) Salio 1 ) salivi vel salii seu salui. b ) Lavo la-
vavi vel lavi. Tono tonas tonavi vel tonui.*) Applico
applicavi vel applicui. 8 ) Discrepo discrepavi vel discrepui.
Sero, quod est semino, sevi vel serui. 4 ) Sorbeo sorpsi vel
6 sorbin. 6 ) Pexo pexui vel pexi seu et pectui.*) Dirimo di-
remi vel diremsi. Neglego neglegi vel neglexi. 7 ) Sancio
sanci vel sanxi unde sancitura et sanctum. 8 ) Salior saltus
et salitus. Fateor enim fessus, unde componuntur confiteor
oonfessus et profiteor professus ;*) aliut est enim fessus, quod
10 est lassus, cuius origo a verbo non videtur esse dirivata,
unde et defessus, quod magis nomen dicendum est. Metior
meteris metitus vel mensus facit
Verba casum genitivum trahentia. )
Misereor tui. Immunis sum laboris. Particeps imperii.
16 Piget facti. Obliviscor doloris. Largior araiciti§. Vereor
tui. Penitet laboris. Memor sum equitatus. 4 ) Ignarus
rerura. Prefectus litis. Pudet admissi. Expers sum*) faci-
noris. Similis tui vel tibi. Pudet me huius. Capax vir-
tutis. Memini amici. Iraperitus sermonum. Tedet laboris.
20 Avidus vini. (f. 23a) Cupidus nummorum. Patiens iniuri§.
Casus dativus.
Mando propinquo. Maledico inimicis. Indico tibi.
Liquet mihL Imputo amicis. Parco tibi. Noceo adversa-
ries et adversarios. Comitor pacis. Libet mihi inludo tibi
26 et te. Pareo illi. Impendent mulieri. Credo homini. Per-
mitto multis. Presto omnibus. Faveo pantomimis. Studeo
rei. Blandior donis. Arrideo tibi. Procuro tibi. Prefectus
urbi. Moderor meis. Precipio hospitibus. Concedo vobis.
Ministro illis. Largior amicis. Obsequor auctoritatibus.
30 ') Prise. 2, 540, 15 f. >) Prise. 2, 468, 27. ") Prise. 2, 469, 3.
4 ) Prise. 2, 480, 22. 6 ) Prise. 2, 491, 13 f. fl ) Prise. 2, 536, 5 f. (hier
pecto/ 7 ) Prise. 2, 523, 15 (ohne neglegi;. a ) Prise. 2, 542, 18 f.
9 ) Prise. 2, 429, 8 f.
a ) h aurii B (m). b ) salivi B. c ) Verb cfis gent trahent B; diefolgen-
35 den Absehnitte bis mil De hisquae varietatem patiuntur sind auff. (22b
und) 23 so angeordnet, dass die beiden Seitenje vier Kolumnen bilden
and je vier Stile ke aufeiner Zeile stehen. d ) equitatis B. °) Eipersu B.
Manitiue, Mioons von St. Riquier de primis syllabis. 153
Casus accusativus.
C9I0 malum. Penitet nos. Offendo vos. Piget emulos.
Jubeo servos. Decet honestos. Oporiet pueros. Ledet vi-
neas. Pudet doctos. Latet custodiam. Calumnio innocen-
tem. Fraudo*) malignos. Concedo negotium. Allevo b ) 5
defectos. Obliviscor omnia. Miseror parentes. Imitor bonos.
Posco tabulas. Anteeo equum. Illudo pueros vel pueris.
Rideo stultum. Noceo illos et illas. Animadverto homi-
nem. Agito asinos. Alloquor ) uxorem. Sector philosophum.
Oleo violam. Ludificor stultos. Veneror deos. Comitor 10
viatores. Doceo puerura. Moneo amicum. Lego librum.
Scribo historiam. d )
Casus ablativus.
Abstineo divitiis. Privor rebus. Dignus sum laude.
Egeo nummis. Careo fidibus. Utor auro. Fruor desiderio. 15
Defitior de re« Cedo parentibus. Potior fratre. 6 ) Glorior
favore. Letor dono. Gaudeo substantia. Fungor officio.
Opus est pecunia. Communico arti. Ludo pila. Abutor
impiis. (f. 23b) Participo amicis. Peritus hac re. Onero
instrumento. Septus nube. Tectus velo. Opertus veste. 20
Delector pomis.
De nominibus quae carent plurali numero.
Aer aeris, nisi tantum aera. FeL Juventa. Dempe.
Hoc §vum evi facit pluralera secundum quosdam. Vescum.
Sal. Career carceris; ubiO homines coarcentur. Spem. Fu- 25
mus. Fimus. Famis vel fenum.
De illis quae carent singulari numero.
Carceres unde eraittuntur currus. Pascua quando neu-
trum est, etiam et feminini generis in plurali numero. In-
lecebre. Manubiae. Acerr§, harum acerrarum genitivum 30
facit. Hgc claustra. Fori de tabulis navium. Fores quae
sunt ianu$. Precordia. Fibrae. Moenia. Opes de divitiis.
*) Fraude B. b ) vel allego Ubergeschrieben B. «) Alloqiiuor
B. «) historia B. *) Patior fratrem B. ') libi B.
Mtlnohener Museum f. Philologie des MA. 12. 11
154 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis ey I labia.
Orgia. Penates. Liba, istud nomen non declinatur per
oranes casus in plurali numero. Nemiae. Cum§. Cun$.
Pugillares. Rostra. Divitiae.
De his quae varietatem patiuntur.
6 Indutus vestem et veste. Induo tibi vestera et induo
te veste. 1 ) Inlumino*) tibi id est lumen facio. Inlumino
te scilicet candela vel alia re. Cano tibi id est canto. Cano
te idest laudo te. Olamo tibi ut tribuas b ) mihi auxilium.
Clarao te ut venias ad rae. Consulo te interrogo te. Con-
10 sulo tibi provideo tibi bona. Consuluit fuge providit vel
exquisivit. Dono te honoro te. Dono tibi munus quod-
cumque vel indulgeo tibi. Metuens pericli et periculum.
Manent te et tibi. Insulto te et tibi. Memini illam rem
et illius rei. Medeor contritos et contritis corde. Dorninor
16 genitivum et dativura regit. Miserata animi repressit Juno
iuvenera,*) idest Turnum, quia miseror et genitivum et accu-
sativum servat. Unde Jezechiel: Ut facerem tibi unum de
his miseratus tuis. 8 ) Propinquo tibi sine prepositione. Ad-
propinquo te cum prepositione. Contingo te ad tactum
20 pertinet. Contingo tibi idest pertingo usque ad te. e ) . . .
(f. 24 a) Cum in libris Latinorum poetarum viderim,
quod pauca sint verba, qu$ primam naturaliter syllabam longara
habent, ilia quantum 4 ) apud eos invenire et meraorare potui,
congregare pariter intendens diligenter studui, qu§ simul
26 hie subsequuntur.
In prima coniugatione enucleo decorio decurio*) vapulo
fabulor gratulor regulor solor clamo fumo limo spumo rimor
elimino ceno declino devirgino divino dono freno glutino
! ) Prise. 3, 346, 27. *) Verg. A en. 10, 686. •) Ezech. 16, 5.
30 *) Inlumine B. b )tribues B. c ) Die letzte Zeile der 4. Kolumne
auf f. 23b bleibt frei and ein Blatt (das letzte von Lage III) fehlt
in B; die zweite HUlfte der zweiten Seite dieses Blattes wird durck
R ergdnzt, das nun mit /. 99a einseizt. d ) Uaquantum R. e ) deofirio R.
Manitius, Mioone von St. Riquier de primis syllabis. 155
hiberno ieiuno mano nomino procrastino profano sano semino
trano conor crirainor machinor vaticinor venor usurpo stipo
eliquo iurooro euro duro declaro delibro delibero giro desidero
libero maturo munero*) ploro roro roboro spero spiro feneror
delinio depeculior lariorfidutiorgloriorinitiorliboeduco emico 5
radio eradico iudico decaco dimico b ) fuco nutrico paco placo
spico trico clarifico glorifico mirifico nidifico pacifico bachor
mechor despicor gre.cor gratificor ludificor udo emendo de-
lapido fedo fecundo nodo nudo sedo sudo vado iucundor
vador caligo fumigo litigor c ) mitigo navigo remigo nugor 10
rugor colo decolo desolo fibulo halo pullulo protelo sibilo
furor d ) miror morigeror 6 ) vociferor grecisco cogito delato
debilito dito dilecto doto fabricito flagito humecto l§tor f )
milito marito muto mugito nuto nubilito*) poto vito h ) dirivo
detestor frumentor grator metor scrutor tutor iudaizo grecizo 1 ) 16
barbarizo k ).
In secunda coniugatione areo caneo clareo debeo defleo
deleo detineo dureo frigeo 1 ) floreo luceo lugeo matureo mereo
pareo rideo squaleo strideo sodes m ) tedet.
In tertia coniugatione elicio n ) prolicio ) deficio eripio 20
decipio diluo eruo diruo deglobo nubo scribo labor dico
duco edico educo p ) deduco diduco aresco evanesco crudesco
decresco ditesco q ) flavesco frigesco granisco humesco lucesco
maturesco nitesco pubesco raresco tabesco vivisco evado
edo edis c§do r ) credo cudo cludo*) divido dedo detrudo fido 25
ludo pedo rodo rado rodo rudo sido strido trado trudo vado
degodeligodiligo dirigo derigo figo fligo*) corao demo promo
sumo") decerno liquor uro defero degero digero desero prosero T )
detero protero viso amitto utor diverto nitor.
*) numero R. b ) decaco dimico von m UbergeschriebenR. c ) se<Jo 30
— litigor von m hinzugefUgt /?. d ) Hiermit setzt B auf f. 24a ein.
e ) murigeror B. f ) leto B. ») vel nobilito iibergeschrieben R (m).
b ) iuto /?. vel grecisco iibergeschrieben R(m). k ) barbarizo fehlt
e
B. J ) frigo R (m). m ) Bedes /?. D ) plioeo B. °) prolitio /?. p) educo
edico /?. V detesco B. r ) cedo /?. ■) dudo R. *) affligo ^?. u ) fumo 36
B. T ) profero B.
156 Manitiue, Mioons von St Riquier de primis syllable.
*
In quarta coniugatione erudio fio mugio vagio malo nolo
ebullio finio lenio munio punio sopio esurio murio nutrio
saevio*) delargior molior b ) deroolior ementior raetior.
Sed sciendum est quod hg quattuor propositiones®) id
6 est a e d ) de di in principio omnium verborura naturaliter pro-
ducuntur 1 ) ut amitto emitto demitto dimitto, nisi in duobus
verbis unoque e ) participio; dehisco dirimo disertus.O Ideo
non congregavi cuncta verba*) ante qu§ posite, h ) fiunt, ut
averto erigo eructo, sed aliqua ut inperfectis pueris lingug
*0 Latin§habundantiara l )addiderintsuscepi.Haec k )pauoa verba 1 )
sequentia dyptongon habent in prima syllaba: In prima
coniugatione aedifico l§tifico m ) c$lo pr$sago n ) qugrito qugsito
autumo ) (f. 24 b) auguro p ) ausculto claudico fraudo laudo
evangelizo q ) l§tor pr$dor proelior') augurior auxilior, - ) in
15 secunda hereo augeo claudeo audeo gaudeo poenitet, *) in
tertia aegresco caedo laedo quaero quaeso") aufero claudo
plaudo, in quarta audio haurio raucio/) Si x ) alia oblitus
sum verba, vel in aliis libris, quos adhuc non inveni, repe-
riero. 7 ) Inter h$c ilia in ordine congruo litterarum statuam,
2 ^ nam non solum in fine, sed etiam in principio ordinem*) litte-
rarum in his verbis quantum potui servavi.
De verbis dixi iunctis*) simul accumulate,
In quia longa manet verborum syllaba prima.
De paribus binis contraria tempora quae*) flant.
26 Verba et nomina sibi adherentia, qu$ contraria inter
se tempora prirag syllabg habent, hio succedunt id est verba
que primam syllabara longam possident et nomina priraam*)
retinentia*) brevem.
l ) Prise. 3, 56, 24.
™ •) sevio B. b ) molior B. °) propositiones B. d ) A P B. •) uno
B. di//8ertue (b radiert) B. *) verba von m hinzugefiigt R. h ) con-
posit? B. ») abundantiam B. *) H$o B. l ) verba fehlt R. °>) fdifico
letifloo R. n ) prosago R. °) autumno BR. p) augur!// R. «) eu//an-
gelizo (u radiert) R. *) proelio B. •) anfanglich ausilior R; es folgt
®* poenitet B. *) poenitet fehltB. u ) o$do l$do qu$ro qu$8o R. T ) rautio
dixi
B. x ) Sed R. y) reperiaero,"a radiert R. «) ordine R. ») disiunotis
R. *) qu? R. •) prima R. d ) retinentiam B.
Manitiue. Mioons von St. Riquier de primis syllabis. 157
Ecce manent h§c verba productam habentia primam:*)
Profano furor b ) <luco fido rudo vado labor como liquor
nitor sopio. Nomina primam syllabam possidentia correptam
sequuntur: Profanus furor dux fidelis rudens vadum coma
labor liquor nitor sopor. ) Sed furor verbum et nomen, lioet 6
in eadera litteratura d ) perseverent, ) non in eodem sensu
tamen permanent. Ita et*) labor et nitor. Et rudens nomen
de participio factum utrum communiter claraantem significet
an funem navis, brevem syllabam primam*) habet. Et como b )
tertig coniugationis verbum est, quod predixi, quoniara como 1 ) 10
prime, brevem syllabam primam retinet sicut nomen coma,
videlicet a quo derivatur. k ) Sunt etiam e contrario 1 ) haec m )
verba primam 11 ) corripientia ) syllabam voco sero noto sedeo
rego, p ) sed nomina, quibus adhaerent, q ) hoc est vox sera notus r )
sedes rex, primam syllabam producunt. Sed sedes et rex, 15
(/. 25a) quia 9 ) ex preterito*) verborum primam producente
syllabam dirivantur ( u ) ideo primam producunt/) Sequentia
nomina et verba herus*) lux nubes nubo no primam syllabam
longam habent, verumtamen ab eis, dirivata herilis lucerna
nebula innuba pronuba nato eandem 7 ) primam corripiunt; 20
sed lucerna ut esset naturaliter brevis ab aliis a nomine
Licinius quod est cicendela") lucerng dirivari putetur.
Succedunt h§c quorum prima syilaba corripitur: Humus
humatus homo*) hiems bis b ) novem decern. Ast in his )
iterum sequentibus producitur: Humor humidus humeseo d ) 26
humecto humanus hibernus binus nonus denus.
De e ) pro istic dicam qug unum iam terapus habebit.
De f ) pro brevi prim§ syllabe siraplicium") nominum se-
quitur: Prologus proemiura protoplastus Protheus Prometheus
•) prima B. *) furo R. «) sapor R. d ) literatura R. •) perse- 30
verantf?tf. f )et fehlt B. *) primam] brevem /?. h )Etoomo#. Ocomo
/?. k ) dirivatur B. x ) oontraria B. ■) h$c B. n ) prima B. °) corripientia
B. P) rogo B. i) adheraent R, adherent B. T ) notus fehlt /?. •) qui B, fehlt
R. *) preteritorO /?. u ) diriventur BR. T ) producit (Sed sedes —
produoit am Rand von m geschrieben) /?. *) heros B, here's R. *) eun- 36
dem /?. a ) acendela /?. *)homo fehlt R. b ) urspriinglichKxn R. °) in
u
his doppelt R. *) hmesoo R. •) D$ BR. f ) D%R. *) symplioium R.
158 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllabis.
Proraolus Propontis Proconesus propheta [Tajprobane*) pro-
cella propago (hominis) procus procas procax proceres
protervitas protervus profanus b ) propinquus propior ) pro-
prius d ) properus probus iraprobus 6 ) reprobus obprobrium
5 probrum profugus. Sed pro prepositionis est ut protugo
prohibeo profectus professus profatus proavus pronepos,*)
simplicium') verborura propheto probo proficiscor prohibeo
profugo propero propesco propino h ) propinquo appropio/)
simplicium k ) adverbiorum procul 1 ) prope propere propius.
10 De pro dicam iterum que tempora bina sonabit.
De pro longa simplicium m ) nominum et verborum ad-
verbiorumque : Prochris Proserpina provintia progenies")
proles propago (arboris) prora prosper procerus prodignus
pronus propitius prodigiura propugnaculum prodigo profano
15 promo prospero protenus protinus.
De pro prepositionis, ) quam p ) longam esse estimo sed
in metro non inveni: Proclivum proficuus promurale prover-
biura pronefas prostituta (f. 25b) prostibulura. Q )
De pro nunc referam que nunc dubitata manebit
20 Ilia prius quam r ) visa') raanens in carmine metri.
De pro primae*) syllabg in dubio prius quam") videatur
in metro: Proculura promuntorium T ) prosapis prosapia 1 ) pro-
pula inpropatulo proceleumaticus probleroa. T )
Bannit$*) prim$ tempus mutantia verba.
25 Sunt pauca verba hoc est XX et VII*) nuraero in
quattuor coniugationibus, ex quibus b ) Servius Honoratus 1 )
l ) Serv. de flnalibus bei Keil G. L. 4, 450, 22—451, 3.
*) probame R, probano B. b ) prophanus R. °) proprior R. ^pro-
pius B. e ) inprobus von m geschrieben /?. f ) profeotus — pronepos
30 fehlt R. *) simplitium R. h ) propino]propero R. l ) propio B. k ) aim-
plitium /?. ! ) procul fehlt R. m ) simplitium R. n ) progenies pro-
vintia R. °) propositions R. p) qu$ B. *») Uber geschrieben von Hand
m
1
saec, XIV domus meccalis (mechioalis) /?. r ) quam prius R* ■) iussa
B. k ) pro primate R, primae B. u ) quae R. T ) Uber geschrieben von
35 Hand s. XIV tertrel- m5a R. x ) von derselben Hand Uber geschrieben
progenies R. *) von derselben Hand darUber dictio captiosa R* «) Ban-
nite B. *) XXVII R* b ) ex quibus doppelt B.
Manitius, Mioons von Si. Riquier de primis syllabi's. 159
maiorem partem pariter congregavit, pauca causa brevitatis
omittens, quae primam corripiunt syllabam*) in orani regula
praesentis b ) id est in indicativo rnodo ) presenti et in perfecto
futuroque ac d ) in e ) iraperativo atque in optativo presenti ac
imperfecto ast futuro et in ooniunctivo presenti 1 ) in perfecto- 5
que ac in infinitivo presenti et in perfecto et in tribus verbis
gerendi modi primis ac in participio presenti activo atque in
futuro passivo. Quoniam hgc omnia*) predicta semper regulam
presentis habent, h ) nam preteriti regula semper est prete-
ritum perfectum indicativi optativi subiunctivi infinitivique; 10
futurum enim infinitivi ac duo verba postrema gerendi et
passivum preteritum participium atque nomina, qug dirivan-
tur 1 ) ab illis, et futurum participium activum in multis verbis
regulam preteriti habent, in paucis a presenti formantur,
ut Priscianus in nono de preterito verbi k ) libro suo 1 ) hoc 15
est in deo desinentibus verbis secund§ coniugationis ostendit
et in decimo libro*) de preterito tertig coniugationis in di-
versis manifestat sparsim locis.
Omnia primg coniugationis verba 1 ) primam syllabam
brevem in m ) presentis regula habentia nunquam illam mutant 20
in longara in preteriti regula, nisi duo tantum 11 ) verba iiivo )
iuvi, lavo, lavi. 3 ) In secunda coniugatione novem verba
sedeo sedi, video vidi, caveo cavi, faveo favi, (f. 26a) foveo
fovi, paveo pavi, voveo vovi, cieo civi, mSveo movi. 4 ) In
tertia p ) coniugatione quindecim scabo q ) scabi id est r ) scalpo, 2 &
iacio*) ieci, icio atque ico ici unde ictus, facio feci, fodio
fodi, odio di, fugio fugi, l§go legi,*) 8mo emi, slno vi, ltno
l ) Prise. 2, 481, 5 ff. *) Prise. 2, 494, 2 ff. •) Prise. 2, 460, 10.
*) Prise. 2, 477 y 10 ff.
a ) syllaba B. *) presentis R. °) modo fehlt R. *) at BR. •) in 30
r
fehlt R. *) ao imperfecto — presenti fehlt B. *) hec omia R. h ) bant
ri
R. x ) que divantur R (m). k ) verbo B. x ) verba fehlt R. m ) in
fehlt R. n j taDtum duo B. °) Die Quantitdtsbezeichnungen in der
folgenden Zusammenstellung von Verben werden nur von B ge-
er
schrieben y von R sdmtlich ausgelassen. p) Inttia R (m). i) soaba 36
R. ') id est] vel R. ») i*tio B. *) lego gi /?.
160 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllabii.
vi aut magis levi, sfcro s6vi, tero trivi. In quarta coniu-
gatione unum tantummodo venio veni.*) Ita viginti et VII b )
ceu predixi, verba inter quattuor coniugationes variant tempora
primg syllabg. In his, in quibus preteritum a prima persona
5 presentis formatur, transiens o vel eo vel io in i eadem
consonante manente ante i, nisi cieo civi, quod u loco con-
sonants, quod in presenti non°) habet, in preterito accepit,
ac tero trivi quod mutata r littera in u loco consonantis d )
preteritum facit, sic sero sino lino.
10 Sunt alia sex verba dissyllaba e ) duo secund§ coniuga-
tionis et quattuor quartg in quibus simili modo penultima')
preteriti naturaliter producitur, que fuit prima in presenti*)
correpta; h ) qu$ non ex prima persona sed secunda expulsa
s littera atque suscepta vi syllaba 1 ) formatur, ut fleo fles
IB flevi, neo nes nevi, eo is ivi, queo quis quivi, cio cis civi,
scio k ) scis scivi. Sed ista sex verba predicta non corripi-
unt 1 ) e nee i in presentis") regula, nisi quando post e a n )
vocalis sequitur, sicut solet semper fieri e secund$ ac e et i
quart$°) coniugationis, excepto uno verbo fio, in quo i pro-
20 ducitur ante vocalem nisi in optativo presenti atque inper-
fecto, quia in illis locis longa vocalis in duas breves convertitur.
In his verbis predictis quattuor regulis penultima pro-
ducitur. 9 ) Prima regula est: Omnia verba quae preteritum
terrainant (f. 26 b) in vi syllabam penultimam longam ha-
25 bent. q ) Secunda: Cuncta qu$ fiunt dyssillaba r ) in preterito
a presenti trisillabo, similiter penultimam producunt. 1 ) Tertia:
Qug sunt dissillaba') in preterito a dissillabo') in presenti, ex-
ceptis tribus verbis bibo bibi findo fidi u ) scindo scidi, T ) et
l ) Prise. 2, 459, 27.
ti
30 *) ve °i° n * R> D ) Item XXVU R. e ) das erste n von non an-
f&nglich s B. d ) quod in presenti — oonsonantis fehlt R. •) disyl-
laba R. *) p. ultima R. *) presents korr. B. h ) oorrepta fehlt B. ! ) sillaba
R. k ) 8oio fehlt, doch Raum dafUr fret R. l ) ncor piunt R. m ) pre-
senti B. D ) postea R. °) quarte B. p) penultimam longam habent
56 R. «) Prima regula — longam habent fehlt R. r ) di//Billaba (s ra-
diert) B. ■) disillaba R. *) disillabo R. «) findi R. T ) soindi R.
Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllable. 161
lino 1 ) quando apud vetustissimos preteritum habebat*) lini
ut b ) Juvenalis in tertio ) libro:
Nam quis plura Unit victuro dolia musto,*)
atque uno anomalo fero tuli. Nam verbum edo es est,
quod habet preteritum edi, eo quod anomalum est in pre- 5
sentis regula, inter predicta verba non posui. Quarta regula:
Qu$ ante i preteriti consonantem habent, qu$ d ) ante o vel
eo vel io in presenti permanet. Sed sunt alia in his verbis,
in quibus tres pariter regul? penultimam preteriti produount,
atque alia*) in quibus du$ tantura, numquam una per se 10
solam, fieri contingit, sicut numquam quattuor simul eveniunt.
Sunt trina f ) undecies mutantia tempora verba
Bannit$ prim$ presentis preteritique.
Post h$c qu§ locuturus ero de formis octo preteriti,
non mea sed Prisciani quidem sunt, qu$ ad hoc opus per- 15
tinentia breviter excerpens, quantum potero, congregabo, ut
sciatis, quod in quattuor formis in penultira§ preteriti long§ r )
fiunt et in totidem breves, ut non solum priorum tempora
sillabarum verborum non ignoretis, sed ut in preterito penul-
tiraarum breviter intelligatis. b ) 20
Sunt igitur forms generates preteriti perfecti octo, in
vi sillabam, in ii, in ui divisas, in si in xi et in i antece-
dente consonante, que in presenti tempore ante o vel eo vel
io invenitur et qu$ in principio geminat consonantem et
qu$ in fine. 25
Et in vi quidem quattuor coniugationum sunt verba,
que terminant preteritum, ut amo amas amavi, fleo fles flevi,
cupio cupis cupivi, munio munis munivi. (f. 27 a) In vi
terminantium omnis penultima longa est vel natura vel
positione, vel in presenti quoque habent u loco consonantis, 30
ut iuvo iuvi, 1 ) l&vo lavi, mSveo movi, caveo vi, m ) paveo vi,
l ) Prise, 2, 459, 20 f., 23 /., 529, 21 /. 25. ») SaL 9, 58.
») habeat /?. *>) xxtfehlt R. °) III B. d ) preteritum fehlt B. e ) que
/?. f ) alif B. *) tria R. h ) longe 5. ! ) intellegatis, intelligatis korr.
B. k ) in si in xi] in si xi B, in xi /?. x ) iuvo iuvi] sino sivi R; die 35
Quantitdtszeichen Ittsst R s&mtlich weg. m ) von caveo bis voveo setzt
das Perfect unverkiirzt /?.
162 Manitius, Micons Ton St. Riquier de primis syllable.
faveo vi, foveo vi, voveo vi, volvo volvi, solvo solvi. Vel
a 4 ) secunda persona presentis nascuntur abiecta s et assumpta
vi, ut amas vi, oras vi, b ) fles vi, coraples c ) vi, cupis vi, audis
vi. In secunda d ) vero terti§ 6 ) et quart§ coniugationis qug
5 in ivi desinentia intercepta u consonante corripiunt i penul-
timam, ut cupivi cupii, audivi audii. Nam non solum non
potest i vocalis ante u loco consonantis posito in preterito
verborum corripi, verum etiam in quibuscumque locis no-
minura') sive u verborum*) hoc inveni, semper longum repperi,
10 ut Achivus Argivus et multa nomina ex plerisque partici-
piis preteriti passivis dirivata hoc est a genetivis b ) illorum
addita vus sillaba super ipsum. E 1 ) quibus exempli causa
pauca hie nomina scribara, positivus comparativus prelativus
superlativus nominativus genetivus k ) dativus accusativus vo-
15 cativus ablativus indicativus imperativus optativus coniunc-
tivus subiunctivus infinitivus promissivus rivus livor 1 ) livi-
dus conviva vivax vivus vividus dirivo convivor vivo vivi-
fico m ) revivisco, quamvis per sistoles 11 ) speciem ) hoc in
aliqua p ) epistola corripui dicens
20 Quatriduanum qui turaulo q ) reviviscere') fecit
licet sic dici potuisset: Quatriduanum*) qui turaulo re-
viviscere*) fecit. Sic in aliis quoque raris nominibus et verbis
sequentibusianteu pro oonsonante statuto producitur, divinus
recidivus divus diva divigenus 1 ) Gradivus dives civis a )
25 civilis abortivus fugitivus primitivus oliva olivum olivetum
clivum clivosus proclivum divido obliviscor. Sed in tribus
tantura nominibus simplicibus et in paucis compositis semper
(f. 27 b) corripitur, idest nix nivis niveus nivalis') semi vivus
semivir semivooalis semivia bivium*) trivium trivia.
30 4 ) Cassiodori Orthogr. 6 bei Keil G. L. 7, 183, 11.
1
*) Verba B. b ) amavi . . oravi /?. c ) oompes B (m), d ) 11 B.
u
•) teroij R, nominum fehlt R. *) sineuborum R. h ) genitivis
B. ') E B. k ) genitivus B. l ) liuuor /?. m ) vivisco B. n ) sistolen
B R. °) spetiem R. p) in aliqua in B. <i) timulo R. p ) revivescere
35 B. ») quatridanum B. *) tumulo revivisoere] tumulor R. u ) civee
u
B* T ) nimalis R (m). x ) invium R.
Manitius, Mi cons von St. Riquier de primis syilabis. 163
Ad fructum incomparabilem acutissimi*) ingenii b ) Pris-
ciani redearaus. In ui divisas ) omnium coniugationum verba
inveniuntur terminantia, prira$ ut tono tonas tonui, seco
secas secui, secund§ ut teneo tenes tenui, d ) habeo habes
habui, ) terti$ annuo*) annuis annui, pono ponis*) posui, alo 5
alis alui, b ) quarts aperio aperis aperui, prosilio prosilis prosilui.
Et adtendendum, 1 ) quod penultirag vel antepenultimg pre-
sents tempora servant in huiuscemodi preterito, sive pares
habeant k ) syllabas sive habundent, 1 ) ut domo domui, veto vetui,
pareo parui, candeo, candui, habeo, habui, tremo treraui, m ) 10
nolo nolui, apario aperui, excepto uno pono posui, quod
cum in presenti producit penultimam po, in preterito ean-
dem D ) antepenultimam factam corripuit. ) Omnis autem
penultima supradictg forms, hoc est in vi divisas desinentia
corripitur. 16
In si secundg terti$ et quarte. Secund$ ut ardeo arsi,
rideo risi, suadeo suasi, tertiae ut ludo lusi, cedo cessi, uro
ussi, scalpo scalpsi, p ) quartg ut raucio q ) rausi, 1 ) haurio hausi,
farcio") farsi. In si terminantium preteritum perfectum pen-
ultim§ vel natura vel positione producuntur; natura ut rideo 20
risi ludo lusi raucio*) rausi haurio 11 ) hausi, positione vel ge-
minata s ut gero gessi, cedo cessi, premo pressi, T ) uro ussi,
percutio percussi, x ) vel l y ) n r p ante si positis*) ut algeo alsi,
maneo mansi, ardeo arsi, repo repsi, scalpo scalpsi.*)
In xi terminantia preteritum perfectum secundg tertig 25
et quarts coniugationis inveniuntur et tunc (/. 28a) tantum
natura producunt penultimam, quando fit e, ut rego rexi,
tego texi, illicio illexi, in aliis enim positione longg sunt
tantum, ut traho b ) traxi, duco duxi, vincio vinxi, sancio c )
*) acoutissimi B. b ) ingeninii B. c ) divisa zu schreibenf d ) te- 30
neo nes nui B. e ) bui B. *) annuo doppelt B. *) ponas R. h ) alius
B. *) atendendum B* k ) habeunt fcorr. R (m). ') abundent B,
m i
habundant /?. m ) trenui R (fn). n ) eundem korr. R(m). °) corripuut
R (m). p) tertiae — scalpsi fehlt R. <») rauctio B. T ) rauci /?. •) far-
tio B. *) rautio B. u ) haurio fiigt m hinzu R. T ) ssi B. x ) cussi 36
h
B. y) 1 fehlt R. z ) antepositis R. *) sclapo sclapsi fcorr. /?. b ) trabo
B. °) vintio . . santio B.
164 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis eyllabis.
sanxi. Quod ostenditur esse correptum ex nomine quod
ab eo*) dirivatur ut dux ducis, sicut rexi produci approbatur b )
ex nomine quod ab eo nascitur rex regis. Qugritur ) igitur,
an luceo luxi debeat natura producta accipi, cum lux pro-
6 ducatur, in quo etiam illud qu$ritur d ) nomen a verbo an
magis verbum a nomine natum sit, quod verius esse mihi
videtur, quomodo ab igne igneo ignesco et a flamma flamrao.
I habent post consonantem ante o vel eo vel io presentis
temporis. Et in prima iuvo iuvi, 6 ) lavo lavi, et in secunda
10 prandeo prandi, sedeo sedi f video vidi,*) foveo fovi, g ) et in
tertia ut bibo bibi, lego legi, b ) defendo di, fugio gi, fodio
di, et in quarta 1 ) ut reperio repperi, comperio peri. k ) Qug
presentis temporis consonantes servantia ante o vel eo vel
io positas easdem ante i habent finalem in preterito penul-
16 timas vel natura vel positione longas, sive sint in presenti
correptg sive productg, ut iuvo iuvi 1 ) lavo lavi, video vidi,
sedeo sedi, m ) faveo favi, lego legi, defendo defendi, fodio
fodi, fugio gi, venio ni. Excipiuntur qug penultimam in
presenti i habent correptam eamque servant in preterito
20 quoque penultimam. Ea enim producitur in preterito per
hanc formara, etiamsi in presenti positione sit longa, ut bibo
bibi, findo fidi,") scindo scidi. Et sciendum ) quod in his
quoque in eo vel in io desinentia verba una syllaba minu-
untur in preterito ut sedeo sedi, video vidi, foveo fovi, moveo
25 movi, paveo pavi, p ) prandeo prandi, veneo veni, q ) reperio')
repperi. Quod notandum est quod antepenultimam (/. 28 b)
non penultimam produxit positione.
Alia vero") pares habent syllabas cum presenti ut iuvo
iuvi,') lego gi, frango gi, defendo di, ago egi. u ) Repetunt
30 consonantes primg T ) quidem coniugationis duo monosyllaba
*) abeo By habeo R, b ) abprobatur B+ •) Queritur /?. d ) que-
ritur R. •) vivo vivi R. *) di B. ») vi B. *) gi B. l ) defendo —
quarta fehlt /?. k ) ri B. l ) vivo vivi /?. m ) video di sedeo di B.
n ) findi R, °) siendu /?. p) die Perfecta von sedeo bis paveo gibt
36 B nur mil di und vi, ausserdem foveo di. «) vineo (korr.), veni
e
R, venio ni B. T ) repperio B. •) veo /?. *) vivo vivi /?. °) gi B (m).
T ) prime /?.
Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllabis. 165
do dedi, sto steti et ex his coraposita reddo reddidit resto
restiti, habent autera penultimas breves. Secund§ vero in
principio repetunt qugdam et habent penultimas positione
longas sicut in principio antepenultimas ut tondeo totondi,*)
raordeo momordi, spondeo spopondi, pendeo pependo. Terti§ 6
autem quedam in principio repetunt, qu$dam in line. In
principio repetentia, b ) si in presenti penultimam brevem ha-
buerint, in preterito quoque corripiunt earn, utcado cecidi,
cano cecini, pario peperi. Si longa sit in presenti penultima
naturaliter, in preterito quoque producitur ut c§do cecidi,*) 10
pedo pep6di. d ) Sin in presenti positione sit penultima longa,
est quando 6 ) servatur in preterito, est quando abiecta con-
sonante corripitur; servatur in his: posco poposci, parco
peperci, fallo fefelli, tendo tetendi, pendo pependi, curro
cucurri, abiecta consonante corripitur in his: disco didici, 16
tango tetigi, pello pepuli, pango pepigi, tundo tutudi, pungo
pupugi. f ) In hac enim coniugatione id est tertia etiam in
fine fit repetitio eiusdem syllab§ ubique penultima correpta,
vendo vendidi,*) credo credidi, reddo reddidi. Et sciendum
quod una syllaba habundat h ) preteritura, in quo fit repe- 20
titio principalis vel finalis tarn in prima quam in tertia
coniugatione, nisi si i sit ante o, ut do dedi, sto steti, resto
restiti, curro cucurri, parco 1 ) peperci, cano cecini, ce,do ce-
cfdi. k ) Pario vero, quia i (f. 29 a) habuit ante o, 1 ) pares")
habuit syllabas tam in presenti quam in preterito perfecto, 26
ut pario peperi. Hec octo formarum preteriti de penultimis
de nono libro Prisciani n ) excerpsi.
Et adtendendum ) quod, sicut viginti unumque verba
sunt, qug in preterito antecrescunt, id est quattuor in secunda
coniugatione ac decern et VII P ) in tertia, ita verba, que 30
•) tondi B. b ) repeitentiu /?. °) cano cecini — oecidi (so!)
n
fUgt m hinzu /?. d ) pepedi /?. e ) quado B (m). f ) tutundi . . . pu-
pungi B. *) didi B, und so bet credo und reddo. h ) abundanter
■
e
B. ') parto /?. k ) cedo cicidi /?. l ) anteo eo /?. m ) pare R (m).
a ) prisciano B. °) attendendum B, p) septem /?. 86
166 Manitius, Mioons von St. Riquier de prim is eyllabia.
presentis finalem syllabam in preterito duplicant, consistunt
hgc: credo credidi,*) vendo vendidi, perdo b ) perdidi, trado
tradidi, addo addidi, abdo abdidi, edo edidi, dedo dedidi,
prodo prodidi, indo indidi, subdo subdidi, reddo reddidi, condo
6 condidi, abscondo abscondidi, disperdo disperdidi, ) contrado
didi, comprodo didi. Et in prima quidem coniugatione do
dedi, circumdo dedi, pessumdo dedi, sto steti, asto astiti,
circumsto circumsteti, d ) obsto obstiti, persto*) perstiti, f ) desto
destiti, exto extiti, presto prestiti, insto institi, disto distiti,
10 resto stiti consto stiti.*) Composita l ) tamen non duplicant
penultimara syllabam, ut perpendo perpendi, extendo ex-
tendi, 11 ) pertundo pertudi, 1 ) incido incidi, concido concidi, k )
exceptis a do et a sto compositis et a disco et 1 ) posco, ut
prodo prodidi,™) resto titi, dedisco dedidici,") deposco depo-
15 posci. ) A curro composita utroque modo prolata inveniuntur
ab auctoribus, ut decurro decurri et decucurri. p ) Et quemad-
modura ilia, que primam syllabam q ) presentis in preterito
geminant primam in presenti exceptis') tribus cado cecidi*)
cano cecini, pario peperi, aut natura aut positione producunt
20 sic verba, que finalem presentis syllabam in preterito du-
plicant, primam syllabam*) in presenti") et in preterito seu
natura seu positione longam faciunt/) Et quoniam ilia, qug
primam presentis syllabam in preterito geminant, penulti-
mam preteriti, si positio non fuerit in ipsa, (f. 29b) ex-
25 ceptis cgdo cecidi, pedo pepedi, x ) brevem faciunt. 1 ) Ita
x ) Composita — deouourri aus Prise, 2, 518, 23 — 519, 2,
*) Die Formen der Perfecta mit Ausnahme von edo und dedo
nur mit didi geschrieben B. b ) perdo doppelt R. c ) condo — dis-
perdidi fehlt B. d ) oircumstiti B. •) perto B. f ) die Perfektformen
30 nur mit stiti geschrieben mit Ausnahme von disto B. *) disto t
resto ti consto ti R. h ) perpendo di extendo di B. l ) pertundi R.
sco didi
k ) concido di B. ») et fehlt /?. m ) didi B. n ) dedesci R (m).
°) deposci B. ?) decucurri et decurri /?. <0 sillabam /?. r ) es folgt
in B unrichtig Condo didi Abscondo didi disperdo didi, das R oben
ci
36 richtig setzt. ■) oedi R. *) sillabam . . . sillabam R. u ) presentis, s
pe
radiert R. T ) fatiunt R. x ) pedi /?. *) fatiunt R.
Manitius, Micons yon St. Riquier de prim is syllable. 167
universa, que duplicant ultimam, corripiunt penultimam.
Nequaquern Latina verba corripiunt in preterito longam
syllabam presentis, nisi ista quattuor, qu§ Servius Hono-
ratus sapienter ostendit, 1 ) ex quibus sunt duo a ) prirog con-
iugationis ac totidera tertig do dedi, sto steti, b ) cogo coegi, 5
pono posui. )
De defectivis inpersonalibus addo, d )
Bannitas breviter primas qu§ semper habebunt
Preter prima duo, longas qu§ nempe tenebunt.*)
Inpersonalia non inveni defectiva nisi tantum decern 10
hgc verba: poenitet tgdet*) libet decet licet liquet miseret
oportet piget pudet. Duo prima*) longam syllabum primam
habent, alia succedentia brevem.
Nunc breviter loquimur de verbis quinque h ) gerendi
Casibus a paribus causis distantibus octo 16
None, ac dimidi§ qu§ sit contraria verbis.
De differentiis inter gerendi modum et participia, qui-
bus similis esse videtur. Gerendi verba in aliis sententiis
activa fiunt et in aliis passiva. Sed participia passiva tan-
tum in verbis gerendis omnia tempora habent. 1 ) In parti- 20
cipio uno preteritum, in altero futurum perseverat. In
gerendi modo uterque numerus invenitur, quando in ver-
borura sensu ponuntur, in casibus participiorum similibus
numerus solummodo singularis, nisi in nominativo et vo-
cativo plurali futuri participii passivi, qui primo gerendi 25
verbo similes sunt. Gerendi modus ex cunctis verborum
generibus venit, participia preterita a tribus generibus ver-
borum (f. 30a) et futura ex duobus nascuntur. Gerendi
modus k ) quando in significatione nominis ponitur, neutrura
genus habet, quando participia fiunt, masculino genere pro- 30
feruntur. Quando fit gerendi modus 1 ) in nominis intellectu
fixus, m ) quando casus participiorum tria genera dividunt.
>) Serv. de finalibus bei Keil G. L. 4, 451, 4 /.
*) due. R. b ) ti B. c ) pono posui /?. d ) adde R. •) Peter —
tenebunt fehlt /?. ') tedet R. *) primam /?. h ) quique R. ') ha- 35
bentur B. k ) modus fehlt /?. *) modis /?. m ) fixum BR.
168 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllabis.
Cum de gerendi*) raodo noraina efficiuntur, b ) incorporalium
rerum consistunt; dum casus participiorura sunt, iunguntur
nominibus, interdum incorporalium rerum, aliquando corpo-
ralium collocantur. Gerendi novissimum nomen in u semper
6 terminatur, participii ablativus in o tantumrnodo. Et no-
tandum quod in u terminates ablativus numquam fore )
verbum evenit ac sine positione semper manet.
Est hie aliqua ratio, in qua d ) gerundia nomina non solum
paribus casibus participiorum congruunt, verum etiam, sicut
10 in tertio versu pr§ scripto huius caus§ monui, eius modi verbis
in uno consentiunt, in altero nequaquam conveniunt, id est
eadem nomina et verba numerum squaliter*) singularem
possident, sed verba pluralem sola retinent, quern nomina
istius modi suscipere non valent. Multiformis ipsius modi
16 natura similiter comparari potest Virgilianis fabulis in quarto
Georgicon de transfigurationibus Prothei ac de variis na-
turis*) Cenei per diversa fictg*) tempora in sexto Aeneidos. h )
Sed in eo quod regulas gerendi modi breviter, quantum
potui, pariter congregavi, de inceps aliqua de his, qu§ contra
20 regulaui in eo perseverant, hie simul subsequenter adiungam.
Non ex me h§c ratio sed ex Prisciano.
Hoc est omnia verba qu$ (f. 30 b) preteritum in ui
syllaba finiunt, penultimam vel antepenultimara futuri
infinitivi duorumque verborum novissimorum gerendi ac
25 participii preteriti passivi et omnium, quae 1 ) ab illis nas-
cuntur, ac futuri participii activi producunt, exceptis sex
verbis id est uno secund$ coniugationis ac tribus terti$
duobusque quart§ k ) hoc est cieo civi citum citu, lino levi 1 )
litum litu, sino sivi situm situ, sero sevi satum satu, eo
30 ivi itum itu, queo quivi quitum quttu 1 ), et qug componantur
ab eis. Et cuncta verba, qu§ habent a litteram m ) m predicitis
locis, illam semper longam possident prater*) quattuor satum
l ) Prise. 2, 530, 14 f.
*) gerendo B. b ) effltiuntur R. °) fere R. d ) qua ratio /?. e ) equa-
36 liter R. ') figuris R. *) fiotetf. *) 5 neidos B. «) *qu$ R. k ) quat*
B. l ) livi korr. R (m). ») littera /?. n ) preter R.
Man it i us, Micons von St. Riquier de prim is syllable, 169
ratum statum datum. Inchoans ab infinitivo futuro usque ad
activum eiusdem teraporis participium h$c, qu$ pretitulatus
sura, craxabo.
Statum iri a ) statum statu status stator stabulum stabulo
stabulas b ) stabulus ) stabilio statuor, d ) sed in uno nomine 6
et uno e ) participio ex hoc verbo solo dirivatis stamen atque
staturus f ) a producunt, 1 ) ac sic*) fieri puto futuri infinitivi
differentiam staturum b ) esse. Ita ratum satumque 1 ) a futuro
infinitivi usque ad activum participium in cunctis a
corripiunt. Quoniam verbum do das in universa declinatione 10
activa passivaque contra naturara k ) omnium prim$ con-
iugationis verborum da semper brevem ante finem habet,
ut damus datis daris datur damini dabamini, sic ubique
usque ad participium daturus.*) Jam tantum secunda
singularis persona presentis indicativi et imperativi, 1 ) quia 16
raonosyllab§ m ) sunt, producuntur. Sed quod siluit Priscianus,
hie 11 ) ostendi convenit. Id est ubi de syllaba ) pro da in
declinatione istius verbi est, utrum brevis est necne, (f, 31 a)
ut in prima persona plurali imperativi ac futuro optativi
presentique coniunctivi, ut demus detis detur; unum pro 20
multis dabimus exemplum. Virgilius in III Eneidos:
Incerti quo fata ferant, ubi sistere detur 3 ).
Ita in ceteris de ante finem producitur.
Hie partes pariter cernens ut quinque secuntur.
De primis quinque partium orationis syllabis p ) id est 26
participiorum pronominum prepositionum adverbiorum con-
iunctionumque breviter nuntiabo. Sed de participiis aliter
non est necesse narrari, nisi quod tempora syllabarum q )
verborum, a quibus dirivantur, observant, ut amo amavi a
mans araandus amatus amaturus correpte, et placo placavi 30
placans placandus placatus placaturus producte, ac video
*) Prise, 2, 124, 16—125, 2. ») Prise. 2, 471, IS— 17. •) Aen. 3, 7.
•) ire B R. b ) etabula /?. c ) stabulis B. d ) statim /?. e ) ono
R(m). f ) statura R. *) asic R. h ) flaturum R. l ) statumque R. k ) na-
tura B. l ) inpti B, inpteriti R. m ) monosillabs R. °) his korr. /?. 36
** ) sillaba R. p) sillabis /?. *) sillabarum R.
MUoohener Museum f. Philolugie dee MA. I. 2. 12
170 Manitius, Mioons von St. Riquier de primis syllabie.
videns videndus breviter, vidi visus visurus longe, atque
pono ponens ponendus producte, posui positus positurus
correpte*). Sic in aliis hgc regula b ) perseverans custoditur
praeter novera verba, qug praedixi, c ) quorum primum posui
5 cieo civi citum citu et novissimum sto stas statum d ) statu*).
De XV pronominibus, quae tantum, ut Priscianus mani-
feste ostendit 1 ), vere pronomina sunt, unum compositum 1 )
pronomen id est idem*), quando tantum masculinum fit,
primam syllabam h ) naturaliter longam habet. Ac de aliis
10 nominibus, qug 1 ) multi errantes pronomina fore putabant,
quinque primam syllabam k ) longam habere videntur, hoc
est unus solus totus qualis talis.
De accusativi prepositionibus du$ primam, quae natura-
liter longam possident, ac tertia diptongon, citra pone
IB prgter 1 ) unaque ablativi coram. De sex prepositionibus
loque(/. J/^)laribus m ) in hoc loco 11 ) congruenter dicendum
est. Dis et am semper consonantes ) precedunt, ut disiectus p )
arabio; di 8 ), sicut predixi, longa est nisi in verbo dirimo
et inparticipio disertus, q ) veluti de prepositioablativa semper
20 producta permanet, nisi in uno verbo ac tribus adverbiis,
dehisco') dehinc deinde deorsum. Re brevis est, nisi in
uno tantum') verbo refert,') dum distat significat; non solum
enim in aliis verbis sed in reicio u ) verbo, ut T ) Priscianus
veraciter docet, semper correpta est, x ) dicens in primo
25 Ubro de potestatibus i litterg. 3 ) Pro simplici quoque in
media dictione invenitur, sed in compositis, ut iniuria
adiungo reiectus reice, T ) ut Virgilius in bucolico*)
Tytire*) pascentis a flumine reice capellas 4 )
*) Prise. 2, 577, 6— 13. *) Prise. 3, 56, 24 f. «) Prise. 2, 14, 14 ff. «) Eel. 3, 96.
80 *) corrept$ B. b ) regala R (m). c ) predixi R. d ) stans stan-
sta _
turn R. e ) stu R (m). *) cSpositu zu opositQ korr. R. *) *ridem
fiigt m hinzu R. h ) sillabam R. *) que R. k ) sillabam R. *) preter
R. m ) loquelaribus. r in Rasur. a ) in hoo loco fiigt m hinzu R. °) con-
t
sonantes/?, consonante/?. P)urdisiectus R(m). ^Jdissertusi?. r ) deisco
86 R. •) tatum B. *) refert fehlt B. tt ) reiitio B. v j et R. x ) correp-
tain esse R. *) riece korr. R (m). z ) booolico B. •) titire B.
Manitiui, Mioons von St. Riquier de prim is syllabi's. 171
proceleumaticum posuit pro dactilo. In qua Prisciani
sententia non solum i inter consonantem et vocalem*) sed
intra duas vocales in composita dictione pro simplici conso-
nante b ) reperitur. Ita in tertio Georgicon id ipsum invenitur
Reice ne maculis infuscet vellera pullis. 1 ) 5
Tribrachin c ) statuit, sicut in aliis locis in Virgilio inusitatos
pedes d ) in heroico e ) versu videmus. In hoc solo verbo in
omni tantummodo regula presentis i loco consonantis ante
i vocalem apud f ) Latinos reperitur.') Ideo ad et ob, in et
sub et ab et con ante eum semper in metro positione 10
product^ inveniuntur.
Quoniara quando cum verbis icio sive ico predict^
prepositiones componuntur, semper naturaliter, quantocunque
syllabarum h ) numero 1 ) fuerint, correptg k ) fiunt, sicut ante
alia verba, que vocalibus simplicia incipiunt. Sed h$c ! ) tria 16
verba similia (f. 32a) grammatici, 111 ) qui ante Priscianum
fuere, unum fieri verbum putabant. Se prepositio in
aliquibus compositionibus paucis correpta, in aliis producta
fit; in his 11 ) brevis manet: separ separo seorsum; in istis
sequentibus longa: securus selectus seduco secedo secludo ) 20
secerno sepono semoveo. De ipsis, quae succedunt, ambigo,
quoniam adhuc non recordor repperisse me p ) in raetris:')
secubo seiungo segrego. q )
Con, quando consonans sequitur, integra manet, ut
conduco concede, nisi in duobus verbis id est comeo, in 26
quo corripitur, et cogo, in quo in omni regula presentis
producitur. Sed cum vocalis vel aspiratio illam succedit,
abstracta n littera') semper naturaliter correpta perseverat,
ut coarto coerceo coarguo*) coeo cohereo cohibeo, excepto
l ) Georg. 3, 389. s ) Also hatte Micon den Tibull, Catull und 30
Properz, sowie Nemesians Cynegetica und Claudian nicht gelesen.
*) et vocalem fehlt B. b ) osonte R. °) Tirbarohin korr. R (m).
d ) inusitatos pedes] inusitatee R. e ) eroico /?. *) ante B. *) rep-
peritur /?. h ) sillabarum R. ^numerO korr. B. k ) oorrepte /?. ! ) 5c,
h$c R (m). m ) gramatici B. ») aliis /?. °) seculdo R. p) repperis- 36
sime korr. R. (m). *) sevirgo korr. R (m). r ) betera korr. R (m).
r
* ) ooaguo R (m).
12*
172 Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllable.
uno verbo comedo, in quo non expellitur n, sed in m*) transit
et corripitur. Et sciendum ut Priscianus in quarto decimo
libro dicit, 1 ) quod con et in tunc mutant n in m b ), quando
b sequitur vel m vel p; tunc vero convertunt earn inse-
5 quentes consonantes, quando 1° vel r sequitur, ut combibo
Comburo commoveo commuto comparo compello imbibo d )
imbuo e ) immineo') immitto*) irapleo impello colligo corripio
illido irruo, quamvis raro h ) 1 et r sequentibus soleant hoc
sequentibus 1 ) servare. Sed tamen idem Priscianus in primo
10 libro prgmonuit ra k ) in n 1 ) mutari ut conburo conbustus.*)
Idem in predicto libro Xllll: Sciendum 3 ) quod omnes mono-
syllabg m ) prepositiones tarn accusativo quam ablativo
(f. 32 b) casui servientes et componi et separari possunt
excepto cum, n ) pro qua con in compositione ) semper in-
15 venitur preposita eandem significationem habens quam cum
prepositio, ut concurro conficio. p ) Nee scriptura tamen
raultum discrepat, antiqui enim pro cum com scribebant,
et sepe tamen m in n sicut et n in m converti solet, ut
communis* 1 ) imperator eundem tantundem. Ex quo ostenditur,
20 quod quanquam ration abiliter per n dicitur conburo con-
bustus/) tamen non debet reprehendi, si per m') dicatur
comburo combustus,*) quoniam utrumque in usu invenimus
et utrumque, sicut ostendi, docet Priscianus.
Adverbia dirivata in temporibus prim$ syllabg ) illis
25 orationis*) partibus conveniunt, a quibus oriuntur, ut nequam
nequiter, unus uniter*) product^, atque novus noviter, alius
alitor correpte. Rariora sunt primitiva, ex quibus h§c
pauca sequentia primam syllabam 7 ) longam naturaliter
l ) Prise. 3, 50, 26—51, 2. •) 2, 29, 15 f. 22. •) Prise. 3, 39, 11—17.
30 ») in R. b ) in korr. R (m). •) vel R. d ) inbibo. e ) inbuo R,
imbubo B. immoneo R. «) in m it to R. h ) raro fehlt R. l ) sori-
ro
bentes hat Priscian bei Keil G. L. 3, 51, 2. k ) m fehlt R. l ) in n
R (m). m ) monosilIab$ /?. n ) curi R. °) in e fiigt m hinzu R, cotn-
paratione B. p) confitio R. *) co manis R (m). r ) comburo com-
35 bustua B. •) n B. ') conburo oonbustus B. u ) sillab; R, T ) oratio-
er
tubus R, x ) unitor R (m). *) sillabam R.
Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllabis. 173
habent, paene*) scilicet ilico protenus protinus sgpeH) nuper
dudura pridem olim demum c ) nequiquam d ) gratis. Namque
mecura tecum secum nobiscura vobiscum non sunt adverbia
sed manifestissime, 6 ) ut Priscianus in duodecimo') libro 1 )
et in aliis docet,*) ablativi pronominum cum prepositione 5
per appositionem postposita.
Coniunctiones octo primam syllabam h ) natura longam
habent, sed exillis tres dyptongon 1 ) retinent: vero k )quinetiam
sive quare 1 ) scilicet autem pr$sertim preterea. Hgc ad
primam syllabam (f. 33 a) naturaliter longam in sexorationis 10
partibus cognoscendam m ) posse iuvare pueros estimo.
In quibus en poterit communis syllaba D ) dicam,
Seu nusquam quibit cernens decernere ) iura.
Nomina atque verba congregatim sequuntur, in quibus
vocalis naturaliter brevis ante mutam etliquidamcommunem 16
sillabam facit: altithronus At re us amphibrachis epitritus
Atrides Atreis agri agrestis agricola p ) acris alacris de nomine
arboris apri apricus q ) baratrum Cyclops cypressus') calcitro')
Calabri Calabria Celebris celebro colubri*) cerebrum capri
capra capricornus Capreus caprea capreolus capreola duplus 20
duplex Erithrea ebrius Btrusci faretra feretrum flagrum
flagro inlecebra libri labrum latebrum ) latebra latebrosus
lacrima lucrum lucror latro T ) latronis latrocinor latro latras
metrum muliebris nigri nigresco ocrea patria peragro patris
patruus patruetis petra Petrus proprius obprobrium probrum 25
quadrus quadro quadrifidus quadruvium quadrupes qua-
driiugf 1 ) quadrigg 7 ) quadruplus quadruplex retrogradus —
in his tribus nominibus in duabus syllabis primis communis
*) Prise. 2, 594, 15 ff.
e e
*) pane R (m), p$ne B. b ) s$p R (m). «) demura donee B. d ) ne- 30
mo cet
quidquam B. •) manife8tis8im$ B. duodeol R (m). *) donet R
(m). h ) sillabam /?. ») diptongon /?. k ) enimvero /?. l ) quarte
R. m ) cognoscenda B. n ) sillaba R. °) decernore R. p) agrigola
R. <*) aperi aperious R. r ) cipressus R *) caloitro B. *) celubri
B. °) latebrum fehlt B. T ) latro fehlt B. *) quadruiuge R. *) quadrige /?. 35
174 Manitius, Mioons von St* Riquier de primis syllabis.
est syllaba — architriclinus — in duabus mediis — re-
frigerium refrigero*) refragor refreno reflecto refleo rorifluo
— numquam tamen in metro exemplum repperi, in quo
brevis naturaliter vocalis ante f et liquidam produceretur —
5 recreo repleo retraho retracto recludo rubri (f. 33 b) retro
retrorsum sacri sacrilegus sacrilegium sacrarium supra
supremus tenebre tenebrum tenebro tonitru triplus triplex
triquadrus Trinacria tribrachis Taprobane triclinium veuti-
labrum utrique volucris vitrum b ) Cidnus lichnus, c ) cuius
10 integritas est lichinus, nam n apud Latinos in Grecis tan-
turn nominibus raro liquescit. Ovidius in decimo metamor-
foseon : Piscosamque c. g. q. a. m. 1 )
Qug d ) non communis vocalis longa sequetur.
Ista qug succedunt, nequaquam communem syllabam
15 faciunt*) sed vocalem ante mutam*) et liquidam semper
longam habent nisi tantum si per sistolen corripi contigerit :
Athlas Afri Africa Africus Africanus amphimacrus Agrippa r )
acris acri h ) atrium aratrum 1 ) Cycrops Cycropides Cycropeus
cedrus chelidrus crebri crebro crebresco delubrum egregius
20 fratris fratruelis k ) fabri fabrilis 1 ) Pabricius fabrico flab rum
febris febricito gubernaclum m ) Hebreus Hebreicus Hadria
Hadriaticu8 n ) et in metro Adriacus Hydra Hydros hydria )
lavacrum lepra leprosus lubricus ludibrium ludicrum libra
bilibris trilibris quadrilibris — qu$ in epistola censuum per
25 sistolen necessitate corripui, sed quadrilibris primam syllabam
communem habet et penultimam natura longam — matris
mucro mediocris Octobris Oenotri poples putris putredo putresco
publico piaclum salubris simulacrum 1 *) s§clum Socrates (/.34 a)
theatrum tigris Tibris q ) tetri vepres r ) vipro volutabrum.')
30 Vocalem longam dixi, dubiatn ecce profabor.
De his paucis, qu§ secuntur, ignoro, quoniam aliqua
») Met. 10, 531.
*) refrigerio R. b ) utrum /?. «) lihnus /?. d ) Que R. *) silla-
bam fatiunt R. mutant /?. *) aggrippa /?. h ) aori sacri /?. :1 ) ara-
35 trum fehlt R. k ) fratruelie fehlt B. l ) frabri frabrilis R. m ) guber-
naoulum /?. °) hidria hidriaticus B. °) hidra hidros hidria B. p) si-
mulachrum R. <i) tybria R. *) veples korr. R. *) voluptabrum R.
Manitius, Micons von St. Riquier de primis syllabis. 175
ex ipsis rarissime in metris inveni, alia in illis numquam
inveni: Acron acredula*) Codrus cicatrix Cyprus cribrum b )
cribro debris Brithreus ) fibri fibra glabra glabrio d ) idolatria
Locri Libethrides lugubris migro e ) mitra f ) nitrum nebris
onagri probl^ma sucro stuprum stupro veretrum. 5
S modulis senis pelli cognosce poetis.
Ante alteram consonantem s littera posita communem
sillabam ante se sex modis fieri prebet,*) qug h ) in metris,
ut Donatus ait, 1 ) pleruraque vim consonantis amittit, sed
frequentius non amittit. 10
Primus modus est, cum sit s ante unam consonantem
in eadem sillaba in principio partis orationis precedente
vocali brevi 1 ) in fine alterius; Virgilius in XI
Ponite spes sibi quisque, sed hgc k ) quam angusta videtis.*)
Hie amittit s vim consonantis, ultimam sillabam precedents 15
dactili brevem naturaliter esse perraittit. Similiter Lucanus
in X libro
Terga sedent crebro 1 ) macula distincta smaragdo.
In hoc versu mediam dactili sillabam correptam fore
concessit. Sedulius rethor atque poeta in secundo libello™) 20
hoc est in primo evangelii
Adveniat regnum iam iamque scilicet illud. n )
Hie s et c, qu§°) coniunctionem p ) positione productam
faciunt. Sed rarissime in isto modo brevis vocalis longa
efficitur, sed fere semper brevis in metris permanet. 25
Secundus modus ante s (f. 34 b) communus sillabg
dum prima pars orationis in vocali similiter correpta finitur
atque succedens pars ab s et muta liquidaque inchoat, ut
Oratius teste Prisciano 8 ) in libro sermonura primo
Linquimus insani ridentes pr$mia q ) scribe,. 4 ) 30
') BeiKeilG. L. 4, 368, 2 {. *) Aen. II, 309. *) Bell. civ. 10, 121.
4 ) Sedul. Pa sch. carm. 2, 249. 6 ) Prise. 2, 52, 12 ff. 6 ) Sat. I, 5, 35.
r r
») acredula R. b )cyprumtf. c ) eritheus /?. d )glabria/?. e )migro]
ibro R. Onietra R. *)pbet/?. h ) que R. *) brevi] libri R. k ) hec 35
R. l ) sedent orebro sedent R. m ) libelo R (m). n ) illut R. °) qu$
fehlt R. p) coniunctionomque R. <*) premia R.
176 ManitiuB, Mioons von St Riquier de prim is syllabis.
Sed vocalem in raetris brevem ante tres consonantes
nequaquam repperi nisi in*) isto tantum versu
b )
Tertius modus est, ) quando s ante consonantem in
5 media parte orationis excluditur, ut Virgilius in II Georgicon
Inseritur vero d ) ex fetu nucis arbutus horrida. 1 )
Idem in Ilia egloga 6 ) in bucolicon r )
Dulce*) satis humor depulsus arbutus hedis.*)
In his s de metro expellitur. In sequentibus versibus
10 vim consonantis habet. Idem in eadem egloga
Turn credo cum me arbustum h ) u. m.
Idem in quarta egloga 5 )
Non omnis arbusta iuvant h. q. m. 1 )
Quartus modus, dum pars orationis in s littera ter-
16 minatur vocali brevi precedente et incipit altera pars a
consonante, ut Lucretius 4 )
Nam fuerant iuvenes subito ex infantibus parvis k )
atque Lucilius
Turn lateralis dolor certissimus nuntius mortis. 5 )
20 Quintus modus, cum pars orationis in s consuraitur
antecedens longa vocalis et inchoat alia pars, tunc apud
veteres raro expellebatur cum praeeunte vocali, sicut Maro 1 )
Virgilius in sexto Eneidos m )
Sic 6 ) deraum lucos 11 ) Stygios )
25 (hie liquescit s) p ) et regna invia vivis.
Idem in duodecimo* 1 )
Inter se coisse viros et r ) decernere ferro. 7 )
*) Georg 2, 302. ») Eel. 3, 82. ») Eel. 3, 10. «) Eel. 4, 2. ») Maxi-
mus Victorinus bei Keil G. L. 6, 216, 11. 217, L «) Lucret. /, 186.
30 Lucil. Sat. 1314 (Marx). 8 ) Aen. 6, 154. ») Aen. 12, 709.
*) in] pi R. b ) Raumfiir den Vers gelassen in R, nicht in B. °) est
o
fehlt R. d ) vere B. e ) eglogla B. ') booolioon R. *) arbutus hedis
fUgt m hinzu R. h ) arb;tu R. l ) h. m. q. m. B. k ) partus R. l ) Maro]
*m* R. m ) eneidos R. n ) locos R. °) stigios B. p) hie liquesoit s
35 fehlt R. <*) XII B. r ) et fehlt R.
Manitius, Mioons von St. Riquier de prim is syllabis. 177
Sextus modus est dum s de metro tollitur ante ne
disiunctivam coniunctionem sub apostropho, ut viden satin
vin (/. 35a) pro videsne satisne visne. In quo etiam modo
vocalis quanquam longa naturaliter fuerit, brevis efficitur,
ut 4 ) Virgilius in VI 1 ) 5
Educet viden ut gemine stant vertice cristg. b )
Ideo exempla in secundo et quarto atque quinto sex-
toque modo non ostendi, ubi s in metro vim consonantis
habet, quia pgne ) semper ubique earn sic possidet. Cum
dubitent alii quando perit s in metro, utrum scribi debet 10
necne, d ) mihi videtur, si Latina perfecta fuerit postquam
aufertur*) mutans intellectum, ut : Ponite spes, sive casum,
ut: Turn') laterali dolor, melius est ut scribatur, ne imperito
errorem praebeat.*) Sed postquam subtrahitur h ) ibi, non
Latina consueta 1 ) remanet, ut infantibu k ) certissimu nuntiu 15
doctoribu partibu potest non scribi, quoniam nulli dubie-
tatem 1 ) prgstat." 1 )
Hunc, pueri parvi, nostrum craxate libellum,
Imbuat ) et mentes discentes iura metrorum.
Octingenti anni viginti et quinque leguntur 20
Conceptu ) domini caeli telluris abyssi. p )
Hunc q ) ego codiculum causa iuvenum peraravi
Denegat ut quod mens, scire graphia iuvet/)
l ) Aen. 6, 750.
*) ut fehlt R. *) oreste, B. c ) pone R. d ) nee 5;/?. •) offertur 25
R. f ) oum B. *) prebeat R. h ) subtraitur /?. *) ooneu$ta B. k ) in-
ehronis
fantubutf. l ) dubi$tatem B. m ) es folgt explicit B(m). B )In-
buat R. °) Conoeptum R. p) es folgt Explicit, eine leere Zeile, dann
Raro enira etc. R. <») Huoc — iuvet fehlt R. T ) an iuvet schliesst
sich in B unmittelbar das Gedicht an Hao renitet speoies, Traube, 30
P. L. 3, 295 N. IV.
Radebeul bei Dresden, den 3. Febr, 1912.
Max Manitius.
Zur Grammatik Peters Ton Pisa.
Karls des Grossen Lehrer in der Grammatik (vgl. Ein-
harts Vita Karoli 25 bei Jaffi, BibL rer. Germ, 4, 531),
der Diakon Petrus von Pisa, hat selbst eine Ars oder viel-
mehr einen Kommentar zu Donat geschrieben, wie das Werk
auch im alien Katalog zu St. August in in Canterbury
genannt wird. 1 ) Das Werk, von dem nur kleine Stile ke
durch Hagen (A need. Helv, 159 — 171, vergL p. XXIV ff,
XXXVIII ff und XCVI ff) herausgegeben worden sind,
steht vollst&ndig im Bern. 522 s. IX — X> der aus Rheims
stammt und von einem Adalaldus (so f lb, 36b, Adeloldus
/. 12 b und 28b) geschrieben worden ist, 9 ) Die Grammatik
bringt sehr ausfilhrlich die schulm&ssige und breite Dekli-
nation des Nomen und Pronomen, die Flexion des Verbum
(amo doceo lego audio, wdhrend Bonifatius laudo moneo
emo audio durchkonjugiert haf) und das Participium, fiir
die vier iibrigen Redeteile bleibt wenig Raum iibrig. So
ist das Werk hauptsdchlich fiir die Schule verfasst. Es
beruht auf Donat, Sergius, Pompejus, Probus, Augustin,
Cominian, Priscian, Diomedes, Asper und Virgilius Afaro,
also auf Autoren, die sdmllich auch anderwdrts in den
Schriften karolingischer Grammatiker erscheinen. Munches
erscheint als selbstdndig, aber es fehlen uns wahrscheinlich
nur die QuellenfUr die betreffenden StUcke. Ichgebe da her
diese Stiicke aus der genannten Hs. Bern 522 (f. I — 68).
f 2b. Inciplt tractatns multornm auctorum gramtnaticorum
de litteris quorum auctorum nomine 8 ) exempla proferemus.
Primum nobis interrogandum est quando vel quo tem-
pore littere invente fuerint 4 ) ante diluvium annon. Sine
l ) James, The ancient Ubr. of Canterbury and Dover p. 361,
1414 et in eodem libro oommentum Petri grammatici. ') Die Be-
nutzung dieser Handschrift in Dresden ist mir giitigst gestattet
worden und diesem Umstand verdanke ich die Uber die Grammatik
hier gegebenen Mitteilungen. *) no& Ms, 4 ) fuer Ms,
Manitius, Zur Grammatik Peters von Pisa. 179
dubio fuerunt ante diluvium. Nam legitur in aepistola Jacobi
Enoch ante diluvium nonnulla scribsisse fertur. Quid igitur
custodivit ilia scribta et illas litteras in diluvio ne perirent?
In duabus columnis scribt§ fuerant, inde Josephus narrat
dicens: Jubal, filius Lamech, ne dilaberentur ab hominibus,
quae ab eo invente videbantur aut 1 ) antequarn ad notitiam
venirent (/, 3a), deperirent, cum predixisset Adam exler-
minationem rerum omnium, uuam ignis virtute, alteram vero
aquarum, a quarum nimia multitudine esse dixit venturam,
ipse et socius suus duas columnas fecerunt et ambas con-
scripserunt. Sed tamen ille littere quo numero vel nomine
vel qua figura fuerunt scripta, in scriptura minime memo-
ratur. Item scire nos convenit, in qua lingua littere primitus
fuerint invente ; item in Hebraica lingua scilicet, quia Hebraica
lingua mater est omnium linguarum et litterarum. Inde
Isidorus dicit :*) Littere Latine etGrece ab Hebreis videntur
exorte, apud illos enim primum dictum 3 ) est aleph, deinde
ex simili enuntiationeapudGrecos alpha, inde apud Latinos a.
Translator 4 ) enim alterius linguae ex simili sono litteram
condidit, ut nosse possimus 5 ) linguam Hebraicam omnium
linguarum et litterarum esse matrem.
/. 10b Figurg nominum duae sunt, simplex et com-
posita. Simplex ut doctus prudens, composita ut indoctus
inprudens. Sciendum est quia quattuor modis conponuntur
nomina, ex duobus integris ut suburbanus. Sub integra
pars est orationis et urbanus integra pars orationis est; ex
duabus partibus integris compositum est nomen quod est
suburbanus. Et suburbanus dicitur sive locus, qui non longe
ab urbe est, sive homo, qui prope urbem habitat. Ex duobus
corruptis ut efficax. Corrupta ideo dicuntur, quia fuerant
integra, non enim corrupta esse possunt, nisi rumpantur
integra. Efficax dicitur quasi effectum capiens, sicut muni-
ceps munus capiens. Ruptus est effectus et capiens, et
factum est efficax nomen ex duobus corruptis. Ex integro
>) a Hs. a ) Etym. /, 3 y 3. 8 ) 1st ausradiert, Hs. *) Translatur
Ms, *) possumus Hs.
180 Manitius, Zur Grammatik Peters von Pisa.
et corrupto insulsus. In praepositio est integra pars (f. 11a)
sulsus noinen corruptum est, integrum fuit salsus et ruptum
est salsus, factum est sulsus et conpositum nomen ex in-
tegro et corrupto. Ex corrupto et integro nugigerolus. Et
nugi corruptum est et fuit integrum nugas; gerolus integrum
est sive opistolg portitor sire lignorum aut alicuius rei vel
verborum, gerulus 1 ) dici potest a gerendo id est portando.
Nugas dicimus inutiles causas vel fallacia verba, quod est
ruptum et factum est nugi, et est nomen conpositum ex
corrupto et integro. Ex conpluribus ut inexpugnabilis in-
perterritus. In integra pars est, ex integra pars est, pug-
nabilis integrum est, ex tribus factum est integrum nomen.
Sic et inperterrituSj in integrum, per integrum, territus in-
tegrum,*) conpositum est nomen unum.
Die eigentliche Grundlage fiir diesen vtillig schulmdssig
durchgefilhrten Abschnitt ist Donat bei Keil G. L. 4, 377 ,
3 — 8; als weitere Ausfiihrungen kommen hinzu Sergius
Keil 4, 494, 34—495, 11, Pompejus Keil 5, 169, 1—12 and
die Ars anon. Bern, bei Hagen, A need. Helv. 85, 26 — 35.
Nimmt man also fiir den Abschnitt keine verlorne einheii-
liche Quelle an, so wiirde man auf eine breite Kommen-
tierung Donats mit allerhand grammatischen Zutaten kom-
men. Hieran wird folgender Abschnitt angeschlossen :
Casus nominum sunt sex. Qui? Nominativus geniti-
vus dativus accusativus B ) vocativus ablativus. Quare dictus
est nominativus? Quia per ilium nominaf/. llb)mus, quem
volumus vel quem ratio ©xigit in locutione, veluti siquis me
interroget: Quis tibi dixit hanc causam? respondebo: Vir-
gilius mihi dixit. Ecce nominativus est: Cato raecum lo-
cutus ei K Ecce nominativi casus sunt, quia in elocutione
mea no nina eorum expressi. Sed quaerendum est, quare
nominativus casus dicatur. Cum sciamus, quia casus
dicti sunt ad cadendum, et verum est, quia nomen cadit
de nominativo in genitivum et de genitivo in dativum, de
dativo vero in accusativum et de accusativo in vocativum.
l ) gerolus Hs. *j Fehlt in der tis. % ) Fehlt in der Hs.
Manitius, Zur Grammatik Peters von Pisa. 181
de vocativo in ablativum. Et unde in nominativum cadat,
non invenimus, etsi aliunde in nominativum non cadit, 1 )
sicut de nominativo in alios casus. 2 ) Cur ergo nominativus
casus dicitur? Hoc dico sicut maiorum auctoritate dedici.
Nominativus casus dictus est non quod ex alio in eum cadat
nomen sed quia ille in alios casus nomen cadere faciat
(f. 12 a) et quod in genitivum cadendi ipse sit casus appellatus.
Hoc de nominativo casu dixisse sufficiat, plura, si vita comis
fuerit, super hoc nos dicturos credentes. Genetivus qui et
paternus dictus est a 3 ) generando vel possedendo. 4 ) Sed
varia est huius casus ratio. Alia enim sunt quae posse-
demus et a nobis separari possunt, ut si dicam: Ciceronis ager
est, ager ille separari ab eo potest. Cum vero dixero: Filius
Ciceronis est, ubicumque tamen fuerit filius eius, Ciceronis
filius dicitur et per naturam ab eo separari non polest. Et
ob hoc dum dico: Ciceronis ager est vel Ciceroni; servus,
possessionem Ciceronis ostendo. Cum vero dixero: Filius
Ciceronis est, generationem Ciceronis ostendo. Aspice quia
merito genetivus casus a generando vel possedendo dictus est.
Einblick in den schulmiissigen Betrieb fur die Uebung
gewdhrt z. B. die katechetische Einleitung zur Deklination
von hie poeta:
/. 14 a. Interrogandum est, quid est poota? Oratio.
Quae pars orationis est? Nomen est. Quot accidunt 5 )
huic nomini? V. Quae? Qualitas genus numerus figura
casus. Cuius qualitatis est poeta? Appellativae. (f. 14 b)
Quare appellativae? Quia multi poete fuerunt vel esse
possunt. Cuius generis est? Masculini. Qualis numerus
est? Singularis. Qualis figura est? Simplex. Quomodo
potest esse conposita? Si dicam a poet& aut in poeta.
Qualis casus est? Nominativus. Cuius ordinis est vel cuius
declinationis est? Primae. Declina illud: Poeta nomen est
appellativae qualitatis, generis masculini, numeri singularis,
figurae simplicis, declinationis primae; casu nominativo et
M cadat, korrigiert zu cadit, Ms. a ) casos Ms. % ) Fehlt in der
Ms. *) Priscian bet Keil 2, 185, 14. h ) quod acoedunt Hs,
182 Manitius, Zur Grammatik Peters von Pisa.
vocativo cui pronomen vel articulus preponitur hie. Quod
declinabitur sic. Nominativo casu hie poeta etc.
A Is Zusatz zu Hagen p. 165, 23 liber das Pronomen
erwdhne ich:
Cuius generis est ego? Omnis. Quare omnis? Quia
et vir dicit et mulier ego et raancipium 1 ) ego. Non mu-
tator per genera, ut dicat ega vel egura, sed per tria genera
ego servatur.
Vom Verbum wiirden folgende Stiicke in Betracht
kommen :
f. 35a. Verbum quid est? Pars orationis cum tem-
pore et persona sine casu. Quaeritur quare verbum dicatur?
Verbum dictum est a verberato aere et linguae motu. Dum
enim a lingua aer verberatur, verbum efficitur. Verbum
dictum est a verbere et bo, boatus enim omnis vox sine
linguae inpressione dicitur, et ideo verbum dicitur, quia
ex verberato aere componitur.
/. 39a. Commone*) est, quod r littera terminatur et
duas formas habet patientis et agentis, et ideo commone
(f. 39 b) dicitur, quia et in actione et in passione R recipit
et tarn actionem quam passionem sub una pronuntiatione
demonstrate ut osculor te et osculor a te. 8 ) Huic si R dem-
seris, Latinum non est, non enim diciraus osculo et crimino.
MerkwUrdig ist die folgende Kritik gegen Donats Er-
kldrung des Wortes Deponens, ndmlich die erste Erkl&rung
geht nach Donat, die zweite ist gdnzlich abweichend, die
dritte ist nach Pompeius 5, 228, 28 f. (vgLServius 4, 416,
18 f.) gegeben.
f. 39 b. Deponens dicitur genus, quia r litteram non
deponit, vel certe melius dicitur deponens quod deponat
activam significationem commonem et neutram, quia nee
activum est nee passivum nee neutrum nee commone.
Activum non est, quia non desinit in o sicut activum, passi-
x ) mantipium Ms. f ) Zu commune erst in spUter Zeit verbesserL
») Vgi. Donat bei Keil 4, 383, 11 f., Sergius bei Hagen, Anecd. ffelv.
154, 7 ff. and Pompeius bei Keil 5, 228, 27.
Manitius, Zur Grammatik Peters von Pisa. 183
vum non est, quia si et r demseris, non revertatur in ac-
tivum. Neutrum non est, quia r littera terminating cora-
mone esse non potest, quia in duas formas non cadit pa-
rentis et agentis sed aliquid ex aliis generibus habere
probatur. Cum enim dico meditor, ostendo quid ago. Hie
cognoscere possis, quia de aliis generibus aliquid habet et
ut verius deponens dicitur, quia deponit participium futuri
ternporis, quod in dus exit.
Nach Diomedes (bei Keil /, 339, 16 //.) scheint ge-
arbeitet zu sein:
/. 41a. Imperativus modus ideo dicitur, quia per eum
officium imperantis ostenditur, id est quia in eo nostra im-
peratio continetur, 1 ) ut lege. Hunc quidam mandativum
dixerunt, quia secundae personae imperatur, tertiae vero
personae magis raandare quam imperare disnoscitur ut legat.
Cognosce, quia mandatum ad tertiam personam magis fit
quam imperium.
Zu erwUhnen ist /. 53a Tango tetigi psallo psisilli, wo-
gegen Priscian bei Keil 2, 526, 20 hat psallo etiam psalli
fecit praeteritum.
Bis auf die angeschlossene Kritik stammt aus Donat
iiber die Adverbien;
/. 58a. Aut a propriae qualitatis nominibus ut Tullius
Tulliane, aut a pronomine ut meatim tuatim aut (f. 56 b)
a verbo ut cursim strictim, aut a nomine et verbo ut pede-
temptim, a participio sicut Donatus dicit ut iudulgenter,
sed auctores artis grammaticae hoc refutant.
Beziiglich der Prdpositionen gebe ich folgende S telle:
/. 66 b. Quaerendum est, quae sint casuales praepo-
sitiones et quae sunt loquellares. Casuales sunt illae quae
iunguntur et separantur ut ad apud ante adversum et reli-
quae. Loquellares vero sunt quae iuncta separari non pos-
sunt; sunt autem numero VI di dis re se am con. Dicimus
diduco, dimitto distraho recipio repeto secubo.
Der Schlussabschnitt De interiectione beginnt mit fol-
genden Worten:
l ) cuotenetur Ms.
184 Mnnitius, Zur Grammatik Peters von Pisa.
Interiectio quid est? Pars orationis, id est pars locu-
tionis. Quare dicta est interiectio? Quia interiacet aliis
partibus orationis id est inseritur in ordine locutionis. Qu$
est virtus interiectionis? Virtus eius est ut significet mentis
afifectum. Per hanc enim mentis motus ostenditur, aut
tristitia aut laetitia aut pavor aut metus. Omnia haec in
animo consistunt. Quando dico eu, dolorem significo, ut eu
mortuus est Achilles, usw. wie Hagen p. 171 druckt
Radebeul b. Dresden, den 4. Febr. 1912.
Max Manitius.
Die lateinischen Akten des hi. Psotius*
Ein Beitrag zu den Beziehungen zwischen Aegypten und
dem Abendland.
Passio sancti Psocii episcopi et martyris.
Psotius et Qallinicus magni episcopi apud Egyptum
erant. Predicabant enim uerbura dei per loca corrigentes
ecclesias et confortantes omnes, qui audiebant uerbum dei.
Verba enim uite egrediebantur ex ore eorum admonentes,
ne paruum hoc tempus presentis uite fraudaret -nos 1 ) 5
perennis euu Audiens autem Arianus iudex loci contrariam
legibus suis doctrinam iratus furore diabolico Diocletiano*)
per epistulam retulit ita scribens:
„Psocius et Qallinicus 3 ), magni prouintie huius episcopi,
noluerunt obediere precepto 4 ) tuo, sed et animant ceteros 10
et confortant, ne tuis legibus adquiescant."
Tunc imperator scripsit epistulam Ariano 6 ) continentem
hunc modum 6 ):
„Diocletianus 7 ) imperator Psocio et Gallinico, magnis
in prouintia episcopis, salutem. Si uultis obedire precepto 15
et ordinationi mee, quam per epistulam designaui, et im-
molaueritis uiuis imperatorum diis atque adoraueritis eos,
accipietis potestatem magnam et habitabitis in ciuitatibus et
regionibus uestris, sin uero inobedientes fueritis, accipietis
iudicium mortis." 20
Hanc epistulam Diocletianus 8 ) ueredario tradidit. Jussit
ei, ut per Ariauum presidera daretur episcopis. Qui accepta
epistula ascendens pluuialem nauem uenit in Thebaidem
et ingressus in ciuitatem, in qua sanctus Psocius erat, die
l ) nos petennis eui M.] apem eternitatis W. *) Dioclesiano M. 25
•) Gallenicus M, 4 ) precepti A/. 8 ) Ariano] in Ariano W. 6 ) moda//// A/.
') Dioclytianos M. 8 ) Dioclesanos M.
UUucbeuur Museum f, Pbiloloffie rtes MA- I. 2. 1 '
186 Fr. Wilhelm, K. Dyrof f Lateinisohe Akten dee hi. Psotius.
sabbati uespere conuocauit priraos ciuitatis ad pretorium
presidis l ) et ostendit eis epistulam, quam miserat imperator.
Tunc illi cum') consilio presidis distulerunt 8 ) interim pro
hore inportunitate negotium. Mane uero inlucescente die
5 dominico adsuraentes secum ueredarium et epistulam uene-
runt ad ecclesiam et inuenerunt fores domus domini clausas.
Sanctus enim Psotius intus erat cum plebe agens matutina
sollemnia, nichilorainus in spiritu sancto agnoscens, perse-
cutores stare pro foribus. Peractis igitur matutinis festi-
10 nauit ianuam ecclesie aperire in nullo uolens dare occasio-
nem. Egressus igitur uidit ciues et militem, qui ab im-
peratore missus fuerat, stare ante ostium ecclesie. Qui cum
salutatus 4 ) ab eis resalutasset, audit a ueredario: „Dio-
cletianus 5 ) imperator soripsit ad te. a Cui Psotius ita re-
15 spondit: „Quid enim habet 6 ) mecum Diocletianus, ut scribat
ad me? a Et cum legisset ei ueredarius epistulam, tacuit
sanctus Psotius 7 ) ad breue agitans capud suum — erat
enim in senectute sua decorus minis et gratus, utpote 8
quern conforma 9 nature 10 et dei gratia decorabat — et re-
20 spondens post silentii moras sanctus episcopus dicit ueredario:
„Rogo te, fili, aliquod 11 ) beneficium et non Diocletianum. fe 12 )
Dioit ei sanctus „Pete, quod uis; iuxta uires meas non
negabo, quod iubes." Dicit ei sanctus episcopus: „Volo,
ut mihi crastinum diem concedas, et post hunc iraple, quod
25 tibi preceptum est. a Dicit ei ueredarius: „Si una tantum
dies interest, facio, quod uis, dummodo ne me ultra re-
tineas. Nosti enim me et ipse sub potestate maiorum
agere." His episcopi petitionibus ueredarius adquiescens
sustinuit usque in alium 10 ) diem, quia erat homo timens
30 deum.
Sanctus itaque episcopus conuocata omni 14 ) ciuitatis
sue Christiana 15 ) plebe ie ) tota die ac nocte non eos ad-
l ) preses M. *) cum bis Mane]oe W. *) d&ftuleruot M. *) sa-
lutus M. *) diooli8ian , M. *) meoum habet W. T ) om. Af. •) utpute
35 M. 9 ) conforme A/. »•) om W. ») aliqu?dA/. ») mihi presta W= Jet
non dAclesianum M. IV ) alia M. ") omnem Af. lb ) ohristianam M.
w ) plebem M.
Pr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinische Akten des hi. Psotius. 187
monere et ortare cessauit, ne territi persecutionis pondere
a fide Christi discederent, sed ut raagis fidem suam in
sinceritate angustiarurn tempore demonstrarent. Quern
tanta auiditate docentem populus audiebat, ut nullus eorum,
ne paruulus 1 ) quidem infans, cibi uel*) potus causa aut
alterius necessitatis de ecclesia sit egressus, 8 ) sed lugebant
omnes, quod tanto fraudandi essent doctorL Quorum
lacrimis flexus sanctus episcopus dicit ad presbyteros et
ad omnem clerum 4 ): „Adtendite uobis et omni gregi! Con-
fortate uosmetipsos ad conseruandam in tempore adflictionis 5 )
fidem Christi, per quam redempti et renati estis, per quam 10
sacerdotio et ministerio in dei ecclesia honoramini. Edi-
ficate doctrina et moribus uestris fidem Christi sanguine 6 )
congregatam et uobis pro Christi amore subiectam, ne 7 )
inuemiamini rei in diem iudicii perditionis alterius. u Illi
autem responderunt ei dicentes: „Et putas, pater, inuenire 15
nos similem tui, qui nos tarn sincera dilectione gubernet,
qui nos ita exemploet verbo aedificet?" Hoc et uidue, hoc
et nobiles ciuium, hoc totus simul populus conclamabant
dicentes: „Cui nos pater dimittis?" Et prosternentes se
coram eo 8 ) cum lamento dicebant: „Damus pro uita tua 20
totum, quod possideamus, tu tantum de ecclesia ne recedas:
nos damus responsum pro te," Ad quos ille: „Nolite a ait
„fili, retinere me! Ad dominum enim vado. Viuit domi-
nus meus Jesus Christus, quiatotos uos et animo et absque 9 )
discretione diligo; sed plus amo dominum meum Jesum 25
Christum, qui pro me, non ut uos offertis possessiones aut
aurum, sed semetipsum obtulit morti; quem et desidero iam
uidere, sed uidere eum non potero, nisi, quomodo ille pro
me, et ego pro ipso moriar. Sed et hoc sapere debetis,
quod non absque tribulatione ciuitatis uestre eritis, si me 30
retinueritis. 10 ) Si autem 11 ) ad Christum abiero, et ad presens
xiobis quies conceditur et ab his, qui occasionem querunt
) paruolus M. % ) et W. ') aggressus W. *) plebem W. 6 ) af-
nis W, 6 ) sanguinS At. 7 ) nee M. 8 ) ea M. •} cum W. !0 ) j e-
ritis M. ll ) om. W.
1 > >*
188 Fr.Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisobe Akten des hi. Psotiua.
predamnati, et in timore domini maius proficietis, cum pro
uobis attentius et sincerius supplicare domino cepero. Nolite
ergo me retinere, quia, quod facio, et 1 ) pro uobis et pro
me facio. Sed quoniam dies iam inlucescit et hora spon-
5 sionis nostre apud ueredarium instat, offeramus oblationem
deo. Comraunicemus mysteriis dominice passionis, et ita
procedam ad testimonium Christie Hec cum dixisset,
induit se uestimentis festiuis, in quibus consueuerat 1 ) sacra-
mentorum sollemnia celebrare et oblationem deo offere 8 ),
10 ac*) sic communicauit plebi. Consummato igitur religionis
officio stans in conspectu domini sic orauit: „Domine Jesu
Christe, unice 5 ) dei filius, sancte ex sancto genite, qui
regis 6 ) me a iuuentute 7 ) mea in timore tuo, qui liberasti
me semper et eradere fecisti causas peccati, rogo te, custodi
15 Alios meos, populum tuum in ueritate tua, ne preualeat 8 )
aduersus eos temptatio, sed pietate ilia, qua a te 9 ) redempti
sunt, custodiantur in eternum, ut nominis tui uirtus in
hac eos unitate conseruet." Pinita itaque oratione, cum
procedere cepisset ab ecclesia, 10 ) occurrentes milites rapuerunt
20 eum et 11 ) posuerunt in nauem atque duxerunt") ad presidem
Arianum. Veredarius autem ille, qui erat homo timens
deum, in presenti stabat agens curam, ne quid sancto epi-
scopo impius iudex iniurie publico inrogaret, sed hoc tantum
in illo ageret, 1 *) quod imperator preceperat.
26 Iudex ergo, cum ilium u ) uidit, ait ad eum : „Tu es Psotius,
magnus in prouintia ista episcopus?" Psotius respondit:
„Egoquidemsura Psotius.* 15 ) Preses dicit: 16 ) „ Domini nostri")
imperatores per epistulam suam honerauerunt te, quod et
ego, preses, facere curabo." Cumque eo presente lecta
30 fuisset epistula, preses ad eum dicit: ,Audisti, quid domini
imperatores 18 ) iusserunt? Adquiescere debes precepto, ut
l ) om. W. •) consuerat M. ■) om. M. 4 ) ac aio] atque M.
•) unioi W. *) reges M. 7 ) inuente W. •) proeualeat aduersa M. •) ta
M. l0 ) eoclesiam, m abras. M. ll ) et — Arianum om. W. lt ) duxo
35 Rum M. l ») ageret. 14 ) iUo M. ») Spotius W. ") dixit W. ")om.W.
,a ) om. M.
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateiniscbe Akten dee hi. Psotius. 189
possis honoratus uiuere et securus." Episcopus ei respondit:
„Sufficiat tibi inepta sua dare uoluisse. Sapiens 1 ) homo
cum mensura et pondere iuxta personam loquitur audientis ;
sic et scriptum in christianorum legimus libris: sapiens uir
scit, quod ex ore eius procedit, unde te*) scire uolo, quia 5
non sacrificat Psotius. Sapiens est ualde per dei gratiam
Psotius. A iuuentute sua deo seruire nouit, sacrificare non
didicit. Psotius 3 ) creatorem omnium in cultibus honorare
consueuit, non mutare in insensibiles creaturas." Arianus*)
dicit: „Ausculta, o Psoti, 5 ) consilium et sacrifica, ut appareas 10
sapiens. Nee enira puto te ignorare esse apud sedem nostram
supplicia et caue, ne, cum ea rebus ceperis experiri, supera-
tus dolore non sine confusione facias, quod ante tormenta
rogatus contemnis." Episcopus sanctus respondit: „Et 6 )
pro uiribus domino auxiliante, si placet, senties 7 ) me ex 8 ) IB
illis. Scriptum est enim: excoque argentum, et inuenies 9 )
purum totum (vgL Is. /, 25 and 48, 10). Christianus sum,
duplicis sententie non sum. Adhibe ergo, ut uis, et con-
flatione tormentorum proba argentum Christi!* Tunc iratus
preses iussit exhiberi eculeum, ut eum suspenderet. Inruens 20
autem ueredarius, ille miles, tenuit episcopum sanctum et
dixit ad iudicem: „Non tibi licet contra preceptum impera-
torum facere ei iniuriam* Domini enim mori eum iusserunt,
non crucian.* Tunc preses iussit referri eculeum et dicit
ad episcopum sanctum: „Ne putes, quia tenuit me ipse, de- 26
esse iudiciis nostris alia genera tormentorum, quibus absque
iniuria publica cruciaris: sunt nobis et alia argumenta."
Sanctus episcopus respondit: „Fac cito, quod uis." Et
statim preses iussit eum recludi in cella angusta, plena 10 )
liquido 11 ) fimo, 1 *) usque ad dies decern ieiunum, 1 *) ut euis- 30
ceratus inedia fetore sordido necaretur. Post decern vero
dies fecit cellulam aperiri et inuenit eum sanum et ualidum.
Dicit ad eum: „Certe sensisti, esse apud iudices secreta
supplicia. Nunc ergo sacrifica!* Episcopus respondit :
l ) spapiens W. ») audire te M. ») Spotius W. <) Adrianus W. 55
b ) Psotii MW. •) om. W. 7 ) sentiens A/. ») & M. 9 ) inuenion* M.
|ft ) onu W. u ) om. W. ») /imo M, om. W. lt ) iniunium M.
190 Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateiniache Akten dee hl.Psotius.
„Stulte et miser, estimas laborem mihi inferri per hec, que
excogitas, quia ignoras me spontaneis pro amore Christi
laboribus ab infantia mea exercitatum. Tibi autem non
dubito durum uideri, qui delicate et molliter uiuis. a Iratus
itaque iudex iussit euro in ipsa iterum cella recludi adiecto
5 asinorum fimo recenti et signata manu sua cella per dies
quindecim relinqui. 1 ) Cumque eum eduxisset, reclusit et
tertio sex diebus, et cum implesset XX et unum diem
in stercore illo ieiunus nichil prorsus cibi*) uel potus ac-
cipiens, iussus exhiberi stetit pro tribunali vidente populo
10 et admirante uultum eius; 3 ) et enim toto corpore tam leto
et adornato erat, ut inter lautas epulas ac flores roseos ad-
cubasse crederetur. Arianus ad eum dicit : „Videris mihi
furtiuis saginatus cibis. Nam unde est, quod de clusura
tam letus egressus es?" Episcopus respondit: „Stulte et
15 miser, qui nee, quod loqueris, ipse intelligis! Si sub tuo
signaculo clausus fui, manducare unde habui? Quare non
aduertis illius me gratia sustentatum, pro cuius nomine et
doctrina hec patior? Ipse enim deus noster per scripturas
suas nos docuit credere* quod non in pane solo uiuit homo,
20 sedinomniuerbo, quod proceditde 4 ) ore dei(Matth.4, 4). Vnde
et me debes credere humanis actenus carentem 5 ) subsidiis, non
cibo furtiuo, quod manu hominis ministratur, sed uerbo dei
refectum, quod et ueteres sancte historie referunt, 6 ) quibus-
dam deo fideliter seruientibus uiris et amore ieiunis 7 ) pro
25 diuinarum rerum contemplatione flagrantibus 8 ) quadragenis
diebus ac noctibus cibi et potus absque detrimento corporis
detulisse. Qua uirtute, immo gratia, et me uelle credas hoc
ieiunium sine labore corporis tenuisse. Et licet tibi hec
sancta non sit dignum ingerere, secundum illud: Nolite 9 )
30 dare sanctum canibus (Matth. 7, 6), tamen pro oportunitate
ipse certissime rationis incipias capere aliquando, quod sanum
est/ Arianus dicit ad eum: „Ergo secundum te canis sum?"
Episcopus sanctus 10 ) respondit: „Plane, et peior cane! Nam
'Jreliqui; M. *)cipi/V. *) om. W. 4 )&exAI. 6 ) carcerem W. *) om.
86 W. 7 ) ieuiniis W, 8 ) fraclantibus M t *) noli sanctum dare W*
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten des hi. Psotius. 191
canes agnoscunt proprium dominum, tu uero et imperatores
tui non agnoscitis factorem 1 ) uestrum.* Audientes populi
hec 8 ) sancti episcopi dicta 3 ) exclamauerunt dicentes: „Unus
et verus est deus 4 ) christianorum , quem colis, & ) pater
Psoti." 6 ) Tunc officium ad iudicem dicit: „Domine preses 5
da cito sententiam in hominem 7 ) istum, 9 ) ne tumultus
aduersum reges increscat." Et continuo iussit eum educi
foras et capite 9 ) cedi.
Sanctus namque episcopus audita 10 ) sententia educen-
dus iam foras uestiuit se indumentis, 11 ) quibus 12 ) diebus 10
festis ad offerenda deo sacrificia utebatur, et ibat letus ad
cedis locum, sequente se uno puerulo, 13 ) lectoreFlorente. Nam
omnis reliquus clerus eius occultus ipso iubente latebat.
Puer ergo 14 ), ille paruulus lector, dicit ad eum: „ Pater, quare
his optimis uestibus uoluisti nunc indui, ut ea tollat spicu- 16
lator?" Sanctus igitur pater Psotius episcopus dicit ei :
„Num quid hec uestimenta preciosiora 15 ) sunt uestibus
Christi, que sibi 16 )carnifices 17 ) eius partiti sunt? Recede ergo
a me filiole: non enim tibi in hoc verbo consentio. Nam
si homo tempore, quo saeculares nuptias agit, ornatur 18 ) 20
preciosissimis uestmentis, cur non ego in die voti mei et
ad Christi thalamura ingressurus preciosis vestimentis
decoratus incedam ? u Hec cum expolisset !9 ) beatissimus
martyr, tacuit infans atque recessit.
Ipse vero, cum ad locum felicis uictime peruenisset, 25
sanctus a 20 ) plebis uocibus rogabatur, ut cibi aliquid, unde
detulerant, dignaretur accipere post XX uno dierum
spatio. Ille autem dicit 21 ) ad eos: „Dimittite 22 ) me, obsecro,
o filioli, apud dominum meum Jesum Christum soluere
tarn deuotum ieiunium." Et cum fuisset dimissus a populo, 30
tenuit eum carnifex, ut decollaret. Quem ipse sanctus
rogauit, ut ei daret spatium, quo oraret, et inpetrata gratia 28 )
l ) creatorem W. *) om. W. *) sci (!) dicta M. *) deus est W.
5 ) coles M. 6 ) Psotii M ^. *) bomiue M. 8 ) isto M. •) capita Ai.
10 ) sci (!) audita M. u ) uestimentis W. M )queA/. ll ) pueroula M. "} ego 35
M. lb ) preciora W. ie ) siue M. !t ) carnetices M. 18 ) ornator M. 19 )expo-
liasset M W. ■») e M. * ! ) om. W. M ) Dimittete M. »«) agratia M, spaoia W.
192 Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten des hi. Psotius.
stetit in conspectu dei et magna uoce dicit: „Rogo te,
deus meus, proclude humani generis hostera 1 ) a summo
terre usque ad sumraum eius, et pro hac plebe tua, que
prosecuta ob reuerentiam nominis tui honorauit roe. Ex-
5 tende, queso, manura tuam et protege semper atque custodi
in fide religionis tue uoluntatem meorum, quia tu es deus
solus, creator omnium, qui amas animas. Deprecor pietatem
tuam, qui pascis omne, quod spirat, deus meus, ut dirigas
uiam meam uenientis ad te. Angelus tuus sanctus deducat
10 puerum tuum, donee perueniara ad pacera tuam. Suscipe
domine orationem meam cum pace in hoc nouissimo die
uite mee!"
Adhuc autem illo orante uenit Hermes spiculator et
tenuit eum manu nee dimisit orationem finire, sed tractu 2 )
15 ad se urgebat dicens : „ Veni, dimitte me, ut vadam." Om-
nis autera populus, cum uidisset eum trahi ab spiculatore,
dolentes ingemuerunt. Respondens 3 ) vero sanctus episcopus
dicit ad Hermen : „Eamus, quo vis, homo, effusor sanguinis.
Juste 4 ) doleo tibi, miserrime et infelicissime hominum: nee
20 suasione uerborum nee uoluntate 5 ) parentura orrescis." 6 )
Et his dictis genua in terram posuit orationemque ad
dominum fudit et sic gladio percussus migrauit ad Christum,
qui cum deo patre et filio et spiritu sancto . . .
l ) om. M. *) tractum M. •) R M. *) iueti M. •) uoluntates
25 M. •) orrescas M. M fithrt fort acoipe enim coniugem etc., Worte
am BHL. 4529 (MG. PL. Ill 91 f.); von einer Hand des 15. Jhtds.
sind unten am Rand von BL 93b die Worte his bis patre nachge-
tragen.
Die bisher unveroffentlichten and so gut wie unbe-
kannten, lateinischen Akten des hi. Psotius sind uns aus
2 Hss. bekannt:
M. Clm. 4554 saec. VIII\IX. zu den sogenannten Kisy-
lahss. gehdrig(vgL daruber unten S. 200/.), zuletzt in Bene-
diktbeuern. Die Passio Psotii steht auf BL 91a Sp.a bis 93 b
Sp.b. BL lab bietet ein Inhaltsverzeichnis, das von der-
selben Hand herriihrt, von der die Abdiassammlung und
wohi der grd'fite Teil der Hs. geschrieben ist Bs mufi aus
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten des hi. Psotius. 193
der Vorlage ilbernommen sein, denn die meisten der darin
aufgezdhlten Werke finden sich nicht in der Hs. Der Urn-
stand aber, dafi die Liicken oft mitten in einer Spalte ein~
setzen, beweist, dafi sie nicht alle dent Buchbinder zur
Last fatten. Als Wilhelm im Jahre 1904)05 die Hs. zum
erstenmal benutzte, fehlte der vordere Einbanddeckcl, sie
drohte auseinander zu gehen. Seitdem ist sie neu gebttn-
den ; an der Lagenordnung ist selbstverstdndlich nichts
geandert worden. Im folgenden wird ein Abdruck des noch
nicht verdffentlichten Inhaltsverzeichnisses gegeben. Die
in der Hs. fehlenden Werke sind vor ihrer Nummer mit
einem * verse hen.
1. Passio sanctorum apostulorum Petri et Pauli BL 2a (BHL.
6570 and 6657).
2. Passio sanoti Andre apostoli BL 12a (BHL. 429).
3. Anapuusis sancti Johannis apostoli BL 14b (BHL. 4320).
4. Passio sanoti Jacobi apostoli fratris Johannis apostoli BL 20a
(BHL. 4057).
6. Passio sanoti Thome apostoli BL 22b (BHL. 8136).
6. Passio sancti Bartholomei apostoli BL 31b (BHL. 1002).
1. Passio sanoti Mattei apostoli BL 34b (BHL. 5689).
8. Passio sancti Jacobi, qui apellatus est frater domini BL 41b
(BHL. 4089).
9. Passio sancti Clementis pape urbis Rom§ BL 42b (BHL. 1848)
10. Confessio passion is sancti Pauli Narbonensis BL 45b (BHL.
6589 — W 11).
11. Passio sancti Felicia episcopi BL 47a (BHL. 2895).
12. Passio sancti Iguatj episcopi BL 48a (= W 6, Anfang etwas
anders).
13. Passio sancti Saturnini episcopi BL 51b (BHL. 7495196^ W43).
14. Passio sancti Alexandri episcopi BL 54 a (vgL BHL. 266 f.).
15. Passio sancti Eleuteri episcopi BL 56a (BHL. 2451).
ltt. Passio sancti Policarpi episcopi BL 59b (vgL W 4).
17. Passio sancti Babille episcopi et trium puerorum BL 62a
BHL. 890, W 3).
18. Passio sanoti Nestori episcopi BL 66a (= W 10).
19. Passio sanoti Cipriani episoopi BL 68a (BHL. 2038, stark
abweichend).
20. Passio sancti Cirilli episcopi BL 68b (BHL. 2J70 - W 27).
21. Confessio uel passio sancti Cypriani episcopi et sanct$ Justine
BL 69b (BHL. 2047).
194 Fr. Wilhelm, K, Dyroff, Lateinisohe Aktea des bl. Psotius.
22. Conuersio siue penitentia sancti Cipriani BL 72a (BHL. 2049).
23. Passio oiusdem sancti Cipriani episcopi BL 84a (BHL. 2050).
24. Passio eancti Militi episcopi Bl. 84 a (BHL. 5240= W 36).
25. Passio sancti Six tie episcopi et sanoti Laurentj Arcbidiaconi
et sancti Yppoliti BL 86b (BHL. 7811).
26. Passio sancti Priuati BL 88a (BHL. 6932= W 33).
27. Passio sanoti Irenei episcopi BL 89b (BHL. 4466= W 12).
28. Passio sanoti Psotii episcopi BL 91 a (— W 23).
*29. Passio sanoti Pionis episcopi.
*90. Passio sanctorum martyrum Carpi episcopi et Panpili diaconi
et Agatonice.
*31. Passio sancti Pioni presbyteri.
32. Uita uel passio sancti Juliani martiris et sanotf Basil isse
et sooiorum eius BL 93b (BHL. 4529).
*33. Passio sanctorum martyrum Nazarj, Celsi, Geruasi ct Protasi.
*34. Passio sanctorum martyrum Passetratis et Ualeutionis.
*35. Passio sanoti Petri qui et Belsarais.
*36. Passio sanctorum Poleti, Candidiani ct Filoromi.
37. Passio sanctorum Saturi, Saturnini, Reuooati, Perpetua (I)
et Felicitatis BL 114 b (BHL. 6636, Schluss abweichend).
*38. Passio sanctorum Adrian i et Eubulj.
*39. Passio sancti Alexander martyris.
*40. Passio sancti Sinerotis martyris.
Ml. Passio martyrum Uicturini, Uicturjs, Nicoforj, Claudiani et
sooiorum ejus.
*42. Passio sanoti Uictoris et Stefani.
*43. Passio sanoti Uincentj.
♦44. Passio sancti Mammetis.
*46. Passio sanoti Romani manaohi.
*46. Passio sancti Dbeudore et Ditimi
*47. Passio sancti Maximi.
•48. Passio sanoti Julj.
*49. Passio sanotorum martyrum Maroiani, Nicandri, Apolloni
Leonis.
*50. Incipit martyrum sanotorum Luciae uirginis dei et Eucflia*'
Virginia.
♦51. Passio sanot$ Thorotbe et Deophili soolastici.
*52. Passio sanoti Ciroii et Julittema.
♦63. Passio sanctorum Petri, Pauli, Andr$ et Donisi;.
*54. Passio sanoti Asolatis.
*65. Passio sanctorum martyrum Uicturis, Deuteri, Feliciani et
Alexandri.
*56. Passio sancti Baudili.
*57. Passio sanoti Genesi martyris.
Fr. Wilhelm, K.Dyroff, Lateinische Akten des hi. Psotius. 195
*58. Paeftio sanctorum marly rum Machabeorum.
*59. Passio sancti Crjsanti et Darj$ et sociorum eius.
*60. Passio sanctorum martirum XXX et ooto qui in ^Egypto
passi sunt.
*61. Passio sancti Sirapionis.
♦62. Passio sancti Diodoreti et Rodopiani.
*63. Passio sanotorum Probi, Tharaci et Anthriuaci.
*64. Passio sanote Agnes uirginis dei.
*66. Passio sancti Focae.
*66. Passio sanctorum Licarionis, Manadii, Marthf, Maris et uir-
ginum dei.
*67, Passio sancte Siluaniae uirginis dei.
*68* Passio sancti Pesi militis.
69. Passio sanct§ Juliao§ uirgines dei BL 141 b (BHL. 4522).
♦70. Passio sanote, Mariae uirginis dei.
*71. Uita uel passio sanctf Eugeniae martyris et sociorum ejus.
*72. Passio sancti Marcelli martyris.
73. Passio sanct§ Cecilie, et sociorum ejus BL 128a (BHL 1495).
•74. Passio sanoti Juliani martyris.
*75. Passio sanct§ Eufemi§ uirginis Cbristi.
76. Passio Grissogoni et Anatassiae et socii ejus BL 117a.
77. Passio sancti Marini senatoris BL 122a (BHL 5538; beginnt
mil Zeile 185, 12= W 45).
*78. Passio sancte, Marine, uirginis Christi.
*79. Passio sanct? Agnetis.
*80. Passio sanctf Eulali§ uirginis dei.
*81. Passio Katarine uirginis dei.
*82. Passio sancti Talalej martyris.
*83. Passio sanctarum uirginum Cioni; et Ereni$.
*84. Passio sancte, Eulaliae.
*85. Passio trium fratrorum.
86. Passio sanote, Luci$ uirginis dei BL 125b (BHL 4992).
*87, Passio sancti Tirsi martyris.
*88. Passio sanoti Fructuosi episcopi, Agorj et Eulogi.
89. Passio sancte Agnes BL 150a (BHL 156).
*90. Passio sanoti Cristofolj.
Passio sancte Agathe virginis BL 146a (BHL 133). 1 )
Passio sanctorum martyrum Ciricrj et Julitte BL 155 a
(BHL 1805).
Passio sancte Afire et sociarum eius BL 160a (BHL 108/9).
W. Cod. H. B. I. 2. (Lat.) 4° 16 saec. XU\XIII aus
tier Bibliothek Sr. Durchlaucht des Fiirsten von Ottingen-
l ) Diese drei letzten Titel sind von jiingerer Hand nachgetragen t
196 Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinische Akten des hi. Psotius.
Wallerstein zu Maihingen. Bll. 1 — 46 slnd von andrer
Hand geschrieben als das Obrige and waren wohl auch
einmal ein selbstandiges Buck, das erst sp&termit BL 47 — 261
zusammengebunden wurde. VgL F. Wilhelm y Sand Ser-
vatius S. LXXXII; wir geben im folgenden die dort ver-
sprochene Beschreibung des Inhalts:
1. Passio Theompi BL la (BHL. 8119).
2. Vita Hilari BL 7a (BHL. 3886 mil der Interpolation von
Z u. BHL. 3893 u. Hieronymus de vir. ill. cap. U>0).
* 3. Passio Babile BL 12b (BHL. 890).
4. Passio sanoti Policarpi BL I6a (BHL. 6870 vgl. M 16).
5. Vita sanoti Johannis Chrysostomus BL 19b (BHL. 4377 aber
sick enger an Kassiodor anschliessend).
6. Passio saiicti lgnatii BL 23b (BHL. 4255 1 vgl. M 12).
7. Passio Filee et Filoromi Bl.27b; lnc: Igitur oum romanum
imperium diooletianus gubernaret. Des: Qui bus libenter annuens
iudex ut rum que pleoti capita iubet (vgl. BHL. 6802). Decollatus
est autem beatissimus martyr fileas oum Filoromo romanorum mi-
lituro duce II. non. Februarii (M 36 zu vergleichen t).
a Vita Eufraxie BL 31b (BHL. 2718).
9. Passio sanoti Justi BL 42b. Inc. : Celis gloriam dei enarran-
tibus et multiplioibus rairaoulis corusoantibus . . Des.: Te deum
laudamus oum reliquis psalmodie oantibus magnifloantes et glorifi-
oantes deum nostrum etc.
10. Passio Nestorii BL 47a (= M 18).
11. Passio sanoti Pauli BL 49b (BHL. 6589 = M 10).
12. Passio Irenei BL 51a (BHL. 4466 =M 27).
13. Passio sanoti Simeon is BL 52b (BHL. 7955).
14. Vita Rioharii BL 55b (BHL. 7237—39).
15. Passio sanoti Georii BL 61a (BHL. 3393) dock mil dem
An fang: Anno igitur ab inoarnatione domini tere duoentesimo
nonagesimo residents in urbe roma Marcello summo pontifice.
16. Passio sanotorum Didimi et Theodore BL 69a (BHL. 8073).
17. Passio sanoti Panpilie (!) BL 72b (BHL. 6418).
18. Vita sanoti Athanasii BL 76a (BHL. 728).
19. Passio sanoti Pellionis BL 86a (BHL. 6869).
20. Passio sancti Victoria BL 87a (BHL. 8580).
21. Passio sancti Desiderii BL 88b (BHL. 2145).
22. Passio sanctorum Sisinni, Martyrii, Aloxandri BL 90b (BHL.
7796).
23. Passio sancti Psocii BL 93a (= M 28).
24. Vita sancti Albini BL 96a (BHL. 234 ohne Prolog).
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten dee hi. Psotius. 197
25. Passio sancti Hyrenei BL 98b. Inc. : Qvamquam a nonnullis
inuicta martyrum uirtus adnumerata percurri possis, quibus constat
etc. Des. ;Martirizatusestautem Christi martyr hireneus.llll, Kal.iunii.
26. Passio sanoti Fotini BL 101 a (BHL. 6839 u. nomina martyrum).
27. Passio sancti Cirylli BL 105b (BHL. 2070, =M 20).
28. Passio sancti Juliani BL 106a (BHL. 4538).
29. Passio sanctorum Naboris et Feliciis BL 107b (BHL. 6029
gekiirzt).
30. Passio sancti Oswaldi regis BL 109 b. Inc.: Igitur rex os-
waldus sue natiuitatis claram progeniem habuit, quam ab utroque
sanguine traxit . . Des.: Ex quo tempore non solum in eodem mo-
nasterio sed in plerisque locis aliis cepit, annuatim eiusdem regis uc
militis Christi natalicus dies missarum celebratione uenari.
31. Passio sancti Demetrii BL 114b (BHL. 2122?). Inc.: Cum
esset maximianus imperator in Thessalonicensium ciuitate, homo
crudelissimus etc.
32. Passio sancti Magni BL 115b (BHL. 5169).
83. Passio sancti Privati BL 119a (BHL. 6932 ^M 26).
34. Passio sancti Simphoriaui BL 121 a. Inc.: Cum aduorsus
Cbristianum nomen persecutionis dire procella detonaret (BHL. 7967).
£>is.:peripsumnobisapuddominum nostrum Jesum Christum euidens
misericordie pandatur uia et omnium uotorum plenitudinem felix
ingress us aperiatur per ipsum dominum nostrum Jesum Christum,
qui est uita omnium sine fine sanctorum et regnat cum patre in
imitate spiritus sancti deus per omnia secula seculorum.
36. Passio sancti Anastasii BL 123b (BHL. 414).
36. Passio sancti Militi martyris et sociorum eius BL 125a (BHL.
5240= M 24).
37. Passio sancti Victorini BL 126a Inc. : Celebritas martyrii
beati uiotorini opinatissime memorie uiri hodierna die par est ut
excipiant cuncti qui se redemptos non ambigunt sanguine Christi . . .
Des. : Cumque una die iussu aureliam corpus eius inhumatum ia-
cuisset uenerunt amiterenses populi christiani et rapientes in suum
territorium transtulerunt et honorifica sepultura oondiderunt (vgl.
BHL. 7659 {.).
38. Vita sancti Clodowaldi BL 128a (BHL. 1733).
39. Vita sancti Avdmari BL 129a Inc.: Avd///marus Christi con-
fessor multis in seculo eignis fulget. Des. : Obiit autein •////• idus
Septembris regnante etc. (vgl. MG. scr. rer. merov. V 747, 3 f.)
40. Vita sancti Venantii BL 131a (BHL. 8526).
41. Passio sancte Evstocbie BL 132b (BHL. 2775).
42. Passio sancti Petri BL 133b (BHL. 6694).
43. Passio sanoti Saturnini BL 135a (BHL. 7495j96=M 13).
44. Passio sancti Zenonistf/. 137a(BHL. 90Wmit Prolog H u. 9011).
198 Pr.Wilhelm, R. Dyroff, Lateinische Akten des hi. Psotius.
45. Passio sanoti Marini BL 14oa (BHL. 5538, Anfang anders =
M 77).
46. Passio sanoti Theogenis BL 148a (BHL. 8108).
47. Passio sanoti Benigni BL 150a (BHL. 1155),
48. Vita sanoti Pachumii BL 160a (BHL. 6410, aber ohne Prolog
des Interpreted).
49. Passio Eulalie BL 186a. Inc.: Sub Daoiano preside seua
fuerat christianis orta tern pest as . iam enim Benedictus. Vincentius
ad martyrum preoesserat . . . Des. ut BHL. 2696 (vgL M 80).
50. Passio sanoti Pelagii BL 187b (BHL. 6615).
51. Vita sancte Sabine BL 189b (BHL. 7408).
52. Passio sanotorum Luoie et Geminiani BL 193a (BHL. 4985).
53. Passio sanoti Leodegarii BL 199a (BHL. 4851 ohne Prolog).
54. Aue Katharina martyr et regina BL 203b (U. Chevalier Rep.
hymnol. Ar. 1716).
55. Passio sancte Catarine BL 204 a (BHL. 1659 u. BruchstUck v. 1660).
56. Passio saucti Quiriaoi BL 212a (BHL. 7023).
67. Passio Romani BL 215 a (Inc. ut BHL. 7302, Des ut 7301).
68. Gesta sanoti Servatii BL 219b— 261b (BHL. 7633 f.; vgl. F.
Wilhelm, Sand Servatius 3, 1 f.).
Die Hss. M und W gehen auf gemeinsame Endquellen
zuriick und diese sind vonhervorragendemhagiographischen
Wert gewesen. Zwtilf Stiicke, von denen zwei bis jetzt noch
nicht verdffentlicht sind, enthalten M W gemeinsam. Die
verschiedenartige Reihenfolge dieser zwdlf Stiicke in beiden
Hss. zeigt f dass auf dem Weg zu M und W Sonderentwick-
lungen stattgefunden haben:
1. Reihenfolge M 10 12 13 16 17 18 20 24 26 27 28 77
2. Reihenfolge W 11 6 43 4 3 10 27 36 33 12 23 45 x )
Wie nahe sich beide Hss. stehen, geht aus folgenden
Anfdngen und SchlUssen hervor:
1. Passio sanoti Pauli Narbonensis M 10, W 11; BHL 6589.
Inc. : Cum apud urbem Romanam a (fehlt M) quod am sac ri lego
principe (prinoipem M) iudicibus . . M W.
Des: Ipse apud summamdotnini mai estate m suis orationibusinter-
uenire dignetur prestante domino nostro Jesu Christo qui uiuit . . MW.
2. Passio sanoti Nestorii M 18, W 10.
Inc: Reguante Decio prinoipe Romanorum et uolente o nines ad
propriam pertrahere seotam edictum statuit ut omnes . . . M W.
x ) Es muss hiebei in Rechnung gezogen warden, dass W 1 — 9
von anderer Hand als W 10 — 58 geschrieben ist.
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinische Akteii des hi. Psotius. 199
Des: Pass us est autem sanotus dei Nestorius quarta Kal. Martii
(Marti as M) in ciuitate Pergen quinta sabbati hora tercia iubente
Docio imperatore et sequente Polione preside regnante dom'mo nostro
Jesu Christo . . . M W.
3. Passio sanoti Saturnini M 13, W 43; BHL 7495.*)
Inc: Si eorum uirorum beatissimas passiones deuota admira-
tions . . . M W.
Des : presentium non solum inspector uerum etiam cognitor futu-
rorum dum rogantur sui se intelligit honorariqui est benedict us... MW.
In anderen Fallen sind die Abweichungen grosser:
4. Passio sancti Babille M 17, W 3; BHL. 890.
Inc: Numerianus rex cum immalesset in mundis ydolis uoluit
introire indomum dei sedsanctusBabillasepiscopusqui sciebat. . MW.
Des et ita ipsius inoisum est caput et positum est cum infan-
tilis cum conpedibus et boia in pace M W.
In M folgt die hdufige Schlussformel : Regnante domino nostro
Jesu Christo cui est honor et gloria in socula seculorum. In W
clagegen erst noch eine kurze Erzdhlung der Translaiio (vergL Sozom.
/*. e.): Temporibus autem impiissimi Juliani Apostate cum Dafnis
in suburbano Antiochie ut celum clamoribus resultaret et
sic in Antiochiam corpus eius delatum et cum gloria magna sepultum
Regnante etc.
Noch erheblicher sind sie in :
5. Passio sanoti Polycarpi
M 16.
Inc. : Temporibus illis*) ecclesie
dei in Filomelio et omnibus in
omni loco constitutis eclesiis ca-
tholicis uel parrociis misericordia
et pax et caritas dei patris et
domini nostri JesuChristi semper
abundet. Necesse fuit nos quae
gesta sunt circa . . . . et de ad-
versario triumphare discamus et
et eius possimus mentis par-
ticipes inueniri. Facta itaque
persecutione Zmirnam agente
Traiano proconsule in ampiteatris
orta seditio est policarpum de-
structorem daeorum nostrorum
iubeas exhiberi. Ui dens igitur pro-
W 4.
Ecclesia dei que est apud Smir-
nam ecclesie dei constitute apud
Filomelium ot omnibus que ubique
sunt Sanctis eolesiis katholiois
misericordia et pax et caritas dei
patris et domini nostri Jesu Ghristi
multiplicetur. Necesse fuit nos
que gesta sunt ciroa . . . et de
aduersario triumphare discamus
et eius possimus meritis partici-
pes inueniri. Igitur ea temper-
tate AnicetoRomane ecclesie pre-
sidente Policarcum Rome uenisse
atque habuisse sermonem cum
ipso Aniceto de Pasohe die Hy-
renevs refert . . .
! ) Diese Passio findet sick auch noch in dent Benediktbeurer
Clm. 4585 saec. IX— X.
s ) illis von spitterer Hand geschrieben.
200 Fr.WUhelm, K. Dyroff, Lateinieohe Akten des hi. Psotius.
Des. : Ac siout conueniebat ex
morte oondidimus. quo in loco
etiaro prestante domino sollemp-
nes agimus conuentus. Martyri-
zatus est autem nobilis noster
doctor Policarpus VII Kal. Fe-
bruarii agenteTraiano proconsule
Regnant e etc.
consul instantiam populi sanotum
Polioarpum iussit adduci . . .
Des. :Sic ltaquenospostmodum
uenerabiliter cum gaudio magno
sumentes omnia ossa cius depo-
suimus ubi boneste et possibile
est nobis conuenire et oum exul-
tatione et laetitia celebrare sane-
tas reliquiae eius. martirizauit
autem uobilis doctor noster Poli-
carpus Kal. Febrarias oonprehen-
susab H erode agente Traiano pro-
consule Regnante etc.
Die Heiligen, welche in beiden Kodices vorkommen,
wurden hauptsdchlich in Amiens, Apt, Autun, Chambrai,
Langers, Lyon, Mainz, Mans, Metz, Paris, Senlis, Trier, Troyes,
Tout, Tournai, Tours, Utrecht, Verdun and Worms verehrt.
Das tdsst auf zugrunde liegende hagiographische Samm-
lungen aus dem Merowingerreich schliessen. Dazu stimmt
die traditionelle Annahme, nach der der Clm. 4554, gleich
dem Clm. 4542, zu den sogenannten Kisylahss. gehdren
soil. Von Kisyla wird ausdriicklick im Clm. 4542 fol. 25b
berichtet, dass sie frdnkischer Abkunft war: Descriptio pe-
cuniae vel librorum, quos ad ecclesiam sancti Michaelis
archangeli ad Quochalun tradidit Kisyla monialis regali
Prancorum progenie edita pro sui commemoratione (vgL
G. Becker, Catal. bib. ant. p. 63). Diese Annahme erhdlt
eine weitere Stiitze durch die Beobachtung, dass die Formen
der Eigennamen in der gereimten, wetterauischen Thomas-
apostellegende des Cgm. 16. denen der Passio Thomae im
Clm. 4554 (M) am ndchsten stehen (vgl. F. Wilhelm,
Deutsche Legenden und Legendare, Leipzig 1907, S. 119).
Die Passio Thomae (BHL. 8136) diente dem wetterauischen
Gedicht als Quelle. Auch der Text, welcher der von A.
Mussaffia und Th. Gartner in ihren „Attfranz#sischen
Prosalegenden aus der Hs. der Pariser Nationalbibliothek
Fr. 818 (Wien und Leipzig 1895) a herausgegebenen alt-
franzdsischen Obersetzung dieser Passio zu grunde lag,
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinische Akten des hi. Psotiui. 201
muss, wie die Namensformen zeigen, dent des Clm. 4554
verwandt gewesen sein (F. Wilhelm, Deutsche Legenden a.
s. w. S. 43). Also noch am Ende des 13. Jhdts. lief en am
mittleren Rhein Abdiashss. am, die eine speziell frdnkisch-
franzdsische Textform aufwiesen. Von den Rheingegenden
werden demnach der Clm. 4554 und die Vorlage des Maihin-
gensis nach Bayern gekommen sein. Aus Frankreich werden
aber aueh der hi. Psotius und der hi. Militias nach Deutsch-
land verschleppt worden sein. Man wird nicht fehl gehen,
wenn man die im Merowinger- und Karolingerreich woh-
nenden Syrer als Vermitiler annimmt. Ihre Bedeutung fiir
die kulturellen Beziehungen zwischen Orient und Qkzident
ist von P. Scheffer-Boichorst in den MIOG 6, 521 (vgl.
besonders S. 545 und L. Friedldnder, Darstellungen aus
der Sittengeschichte Roms // 8 81 f.) in das richtige Licht
geriickt worden und wir wissen aus den epochemachenden
Studien J. Sirzygowskis (vgl. Hellenistische und koptische
Kunst in Alexandria im Bulletin de la sociiti archiologique
d'Alexandrie Nr. 5, Wien 1902), welch reger Handel zwischen
Gallien und Agypten bis nach Trier hinauf in der spdteren
rdmischen Kaiserzeit bestand. So diirfte auchfur literarishe
Erzeugnisse ein Weg, der fiir die Vermittelung zwischen
Agypten und Gallien bei den Kunsthistorikern Idngst aner-
kannt ist y wahrscheinlich gemacht worden sein.
Die Frage, ob unsere lateinischen Akten direkt auf
koptische zuriickgehen, oder auf einem griechischen, bezw.
syrischen Mittelglied fussen y wird sich freilich kaum genau
entscheiden lassen. Tatsache ist, dass koptische Akten iibet
diesen von der abendliindischen Kirche ganz vergessenen
Heiligen existieren, und dass sie den lateinischen inhalt-
lich und formell sehr nahe stehen. Hieriiber zu handeln,
hat ein Agyptologe von Fach f Karl Dyroff, freundlichst itber~
nommen.
Der hi. Psote, Bischof von Psoi (Ptolemais), wird im
Synaxar der koptischen Kirche unter dem 27. Kihak (23.
Dezember) verzeichnet. Der arabische Originaltext dieses
Buches hat in den letzten Jahren zwei Herausgeber gefunden:
MUnoheoer Museum f, Philologio des UA- I 2. 14
2Q2 Fr. Wilhelm, K.Dyroff, Lateinisohe Akten dea hi. Paotiua.
/. Forget im Corpus Script. Christ Or. seit 1905 (— Scrip-
tores Arabici, textus series tertia, torn. 18. ,Synaxarium
Alexandrinum') und R. Basset in der Patrologia Orientalis
seit 1907 (torn. 1 u. s. w. ,Le Synaxaire arabe Jacobite').
Das den hi. Psote betreffende Stile k ist in beiden Ausgaben
in zwei Rezensionen gedruckt, die sehr von einander ver-
schieden sind. Die kiirzere, bei Forget torn. 18, fasc. 2
(1906), p. 177, bei Basset torn. 3 (1909), p. 531 in der Note,
deutsch bei F. Wilstenfeld, Synaxarium (1879) 201, geht
offenbar auf eine Vita, die unserer late inisc hen sehr nahe
stand, zurilck: der den Heiligen verfolgende Kaiser ist
Diokletian, mil Psote wird Bischof Kallinikos als Mitver-
folgter genannt und diese beiden treten gleich in den ersten
Worten ganz wie in unserm lateinischen Text zusammen auf;
trotzdem sich der Auszug, den diese r Synaxar text a us seiner
Quelle macht, der dussersten Kiirze befleissigt, werden dock
zwei charakteristische Zttge bewahrt: Psote bittet den Ab-
gesandten, der ihn festnehmen und fortfUhren soil, ihm eine
Nacht Au/schub zu gewdhren, so dass er die Messe feiern
und sich von den Gldubigen verabschieden fcann; und
dann, Arianos ist von derSchdnheit und Wiirde des Heiligen
betroffen, ein Zug, der in unserer Vita (S. 1 86, a) bei anderer
Gelegenheit, dent Kurier gegenUber, eine Rolle spielt. Die
andere, Idngere Rezension, bei Forget fasc. 3 (1909), 359,
bei Basset a. a. 0. (530) im Text, hier auch in franzd-
sischer Obersetzung, setzt zundchst einen umfdnglichen
romantischen Apparat in Bewegung: der Kaiser war in
seiner Jugend ein Ziegenhirt bei den Eltern des Psote ge-
wesen und hiess Agrippides; 1 ) der fromme, sich kasteiende
Psote, der die Schafe hiltet, und der lockere, die Schalmei
blasende Agrippides standen da ma Is schon infolge ihrer
Lebensauffassung in scharfem Gegensatz zu einander.
Der leufel, eine ndchtliche Vision, geheimnisvolle Vorher-
sagungen bringen die Hand lung vorwdrts, schliesslich weiss
x ) S. hiezu Winstedt in dem hernach im Text genannten Auf-
satz 19$.
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinische Akten des hL Peotius. 203
es der Teufel zu filgen, dass Agrippides durch sein Schal-
meiblasen die dlteste Tochter des Kaisers Numerianus ge-
winnt; der Kaiser fdllt gegen die Perser und Agrippides
besteigt den Thron. Das ist bis hierher dgyptische Roman-
dichtung, deren Hauptmotive im Grunde auf Vopiscus
N timer. 14. 15. zuriickgehen; nur ist alles ins Christliche
umgedichtet, und zwar gar nicht ungeschickt. Von dem
Moment an, wo sich der Kaiser zur Verfolgung des Psote
wendet, wird der Faden der alien Vita wieder sichtbar und
auch hier sind charakteristische Ziige gewahrt, so z. B.,
dass der Abgesandte des Kaisers den Statthalter Arianos
davon abhdlt } den Heiligen zu foltern, und dass der Kerker,
in den Psote geworfen wird, mit Eselsdunger gefiillt ist.
Von koptischen Texten iiber die Vita des hi. Psote
kennen wir bis jetzt seeks Fragmente (— Winstedts fiinfen),
die vor kurzem von E. O. Winstedt in einem Au/satz tibet
Psote (yCoptic saints and sinners IV) in den Proceedings
of the Soc. of Bibl. Archaeol. 32(1910), 195 u. 246 u. 283
koptisch (sahidisch) und mit englischer Obersetzung heraus-
gegeben und kurz besprochen worden sind})
L Der dlteste dieser Texte scheint der auf dem Vati-
kanischen Blatt (Vat. Copt. 140, vgl. Zoega, catalogus cod.
Copt. 237 \ ^character of Zoega' s class 5' Winstedt 196) zu
sein, der Rest einer Vita, die unserer lateinischen Fassung
(S. 186 u. 185)ganz nahe steht. Das Blatt liegt tins in Photo-
graphies vor, dock haben Winstedt(246) undSeymour deRicci
(246 s ) an den beschddigten Stellen der Hs. erheblich mehrge-
lesen, als uns nach der Photographie zu verbiirgen mdglich
gewesen ware. Wir geben hier die Obersetzung.
. . . (S. 153a der Hs.) mit dem Brief des Kflnigs. Denn es
war Abend des Sabbats. Am Morgen des Sonntagsaber rief
der Kurier die Vorsteher der Nacht 3 ) herbei, den Strategen, den
Prytanis und den ..., indem ersagte: 'Diokles schreibt(?) uber
x ) Herr Prof. 0. v. Lemm in St. Petersburg hatte die Gate, uns
im Januar 1911 auf den Aufsatz Winstedts hinzuweisen. *) P. Ehrle
war so freundlich, diese uns zu besorgen. •) Vgl. den vuxxeptv^
oxpa-cir)Y6; bet 0. Hirschfeld, Die kaiserl. Verwaltungsbeamten 2 ( 661 8,
14*
204 Fr. Wilhelra, K. Dyroff, Lateinisohe Akten des hi. Psotius.
. . . < Psote und > Kallinikos, die < grossen > Bischflfe der
Lands^a^;'. Die Vorsteher nahmen den Brief und gingen zur
Kirche mit dem Kurier. . . . Sonntag . . . (S. 153b) Kirchen-
tiir, sie fanden sie verschlossen. W&hrend nun Apa Psote
drinnen in der Kirche war und sein Opfer darbrachte in der Zeit
(/. mpnau) der Morgendftmmerung des Sonntags, da raerkte
Apa Psote in seinern Geiste, dass .... Er ging und flff-
nete die Tliren der Kirche. Die Vorsteher und der Kurier
blieben draussen (?) vor der Tiire stehen mit dem Brief des
Kflnigs. Sie griissten ihn und sagten zu ihm : 'Diokles
schreibt dir\ (S. 154a) Apa Psote antwortete : 'DerKftnig
Diokles hat nichts mit mir zu schaffen\
Sie lasen ihm den Brief: 'Der Kflnig Diokles schreibt
an Psote und Kallinikos, die grossen Bischafe der Land-
schaft. Wenn sie meiner Verordnung und meinem Befehl,
den ich erlassen habe, gehorchen wollen und den rechten
Gtfttern der KOnige opfern und sie anbeten, so werden
sie grosse Macht gewinnen nicht nur in ihrer Stadt, sondern
auch im ganzen Lande. Wenn sie aber nicht hflren wollen,
so werde ich (?) (S. 154 b) sie zum Tode verurteilen.'
Als Apa Psote das gehflrt hatte, schwieg er eine
kurze Weile, indem er den Kopf schiittelte. Apa Psote
war aber sehr schtfn von Aussehen, voll von Gnade,
vollendet im Glauben an Christus. Er antwortete und
sprach zu dem Kurier, der mit ihm redete: 'Mein Sohn,
ich bitte dich um etwas, was nicht Sache des Diokles ist/
Der Kurier antwortete: 'Mein Vater, verlang nur (L mo-
noti)y was du willst. Ich werde es . . .' Apa Psote ant-
wortete: i . . .
Die folgenden Fragmente stehen alle wetter von der
alten lateinischen Passio ab als das Vatikanische Stiick.
Ich bringe zundchst drei Viten/ragmente, die ich } ohne
Riicksicht auf ihr zeitliches Verhdltnis zu einander, hier
so anordne, wie es der Gang der Handlung in der Passio
an die Hand gibL
2. Die Sammelhandschrift Paris, BibL Nat. Copte
I29' 6 enthdlt auf den Bldttern 23 und 24, die als S. 57
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinieohe Akten des hi. Psotius. 205
bis 60 einer koptischen Hs. paginlert sind, einen Text, der
mitten in einer Abschiedsrede Psotes an seine Gemeinde
einsetzt und sodann das Verhor Psotes vor Arianos bringt,
dieses Verhor geradezu in dialogischer Form. Winstedt
stellt zu diesem Fragment noch das Bl. 26 derselben Hs.,
nach der koptischen Paginierung zwei Seiten aus den
Vierzigern einer Hs., ferner das unnumerierte Bl. 27. Ich
kann mich nicht iiberzeugen, dass die Seiten aus den Vier-
zigern, selbst wenn sie zu derselben Hs. gehdren wie S. 57
bis 60, auch demselben Text entstammen wie diese; es
miisste denn nur mdglich sein, dass mitten in einer Pre-
digt gesagt wiirde: ( Hdrt, ich mil euch nun die Akten
unseres Heiligen verlesen' und dies dann geschdhe. Auf
S. 57 — 60 finde ich nichts von jenen charakteristischen
Predigtphrasen wie z. B. in unserer Nr. 5, 5. 21 1. Die
Seiten aus den Vierzigern hingegen, deren Predigtcharakter
deutlich ist, scheinen mir y mil ihrer Reihe von Bitten, den
Schluss einer Predigt darzustellen ; vgl. S. 212.
Von besonderem Interesse in dem folgenden Text ist
die Erwahnung des Kallinikos S. 207. Ich betone ferner,
well dies fiir die Geschichte des Psotestoffes wichtig ist,
dass Psote hter als junger Mann erscheint (S. 207), wdhrend
er in der Passio (S. 186,/s) im Greisenalter steht, vgl. auch
Nr. 5, S. 211 ('Vater des Konigs') und Clar. Press 55, s.
S. 2/2. Das ist wohl aus der besonderen Hervorhebung
der Schonheit und Wiirde des Heiligen in der alien Vita
(S. 186, 202, 204) herausgesponnen. Dieser Umstand ver~
bietet es nun auch, mit Winstedt 252 das Bl. 27 der Pariser
Sammelhs. mit unserm Fragment zu vereinigen, denn das
Wort 'Greisenalter* am Anfang von 27 muss wohl auf Psote
bezogen werden; wir reihen es als Nr. 3 an.
Koptischer Text bei Winstedt 249 — 52, Obersetzung
284 /. Vgl. die Passio S. 187—9.
(Bl. 23) . . . < 'Kommt, ihr Gesegneten > meines
Vaters, und erbt das Ktfnigreich, das euch bereitet ist seit der
Grundung der Welt' (Matth. 25, 34). Denkt daran, dass man
uns nicht bis zum Ende an diesem Orte lassen wird. Denkt
206 Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinische Akten deB hi. PsotkiB.
da ran, meine geliebten Kinder, dass ich alle meine Zeit
darauf verwendet habe, euch tfffentlich zu belehren iiber
euer Heil, und dass ich mich in keiner Sache vor euch
verborgen habe. Jetzt aber, seht, gebe ich euch in die
Hand des Herrn, der euch st&rken wird durch das Wort
seiner Huld. Betet ihr fiir mich, damit ich Foltern zu ertragen
vermag, bis ich vollende meinen Lauf, der mir bereitet
ist, damit ich den Tyrannen beschame und meinen Streit
vollende und zu Gott gehe auf einem geziemenden Wege,
damit ich Gnade finde vor meinem Herrn Jesus Christus.
Der Herr behiite euch, eure Kleinen wie eure Grossen, und
er schenke Huld uns (alien?) und unsern Kindern dazu und
unsern Eltern, Mannern wie Prauen, damit wir Gnade und
Ruhe finden an dem Tage, wo wir gepriift werden.'
Als er dies zu ihnen sagte, weinten sie und schrieen
zusamraen: 'Wenn sie auch unsere ganze Stadt zerstflren,
wir werden sie nicht dich von uns nehmen lassen.' Er
aber sprach zu ihnen: 'Doch, meine Kinder. Wenn ich
gehe, kann ich um so mehr fQr euch bitten. So wahr der
Herr lebt, ich liebe euch, aber ich liebe Gott mehr wie
euch.' Als er das gesagt hatte, segnete er sie, feierte mit
ihnen die Synaxis und ging von ihnen hinweg.
Man fuhrte ihn zu dem Statthalter Arianos.
Arianos sagte zu ihm: ,Bist du Psote, der grosse Bischof
der Landschaft?'
Psote sagte zu ihm: ,Ja, ich bins.'
Der Statthalter sagte: 'Der Konig Diokles hat einen
Brief an dich geschickt, dass du den unsterblichen Gtfttern
opfern sollst.'
Apa Psote sprach: *Wer sind die unsterblichen Gtftter?'
Der Statthalter antwortete: 'Die grossen Gutter sind
es, fiber die der Ktfnig uns geschrieben hat, Apollon und
Zeus, sie, (BL 24) die von jedermann angebetet und denen
geopfert werden muss; denn sie gaben uns den Sieg im Kriege.'
Apa Psote antwortete: 'Wahrhaftig, wie ein Leichnam,
iu dessen Seite ein Schwert steckt, sich nicht aufzurichten
vermag, um mit seinem Angreifer zu kampfen, so ver-
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten des hi. Psotiua. 207
mtfgen auch jene Gfltter sich selbst nicht zu retten, auf
dass sie andere retten konnten/
Der Statthalter Arianos antwortete und sprach: 'Psote,
sei nicht auch du unverstandig und ungehorsam wie Kal-
linikos, der sich ungehorsam zeigte und elend starb.'
Apa Psote antwortete: 'Der Tod des Kallinikos ist kein
Tod, sondern ein Leben in Ewigkeit/
Der Statthalter sprach: 'Ich sehe, dass deine schflne
Gestaltrair sehrgut passt; denn auch unsere Gutter wunschen
sich Leute deiner Art zu Priestern.'
Apa Psote antwortete: 'H5r auf, diese Wrichten Worte
zu &ussern. Me in Gott wird keinen Menschen zuruckweisen,
der sich zu ihm wenden wird. Nur sprich mir nicht von
dem Dienst deiner Gfltzen. Denn ich werde nicht opfern.
Wenn ich auch die ganze Zeit, die ich gelebt habe, vor
Gericht zubringen sollte, ich werde deinen eitlen Gottern
und Gtftzen nicht opfern/
Der Statthalter antwortete : 'Ferner noch dies : wir
bieten manchem von deiner Art die Ehre und er erkennt
sie nicht, (du aber solltest sie verstehen:) der Ktfnig ist es,
der zu dir spricht: du sollst mir ein Freund werden/
Apa Psote antwortete: 'Die Preundschaft dieser Welt
ist eine Peindschaft gegen Gott'
Der Statthalter sprach: 'Richte deine Jugend nicht
zugrunde/
Apa Psote antwortete: *Der Tod des Leibes ist kein
Tod, sondern ein Leben in Ewigkeit/
Der Statthalter sprach: 'Opfere.'
Apa Psote sprach; ' . . . ,l )
Der Statthalter sprach: * , . . '*)
Apa Psote antwortete: ' . . . M )
Der Statthalter befahl ihn auf die Folterbank zu legen in . . .
3. Die Worte des folgenden Fragments schliessen sich
unmittelbar an die Situation am Schluss des vorausgehenden
an, wenn man mit Winstedt 252 auf BL 27 der Pariser lis.
l ) Der Text der drei Reden ist zu stark zerstdrt, ats dass ich
einen zusammenhitngenden Sinn zu finden vennochte*
208 Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten dee hi. Psotius.
129 m die jetzt als Riickseite eingebundene Seite als Vor-
derseite fassL Mil dieser Anordnung der Seiten scheint
Winstedt in der Tat recht zu haben, denn die Vision, von
der die Vorderseite redely wird in die Nacht vor dem Tod
Psoles fallen. Weshalb ich aber nicht glaube, dass BL 27
zu Mr. 2 gehdre, habe ich S. 205 gesagt. Koptischer Text
bei Winstedt 252, Obersetzung 285 /. Zur Riickseite vgL
die Passio S. I89 9 20, die Erscheinung eines Engels (Christif),
wie sie in der Vorderseite erz&hlt wird, hat im Lateini-
schen keine Parallels
(BL 27 Rilcks.) . . . ein solches Greisenalter und dass (?)
sie ihn peitschen. Aber der Kurier liess es nicht zu, indem
er sagte: 'Der Ktaig hat nur befohlen: wenn er nicht opfert,
sollst du ihn zum Tod verurteilen.'
Der Statthalter befahl ihn zum Tod zu verurteilen.
Als er aber gesehen hatte, dass er nicht opfern wttrde, befahl
er ihn hineinzunehmen (?) und ihn ...
(BL 27 Vorders.) *. . . in den Hirameln und ein grosser
Thron der Ehren. Jetzt lege deinen Leib ab und gehe zu
mir. Denn da du viele Leiden ausgestanden hast fiir den
Namen des Herrn, wirst du auch grosse Ehrungen in den
Himmeln empfangen. ,
Als er dies gesagt hatte, ging er von ihm hinweg.
Apa Psote sprach zu dem . . })
4. Einer Vita des Psote gehdrte auch das Blatt 25
eben dieser Pariser Sammelhs. I29 lb an. Text bei Winstedt
286, Obersetzung 287. Der Schreiber sagte 'Psate' und
verwendet diese Form durchaus. Auch sonst finden sich
dialektische Spuren: so zu Anfang akr-sabe, akeirae (fiir
ek-), s. ferner 209 2 . Der entsprechende lateinische Text
S. 189,32. VgL noch die Bemerkung S. 210.
Er befahl den Apa Psate herauszufuhren. Als sie ihn
herausgebracht hatten, sagte er: 'Psate, bist dununklug?
Und weisst du, dass es b5se Foltern im Gerichtshof gibt?
So opfere also jetzt. Wenn nicht, so gibt es noch Schlim-
*) Stand hier ein dem spiculator (S. I92,ts) ent spree hen des Wort?
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinifiche Akt«n des hi. Psotiue. 209
meres als das im Gerichtshof/ Apa Psate antwortete und
sprach: 'Du Schamloser, denkst du jetzt, dass du mich
qualst dadurch, dass du mich eingesperrt hast? Ich werde
nur noch mehr ausgebildet (im Ertragen). Denn da du
kraftlos bist wie dein Vater der Teufel, so sind ja das
Qualen fur dich 1 ), sie sind es aber nicht fiir Apa Psate.
Nun, wenn das deine Qualen sind, so wird Psate deinen
abscheulichen GOttern nicht opfern. Denn du hast mich
bist jetzt noch nicht mit Qualen*) gepriift, in denen ich ge-
litten hatte/
Als er aufgehtfrt hatte, mit ihm zu reden, war der
Statthalter Arianos sehr erziirnt. Er gab den weiteren
Befehl, frischen Eselsdiinger in die Zelle zu bringen. Er
liees ihn wieder einsperren und versiegelte das Schloss hinter
ihm, (der) ohne Essen undTrinken weitere fiinf Tage (blieb).
Nach den fiinf Tagen brachten sie ihn dann heraus.
Er sagte zu ihm: 'Opfere'. Apa Psate antwortete: 'Ich
habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht opfern werde.
Tu mir, was du willst.' Er befahl zum dritten Male, ihn
einzusperren und hinter ihm zu siegeln. So brachte er
denn zwanzig Tage zu ohne zu essen und ohne Wasser
zu trinken.
Am zwanzigsten Tage liess er ihn herausbringen und
da sah ihn jederraann im Gerichtshof und sie wunderten
sich iiber die Anmut, die auf seinem Angesicht lag. Denn
sein Angesicht strahlte wie die Sonne und sein Leib war
rot wie die Rosen. Da erstaunte sich jedermann, der auf
ihn schaute. Der Statthalter aber sagte: 'Vieileicht hast
du heimlich gegessen? Wenn nicht, wie kommt dieses
herrliche Aussehen, das du bekommen hast?' Da sagte
Apa Psate: 'Tflrichter, der nicht klug war, du und dein s )
triigeri8cher Ktfnig . . .
') So muss man statt ^tir ihn 1 lesen.
s ) Man sieht hier, dass dies Wort fiir diesen Schreiber ubasanos
lautet und ein Singular masc. ist; Whnlich schrieb er vorher tenbasa
fiir te-oy-nbusa.
•) mn nekprru wohl Druckfehler.
210 Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akton des hi. Psotius.
Die Stelle dieser Vita 'dein Vater der Teufel* hdtte
von Winstedt (198) a Is Anspielung auf die Rolle des Teu-
fets in dem Roman der l&ngeren Synaxarfassung (S. 202 f.)
gedeutet werden kd'nnen. Es wdre aber wohl unrichtig ge-
wesen, vgl. im Lateinischen S. 185,7: 'Arianus . . . iratus
furore diabolico/ Ich gestehe, dass ich die 'other respects',
in denen alle koptischen Fragmente ausser dem Vatikani-
schen der Idngeren Fassung des Synaxars gleichen sollen,
nicht entdecken kann. Abgesehen von dem Jugendroman
beniitzen ja beide Synaxartexte die ihren Verfassern vor-
liegenden Vitarezensionen im wesentlichen in gleicher
Weise. Spuren des Jugendromans finde ich in unsern
Fragmenten nirgends, er taucht filr tins eben erst mit dem
idngeren Synaxartext auf.
Die drei Ubrigen Bruchstiicke stammen nicht aus Viten,
sondern aus Predigten iiber den Heiligen. Sie stehen da her
von unserm lateinischen Text weiter ab, wenn auch der
Wortlaut der zugrunde liegenden Vita an manchen Stellen
stark durchschimmert. Wir geben hier einige Male den
Wortlaut nicht vollstiindig,
5. Die zwei englischen Bruchstiicke gehdren zusam-
men. Das Blatt Brit. Mus. 347 (Crum, Catalogue S. 162)
ging in der Hs. dem Blatt Oxford, Clar. Press 55, un-
mittelbar voraus. Sie sind geschrieben 'in a regular upright
script of about the tenth century (cf Ciasca, I, tab. VM)'
Winstedt 196. Text und Obersetzung bei WinsL 198 — 202.
Die Handlung beginnt hier ungef&hr an derselben
Stelle wie in dem Vatikanischen Fragment, S. 203. Aber
dieser Text, also auch die zugrund liegende Vita, bringt,
was uns interessant isl, den kaiserlichen Brief, der hier
prostagma genannt wird, an derselben Stelle wie die
lateinische Fassung, nicht umgestellt wie auf dem Vati-
kanischen Blatt. Die ersten Worte des Bruchstilcks sind
der Schluss dieses Briefes an Arianos (S. 185>t5 y 204).
(Brit. Mus. 347) '. . . VVeua sie httren, sollst du sie
ilber das ganze Land Aegypten setzen.'
Daim brachte man die Verordnung zura Statthalter
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten des hi. Psotiue. 211
(hegemon) Arianos (in Antinoe) und brachte sie sudwarts in
die Landschaft (nach PtolemaXs zu Psote; = Thebats S. 185,23)
Sie fanden den Heiligen bei seinem taglichen Gottesdienst,
indem er sein Opfer nach seiner Gewohnheit darbrachte.
Sie fanden ihn in der Kirche, dem Hause Gottes usw.
(Es folgen rhetorische AusfUhrungen.) 1 )
Dann ftihrten sie diesen Heiligen zur Kirche hinaus
und lasen ihm den Brief des Kttnigs. Httrt, was dieser
Tapfere sagte: 'Diokletianos hat nichts rait mir zu schaffen.
Die Pinsternis hat keine Gemeinschaft mit dem Licht usw.
(Folgen Ausfiihrungen.)
Als dieser Tapfere nun die Anordnung (diatagraa) ge-
hflrt hatte, schiittelte er sein Haupt. Wiederum sprach er
in seiner Antwort*) voll von Ehre. Er sagte: 'Die Ehren
des Kttnigs sind nur ftir eine Zeit, die Ehre meines
Gottes aber ist ftir die Ewigkeit. Weshalb, Ktfnig, ziehst du
mich ins Verderben in meinem Greisenalter? Weshalb,
Kttnig, schreibst du, mich (iber deine besudelten Tempel
zu setzen? Ich werde durch meinen Kflnig Christus in
meine geliebte Stadt, das Jerusalem des Himmels, gesetzt
werden. Weshalb befiehlst du, mich 'Vater des Kflnigs'
zu nennen? Man wird mich den Kronentr&ger Christi
nennen.' (Folgen noch ein paar verstiimmelle Worle.)
Am Anfang des Blattes Clar. Press 55 steht Psote
vor Arianos. Die Wechselreden folgen im ganzen der
alien Vita s. 5. 188,27, nur alles breiter ausfilhrend.
Was sagte er zu ihm? 'Psote, opfere den Gflttern des
KOnigs. Gehorche der Anordnung des Herrschers. Nimm
die Ehren, die er dir schenkt. Ich werde dich fiber das
ganze Land setzen nach dem Wort meines Herrn des Ktfnigs.*
'Hflre auf mich, Arianos. Psote ist einer, der Gott
opfert seit seiner Kindheit. Psote ist einer, der das Opfer
emporhebt zu meinem Erlftser. Psote wird dir nicht ge-
') Winstedt 198, Z. 8 des kopt. Textes /. plogos o Moysei, ein
Druckfehler, vgL die Uebersetzung 20L Nach plogos wird ein Punkt
gestanden ha ben,
') L. hntefapologia, 5. WinsL 200, Z. //,
212 Fr. WHhelm, K. Dyroff, Lateraisohe Akten dee hi. Psotius.
horchen. Psote wird deinen G6tzen nicht opfern. In
meinem Mannesalter soli rair das nie passieren.'
Arianos aber redete zu ihm mit seinen Schmeicheleien:
'Psote, sei klug und opfere den G&ttern, damit du ein
Diener der Gatter und Preund der Kttnige werdest. Psote,
schone dich selbst in deinem Mannesalter. Psote, ehre dioh
selbst, denn die Ehren des Mannes kommen durch ihn
selbst. Sieh, wie die, die sich der Anordnung des KOnigs
widersetzt haben, elend gestorben sind. Sei klug.'
H5rt nun auch die Bntgegnungen dieses Tap fern. 'Ich
bin t&glich klug und schreite fort in der Klugheit. Ich
bin ein treuer Priester meines Gottes. Ich bin ein Mitteil-
haber der Engel der Aonen des Lichtes meines Kttnigs
Ohristus. Denn ich bin klug und ftirchte mich nicht vor
dem Tod dieses (Kttnigs). Ich ftirchte mich nicht vor
deinen Foltern. Ich ftirchte mich nicht vor dir. Tu rair,
wasduwillst. Dennes steht geschrieben: 'Schlag sohlechtes
Silber, dass es all rein werde' (s. S. 189,t6). Prtife den Psote
und du wirst erfahren, dass ich nicht mit schwankender
Seele vor den Richterstuhl gekommen bin. Ich bin nicht
versuchsweise (-= unerfahren) in den Krieg ausgezogen,
sondern gefesteten Sinnes durch meinen Kttnig Jesus. Mein
Mannesalter ruft mich zu dem Gastmahl meines Herrn usw.'
8. Die in Nr. 2—4 beniltzte Pariser fis. 129 16 enthdlt
auf BL 26 zwei Seiten aus den Vierzigern einer fi$., von
denen wir schon S. 205 gesprochen haben. Demnach halten
wir ihren Inhalt fiir den Schluss einer Predigt auf Psote.
Text bei Winstedt 248/., Oebersetzung 283 f.
Dem Anschein nach mitten unter geistlichen Ermah-
nungen, steht hier die Bemerkung, dass 'der heilige Mar-
tyrer Apa Psote heute freudenvoller war als Leute, die vor
der Hochzeit stehen' (vgL S. 191, 20), d. A. damals, als man
ihn suchte, um ihn vor den Richter zu fiihren. Aber die
Worte, die vorausstehen, scheinen mir auch nicht Ausse-
rungen des Predigers, sondern Schluss einer Rede des Psote
zu sein; 'Lasst uns also fliehen zu dem Mysterium, meine
Geliebten, in Furcht und Zittern, damit Gott uns zu sich
Fr. Wilhelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten dee hi. Psotius. 213
aufnehme und uns unsere Stinden nicht anrechne/ vgL
S. 188,6: 'communicemus mysteriis dominice passionis, et ita
procedam ad testimonium Christt/ Im Folgenden wird Psote
gebeten, da er nun Gott nahe sei, fur die Bediirfnisse der
glauhigen Gemeinde bei Gott Piirbitte einzulegen. Man
wird bei der Bitte, die Ketzereien auszurotten, an das
Gebet Psotes S. I88,i4 erinnert: 'custodi filios meos, popu-
lura tuum in veritate tua (vgl. S. 1 85,3 , 187, t und dfters). * Die
Redewendung 'er rief dich zu seinem wahren Gastmahl* mag
gleichfalls aus einer Vita genommen sein } vgL S. 191,39. 2/2.
Was die gesckichtliche Glaubwiirdigkeit der Psotius-
akten betrifft, so ist diese iiber alien Zweifel erhaben. Die
langen Fasten sind bei einem Orientalen durchaus nicht
auffdllig und unglaubwiirdig. Auch die ganze Art und
Weise des Vorgehens gegen den Heiligen stimmt zu dem,
was wir sonst iiber die Taktik der Diokletianischen Ver-
folgung wissen, die sich bekanntlich der Hauptsache nach
auf die Gemeindevorstdnde beschr&nkte. Interessant ist }
wie die Gemeinde auch in der von der romischen Verwal-
tung gewiinschten Weise reagiert: sie fiirchtet den Verlust
des Letters. Interessanter ist aber noch der politisch sehr
kluge Rat des Psotius. Er will sich fur die Gemeinde
op/ern, damit diese zundchst Ruhe habe. Wie sich aus den
lateinischen Akten ergibt, befahl Psotius dem Klerus bei
seinem Martyrium nicht offiziell zu erscheinen. Vertreter
desselben werden sich aber doch unter der zuschauenden
Menge befunden haben. Denn die Akten beruhen zweifellos
auf dem Bericht eines Augenzeugen, md'glicherweise auf dem
des paruulus lector Florens. Dieser paruulus lector ist iiber-
haupt eine beachtenswerte Figur, die A. Harnacks Aus-
fiihrungen TU. II 5, 57 f iiber den charisma tischen Cha-
rakter dieses Amies weiter bestdtigen. Dagegen sind die A us-
fiihrungen A. Harnacks, Mission und Ausbreitung des
Christentums //* 143 Anm. 2, dass vor dem Nicdnum in
Ptolemais ein Bis turn nicht genannt wird, und die daran
geknupften Vermutungen aufzugeben. Es hat schon zur
Zeit der Diokletianischen Verfolgung daselbst einen Bischof
und niedere geistliche Warden gegeben.
214 Fr. Wilbelm, K. Dyroff, Lateinisohe Akten dea hi. Psotiiia.
Die praesides, unter denen die agyptischen M&rtyrer der
Diokletianischen Verfolgung abgeurteilt wurden, sind Cul-
tianus und Arianus. Cultianus erscheint in einem Oxyr-
hynchus Papyrus vom Jahre 303 (vgL Grenfell und A . *S.
Hunt, Oxyrhynchus Papyri I 132 Nr. 71. , K. Schmidt TU.
XX 4, 47 /., A Harnack, Geschichte der altchristlichen
Literatur 11 2, 70 und H. Quentin, AnaL Boil. 24, 332) als
praeses augusialis in Agypten. Er wurde vielleicht schon
im Jahr 306 durch Hierokles abgelSsL Mdglich, dass
Arianos der Eparch der Thebais war, fiir den man friihet
Cultianus hielL Die genaue Zeit seiner Amtswaltung nach*
zuweisen ist uns nicht gelungen, nur so viel ist sicker, dass
sie in die Jahre 303 — 305 fdllt. Denn aus den Akten des
hi. Psotius mUssen wir schliessen, dass das Todesurteil an
dem Bischof von PtolemaXs noch unter der Regierung Dio-
kletians vollstreckt wurde.
M iinc hen, den 26. November 1911.
Friedrich Wilhelm.
Karl Dyroff.
Zur altsachsischen Genesis*
V. 22a ist auf der mir von P. Ehrle in Rom freund-
lichst besorgten Photographic (weiss auf schwarz) deutlich
zu lesen: ni te sk ni te scura. Die Konjekturen
Skadouues (Braune), skadoua (Holthausen, Siebs) und gi-
skerid (Jellinek) sind deshalb nicht gut mttglich, weil in
der Hs. sich von dem oberen rf-Balken keine Spur findet,
obgleich die Pergamentsph&re, auf der sich diese zeigen
raiisste, nicht besch&digt ist. In Betracht komrat daher
nur F. Schmidt ZfdA. 40, 128 ni te skerema ni te scura.
Miinchen, den 20. Pebruar 1912.
Friedrich Wilhelm.
Drei ungedruckte Ulricksmirakel.
lm folgenden sind einige, bis jetzt noch nicht veroffenl-
lichie Wunder vom hi. Ulrich aits Clm. 21 549 (frtther
Weihenstephan 49. XIV. Jhdt.) and Clm. 5512 (frUher
Diessen 12. Xlll.\XlV.Jhdt.) wiedergegeben. Die Legende,
aus der sie entnommen sind y ist eine Umbildung der Le-
bensbeschreibung Bernos (MSL. 142 y 1 183 ff.) y es finden
sick darin zahlreiche Anderungen und Erweiterungen gegen-
iiber der Vorlage}) Beide Hss. bieten u. a. auch die Ge-
schichte von Ulrich und Attila y die Wattenbach (N. A. Bd. 7 y
S. 139 //.) nach einer Wolfenbuttler Hs. abgedruckt hat. —
Das erste Wunder findet sich nur in Clm. 21 549 y die zwei
andern auch in Clm. 5512. Auf den Clm. 21 549 beziehen
sich die Blattangaben im Text.
1. BL 284 d (nach der jiingeren Paginierung) : Item qui-
dam dux Bawarie quosdam redditus ecclesie Augustane in-
debite occupavit. cui post multas ammoniciones ac exhor-
taciones, ut ad 9 ) offensas huiusmodi desisteret et illatas
iniurias emendaret, dixit beatus pontifex quodam die: 'scito,
quod 8 ) ab ista iniuria cessaveris cum emenda, a die hoc
infra anni circulum morieris'. que verba ille audiens in-
durato animo parvi pendit, sed tamen diem prefixum
dili^enter in sua memoria conservabat. anni itaque circulo
revoluto accidit, quod vir dei sanctus venit pro quibusdam
alijs suis negocijs Qat.*) quod percipiens dux prefatus sedens
in mensa sua sanus et letus insultando viro dei precepit
cuidam famulo suo dicens: 'tolle istum cyfum argenteum
*) Eine Inhaltsangabe der Fassung, wie sie in den beiden Hss.
vorliegt, gedenke ich in einer grdsseren Arbeit zu geben. ■) ab
offensis (?) •) wohl nisi zu erg&nzen. *) vielleicht der Name eines Ortes-
216 Albert Hirsoh, Drei ungedruokte Ulrichsmirakel.
o
et duas canulas boni vini et defer eas de me Vdalrico
episcopo Augustae dicens: hoc bonum vinum et istum bonum
cyphum (BL 285a) misit dominus meus dux in precium sive
sallarium ori vestro, ut bibat libencius et iocunde, pro eo,
quod non semper loquatur verum, sed et pronunciet falsi-
tatem aliquando. dixerat enim me a die hac sive huius
nisi ab offensa sue ecclesie desisterem, in futurum anni cir-
culum moriturum, et ecce ego letus ac totus sanus et in-
colomis nunc persisto/ que verba nuncius, ut dixit et
preceperat dux, raox retulit viro dei. quibus auditis sub-
misso vultu, quid ad ea responderet, episcopus parvo more
spacio cogitabat, quia ab eius memoria elapsa fuerant verba
ista. et protinus se erigens a nuncio requisivit: 'quando
et ubi et qualem reliquisti dominum tuum?' cum ille
respondit: 'iam in mensa et bene sanum per omnia hunc
reliqui, ad quern episcopus: 'vade et cito revertaris ad
eum: ipsum enim raortuum invenies et non vivum.' cum
itaque nuncius reverteretur, invenit ducem mortuum et
gestus et verba episcopi palam omnibus ennaravit.
2. (BL 286b). Erat enim 1 ) cripte*) in loco aliquantulum
eminenti. unde quadam ) vice cum in c ) devocione ad ipsam
vellet d ) ascendere, via fuit propter pluvias lubricata.*)
accepit*) itaque unum fusticulum de sepe quadam, ut in
eo ne r ) caderet, se h ) loco baculi stipularet. venit itaque
ad hostium cripte, quod se sibi rennuit aperiri. 1 ) habebat
enim ex consuetudine, quod se idem hostium sine manu
hominum advenienti sibi aperuit et post suum recessum
eciam k ) se clausit. 1 ) coniecit igitur vir dei se*) offensam
dei se aliquantulum 00 ) incidisse et cum de n ) hoc sollicite
cogitaret, nichil sibi ) conscius fuit mali. oravit igitur cum
l ) Voraus geht das von Berno (MSL. 142, 1J96D) erz&hlte
W under von einer Graft. ■) in offensam (?).
Clm 5512; BL 15b. *) loous oripte. b ) own quadam vioe. °) devo*
cionis oavsa. d > velit. •) lubr. propt. pluv. ') fust de a. quad.
fregit ') non. h ) et se. ') aperire. k J fehlt. *) olaudebat. m ) ali qua-
liter. ") feklL *) fehlt
Albert Hirsch, Drei ungedruckte Ulrichsmirakel. 217
affectu, ut sibi deus ft ) culpam dignaretur pandere, quia b )
paratus esset ea in melius emendare. astat itaque sibi c )
angelus dei dicens: 'putasne deum predones (BL 286 c)
diligere? quare sepem pauperis confregisti?' — accelerans
itaque fustera restituit et sepem fecit, quam antea ibi d ) fu-
erat, firmiorem devote pro excessu a deo e ) veniam postulando.
hostium vero 1 ) predictum sibi statim panditur*) reverteuti.
3. (BL 278 d) Duo autem menndici, h ) ab infancia eius
unus scilicet 1 ) cecus, alter vero k ) claudus, qui 1 ) fugiunt
de ilia porta, m ) per quam putabant episcopum ingressurum,
ne forte ab eo sanitati n ) restituerentur, ut oporteat eos de
cetero laborare. episcopus ) vero p ) fugiens laudem huma-
nam permisit ire familiam suam q ) iusta via, ipse vero cum
paucis intravit per portam aliam civitatem. veniunt itaque')
hij duo sibi obvij, cecus videlicet portans 8 ) claudum super
se. qui non putantes ipsum 4 ) esse episcopum pecierunt
eleemosinam 11 ) ab episcopo. quos sanavit continuo dans eis
donum T ), dicens, quibus operandi comparent w ) incrumenta,
et eos precipit 1 ) de cetero laborare.
*) deus dign. o. pandere. b ) quod. c ) angel, sibi dicens. d ) ibi
fehlt. fuit. e ) a deo fehlt. *) fehlt. *) statim revertenti p. Clm. 55/2.
BL 16b. b ) mendici. ') videlicet. k ) fehlt. l ) fehlt. m ) parte. n ) sanati
oporteat eos de oetero. °) sed e. ?) fehlt. <») fehlt. r ) fehlt. *) claud.
portaDs (super se fehlt). *) ips. ep. esse. ») ah eo elemosinam propter
deum. T ) denarios. w ) compararent instruments. x ) precepit.
Miinchen, den 28. November 1911.
Albert Hirsch.
MUnchcner Museum f. Philologie dee MA. I. 2. 15
Beitrage zur Stoffgeschichte des lateinisehen
Ordensschuldramas.
Das lateinische Schuldrama der Humanisten hat in
den Handen der Jesuiten eine eigenartige und in der Qe-
schichte des Theaters aller Zeiten vereinzelt dastehende Art
der Entwicklung gefunden. Was jenen nicht viel mehr
als eine gute Uebung im Lateinisch-Reden gewesen war,
das bildeten die Jesuiten in wohldurchdachtem Plane zu
einem wichtigen Zweig ihrer Propaganda aus, und wussten
damit in gleich eindringlicher Weise auf Jung und Alt
in ihrem Sinne zu wirken. Accomodentur actiones omnes
ad finem a societate intentum, ad motum animorum, in
detestationem malorum morum, pravarum consuetudinum,
ad fugandam occasionem peccandi, ad stadium ma/us vir-
tutum, ad imitationem Sanctorum, So stand schon in der
Ratio Studio rum von 1591 klipp und klar zu lesen, und so
blieb es, wenn auch die Mittel zur Erreichung des Zweckes
wechselten, zwei lange Jhdte hindurch, bis schliesslich
mit der Aufhebung des Ordens (1773) das lateinische Schul-
drama desselben auf immer yon der Biihne desselben ver-
schwand.
Der Umstand, dass die absonderliche Form jesuitischer
Dramendichtung nie anders denn als ausgesprochen tenden-
zifls gedacht war, erklart neben mancher Eigenart derselben
auch vielfach die Wahl der Stoffe. Nicht etwa die be-
sondere Prfigung dieses oder jenes Charakters aus Ge-
schichte oder Alltagsleben war es, die den Ordensdramatiker
anzog, nicht irgendwelche bemerkenswerte Taten oder
Schicksale an sich irgend eines Helden, den er aus seiner
Lektiire kannte, sondern nur das allein war fur ihn dramati-
scher Stoff, was sich den Zielen des Ordens gem^ss ver-
L. Pfandl, Zur Stoffgescbichte d. latein. OrdensBohuldramas. 219
werten Hess und ein mOglichst augenf&lliges Beispiel fur
irgend eine christliche Maiime abgab. Wahrend deshalb
Stoffe aus dem Alltagsleben nur ganz vereinzelt Ver-
wendung fanden 1 ), hielt man sich z. B. mit Vorliebe an
Vorwiirfe aus Martyrologien und religionsgeschichtlichen
Werken, wobei die Christliche Glaubenshoffnung und Liebs-
kraffty oder die Wahrhafft Christliche Starkmuetigkeit eines
meist jugendlichen Bekenners und Martyrers, im Verein
mit wohlgeiibter Darstellung und musterhafter Inszenierung,
ihre erbauende und im Glauben festigende Wirkung auf
die Zuschauer nicht verfehlen konnte. Nicht minder be-
liebt waren die dramatischen Helden graflichen, furstlichen
und koniglichen Standes, an denen sich nach den Be-
richten der Chroniken die Vorsehung, Gute oder Gerechtig-
keit Gottes besonders bewahrt hatte. Ungeratene und zu
Btissern gewordene Ktfnigsstfhne vom Typus Absaloms,
Beispiele von Wundertha tiger Ehrenrettung und ebensolcher
gSttlicher Sorgwaltung, wie sie die selige Genovefa oder
die Grafin von Toggenburg erfuhren, sind nicht minder
haufig, als Gestalten von Kttnigen aller Zeiten und Lander,
an denen sich menschliche Fehler und Leidenschaften be-
sonders bitter geracht, oder ruhmliche Tugenden nicht
minder glanzend gelohnt hatten.
Im folgenden soil nun in einer Reihe von Einzeldar-
stellungen ein Stoffgebiet des Ordensschuldramas beriihrt
werden, das in unergriindlicher Fiille Material fiir jede
denkbare Art dichterischer Auffassung darbot und demzu-
folge von Dichtern aller Zeiten und Vtflker mit Vorliebe
zum Schauplatz gewahlt wurde, die Gesehichte Spaniens
im Mittelalter. Der Gewinn soil dabei in zwiefacher Weise
*) lob brauche kaurn binzuzufUgen , dass ich hier nur vom
Jesuitendramu in seiner Hauptform, dem Schau- oder Festspiel
grurfsen Stils, spreche, wozu die im folgenden zu behandelnden
Drainen geboren. Die Uuterarten desselben, die rein kirchlichen
Sakramentwspiele, die Fastnacbtescherze, sowie die Klassendialoge
haben natilrlich eine scbon durch ibre Bezeicboung angedeutete
Stoffgesohichte fiir sich.
15*
220 L. Pfandl, Zur Stoffgesohiobte d. latein. OrdensBohuldraraaa.
sein einmal eine Vorarbeit fiir die vergleichende Litera-
turgeschichte, indem eine Etappe der Wanderung und
Wandelung des jeweiligen StoflFes dargelegt wird; in zweiter
Linie ein Beitrag zur Kenntnis und Geschichte der Ordens-
schuldraraatik durch Beibringung charakteristischer Belege
fiir die Art der Auswahl und Behandlung der dramatischen
Stoffe in demselben.
1. Fernan Gonzalez,
Die Geschichte an sich ist bekannt. Dera Kenner der
spanischen Literatur ist sie in erster Linie aus der Romanzen-
dichtung vertraut, und auch der Preund der vergleicbenden
Literatur- und Stoffgeschichte wird sie, vielleicht unter der
Rubrik „Verkleidungsmotiv tf registriert haben. Ein kurzes
Resuraee derselben wird deshalb geniigen.
Des Grafen Fernan Gonzalez Leben und politische
T&tigkeit fallt gerade in die Zeit der grdssten Zersplitte-
rung Spaniens, in die Periode der christlichen und muham-
medanischen Kleinstaaten. Zeit seines Lebens strebt er
als Herr der Grafschaft Kastilien darnach, sich die Unab-
hangigkeit vom Kflnigreiche Le<Sn zu erkampfen. Bald in
offener Empflrung, bald in heimlicher Intrigue sucht er
seinen Zweck zu erreichen. Er hat durch Heirat ver-
wandtschaftliche Beziehungen zu fast alien christlichen
Teilktaigen und liegt zu gleicher Zeit mit alien in ab-
wecbselnder Fehde. Seine steten Karapfe fiihren schliess-
lich auch zu jener Gefangenschaft, deren abenteuerliche
Ldsung verschiedentiich Gegenstand dichterischer Behand-
lung geworden ist. Das Seltsamste an dieser Gefangen-
nahme und Befreiung aber ist, dass dabei von Anfang bis
zu Ende die Manner nur die Werkzeuge waren, w&hrend
Weibertiicke hiiben und driiben die eigentlichen Faden
spann. Das kam so: Im Kriege rait K5nig Garcia von
Navarra gelang es dem Grafen, seinen Feind in einer
Schlacht an der Grenze von Kastilien und Navarra (im
Jahre 959) entscheidend zu besiegen. Er warf ihn in den
Kerker, der sich dera armen Gefangenen erst nach drei-
L. Pfandl, Zur Stoffgeeohichte d. latein. Ordenssohuldramas. 221
zehn langen Monaten wieder offnete und zwar auf Bitten
der Gemahlin des Grafen, die zugleich des misshandelten
Ktfnigs Schwester war. Fur diesen Ubergriff aber wusste
sich Dona Teresa, Koniginwitwe von Ledn und ebenfalls
Schwester des gefangenen KOnigs Garcia, an dera eigen-
machtigen Vetter dadurch zu rachen, dass sie ihren Sohn,
Konig Sancho von Le6n, iiberredete, den Grafen vor die
cortes generates zu zitieren, was ihm rechtsm&ssig zustand,
und ihn dabei gefangen zu setzen. Das geschah und hatte
dann die romantische Befreiung zurPolge, die dadurch zu
stande kam, dass die Gattin des Gefangenen sich Zutritt
zu demselben zu verschaffen wusste, mit ihm die Kleider
tauschte und ihra so zu rauheloser Flucht verhalf, w&hrend
sie selbst den nachtriiglicheii Zorn des KOnigs gar bald zu
versohnen verstand.
Das ist der Stoff an sich. Auf welchen Qmwegen aber
mochte derselbe bis in die stille Zelle des dichtenden
bayerischen BenediktinermCnches gefunden haben? — An
Stelle einer kurzen Beantwortung dieser Frage mtissten not-
gedrungener Weise miissige Kombinationen treten, hatte
uns nicht der wurdige Pater selbst mittels einer fragmen-
tarischen Notiz den kurzesten Weg gewiesen. Das gedruckte
Spielprogramm, mit dem wir uns sogleich eingehend befassen
werden, enth< n&mlich zu Ende der lateinischen Vorge-
schichte, des sogenannten Argumenium die Bemerkung:
Ha R, P. Bartholomaeus de Rogatis parte 3, L. 3. — Die
dem Nanien vorausgesetzte Abkurzung R. P. (d. i. = Re-
verendissimus Pater) lasst darauf schliessen, dass es sich
um das Werk eines Ordensgeistlichen handelt, und ein Blick
in die Jesuitenbibliographie Sommervogels belehrt uns, dass
nichts anderes gemeint sein kann, als die siebenbandige
Storia delta Perdita e Riacquisto delta Spagna occupata
da' Mori des Jesuiten Bartolameo de Rogatis, der im Jahre
1656 als Rektor des Jesuitenkollegiums zu Castellamare
starb. Tatsiichlich enth< diese Geschichte im 3. Buche
des 3. Teiles die ausfuhrliche Schilderung der Gefangen-
nalnne und Befreiung des kastilischen Grafen. Das Werk
222 L. Pfandl, Zur Stoffgesehiohte d. lutein, Ordenssohuldramas.
war seinerzeit in zahlreichen Ausgaben verbreitet 1 ) und
unter anderem auch in einer deutschen ftbersetzung 1 ) er-
schienen. Die Quellen, aus denen der italienische Jesuit
bei Abfassung seiner weitl&ufigen Storia schdpfte, liegen
offen zu Tage, dank der ldblichen Qewohnheit jener Zeit,
dieselben gewissenhaft zu zitieren. Es sind ihrer nicht viele
und er beniitzt auch die wenigen in ungleichem Masse.
Wfthrend Rodericks Sanctius und Rodericus Toletanus, sowie
einige ganz untergeordnete Chronisten nur gelegentlich und
iramer nur zur ausfuhrlicheren Erg&nzung herangezogen
werden, ist das eigentliche Werk nach zwei grundverschie-
denen Vorbildern gearbeitet, die ihm auch den unverkenn-
baren Stempel ihrer Eigenheit aufgedriickt haben. Band 1,
das heisst, die Schilderung des Sturzes der Gotenherrschaft
und des Einbruchs der Araber, ist nur eine freie tTbersetzung
der berahraten Verdadera Historia del Rey Don Rodrigo
des ob dieser F&lschung ebenso berdhmten Miguel de Luna})
Ftir den Rest des Werkes (Bd. 2 bis 7), also bis zur Ein-
nahme von Granada (1492), ist kein geringerer als Mariana
in erster Linie Gew&hrsmann, und es bedttrfte gar nicht
l ) Vgl. den Katalog des British Museum unter Rogatis.
*) Historischer Bericht von dent Verlust des Kbnigreichs Spanien
und dessen Wieder-Eroberung aus denen Hdnden der Mohren. An*
fdnglich in Italidniseher Sprach beschrieben durch die zierlicke Feder
P. Bartholomaei de Rogatis der Gesellschaft JESU, an jetzo aber
we gen der Fiirtreffiichkeit dieses Wercks und denen darinnen ent-
haltenen w under s am en Begebenheiten in die Teutsche Ubersetzt von
Einem Liebhaber der G esc nicht en. Mil Erlaubnuss der Oberen,
Augspurg, in Verlag Martin Happach und Frantz Xav. SchlUter,
im Jahr 1728. (8 Bande, 8°.) Diese deutsohe Ubersetzung stammt
ebenfalls Ton einem Jesuiten, wie die Druckerlaubnia des Provincialen
(datiert Augustae, 6. Aprilis, 1726) beweist.
•) In der Vorrede zum 1. Bande tut siob Rogatis nioht wenig
darauf zu Gute, dieses Werk „entdeckt* und seinen Landsleuten in
seiner Storia zug&nglioh gemaobt zu haben. tf ber das Buoh Miguel
de Lunas selbst, das bekanntlioh mehr Roman als Geschiehtswerk
ist und besonders auch in Frankreicb solum friihzeitig Ubersetzt und
viel gelesen wurde, vgl. u. a. Menindez y Petayo, Origenes de la
Novela, Bd. I (Madrid 1905), Seite CCCLXIL
L. Pfandl. Zur Stoffgeschichte d. latein. Ordensschuldramas. 223
der hftufigen Verweise auf das Vorbild, ura Geist vom Geiste
Marianas in den mit altersschwacher Hand geschriebenen
Zeilen 1 ) zu spiiren. Gerade Mariana behandelt librigens,
urn auf unseren Gegenstand wieder zurtick zu kommen, die
Gefangennahrae und Befreiung der Grafen Pernan Gonzalez
mit besonders liebevoller Ausfuhrliehkeit 2 ) und es darf uns
darnach nicht wundern, wenn auch Rogatis einige 15 wohl-
gezahlte Seiten braucht, bis er der interessanten Geschichte
nach alien Seiten hin gerecht geworden ist. Damit durfte
tibrigens die Quelle unseres Ordensdramatikers eingehend
genug zuriickverfolgt sein, und es ist, glaube ich, an der
Zeit, den Leser mit dem eigentlichen Gegenstande dieser
Untersuchung, dem lateinischen Schuldrama, bezw. dessen
Resten bekannt zu machen.
Der Titel des Dramas lautet:
INGENIOSUS AMOR CONJUGIS IN MARITUM:
SANCTIAE IN FERNANDUM, CASJELLAE
COM ITEM.
Es wurde am 5* und 6. September 1764 von den
Schiilern des bischGflichen Lyzeums in Freising') zur
') Wer moohte auch den ehrwiirdigen Rogatis des Plagiates
zeihen, wenn er (in der Vorrede zum 3. Bande) folgende an den Leser
gerichtete Mahnung liest: Piaccia a Dio che quel gusto, con que
assagiasti le mie prime fatiche, ti duri ancora nelle seconde, che
ardirei prometterti per avventura le terze: non accusar la mla penna
di tardo volo, se non seconda cost presto i tuoi desiderj f perche la
manOy che la governa e omai tremante per la vecchiezza. — Rogatis
erlebte nur mehr die VerofTentlichung des 4. u. 5. Bandes seines
Werkes. Die zwei Utzten Bande wurden nach seinetn Tode von
dem Jesuiten Andrea Sanelll nach dem hinterlassenen Manuskript
publiziert.
') tiistoria de EspaHa, libro VIIL cap. VII.
') Das Gymnasium der Benediktiner zu Freising (Oberbayern)
wurde von FUrstbischof Johann Franz Ecker in den Jahren 1697 bis
1714 in graduellem Ausbau errichtet und genau naob dem Vorbild
der Jesuitengymnasien in Mlinohen und Landshut ausgestattet und
geleitet. Nach dem Muster der von deu Jesuiten ausgehenden und
gefilhrten marianisohen Kongregationen (Uber die Bedeutung der
letzteren fUr das Ordensschuldrama vgl. man JahrbuchfUr Miinchener
224 L. Pfandl, Zur Stoffgeschiohte d. latein. Ordenssohuldramas.
Auffuhrung gebracht, ist uns jedoch leider nur mehr in
der Gestalt eines ausfuhrlichen Spielprogramms erhalten
geblieben. Der eigentliche Text desselben hat das Schick-
sal der meisten lateinischen Ordensschul- (und besonders
Jesuiten-) Dramen geteilt; er ist den ungiinstigen Zeit-
laufen zum Opfer gefallen. Man weiss, wie Unverstand
und BSswilligkeit in den Tagen der S&kularisation in
Bayern gegen die Schatze der Klosterbibliotheken vor-
gegangen sind und dass dabei die Hss-schatze nicht am
wenigsten zu leiden hatten. Leider war nun aber das
Dramenmaterial der einzelnen Schulen nur ausnahmsweise
dem Druck tibergeben worden, so dass gerade hier die
Verluste am grdssten sind. Es ware demzufolge auch aus-
geschlossen, im Ernst an das Zustandekommen einer „Ge-
schichte des lateinischen Ordensschul dramas" zu denken,
k&me uns nicht der Umstand zu Hilfe, dass sich eine grose
Anzahl der gedruckten Spielprogramme — man nennt sie
Synopsen oder auch Periochen — erhalten hat, die uns das
betreffende Drama, wenn nicht im vollem Umfange, so
doch zur bescheideneren H&lfte ersetzen 1 ). Sprache und
Vers, ebenso wie Charakterzeichnung, erstere g&nzlich,
letztere zum grttssten Teil, gehen dabei zu Verluste, da-
gegen vermag uns das Programm von Inhalt, Aufbau, Ex-
position und Art der Szenenfuhrung eine ebenso gute Vor-
stellung zu geben, als der Text des Dramas selbst. In
Geschichte, Band 3, S. 67) wurden am Freisinger Lyzeum ebeu falls
eine Congregatio major und minor gegrlindet. Das Lyzeum wurde
im Jahre 1803 aufgelost und erst von Konig Ludwig L im J ah re
1834 neu begrtindet Literatur: M. Deutinger, BeitrUge zur Ge-
schichte etc, des Erzb ist urns Mttnchen und Freising, Band 5, MUnchen
1854. K* Meichelbeck, Historia Frisingensis, Band 2, Augustae Vin-
delicorum 1729 ; deutsch von A. Baumg&rtner, Freising 1854. /. Punkes,
Freisings hdhere Lehranstalten. Freising 1885.
l ) So war beispielsweise Kipfca in seiner Studie liber Maria
Stuart im Drama bei zweien von flinf Jesuitendramen, die er zu
untersuchen hatte, ausscbliesslich auf diese Programme angowiesen ;
bei zwei weiteren Dranaen fehlten aueh diese, und nur oinos von
den fUnfen war in Text uud Synopse vollig erhalten.
L. Pfandl , Zur Stoffgeschichte d. latein. Ordenssohuldramas. 225
manchen Punkten, wie z. B. Quellenfrage, Verteilung der
Rollen auf die verschiedenen Schulklassen etc. gibt uns
die Perioche sogar Aufschlusse, die wir im Drama vergeb-
lich suchen wurden. Ein naheres Eingehen auf Form und
Inhalt dieser Spielprogramme im allgemeinen gestattei der
geringe Umfang dieser Studie nicht. 1 )
Urn demnach kurz zu resiimieren: das Drama selbst
ist nicht mehr nachweisbar*) und wir haben uns aus-
schliesslich an die Synopse desselben zu halten, von der
sich je ein Exemplar auf der Hof- und Staatsbibliothek
(4°. H. lit. P. 278. II.) bezw. auf der Universitatsbibliothek
(P. lat. rec. 1253) in Miinchen befindet. Zunachst wird es
sich nun darum handeln, aus dem zum Teil die Exposition
vertretenden Argumentum , aus der Inhaltsangabe der
Perioche 3 ), sowie aus ihrem Zusammenhalte mit der Quelle
mit mdglichster Treue den Gang der Handlung zu re-
konstruieren. Dieselbe verlauft in denkbar einfachster Ent-
*) Zur naheren Informierung iiber diese Art von Dramen iiber-
haupt verweise ich auf die Zusammenstellung der wichtigsien Li-
teratur Uber das Jesuitendrama, die ich in der GRM* 2 (19/0), 445 f.
gegeben habe,
■) Es miisste, wenn es sich erhalten hatte, auf der Muncliener
Hof- und Staatsbibliothek zu linden sein, der die Bucherei des Frei-
singer Benediktinerklosters. soweit man sie des Aufbewahrens fiir
wiirdig erachtete, seinerzeit einverleibt wurde. Laut Ausweis dieser
Bibliothek ist es jedoch auf derselben nicht vorhanden.
*) Eine Perioche setzt sioh, urn das Notigste hier kurz einzu-
schalten, in der Regel zuzammen: 1. aus dem ausfUhrlichen latei-
nischen Titel des Dramas mit Angabe der Spioltage, des Anlasses
der Auffiihrung, der naheren liezeichnung der Ordensschule bezw.
des Klosters, uiomals aber des Yerfassernamens selbst. 2. Aus dem
Argumentum, d. i. einer kurzen Darstellung des im Drama behan-
delten Stoffes naoh den vom Dichter benutzten Quellen, mit kurzer
Angabe der letzteren. Das Argument ist stets zweisprachig und
zwar zuerst lateinisch fUr die Gelehrtpn, dann deutsch (bezw. in der
betreflenden LundeH.spt ache, z. B. franzosisch oder spanisch) fiir das
Voik. 3. Aus dor soenenweise und e ben falls zweisprachig gegebenen
Inhaltserklarung des Dramas. 4. Aus der Liste der an der Auffiihrung
beteiligten Studeuten und Frofessoren.
226 L. Pfandl, Zur Stoffgeechiohte d. latein. Ordensschuldraraas.
wicklung in drei Aufziigen und stellt sich uns folgender-
massen dar:
Erster Aufzug.
Graf Pernan Gonzalez schraachtet bereits im Kerker;
schon hat sich aber auch seine treue Gemahlin auf den
Weg gemacht, ihn daraus zu befreien. Angeblich auf einer
Pilgerfahrt nach Compostella begriffen, hat sie dem Kflnig
Sancho bereits Nachricht von ihrer Durchreise zukoramen
lassen. Das wissen wir — und wir miissen uns hier an
die Stelle der Zuschauer auf die Banke des Schultheaters
versetzen — bereits aus der Lektiire des Argumentum auf
dem Spielprogramm. Nun hebt sich der Vorhang und,
nachdem die kunstvoll gereimten Arien des Prologs 1 ) ver-
rauscht und die guten und bflsen Genien verschwunden
sind, zeigt sich uns ein neues, fesselndes Bild: der Kdnig
sitzt in eifriger Beratung mit seinen Ministern und Raten
zusammen; es handelt sich urn die Art und Weise, wie die
hohe Base, deren Ankunft eben vermeldet wurde, erapfangen
werden soil, Zunachst werden ihr auf ein gutes Stuck
Wegs die ktfniglichen Leibjager zum Ehrengeleite entge-
gengeschickt, dann aber bricht der KOnig mit seinem Hof-
staate selbst auf und zieht der Ankommenden bis vor die
Stadtmauern entgegen, denn Ktfnig Sancho war, wie wir
bei Rogatis erklarend lesen, von Natur freundlich und leut-
seligy ausgenommen wann ihn der Zorn verblendete.
Wahrend der gl&nzende Zug unterwegs ist, diirfen wir
in raschem Scenenwechsel einen Blick in das Gefangnis
des Grafen werfen. Bereits hat ihm der geschwatzige
custos carceris verraten, dass seine Gemahlin des Ktfnigs
Gastfreundschaft auf kurze Zeit in Anspruch nehmen werde.
Tiefe Traurigkeit erfasst bei dieser Nachricht den Ge-
fangenen, der naturlich von dem Rettungsplane seiner
mutigen Gattin nicht im geringsten Ahnung hat. Reich-
liche Klagen miissen diese Scene ausgefiillt und gelangt
x ) Derselbe ist ausnahmsweise in uuserer Perioche vollstandig
abgedruokt; uaheres uber ihn spater.
L. Pfandl, Zur Stoffgesohiohte d. latein. Ordenaschuldramas. 227
haben, denn inzwischen ist die Einholung des hohen
Gastes vor sich gegangen und mit wahrhaft koniglichem
Prunke (regali luxu) wird in der Schluss-Scene dieses Auf-
zuges die Grafin Sancha ira Palaste empfangen. Die ent-
schlossene, zielbewusste Frau vers&umt denn auch keinen
Augenblick in der Verfolgung ihrer List und richtet noch
wahrend dieser Empfangsscene an den Kflnig die Bitte, sie
die Nacht bei ihrem Herrn und Ehegemahl im Kerker
zubringen zu lassen; eine Bitte, die der Ktfnig ohne
weiteres gewahrt.
Zweiter Aufzug.
Die Ausfuhrung der List naht. Was fiir Uberredungs-
kiinste die liebende Gattin in der Iangen Kerkernacht ange-
wendet, urn den stolzen Grafen zur Plucht in Weiber-
kleidern zu bewegen, das erfahrt der Zuschauer nicht; er
sieht nur die Wirkung und freut sich der gelungenen List.
Die Scene — vermutlich ein freier Platz in oder vor dem
Palaste — ist von J£gern bevtilkert, die in larmender
Unterhaltung iiber die Erfolge der vorausgegangenen Hof-
jagd begriffen sind. Unbeachtet von ihnen schreitet eine
hohe Frauengestalt voriiber und strebt dem Freien zu: der
Graf ist gerettet. — Leider macht sich bereits von hier
ab die Hauptschwache des Dramas unangenehm fiihlbar;
der Stoff ist fiir eine dreiaktige Behandlung zu knapp,
und die Folge davon sind nebensachliche Fullscenen, die
mit dem eigentlichen Gegenstande in recht losem Zu-
sammenhange stehen. Eine derselben zeigt uns zwei
Reisebegleiter der Grafin, wie sie sich wegen des plOtzlichen
Verschwindens ihrer Herrin schier zu Tode grSmen und
ein frommes Geliibde machen, damit sie nicht das schlimme
Los ihres Gatten teilen musse. In der Schluss-Scene dieses
Aufzuges aber werden auf ktfniglichen Befehl die Wachen
an alien Tiiren und Toren des Palastes verdoppelt, weil
ein bcJser Traum den Herrscher wahrend der Nacht ge-
plagt.
228 L. Pfandl, Zur Stoffgesocioht* d. late in. Ordensschuldramas.
Dritter Aufzug.
Inzwischen hat die Sache von selbst zur Entscheidung
gedrangt. Die Gefangniszelle des Grafen ist geoffnet
worden und der Betrug ans Licht gekommen. Nachdem
noch einige Scenen damit herumgebracht werden, dass ver-
schiedene nichtsahnende Hofkavaliere und die bekannten
Reisebegleiter vergeblich nach der verschwundenen Grafin
suchen, wird diese endlich in einer wirkungsvollen Schluss-
Scene vor den Ktfnig zitiert, urn Aufschluss und Rechen-
schaft zu geben. Leider ktfnnen wir nur vermuten,
welches die Einzelheiten dieses Auftrittes waren, in welchem
sich zwei wirklich draraatische Gestalten, der erziirnte
Ktfnig und die in ihrer Liebe zu jedem Opfer bereite mutige
Gattin entscheidend gegeniibertraten. Einige Anhaltspunkte
gibt uns der deutsche Teil des Argumentum, in dem es
zum Schluss heisst: Wer kann genugsam erkl&ren / wie
sich der Kd'nig auf diese unverhoffte Nachricht geb&rdet
habe? Bei Rogatis aber lesen wir weiter:
Er klirrte / heulete / zerschluge sich die Brust / und wolte es
nicht glauben. Die Grilfin aber fuhr er fol gender massen an:
So seyd dann ihr I meine vielmehr Feindin / als Baass (=Base)
anhero kommen \ mich meuchlerischer Weiss zu betrUgen / und zu
hintergchent dffet man so die Koniget und verspottet man also
FUrsten meinesgleichent entweder schaffet mir den Grafen wieder
zur Hand j oder ihr sollet mir dasjenige / was er mir schuldig
ist / mil dem Kopff bezahlen. Schauet nur die Vermessenheit!
meine GUtigkeit also zu missbrauchen / meine Hdfflichkeit zu
hintergehen j die Ges&tz der Gast-Freyheit / der Freundschafft /
und der Gebilhr zu verletzen t sich der Religion / und des Mit-
leidens zum Vorwand zu bedienen j umb die Gebilhr der Gerechtig-
fceit j und der Redlichkeit Ubern Hauffen zu werffenf gut / ich
weiss schon j was ich zu tun habe. Ich will Castilien in Brand
sleeken / die StUdte verstoren j den Grafen I den Verrdther \ den
verloffenen / erwiirgen j und mil demselben die BetrUgerin / dessett
Gemahlin \ hinrichten lassen.
Also wettert der erziirnte Herrscher nach dem Berichte
des Geschichtschreibers. Und aller Wahrscheinlichkeit nach
hat sich unser dichtender Monch wie in den Umrissen
seiner Fabel, so auch in deren Einzelheiten enge an sein
L. Pfandl, Zur Stoffgeaohichte d. latein. Ordensschuldramas. 229
Vorbild angeschlossen, so dass wir uns wenigstens annahernd
ein Bild von der vermutlich hochdramatischen Scene machen
ktfnnen, in der sich der konigliche Zorn fiber dem Haupte
der schuldigen Grafin entlud. Diese liess, wie der Chronist
berichtet, alle Vorwiirfe ruhig iiber sich ergehen, wartete
geduldig, dass die Wuth in etwas nachliesse, und begann
dann demiitig und ehrerbietig ihre Verteidigung: sie hatte
fur den GraFen nur getan, was jeder Ehemann von seiner
Gattin verlangen konne; der Ktfnig mtfge sich in dea
Grafen Lage hineindenken, wie dankbar wurde er nicht
derjenigen sein, die seine Befreiung auf diese Weise ge-
wagt hatte. Schliesslich appellierte sie an die Gerechtig-
* *
keit und Grossmut des K6nigs und bewirkte zu aller Uber-
raschung, dass sie alle Nebel aus seiner Seel vertriebe \
mil welchen der Zorn dieselbe erfiillet hatte. Nun sein
Jahzorn verraucht war, kannte auch sein Edelmut keine
Grenzen mehr. Er feierte die mutige Gattentreue der
Grafin in uberschwenglichem Lobe und schickte sie schliess-
lich mit reichen Geschenken und unter ehrenvoller Escorte
nach Burgos zu ihrem Gemahl zuruck.
Damit ist die Handlung des eigentlichen Dramas zu
Ende. Urn sie herum aber ranken sich nach der durch
unzahlige Vorbilder geschaffenen Regel kunstgerecht Pro-
log, Epilog und Chore. Diese Art von Beiwerk hat nun
freilich mit der spanischen Herkunft des Stoffes, seinen
Quellen und der Art seiner Behandlung so viel wie nichts
gemeinsam, muss jedoch hier der Vollstandigkeit wegen
mit angefiihrt werden. Prolog und Epilog versinnbild-
lichen in allegorise her Weise die Handlung des Dramas,
wahrend die beiden (nach den ersten bezw. zweiten Akte
eingelegten) Chorpartien eine Art mythologischer Para-
phrase der dramatischen Pabel darstellen. Die Gattenliebe
der Frau, wie sie im Drama selbst gefeiert wird, tritt im
Prolog als Genius hervor und iiberwindet mit Hilfe des
Bonum Consilium die Damonen Vindicta und Proditio. Zu
Ende des Dramas sodann wird in einem wohl als besonders
wirkungsvoll gedachten Abschlusse Amor Conjugalis zum
230 L. Pfandl, Zur Stoffgeschichte d. latein. Ordongsohuldramai.
Zeichen seiner Unvergftnglichkeit vom Genius der Aeter-
nitas unter die Sterne des Himraels versetzt. Den Gegen-
stand der Chore bildet, wie gesagt, ein mythologischer Stoff:
Ariadne, die rait ihrem rettenden Faden den Theseus aus
dera Labyrinth befreit, ein in den Augen des humanistisch
fuhlenden Ordensdraraatikers wiirdiges undklassischesGegen-
stiick zur Heldin des Dramas selbst. Der erste Chor, iiber-
schrieben Theseus fili beneficio ab Ariadne ex Labyrintho
educitur, bildet formell den Abschluss des ersten Aufzuges
und inhaltlich zugleich eine Vorbereitung des zweiten, in
welchem die Befreiung des Grafen vor sich geht. Der
zweite Chor: Restituta Theseo suo Ariadne inter plausus
Cecropiae Juventutis cum eo Cretam deserit, stimmt in
analoger Weise zu dera dritten Aufzug des Dramas. Gleich-
wohl darf man hinter den beiden Chtfren kaura raehr suchen,
als ein Zugest&ndnis an den Geschraack des gelehrten Teils
der Zuhorerschaft. .
Von grOsserera Interesse als Prolog, Epilog und Chore
ist fur uns die Quellenfrage des Dramas, d. h. die Art und
Weise, wie der Verfasser seine Vorlage benutzt und aus-
geschlachtet hat. Es wurde bereits erw&hnt, dass die
italienisch geschriebene Geschichte Spaniens des Rogatis
auch in einer deutschen Cbersetzung (seit 1727) vorlag.
Diese deutsche Ausgabe nun lieferte den Stoff und nahezu
auch die genaue Einteilung desselben fur unser Drama.
Wie schiilerhaft strenge sich der Autor desselben an den
Text seiner Quelle hielt, illustriert am besten der Urastand,
dass schon der deutsche Teil des Argumentum ganze
Satze wflrtlich bezw. mit leicht erkl&rlichen Ab&nderungen
aus der Vorlage herubernimmt. Ein paar GegenQberstel-
lungen mftgen das zeigen:
Sie kam .... mit der Versiche- .... mit der Versicherung j dass
rung J dass sie es filr die grosste sie es fiir die grosste Gnad halten
Gnad halten wiirde / wann sie wtirde / wann sie dise Nacht bey
selbe Nacht bey ihrem Herrn sich demselben schlaffen ktinnte.
aufltalten ddrffte. (Rogatis, deutsohe Ausgabe III,
(Argumentum.) 237.)
L. Pfandl, Zur Stoffgeaohichte d. latein. Ordensschuldramas. 231
Wer kan genugsam erkl&ren /
wie sich der Kb nig auf diese
unverhoffte Nachricht gebdrdet
habet (ib.)
Die Ursachen aber / u nd Ent~
schuldigungen j welche Sanctia
vortruge j flatten sotche Krafft j
dass er sie endlich selbst rtth-
mete j und unter einer Adelichen
und sehr Ansehnlichen Beglei-
tung wider zu ihren Gemahl
nacher Burgos zuruck schickte.
(ib.)
Wer kann aber genugsam er-
kl&ren I wie sich der Kbnig auf
dise so unverhoffte Nachricht ge-
bdrdet habet (ib. Ill, 241.)
Diese Ursachen und Entschul-
digungen \ welche sie . . . dem
Kdnigvortrugej hatten eine sotche
Kraft
. . . . er schickte sie mit reichen
Geschenken j unter einer Adelichen
und sehr ansehnlichen Begtei-
tung . . . wider nacher Burgos zu
ihrem GemahL (ib. Ill, 244,)
Ebenso wie die Vorgeschichte, so ist auch die Ver-
teilung des Stoffes auf die einzelnen Akte ganz mechanisch
der Vorlage entnommen. In Ziffern ausgedriickt wiirde sich
das Verhaltnis also gestalten:
Rogatis :
Band 3, Buch 3, Kap. 4,
Drama :
= Erster Akt.
„ „ Kap. 5,6 = Zweiter Akt.
„ „ Kap. 7 = Dritter Akt.
Das heisst, jeweils ein bestimmter Abschnitt der ge-
schichtlichen Erzahlung wurde vora Dramatiker einfach in
Scenen und Dialoge erweitert. Einige Schwierigkeit ergab
sich dabei nur fur den zweiten Akt, auf den die Kerker-
scene, d. h. das Zusaramensein des Grafen und seiner Ge-
mahlin und die eigentliche Verkleidungsscene getroffen
h£tte. War doch schon der fromme Geschichtsschreiber
einer Schilderung dieser Dinge mit folgender Rechtfertigung
aus dem Wege gegangen : Die Freud j so diese zwey gliick-
seelige Gesponsen in diser Finstere genossen / geziemet der
Feder nicht \ an den Tag zu geben; noch vie I weniger ist
erlaubt / ihren verliebten Reden nachzuforschen, und hatte
dann um so liebevoller und eingehender die Uberredungs-
kiinste geschildert, mit denen die Grafin ihren Gatten zur
Flucht bewog. Aut der Buhne vollends aber waren die
Einzelheiten dieser Gefangnisscene ganzlich unmdglich.
232 L. Pfandl, Zur Stoffgeeobiohte d, latein. Ordenssohuldramas.
Hier nun hatte die schaffende Hand des Dramatikers ein-
greifen und den Thespiskarren gewandt und sicher liber
die gefahrliche Stelle hinwegziehen mussen. Ob nun der
Freisinger Choragus die nfitigen Gaben hiezu nicht be-
sessen, oder ob ihm nur Zeit und Lust gefehlt, dariiber
schweigt die Geschichte. Tatsache bleibt nur, dass sich
die Handlung des zweiten Aufzuges an den Kriicken arm-
seliger Piillscenen miihsam von der Stelle schleppt, sowie
der Htfhepunkt, die sogenannte Catastasis, voriiber ist.
Im ganzen genommen ist demnach das Verhaltnis des
Dramatikers zu seiner Quelle — soweit es sich aus der
Perioche entnehraen lasst — ebenso einfach als sklavisch:
er schreibt vielfach direkt ab; eigene Erfindungsgabe zeigt
er sparlich, schwimrat vielmehr in der klaglichsten Weise,
sobald ihn seine Vorlage im Stiche lasst.
Wenn trotzdem das Drama in seinem Aufbau regel-
richtig und sogar wirkungsvoll ist, so gebuhrt das Ver-
dienst daran weder dem Dramatiker, noch dem Quellen-
schriftsteller, es liegt der Grund vielmehr in dem eminent
dramatischen Charakter der ganzen Begebenheit. In ihrer
einfachen Struktur ist die Fabel ein Musterbeispiel fur
den Aufbau eines Dramas, ob wir nun die verschiedenen
Stufen (1. Vorgeschichte ; Befreiungsplan der Gr&fin. — .
2. Ausfiihrung desselben. — 3. Wirkung und Polgen.
— ) nach moderner Bezeichung Exposition, ff&hepunkt,
Katastrophe heissen, oder sie an das Schema der Jesu-
itendramaturgie x ) mit Protasis- Epitasts, Castas is, Cata-
strophe, zwangen wollen. Von ganz besonderem Werte
speziell fiir die Zwecke des Ordensschuldramas war der
Umstand, dass sich aus dem Stoffe ein wirksames Tugend-
beispiel machen liess, ein Preislied auf Wert und Schdn-
heit des Amor Conjugalis. Denn, wie im Sohul- und
Klosterwesen, so waren die Jesuiten auch in ihrem Drama
vorbildlich fur die tibrigen Kongregationen geworden. Aus-
') Der Hauptvertreter derselben ist der Jesuitenpater Fran-
ciscus Lang. Bekannt ist sein interessantes BUcblein Dissertatio
de Actione Scenica (1727).
L. Pfandl, Zur Stoffgeschichte d. latein. Ordensschuldramas. 233
bildung der Schuler und Beeinflussung der Zuhtfrer, das
war die doppelte Tendenz dieser Ordensdramatik, wenn
auch die Scharfe derselben bei den nichtjesuitischen Kon-
gregationen etwas gemildert sein mochte. Dieses tenden-
zidse Moment wird nur zu oft bei der Beurteilung der-
artiger dramatischer SchOpfungen ausser Acht gelassen,
und ebenso absprechende als ungerechte Urteile sind die
Folge davon. Zu alledem korarat, dass uns modernen
Menschen die Ordensschuldraraatik jener Zeit nicht viel
mehr ist, als eine Totenmaske, aus der wir zu erkennen
glauben, wie der Lebende, den sie darstellt, einst aussah,
wie er weinte und lachte, wie er redete und sich gebardete.
Die Maske aber ist stumm, und so bleibt auch uns, die
wir mit dera geschriebenen Worte rechnen miissen, das
einst gesprochene fur immer versagt, die Darstellung, fur
die diese Draraen ausschliesslich geschaffen waren, fur
immer entzogen. All das sollte bei der Beurteilung der-
selben viel mehr ins Gewicht fallen, dann wiirden nicht
heute noch Urteile zu lesen sein, die einzig und allein auf
Grund der Synopse ein solches Drama als elendes Mach-
werk verdammen.
Zum Beschlusse dieser kleinen Studie darf ich vielleicht
noch ein paar Worte liber unseren Gegenstand vom
Standpunkte der vergleichenden Stoffgeschichte anfugen.
Unser Ordensschuldrama gehort zur zahlreichen Sippe der
sogenannten Verkleidungsdramen und zwar der Verklei-
dungsdramen im engsten und eigentlichen Sinne, also jener,
deren Verwicklung durch eine andersgeschlechtliche
Verkleidung 1 ) bestritten wird. Letztefre ist im Drama iiber
l ) Die Bezeichnung stammt von H. Holzke (Das Hassliche
in der modernen Literatur, Braunschweig 1902) und soil
kurz jene Art der Verkleidung bezeichnen, bei der Angehorige des
einen Geschlechts die Kleidung des andern zur Erreichung bestim ni-
ter Zwecke benlitzen. Jiingst hat auch E. S c h u 1 z in einer Hallenser
Dissertation (1904) das Verkleidungsmoti v bei Shakespeare
untersucht und sich dabei mit Recht auf die genannte Art der
Verkleidung par excellence beschrankt.
MUnchenor Museum f. Pbilolojie dee MA. 1. 2. 16
234 L. Pfandl, Zur Stoffgeechichte d. latein. Ordeusschuldramas.
alle Zeiten und Kulturvtflker verbreitet, ganz besonders
gelaufig aber ist sie den Dramatikern des 16. und 17. Jhdts.,
wozu in erster Linie die italienischen Novellensammlungen
beigetragen haben. Daneben taten aber auch Tradition
und Geschichte das ihre, um das Motiv beliebt zu machen
und die Biihne mit ihm zu beleben. Verkleidungen dieser
Art in der Geschichte sind keineswegs selten, und gerade
das Abenteuer des Grafen Pernan Gonzalez hat sein ge-
treues Gegenstuck in Frankreich: Madame de Lavalette
und ihre mutige Befreiung des Gatten aus der Haft der
Revolutionare, Von dem letzten der Stuarts erzahlt uns
die englische Geschichte, dass ihn seine Preunde in Frauen-
kleidern durch die feindliche Postenkette hindurch retteten,
und ebenso bekannt sein diirfte die bei den Polygraphen
des 16. und 17. Jhdts. h&ufig wiederkehrende Geschichte
von der deutschen Grafin Ansberta, die durch einen listigen
Verkleidungskniff als Mann ihren im fernen Orient in Ge-
fangenschaft geratenen Gatten befreite. Die Zahl dieser Bei-
spiele Hesse sich zweifellos von kundiger Hand noch urn
ein Ansehnliches vermehren, fur unseren Zweck jedoch,
der nur darin bestand, dem behandelten Ordensschuldrama
mttglichst nach alien Seiten hin gerecht zu werden, miissen
die paar bescheidenen Andeutungen geniigen.
Miinchen, den 27. November 1911.
Ludwig Pfandl.
Peter Grieninger.
Ein Handschriftensohreiber und Spruchdiohter.
Die bekannte schon in den Gesamtabenteuern v. d.
Hagens benutzte Dresdener Sainmelhs. von gereimten No-
vellen und Schwanken, M. 68, (vgL W. Stehmann, Palaestra
67, 3 f., 0. Lippstreu, Der Schlegel, Hallenser Dissertation
1894 S. 12 f.) ist laut der Subscripts auf Bl. 72 b Sp.b.
vollendet: Anno domini 1447 am samstag nach sunt
Ulrichstag in der iij stand von Peter Grienninger. Dieser
Peter Grieninger ist auch sonst nicht unbekannt. Von seiner
Hand riihrt die Abschrift der Gesta Romanorura in dem
zuletzt in Benedictbeuren befindlichen Clm. 4721 Bl. 49a —
87 a her. Bl. 87 a Sp.a findet sich das Schlussrubrum:
Et sic finis, alleluia, deo gracias. anno domini 1443.
Petrns Grieninger. Das vor Bl. 49 a Stehende stamrat
nicht von Grieninger. Den auf die Gesta Romanorum
folgenden Teil, schrieb Georg Flossner (oder Plossen?). 1 )
Er nennt sich zweimal in Subscriptionen 1) Bl. 194b Sp.b:
Scriptus vero per Georium Flbssner de Nbrdlinga pres-
byterum Augustensis diocesis, socium diuinorum in Turego
maioris ecclesie. anno domini 1430. und 2) Bl. 202a
Sp.b: Scripte per manus Geory Flbssner de Nhrdlingen
p respite rum Augustensis dyocesis in Thureg 3 ) anno 1430.
Schon aus den Jahreszahlen geht hervor, dass der von
Grieninger geschriebene Teil und der von dem Ziiricher
l ) In der 1. Subsoriptio steht wohl flbssn, wahrend in der 2. mir
die r-AbkUrzuDg sioher scheint.
a ) Turegum heisst Ztirich, nicht Thurneck, wie im gedruokten
Hsskatalog der MUnchener Hof- und Staatsbibliothek in der Be-
schreibung des Clm. 4721 zu leeen steht. Flosener war eben, ob-
wohl er in Ztirich wohnte, nicht Diocesan von Konstanz, sondern
von Augsburg.
16*
236 Wilhelm, Peter Grieninger.
Flflssner kopierte, erst spater zusammen gebunden worden
sind. Vielleicht auf Veranlassung Job. Kerns, denn auf
dera 1. Bl. des Clm. 4721 ist zu lesen: Johannes Kern
prespiter de Augusta dedit hunc lib rum huic Venerabili
Monasterio Benedictenpewren pro salute anime sue. Anno
domini 1463.
Peter Grieninger hat aber nicht bloss Hss* abgeschrieben,
sondern sich auch selbst in der edlen Dichtkunst versucht.
Der Cgm. 270, der in seiner zweiten, aus dera Jahre 1464
stammenden Halfte die Haupt masse der Gedichte des Kauf-
ringers iiberliefert, bietet auf B1.57 a— 59a unter dem Rubrura
A in spruch uon sunt Sebastian vnd uon vnser lie ben frawen
vnd uon der bestilentz, ein Gedicht von ihm. Er nennt sich
selbst am Schluss V, 118 Peter Groninger. Das o ist nach-
l&ssige Schreibung fur 6 und diese Schreibung fur den auf
mhd. tie zurtickgehenden Laut, ist in Hss. schw&bischer
Herkunft, wie es der Cgra. 270 ist, nicht selten (vgl. P.
Kauffrnann, Geschichte der schw&bischen Mundart § 98,
Anm. 1). Grieninger selbst schrieb sich, wie die Subscriptio
der Dresdener Hs. zeigt, mit ie (vgl. P. Kauffrnann a. a. 0.
§ 98, Anm. 2). Dies und die Umgebung im Clm. 4721
und Cgm. 270 deutetdarauf hin, dass Grieninger ein Schwabe
war. Seinen Zunaraen hat er natiirlich von einem Ort und
man wird mit Recht auf das heutige MarkgrOningen oder
auf Griiningen an der BahnstreckeDonaueschingen-Marbach
raten. 1 ) Ob unser Peter ein Adliger war, l&sst sich aus der
Namensform nicht entscheiden. Herren von Grieningen
kommen vor, einen Peter hab ich unter ihnen nicht finden.
kGnnen. Biirgerliche Herkunft ist mir wahrscheinlicher.
Der bereits erwahnte und im folgenden verOffentlichte
Spruch, ist das einzige Gedicht Grieningers, das icb kenne.
Es ist keineswegs gut iiberliefert. Aus welchem Jahr der
den Spruch bietende erste Teil des Cgm. 270 stammt, ist
nicht sicher, da die Jahreszahl 1464 sich nur auf den zweiten,
von einem Anderen geschriebenen Teil bezieht. Der Codex
M Die Sohreibung mit u, d. (I, o, 6 ist fUr beide Orte belegt.
Wilhelm, Peter Grieninger. 237
war ira Besitz der Augustinerchorherren von Raitenbuch
bei Schongau, wie der Vortrag von einer Hand des 16. oder
17. Jhdts. am oberen Rand von Bl. la beweist: Sum B. V.
Mariae in Rottenbuech. Nicht fern von Raitenbuch, viel-
leicht in Augsburg, jedenfalls in Ostschwaben, ist die Hs.
geschrieben. 1 ) Denn die Orthographie ist aufdringlich ost-
schwabisch und dera, der sich viel mit Augsburger Hss.
beschaftigt hat, wohlvertraut. Schon das lasst vermuten,
dass der Text Grieningers nicht vor Entstellungen bewahrt
worden ist. St&rkere Verderbnisse liegen um V. 18 und
28 vor, kleinere, ein zuzusetzendes oder zu streichendes e,
Sfters. Die metrische Technik Grieningers ist dieselbe wie
die der von mir in den Analecta Germanica fur Paul heraus-
gegebenen Afralegende, auch die metrische Zweideutigkeit
ist dieselbe ( Auf taktfrage ; manigen=mangen oder maningt).
Grieninger steht da Leuten wie H. von Sachsenheim, dem
Kaufringer und dem Verfasser des Grossen Alexander sehr
nahe. Literarisch ist der Spruch nicht viel wert. Er zeigt
bloss, dass es im Leben des Grieningers auch ernste Augen-
blicke gab, und V. 41 f. geben gewiss den schaudernden
Eindruck der Zeitgenossen treffend wieder. Bestimmt da-
tieren l&sst sich das Gedicht nicht. Vielleicht war die grosse
Pestilenz, von der darin gesprochen wird, jene, von der die
Augsburger Chroniken zum Jahre 1438 berichten: auch was
ain grosser sterb hie (Chroniken der deutschen Stadte I 323,
17; XXII 488, 36 L). Auf Augsburg wird bei der mittel-
alterlichen Reinlichkeit dieser „Sterb a kaum beschr&nkt ge-
blieben sein. Aber mehr als vermuten kann man nicht.
Hornd*) jr heren allgemain,
Jung,*) alt, grofi vnd clain,
Arm vnd reich auff disser erd,
Ich pin der welt gar vnwert,
5 Darvmb das ich der hab nit nan,
Das ich mit jr jn frad miig stan,
So pin ioh menclich widerzfilm.
Hett ich vil gAtz, so wer ich gnSm; 4 )
*) Naheres bei Karl Euling. Germanistisohe Abhandlungen 18, 6 f.
8 ) Horend, zu lesen horndir. •) Junge alte zu lesent 4 ) genfim.
238 Wilhelm, Peter Grieninger.
Des ich laider nit enhan,
10 Darvmb pin ioh vil frauden an.
Mein leben das 1 ) ist vngestalt:
Ich lig jn sunden manigualt,
Die mein leib*) altag gepirt,
Darvmb so pin ioh gar uerirt
15 Gegen got vnd gen der welt.
Hot ioh gotz huld, ioh name fur gelt.
Fur richttum nam ioh waru peicht
Die maohet meiner sele leicht')
Die purdin, die si auf jr trSt
20
Mit grossen 4 ) sllnden liberlast.
Maria, liechter sunne glast,*)
Verleich mir sinne 9 ) meinem gmiit
Durch dein mUterlichu gtit
25 Vnd zlioh dein gnade 7 ) nit uon mir,
Rainu fraw, des traw ich dir!
Sint ioh die warhait sprechen sol,
So main 8 ) ioh: auff disser erd
BO Chain grosser sunder nimer werd,
Dann ioh pin pifi her gesein.
Maria, edlu ohUnigin,
Dar vmb so pit din ohind fur mioh,
Auch*), oheuschu magt, des pit ich dich,
36 Wenn ich wil dir mein hertz auffthunl
muter gotz, erwirb mir son 10 )
Gen deinem lieben chinde zart:
Ioh han mein rw pifi her gespart,
Pifi ich nu wol han geseohen,
40 Wie manigem mensohen ist besoheohen:
Der hiut py mir jn freUden was,
Morgen er aller fraud uergafi:
An dem dritten tag was er ain leioh.
O muter, aller gnauden 11 ) rioh,
45 Des erschrack mein hertz gar ser!
Das musz jch dir olagen mer:
l ) das fehlU ») lieb. •) Vers 18 bis 20 tauten in der Hs. ;
Die machet meine sele reich
Die purdin die sie auf jr trat
Die maohet meiner sele leicht.
*) grosser zu lesent •) sun6 glast 6 ) sine meinS gemllt. ^ genad.
•) oder maine? zu lesent *) = aoh. 10 ) schon. u ) genaudn.
Wilhelm, Peter Grieninger. 239
Wie wol ioh sag 1 ) die grossen pflag,*)
Dannocht lebt ioh manigen tag
In sunden wider got vnd dich.
50 Maria 8 ) erparm dioh Uber michl
1st mein leib ain sunder gwesen, 4 )
[So] laufi doch mein arme sel genesen
hilff mir, das ioh nit ersterb,
E 8 ) ich deins chindes 8 ) huld erwerb,
55 Das ich mein sunde 7 ) hie uor pusse,
Was ich darvmb lyden mufie 8 )
Hie jn dissem jamertal,
Das ist mir guallig 9 ) uberall,
Das es mir nit werd gespart
60 PiC an mein letste hinefahrt.
Seid mein leib haut die sund gethan,
So lauss jn selb zu posse stan,
Das sein die sele 10 ) nit engelt
Weder hie noch jn jener welt.
65 Des pit ich dich, Maria her,
Durch dein magetlichu 11 ) er,
Das ioh nit von hinan far
Ich werd 18 ) deiner hiilff 18 ) uor gwar")
Mit warer p&fi vnd pichte:
70 Das machet mir mein hertze 18 ) liohte
Hochstu, hailge 18 ) Trinitat,
Ain ewig got, der niemant iailt,
Wer zu dir mit rwe fluent
Vnd sicb uon den sunden zeuoht,
75 Dem wiltu her genadig sein
Vnd bhiiten 17 ) uor der ewigen pein
Das vns das alles wider far,
So sprechend Amen: das werd war.
Auoh 18 ) so wil ich [euch] riiffen an
80 Den hailigen hern sant Sebastian,
Das er mich duroh sein reuerentz
Behtite uor der pestilentz,
Die iecz jn disser welt regniert
Vnd die sich alle 19 ) tag probiert
85 An mangem starcken, kraden man,
Der maint sein leben gar gwis 80 ) han
*) == each. 8 ) = plag. 8 ) entweder Marja oder Marf zu lesen.
*) gewessen. 8 ) Ee. 8 ) chinds. 7 ) sund. 8 ) mufi. 9 ) geuallig. 10 ) sel.
u ) magtlichu. w ) oder werde zu lesen t u ) hulfFe. 14 )gewar. 15 ) hertz.
18 )hailige. ,7 ) behUten. i8 ) Kein Absatz. lfl ) all. 80 ) gewis.
240 Wilhelm, Peter Grieninger.
Vnd west nit, das [er] jm was so nah
Die ellend plaug vnd gottes rauch,
Das ers 1 ) uilleicht uerdienet 8 ) hett
90 Mit sundefn], die seia leib hie tet,
Die jm olain zu hertzen gieng,
Darvmb er wenig rew enpfieng.
Wei wir, das vns got behlit
Duroh sein uatterlicbu gilt,
95 So sul wir von den ellnden Ian,
Well*) wir gottes hulde hattn,
Die weil wir sind jn gsundem 4 ) leben,
Vnd aller mistat 6 ) widerstreben:
Die rew, die wirt [dann] gar selten gUt
100 Wann des mensohen hertz vnd mut
Mit todes smertzen 8 ) wirt vmbgeben,
Das er uerlieren mtifl sein leben,
So werden jm [nun] sein since ohranck;
Dar vmb sparend 7 ) rw ni t la nek
105 Wenn niemant waifi stund noch zil,
Wann der tod her sleioben wil,
Vor dem sich nichtz uerpergen mag,
Paydu naoht vnd auch den tag:
Wir miissent alle an die uart.
110 So pit ich dioh Maria zart,
Das du siest 8 ) vnszer glait 9 )
Wann sich die sel 10 ) uom") libe schaidt
So ohum czu vns mit dinem chind
Behiit vns uor dem helschen 11 ) gsind 1 *).
115 Hilff vns das wir chomen dar
Zu dir an deiner engel schar,
Maria, das ist mein beger.
Hie nent sich Peter Groninger,
der dissen spruch gemachet haut.
120 Ob im nun got sin leben laut,
So wil er tUchtens furpafi pflegen.
Got verlioh vns seinen segen
Durch sein hailg 14 ) driualtigkait
Vnd bhut 16 ) vns uor dem ewigem laid.
M tine hen, den 18. Dezember 1911.
Friedrich Wilhelm.
l ) ers] er. *) verdient. *) Welle. 4 ) gesundem. •) misetat 8 ) todes
hertzen. 7 ) = sparend die riiwe. 8 )^sigest. •) gelait. 10 ) sele. n ) uon
d6. ") helischen. u ) gesind. u ) hailig. u ) behut
Aus Czepkos Kreise.
Die Hs. R. 2195 der Breslauer Stadtbibliothek bewahrt
einen interessanten Briefwechsel zwischen Daniel Czepko
(1606—1660) und Andreas Gryphius (1616-1664), auf
den man von vomherein um so neugieriger sein darf, als
das verwandtschaftliche Verhaltnis zwischen beiden noch
durchaus ungeklftrt ist. ttberhaupt wusste man bisher von
keinen weiteren Beziehungen als sie jene Stelle in Gryphii
Gedichten (Ausgabe 1669, S. 509) vermuten Hess. Dort
hat der Gerhart Hauptmann des 17. Jhdts. jenes bekannte
Gedicht Czepkos — „Rede aus meinem Grabe u — das zu
zu seinen schflnsten zahlt, bereitwillig mit aufgenoraraen,
Gryphius nennt Czepko dabei seinen „Schwager".
Bekanntlich stand das Ktonen Daniels im uragekehrten
Verhaltnis zu seinem literarischen Erfolg — liegen doch
bis heute die meisten VVerke dieses bedeutenden Mannes
ungekannt und ungenutzt in Bibliotheken.
Der Grund, warum sie nicht gedruckt wurden — war
einmal ihr religiSser Inhalt, der, voll kuhnster mystischer
Spekulation der Eckart-Weigel-BOhmeschen Spatmystik, die
Kreise lutherscher Orthodoxie vor den Kopf stossen musste.
Die Zensur verbot den Druck dieser Gruppe von Schriften.
Andere waren innerhalb des lodernden Kriegsfeuers politisch
zu teraperamentvoll — gerade hier vertrug die Zeit nicht
viel rnehr als Encomien. Endlich spielten ohne Frage die
finanziellen Verhaltnisse des Dichters mit hinein: die Sol-
dateska verwiistete ihm allein drei reiche Landgiiter!
Dennoch kannten die Zeitgenossen den Dichter manches
graziGsen Liebeslieds, den Dichter des mfichtigen Epos
„Coridon und Phyllis 4 *, den Dichter der epochemachenden
„Sexcenta monodisticha" aus Briefen und hslicher Vermitt-
242 Strasser, Aus Czepkos Kreise.
lung, wie sie damals sehr iiblich war, besser als wir glauben.
Ltfwenstern, die Frankenbergs, Angel us Silesius , Koler,
Opitz — sie alle waren yon seiner nicht gewGhnlichen Be-
gabung iiberzeugt.
Wie hoch ihn Gryphius einschatzte, dessen erste Ge-
samtausgabe eben 1657 erschien, besagt folgende poetische
Epistel:
,2>em §od( (Sblen, ©eftrengen unb Qod^gela^tten $etrn $)antet
v. ©jep!o u. SfteigerSfelb, (Srbfaffen auf SRer&borff u. SMetfdjfau, 2eljnS=
Ijerren auf SBurderabotff, gUrftl. Siegnifcifdjen, SBrtegifdjen, Cf)lau unb
2Bof)lauifcf)cn Statfje, meinem fjodigeefjrten &etrn unb ©ajtoager.
Generose, AmplissTrneque
Domine.
Crudelis Regum interitus, lanlutaque ferro
Pectora, et excidis regna sepulta suls
Pangimus, et Divas ambimus Prinoipis aures,
Supplice quam stupuit Musa no vena genu.
Seu regat auspiciis plaoitas felicibus urbes :
Seu Clarias docta provocet arte fides.
Indite, perpetuo cui partum carmine nomen,
Czepko fave, et blandam tende bentgne manum
Da faciles aditus, faoilemque in vota Loisam,
Sio saera eonsiliis floreat Aula Tuis,
Ac sospes furias sortis (tremat axis et orbis)
His tantum in scenis, sed mage fir ma gem at.
Nobiliss. vestrae Amplitudini
devota
Glogov. C. Id. Martii ...
A. C'O'OCL VII. A * Gr ™ bu manu '
Czepko ubersezte diese Verse folgendermassen:
„$Betbeutfd|ung
bet ©rnpfuftfjen Iatetmfdjen (ipiftel.
S)cr ftdntg* Untergang unb blutbefptttfete fcerfcen,
S)cr ^o^cn 3 c P tcr <8rftfft, unb 9Rdrbe, %ob unb ©djmerfcen,
botnit oerefjren ratr bcr gurftin Odttlidi O^t:
SSor roeldjer fteljt unb fntct ber SJtufen tueifed (EI)or.
©« fen, ba% 6te mit (Blud umbftfjatte Sanb unb Stftbte,
(§8 fei, baj$ <Ste jut ©d&aar ber SJlufen fetber ttete,
D ber Du burdj ©ebidjt unftrrbtidj totrft etfannt,
3ttein (Sjeplo reic^e mir £etn aHjett treue fianb:
Strasser, Aus Czepkos Kreise. 243
Sflad) unfctm JBudje ©af)n, fjtlff, ba% eS mag erfiefen
S)ic ©naben nolle ©anb bet ©dttlid&en Soutfen.
©o mfifce 3)ir bafiir bet ©off bemogen fenn,
Unb nicmonb fonft erfaljrn, als bie ©efpieHen, spent." 1 )
Das nahere Verstandnis dieser Verse vermittelt ein
kurzer Blick in die Genealogie der letzten Piasten,
Der Herzog Christian von Wohlau, der Czepko 1656
zura Rat ornannt und ihn an seinen Hof gezogen hatte,
war seit 1648 mit der Prinzessin Luise von Anhalt-Dessau
vermahlt, von der er bisher eine Tochter, Caroline, hatte.
Als die Geburt einer zweiten Tochter, der Luise, bevorstand,
auf die Czepko kurz vor seinem Tod noch eine seiner besten
Grabreden halten musste — erschien eben der erste Teil
der Gryphischen Gesamtausgabe. Der Verfasser bittet den
der Furstin befreundeten Schwager, die Uberreichung der
Gedichte an die hohe Gonnerin der Literatur freundlichst
ubernehmen zu wollen.
Czepko war sofort dazu bereit. Da aber die Umstande
der Herzogin eine personliche Abgabe des Bandes im Augen-
blick nioht gestatteten, so iibersandte er ihn mit folgenden
Einfuhrungsversen :
„ ttbergab
§errn Andr. Gryphii
(Srften £§etl8
feinex Spoefie.
9ln unfere ©erfcogin.
Souifa, ©lanfe bet SBett, ben nidjt bit 2Belt umfafjt,
Unb vox hex SBelt anifet im Qimmtx Itegt nerborgen,
2)odj balbe rote bie ©onn am spurpur Ijeflen ffltorgen
Die SBelt beftra^ten mirb bur$ einen I)ofjen ©aft.
Der SJhtfen tranter ©oljn, mein ©reiff fd)idft biefe SBlttfe,
O ©erfeogin, fein 2Bertf, mit feinem ©imager ben,
Unb mil, bafc e8 burd) midj eud) iibergeben fen,
©o neljmt bann gnabig an fein trautig atteifterftucfe.
*) Zur Orthographic bemerke ich, dass es diejenige eines Ab-
sohreibers vom Anfang des 18. Jahrhunderts ist. Die Originalhs.
ist nicht erhalten.
244 Straeser, A us Czepkos Kreise.
3d) |dtf cS gerne fetbft bet §ocfjburi)(eui)ten §:ro&
SKit tteuem 2Bunfdj erteilt: 3|t Ietbet8 nid)t;mem @ttmb.
Sfce&mt eS burd) biefe 3&er8, 3&* Idnt butd) ©naben ©linden
DaS SBudj e$ ftberfelin, als idj na<$ $ofe Ijincfen/
Luise nahm die Widmung huldvoll entgegen, so dass
Czepko einige Wochen spater an Gryphius schreiben kann :
, Domino ,'Andreae Gryphio.
Nobilissime, Clarissiraeque
vir,
Adfinis, Amice et, si admittis, Frater,
honorande desiderandeque.
Sanguineas seen as, Gryphi, lususque cruentas
Aocepit placida Nostra LOIS A manu.
Vidimus horrendos aotus in gaudia verti,
Factaque laetitiae saeva theatra necis.
Hoc tamen in reliquo dolet aegra Duoissa dolore,
Quod dare pro mentis aequa Arabea nequit.
Scilicet ingenii regalia munera Vestri
Frangunt munificas corripiuntque manus.
Interea grates, doneo cos tod ia lecti
Concedet ealamum, dicit, Amioe, Tibi:
Utque animum, don um que, quod haeo tua dona sequetur,
Digna habeas, DOMUI post faveasque petit.
Nobiliss. Vestrae
CJaritutidinis
Olaviae XIII. Cal. April. Devotus Cultor
A. C'Q'OCL VII. Dan. Czepko."
Dass Luise durch Czepko auch fernerhin von der Ent-
wicklung Gryphischer Dramatik Notiz nahm, zeigt das
folgende, drei Jahre sp&ter verfasste Gedicht: zufallig er-
wartet die Furstin auch diesraal die Geburt eines Kindes
— und zwar Georg Wilhelms, des letzten Piasten.
n Domino meo
Andreae Gryphio Ducatus Glogoviensis Syndico, Fratri
Amico plurimum honorando.
Nobilissime et Exoellentissime
Domine,
Strasser. Aus Czepkos Kreise. 245
Adfinis, Amioe plurimum bonorande.
Instat ad Octobrin Lux optatissima
nobis. 1 )
Instat festa dies Octobri mense notata,
Incluta qua Princeps denuo mater erit.
O pariat nobis, oui pareat orbis et aetber!
Et pereat, quidquid laeva parere solet t
Indieiis votisque piis pro Primipe statu r,
Et Matris spirant nil nisi tale minae.
Ac sine te, DIVINE GRYPHI, cum nesciat ipsa
Edere de casto gaudia tanta sinu:
Commisit LVDOVICA, sua te voce rogare,
Ut red das , dederat quas Coquedaille preces :
Matris et Infantis venturi spiritus absque
Scandere non audent Bumma tbeatra tuo.
Ergo pro Patriae, quas fers, GRYPHI Maxime, curis
Da veniam, venam sollicitaque Tuam.
Inpleat October Tibi sic vas nectaris: Implet
ASCANIA ASCANIO (da Deus alme!) chorum.
Aurifodinis Reichensteinens. J.
d. 9. Jul. A. 1660. Fidelissimus Servus."
Die Antwort auf diesen aus Reichenstein geschriebenen
Brief, wo Czepko den Bergbau leitete und kurz darauf den
Tod sich holte, ist nicht erhalten.
Uberblicken wir den ganzen Briefwechsel, so haben
wir darin eine neue Bestatigung der Verwandtschaft Czepkos
mit Gryphius Leider lasst sich auch hier nichts genaueres
sagen, da die Ausdrucke „adfinis" wie v Schwager" zu all-
gemein sind. Nicht unm5glich ware es, dass Czepkos etwa
7 Jahre jlingerer Bruder Christian eine Verwandte des
Gryphius zur Prau nahm.
Gottingen, den 12. Januar 1912.
Carl Theodor Strasser.
l ) In Wirklichkeit wurde Georg Wilhelm schon am 20. Septem-
ber geboren.
246 Wilhelm, Die junge Frau und der alte Mann.
Die junge Fran and der alte Mann.
a) Text nach der HandsckrifL
BL 7v Eynem iungen weypp iren stoltzen
leypp der wart gegeben ze irem
leben Nw la mich slaffen Nw
la mich slaffen. etc.
Zw der selben stund der zw frewden
nicht enkunt Nw la mich slaffen Nw
la mich slaffen. etc.
Eynem iungen weypp zu irem leibe der
wart gegeben ze iren leben Nw la mich
slaffen Nw la mich slaffen. etc.
Zw der stund ein alder huntt der zw
frewden nicht enkunt Nw la mich slaffen
Nw la mich slaffen. etc.
Auwe mir armen weib raein iunger leib
der ist beschaffen dem alten affen Nw
la mich slaffen Nw la mich slaffen. etc.
Eynem jungen knaben den mufl ich haben
scholt ich in aufi der erden graben Nw
la mich slaffen Nw la mich slaffen. etc.
Du alter pock du fauler stock her vmb
BL 8r dich went das dich got schent Nw la
mich slaffen Nw la mich slaffen. etc.
b) Der Text, me er vermutlich urpsriinglich war,
1. Eynem jungen weib
ze irem leib,
ze irem leben
Der wart gegeben
Zu der selben stund
ein alter hund,
der zu frewden nicht enkund:
nu la mich slaffen, nu la mich slaffen!
Wilhelm, Deutsoh-franzos. Kulturbeziehungen im 12. Jhdt. 247
2. „Auwe mir [armen] weib,
mein junger leib,
Der ist beschaffen
dera alten affenl
Eynen jungen knaben,
den mufi ich haben,
scholt ichn aufi der erden graben!
nu la mich slaffen, nu la mich slaften !
3. Du alter pock,
du fawler stock,
Her vmb dich went!
das dich got schent
nu la mich slaffen nu la mich slaffen!
Dieses reizende, kleine Lied findet sick im Cgm. 444,
aus dent oben S. 37 /. das Gedicht vom Feigen muntorden
herausgegeben wurde. Es ist iiberlieferungsgeschichtlich
interessant, denn es kann keinem Zweifel unterliegen, dass
der Schreiber des Cgm. 444 es nach dem Geddchtnis auf-
gezeichnet hat. Am meisten war bei ihm der refrainartige
Schluss haften geblieben, dagegen war er iiber den Bau
der Strofe sick offenbar nicht mehr klar. Mdglich, dass
die Art und Weise, wie das Lied gesungen wurde, zu der
Verwirrung beigetragen hat, dass das refrainartige Stiick
auch nach dem Aufgesang eingeschoben wurde. Die ur~
sprUngliche Form glaub ich richtig aus der Niederschrift
des Schreibers herausgeschdlt zu haben.
Munchen, den 19. November 1911.
Friedrich Wilhelm.
Zu den dentseh-franzosischen Kulturbe-
ziehungeu im 12. Jahrhundert.
Das kgl. bayr. Reichsarchiv in Munchen bewahrt unter
den Urkunden des Reichsstifts Niedermunstler (Fasc. 2)
248 Wilhelm, Deutsch-franzo*. Kulturbeziehungen im 12. Jhdt.
ein fiir die deutsch-franzQsischen Kulturbeziehungen am
Ende des 12. Jahrhunderts interessantes Zeugnis, nachdem
der Pleban Gerung in Regensburg die Schule von Mont-
pellier besucht hat. Da der nicht datierte Revers die 1177
verstorbene Abtissin Chunigund von Niedermtinster als
lebend voraussetzt, muss er um 1176 ausgefertigt worden
sein, also vor dem fiir Montpellier bedeutungsvollem Jahre
1181 (vgl. Cartulaire de Punvisersit^ de Montpellier, Mont-
pellier 1890; I 180 f.). Das Testimonium ist gedruckt bei
Th. Ried, Codex chronologico-diplomaticus episcopatusRatis-
bonensis I 246f. alsNr. 268. Von neuem hatPerd. Jannerdarauf
hingewiesen in seiner Geschichte der Bischdfe von Regens-
burg 2, 169 Anm. 1. Da wir, wie es scheint, nur wenige
Zeugnisse fiber Studierende in Montpellier aus dieser Zeit
besitzen (vgl. das eben zitierte Cartulaire I 700 f.) lass ich
den Revers nach dem Original im Abdruck folgen.
Quoniam in omni faoto maturiori oonsilio opus est, cunctie
patere uolumus, qualiter domina mea abbatisaa Inferioris mona-
sterii, Richiza nomine, pari uoto et oonmuni consensu tarn domi-
narum quam ministerialium quibusdam benefioiis me Gerungum
Ratisponensis ecclesie plebanum, licet indignum, inuestiuit, ea uero
mortua, domina mea Cbunigundis, eiusdem eoolesie Abbatissa per
infinitas preces meas et cum consensu dominarum duas ourias et
aream, in qua domum meam edifioaui, Chunradum sororium meum,
cum in Montem Pesulanum ad scolas iui, inbeneficiauit et
iterutn me redeunte coram aduooato Friderico salle coofirmauit.
Ut autem hec actio a memoria et fide fidelium non exoidat, banc
inde Kartam conscribi et sigillo domine mee rogaui insigniri. Huius
rei testes sunt: Fridericus aduocatus, Wernherus de Gibestorf,
Iramo clericus, Ernest de Drubbacb, Rapot de Scirlingen, Ernest
de Scirlingen et Ulii eius, Saxo de Soirlingen, Gotfrid Chruche,
Gotfrid de Scirlingen, Otto de Helchenbah, Marquardus camerarius
et frater eius Cbdno, Albreth de Scirlingen et frater eius Ovdalricus,
Sigefridus camerarius et alii quam plures.
Miinchen, den 30. November 1911.
Fricdrich Wilhelm.
KgL Hofbuohdruckerei Kaetner & Callwey, Miinchen.
Die Historia de preliis und das Alexanderepos
des Qailichinns.
1. Zur Historia de preliis.
Die abendl&ndische Tradition des Mittelalters iiber
Alexander den Grossen holte aus einer mehrfach geteilten
Wurzel ihre Nahrung aus dem Boden der Antike. Die
beiden wichtigsten Vermittler des im Orient me Occident
iiberaus beliebten und von Ceylon bis Spanien, von Afrika
bis Island verbreiteten Stoffes sind im Abendland des Mit-
telalters einmal die Historiker gewesen, unter denen Quin-
tus Curtius die Hauptrolle spielt, dann die auf den grie-
chischen A lexanderroman > den sog, Pseudo - Kallisthenes
zuriickgehenden beiden lateinischen Uebersetzungen , von
denen die eine, um 300 n. Chr. entstanden, von Julius
Valerius, die andere, zwischen 951 und 969 abgefasst, von
dem A rchipresbyter Leo in Neapel geschaffen wurde. x )
Nimmt man die historische Wirksamkeit als Mass fur die
Bedeutung an, so gebilhrt der erste Preis unstreitig dem
Werke des Leo; absolut und vor allem rein kilnstlerisch
betrachtet steht er tief unter der Arbeit des Valerius. Frei-
lich ist der Erfolg, den der Archipresbyter mit seiner Ueber-
setzung hatte, durchaus nicht sein Verdienst. Ohne von
aussen kommende Hilfe ware wohl sein Werk, ohne allzu
bedeutende Spuren zu hinterlassen, wieder untergetauchL
Auch uns ist ja die urspriingliche Fassung nur in einer
! ) Vgl. iiber die Verbreitung des auf Alexander den Grossen
beziiglichen Erzdhlungsstoffes sowie iiber die Hauptquellen des
abendldndischen Mittelalters die kurze Uebersicht, die ich in der
Wochenschrift fiir klassische Philologie 1911 Sp. 1152 ff. gegebcn
habe.
MUnobener Museum f. Philologie des MA. L 8. 17
250 Pfi eter, Hietoria de preliis und Alexaoderepos des Quiliohiuue.
einzigen Hs. erhalten, die sich in Bamberg befindet, wohin
sie wohl schon durch Kaiser Heinrich II. urn 1022 gebracht
wurde. Aber die Uebersetzung hatte das Gliick, bald,
noch im II. Jhdt y einen Bearbeiter zu finden, der in ge-
schmackvoller Weise die Arbeit sprachlich verbesserte und
sachlich erweiterte. Es ist merkwUrdig, die breit ausge-
fiihrte und rhetorisch ausgeschmiickte Uebersetzung des
Valerius wurde schon im fruhen Mitielalter bedeutend ge-
stutzt und epitomiert — und fast nur die Valerius-Epitome
hat in der Folgezeit eine Wirksamkeit ausgeiibt und
ist uns in zahlreichen Hss. erhalten, wdhrend die
hs.liche Grundlage des ganzen Werkes ausserordentlich
schmal ist — , die sachlich diirftige und sprachlich trockene
Darstellung des Leo wurde etwa ein Jhdt. nach ihrer Ab-
fassung durch Interpolationen erweitert und in formeller
Hinsicht geniessbar gemacht ; von ihr sind die umfang-
reicheren Redaktionen in unzdhligen Hss. uns Uberlieferl,
wdhrend in der kleinen, originalen Gestalt das Werk sich
nur in einem Exemplar zu uns gerettet hat.
Die Fassung des Interpolators, welcher Leos Ueber-
setzung umarbeitete, nennen wir mit Ausfeld 1 ) Ju Neben
der sprachlichen Umarbeitung hatte der Redaktor vor allem
sich die Aufgabe gestellt, die kleinen, ursprtinglich selb-
stdndigen Traktate, welche uns heute durch die Bamberger
Leo-Hs. Uberliefert sind 7 grd'sstenteils mit in die Darstellung
zu verarbeiten, n&mlich das Commonitorium Palladii, den
kleinen Traktat Dindimus Uber die Brahmanen, den Brief-
wechsel zwischen Alexander und Dindimus und den Brief
l ) Adolf Ausfeld, Die Quellen zu Rudolfs von Ems Alexander.
Progr. Donaueschlngen 1883; ders. Z.f d. Ph. XVIII (1886) 385 ff;
ders. Der grlechlsche Alexanderroman 1907 S. 21 f. Dazu besl&tl-
gend den unten S. 253 angefiihrten Aufsatz von G. Vandelli. Elne
genauere AusfUhrung des oben kurz Uber Leo und die Fassungen J\
und J% medergegebenen Resultates flndel sich in der Einleilung
meiner jelzt bei Teubner erscheinenden Ausgabe des ursprUnglichen
(Bamberger) Leo-Textes. Im Kommentar dieser Ausgabe sind auch
die Hauplabweichungen von Jt, J*, J* berUcksichtigt
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 251
Alexanders an Aristoteles fiber die Wunder Indie ns. x ) Die
Hs., welche der Bearbeiter vor sich hatte, ist nicht iden-
tisch mil unserm Bamberger Codex; daher wird eine Be-
riicksichtigung der Hss. von J\ (und, me wir gleich sehen
werden, auch von ]%) bei der Wiederherstellung des ur-
spriinglichen Textes der Traktate von Nutzen sein. Daneben
zog der Bearbeiter nur nock ganz wenige Quellen fiir
Interpolationen beL Diese Rezension J\ ist nach zwei Hss.
von Oswald Zingerle*) ediert in einer Ausgabe, von der
riihmend anzuerkennen ist, dass sie endlich sehnlichst ver-
misste Texte zugcinglich machte. Dock hat sie, wie be-
kannt, so grosse Afdngel,*) dass eine Neuausgabe von ]\
dringend zu wiinschen ist.
Diese Rezension /i hat nun noch zweimal eine Be-
arbeitung erfahren in Texten, welche unabhdngig von ein-
ander entstanden sind und die wir J* und Jz nennen. Von
J% hat Zingerle in seiner Ausgabe nach einer Hs. in Seiten-
stetten Varianten und Zuscitze mitgeteilt y die freilich nicht
imstande sind y ein geniigendes Bild zu geben. A ) Ergdn-
zungen hierzu gab mit einer genauen Quellenanalyse Ad.
l ) Diese vier Traktate in der Bamberger Fassung finden sich in
Fr. Pfister, Kleine Texte zum Alexanderroman (Sammlung vulgdr-
lateinischer Texte, herausgeg. von W. Heraeus und H. Morf. Heft 4,
1910). Von den beiden ersten Stiicken hat Ji nur ganz wenig auf-
genommen, von den beiden letzten das meiste.
% ) O. Zingerle, Die Quellen zum Alexander des Rudolf von
Ems. Im Anhange: Die Historia de preliis. (Germanist. Abhand-
lungen IV 1885.) Er benUtzte die Hs. 1520 s. Xll der Grazer Uni-
versit&tsbibliothek and Hs. 525 anno 1304 der Innsbrucker Universi-
tdtsbibliothek. Ausser diesen ist bisher noch keine weitere Hs. fiir
J\ nachgewiesen.
8 ) Schon die hsAiche Grundlage Zingerles fiir J\ ist nicht gut :
Sein Text von J\ Wsst sich schon auf Grund eines bekanntermassen
schlechten Repr&sentanten von J%, dessen Varianten Zingerle selbsi
mitteilt (cod. Seitenstettensis XXXI anno 1433) ats anfechtbar er~
weisen.
*) An weiteren Hss. von J\ nenne ich: Stuttgart, KgL Bibl.,
Hist. fol. no. 411, s. Xll. MUnchen, elm. 824, s. XIII. Leipzig,
Ratsbibliothek , Rep. II. 4° 143, s. XIII. Paris, Bibl. Nat. 14169,
17*
252 Pf later, Hiatoriade preliis und Alexanderepoa dee Quilichinua.
Ausfeld. 1 ) Vor allem der Abschniti iiber Alexander aus
Orosins ward noch in die Darstellung von J\ hineinver-
woben, so dass diese Fassung J% auch ah Orosius-Rezen-
sion bezeichnet wird. Von ihr sind gleichfalls Hss. schon
aus dem 12. Jhdt. erhalten, deren Verwertung aber noch
eine Aufgabe der Zukunft ist ; so ist es mil unserer Kennt-
nis von J% bei weitem schlechter bestellt als von J\. Da
J% noch einmal die kleinen Traktate zar Interpolation heran-
zogy so ist auch J\ fiir eine endgiiltige Edition jener zu
verwerten.
Am schlechtesten bekannt ist schliesslich die gleich-
falls aufjx beruhende Umarbeitung J%. Daher soil zundchst
im folgenden eine Charakteristik dieser Form gegeben wer-
den. Ich beniitze hierzu folgendes Material:
1. B = Berlin, cod. lat. no 49, s. XV, jetzt in V.
Rose's Katalog no 1028. Vgl. K. Kinzel, Zwei Rezensionen
der Vita Alexandri Magni, Progr. Berlin 1884; ders.
Z.f. d. Ph. XVI (1884) 125 /.; ebenda XV 11 (1885) 98 ff.;
ders. Lamprechts Alexander (Germanist. HandbibL VI 1884)
S. XIX /.
2. M=MUnchen, elm. 14796; anno 1438. Identisch
mil der in Pertz 9 Archiv VII (1839) 493 beschriebenen
Hs. Milnchen, Emmeram. fol. pap. saec. XV. Vgl. auch
O. lingerie a. a. O. S. 20 und 66 f.
3. D = Darmstadt no 231, pap. saec. XV. Diese Hs.
ist bisher noch nicht benutzt. Erwdhnt ist sie in Mit-
teilungen aus der Darmstadter Bibliothek von Roth, R. F. VI
(1891) 242 f. Beschreibung $. gleich unten.
s. Xll. Ebenda 2477 s. XIV. Ebenda 8503 s. XIV. Ebenda Nouv.
acq. lat. 174 s. Xll — XIII. Oxford, BodL, w or aus Gagnier in seiner
Ausgabe des Joseph ben Gorion (1706) StUcke mitteilte. Vgl. be-
sonders /C. Kinzel in dem oben angefiihrten Programm; Aus f eld,
Die Orosius- Recension der Historia Alexandri Magni de preliis und
Babiloths Alexanderchronik (Festschrift der badischen Gymnasien
1886 S. 98 f.); Levi, Rev. des it. juives 111 253 f.; 264 f
x ) in der genannten Festschrift S. 97 ff. — Von J% wdren vor
allem noch einige lextproben erwiinscht.
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 253
4. S=Inkunabel: Strassburger Druck von 1489. VgL
etwa Haiti, Rep. bibL I \ S. 85 /.; Copinger, SuppL I S. 19;
II x S. 43.
Ferner gehdren noch zur Rezension J%, sind aber im
folgenden nicht beniitzt, die Hss.
Zwickau, Ratsschulbibl. no 10 vom Jahre 1434. VgL
Bolte, Z.f.d.Ph. XVII (1885) 241.
Bern no 247 fol. s. XV. VgL Bolte a. a. 0.; Hagen,
Catalogus codicum Bernensium (1874), S. 284 f.
Wien no 3097 ; anno 1404. VgL Bolte a. a. O.
Si. G alien no 624, $. XV. VgL Verzeichnis der Hss.
der Stiftsbibliothek von St. Gallen (1875) S. 203.
Paris, BibL nat. no 8514 ; anno 1465. VgL A. Morel-
Fatio, Rom. IV (1875) 57 ff.
Berlin, cod. lat. qu. 518, vom Jahre 1440. VgL Herzog,
Die Alexanderchronik des Meister Babiloth. Progr. Stuttgart
1897 S. 60.
Florenz, Pal. Riccardi 522; Ende des XIV. Jhdts.
VgL G. Vandelli in: N. Festa e G. Vandelli, Miscellanea.
Nozze Rostagno-Cavazza (1898) S. 26.
Modena, Estens. lat. X. 1. 20. s. XIV. VgL Vandelli
a. a. O.; Favre, Melanges II (1856) 74 f.
Bologna, Universitdtsbibliothek no 1951 ; s. XIV. VgL
Vandelli a. a. 0.
Bologna } Universitdtsbibliothek no 2761 ; s. XV. VgL
Vandelli a. a. 0.
Codex Casanatens. B. v.20;s.XIV. VgL Vandelli a. a. O.
Ausserdem enthalten die Rezension /s noch die Strass-
burger Drucke von I486, 1489, 1494, von denen ich die
Drucke von 1489 und 1494 beniltzl habe.
Die bisher unbekannte Darmstadter Hs. ist zunachst
kurz zu beschreiben.
Von den 140 mit Bleistift numerierten Bl&ttern ist fol. I und 2
unbeschrieben. Fol. 3r — 45r: Cronica brevis m agist ri Oliveri et terra
sari ota et recuperatione eius et amissione. Inc. : Rex regum domi-
rnis dominantium pater de celis quando voluit filium suum verum
deum etc. Fol. 45v unbeschrieben. Fol. 46r — 47v : Cathalogus Regum
Jerusalem! et de preliis eorum. FoL 48r — 90v: Gesta Alexandri
254 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quiliohinus.
Magni. FoL 91 r — 94r: Epistola presbiteri Johannis de maiestato
sua. 1 ) FoL 94r: Ex verbis Palladii'j sump t a sunt infra scripta secun-
dum quod audivi a quodam Thebeo etc. Quidam Thebeus etc. expl. :
sunt autem ibi elephantes multi. Etc. FoL 94v — 95v: De maohu-
meto. Inc. : Clerious quidam valde famosus. FoL 96 und 97 unbe-
schrieben. FoL 98r — lllr: Gesta Karoli magni imperatoris. Dann
folgt FoL lllr das Testamentum Karoli. FoL 113v: Ex gestis Roma-
norum imperatorum. Inc. : Longobardi igitur. Dann folgcn Stellen
aus Theodoricus de Niem, Petrarca, Boccaccio.
Die Gesta Alexandri Magni der Darmstadter Hs. ge-
Mren, wie der Wortlaut und die gesamte Komposition er-
gibt, zur Fassung /s. Dock unterscheiden sie sich von
den andern von mir beniitzten Hss. und Drucken dadurch,
dass sie grosse Stiicke der Darstellung in Hexametern,
anderes in Distichen geben statt in Prosa. Auf diese Verse
mUssen wir unten besonders eingehen und ihre Herkunft
zu ermitteln suchen. Filr eine Darlegung der charakteristi-
schen Eigenheiten von J%, zu der wir uns nun zundchst
wenden, kdnnen wir diese formate Besonderheii der Darm-
stadter Hs. ausser AM lassen.
Die Fassung Jz beruht wie Jt auf Ju Aber wahrend
J% den Wortlaut von Jx nicht systematisch dnderte, sondern
sich im wesentlichen darauf beschrdnkte, durch sachlUhe
*) In der Lisle der Hss., welch e Fr. Zarncke, Abhh. der sticks.
Ges. der Wissensch. philoL-hist. KL VII (1879) fiir den Presbyter-
brief gegeben hat, fehlt die Darmstadter Hs. Sie gehort zur inter-
polierten Klasse C nach Zarncke*s Einteilung. Jedoch ist ihr Ein-
leitungssatz von den andern Hss. abweichend : Presbiter Johannes
pontifex dei et domini nostri Jesu Cbristi rex regum et dominus
dominantium universe terre Emanueli Roroanie gubernatori salute
gaudere et gratia ditandi ad veritatis horas transire. Nuntiatum
est apud maiestatem nostram, quod diligebas excellentiam nostram
et mentio altitudinis nostrae erat apud t& u.s.w Ein kleines Stuck
des Brief es nach dieser Hs. ist unten (S. 268 Anm. 1) abgedrucfct.
') Es ist dies ein Excerpt aus dem Commonitorium Palladii
und zwar nach der Bamberger Fassung, die in meinen Kleinen
Text en S. 1 — 5 abgedruckt ist; dort S. VIII f. das wichtigste Mate-
rial hierzu, wozu noch nachzutragen ist A. Brinkmann, Verhh. der
43. Philologen-Versammlung 1895, S. 86 f., und neuerdings M. Ma-
nitius, NA. XXXI (1906) 728 ff.; Pfister, Rhein. Mus. LXVI (1911)
466 ff.
Pf ister, Historia de preliis und Alexanderepos dee Quiliohinus. 255
Zusdtze, besonders aus Orosius, den Stoff zu bereichern,
lasst sich bei J$ ein dreifacher Unterschied von J\ fest-
stellen. Zunachst fallt eine vollstdndige Umarbeitung des
Wortlautes auf: die Fassung ist sprachlich viel reicher,
schwiilstiger, phrasenhafter. Ferner werden allenthalben
bald kleinere Satze, bald grdssere Stilcke } meist moralisie-
renden und reflektierenden Inhalts eingelegl, eine Erschei-
nungy die sich vor allem in den Briefen breit macht. Hier-
fiir findet sich unten eine Probe. Als drittes wichtigstes
Merkmal kommen noch eine Reihe grdsserer Interpolationen
erzdhlenden und beschreibenden Inhalts hinzu, die der
Bearbeiter aus anderen Quellen selbstdndtg hineinver-
arbeitet hat.
Ich zdhle diese Zusdtze im folgenden auf und telle
ihren Wortlaut mil, indent ich die Stetle, an welcher sie
in ]\ eingeschoben sind, nach der Ausgabe von ]\ durch
Zingerle bezeichne.
1 — 3) In cap. 26 und 27 > in denen nach J\ die Be-
lagerung und Eroberung von Tyrus geschildert wird, schiebt
Jz drei neue Stiicke ein. Das erste folgt nach dent Worte
Tyrum p. 149, 15 Z. und beschreibt die Vorkehrungen
Alexanders fiir die Belagerung. Das Stiick lautet: 1 )
oastra metatus eat supra civitatem Tyrum, ubi Alex-
ander cum exercitu longo tempore oommoratus multa incommode
est perpessus. In tantum enim erat fortis civitas tarn maris oir-
oumdatione tarn edificiorum oonstruotione tarn etiam ipaius loci
fortitudine naturali, quia null a ten us civitatem poterat per impetum
/ ubi autem cum D. 2 longo tempore om. SM. oommorato D;
commorans <S. 3 perpessus fuit quia erat fortis <S. enim om. B. fortis
erat B. tarn: oum BM. 4 tunc etiam B; cum ctiam M; tarn et S.
5 civitas poterat obtineri D. cum impetu 5.
') Hier wie im folgenden geben\die gesp err t gedruckten Worte
den Text von J\ wieder, das daz wise hen stehende den Einschub von
J*. — Der kritische Apparat gibt die wichtigsten Varianten. Er soil
kiinftigen Forschern ein Mittel zur Klassifizierung der Hss. geben,
wie die Mitteilung des Textes es ermoglichen soil, die verschiedenen
Rezensionen der interpolierten Historia zu unterscheiden. Ein end-
gilltiger Text kann noch nicht festgelegt werden.
256 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos dee Quiliohinus.
obtinere. Construxit autem Alexander edifioium ingens in mare,
quod oivitatem tam fortiter opprimebat, quia nulla navigia neque
Glasses poterant portum oi vita tie attingere. Alexander autem atten-
debat, qualiter posset invadere urbem. Cepit itaque exeroitus in-
10 digere. Mox Alexander mi sit litter as ad pontificem
Judeorum u. s. w. me Ji.
6 Alexander om. D. 7obtinebat S; expugnabat D. nulla am. B.
8 portas B. intendebat BM; antecedebat D. 9 quomodo 5- urbem in-
vadere S; urbem posset invadere M.
Dann wird wie in J\ von dent Briefwechsel Alexanders
mil dent jiidischen Hohepriester Jaddus (vgL Wochenschr.
filr klass. PhiloL 1911 Sp. 27 /.) erzdhlt; darauf folgt der
zweite Einschub: Alexander schickt einige Truppen unter
Meleager in das Tal Josaphat, urn die dort weidenden Her-
den zu erbeuten. Dabei entspinnt sick ein Kampf, in
welchem die Macedonier unterliegen. Alexander eilt ihnen
zu Hilfe, worauf der Feind geschlagen wird, Inzwischen
haben die Bewohner von Tyrus Alexanders Belagerungs-
werke zersWrt y so dass Mutlosigkeit die Macedonier befdllt.
Die in p. 150, 8 Z. nach noluit eingeschobene Episode
lautet:
Noluit tamen rclinquere Tirum. Elegit autem Meleagrum
deditque sibi milites quingentos. Precepit autem illis, ut vail em
peterent Josaphat, ubi armenta plurima paecebantur extra oivi-
tatem Gadir. Samson vero oonducebat eos per universa looa illiue
5 regionis, que apertissime oognosoebat. Gum igitur vallem intras-
sent predamque duoerent infinitam, obviavit eis Theoselius, dux
armentorum multosque ipsorum mortuos prostravit. MeJeager vero
robustus in fortitudine armorum [facto impetu in eum] universos
armentorum oustodes expugnavit. Saulus vero ipsius duois verticem
10 amputavit. Dum igitur heo omnia essent Biturio oognita exivit de
/ Eligit M. Maleagrum 5 ut semper infra. 2 praeoipiens illis
S. illi D. 3 plurima om. D. ex civitate Sadii S; ex civ. Gadii M.
4 Sampson DM. Sanson B. vero: autem S. eos quia universa loca regionis
(regionis om. M) illius aptissime cognoscebat SM. 5 que apert. om.
B. igitur: ergo BM. intrarent D. intrassent praediotam 5. 6 Theo-
selius & 8 fort, armatorum univ. armentorum S; armorum eos
et univ. armentorum D; armorum f. imp. in eum univ. armatorum B.
9 duois armentorum vert. 5. 10 Bitirio SM; Buoio D. de civitate
Sadii exivit SM.
Pf ister, Historia de preliie und Alexanderepos des Quilichinus. 257
civitate Gadir cum equitibus triginta milibus ad prelium preparatis.
TaDta siquidem erat copia pugnatorum, quia ex nimio clamore terra
treruere videbatur. Quod videntea Macedones turbati sunt valde.
Volebat igitur Meleager mittere ad Alexandrum, ut in oorum per-
veniret subsidium; nullus autem eorum voluit legationem susci- 15
pere Meleagri. Pugnatum est tandem inter eos et ibi Samson a
Biturio est extinotus. Macedones vero nimia hostium circumfusione
oppressi suocumbere videbantur. Quod videns Arrideus abiit ad
Alexandrum sibique Grecorum incommoda recitavit Alexander
vero relinquens Tyrum venit in Josapbat, ubi Biturium et totum 20
eius exeroitum circumfudit. Reversus autem Tyrum invenit edi-
fioium, quod in mari construxerat, funditus dissipatum. Balaam
enim oum omnibus babitatoribus Tyri post recessum Alexandri
egressus edificium illud yiriliter expugnavit. Quod videntes Mace-
dones in tantum turbati sunt et Alexander cum eis, quia quasi de 25
occupatione Tyri omnifarie diffidebant. Noote itaque subsequent!
apparuit Alexandra usw. wie ]\ nach Zingerle S. 150, 8.
II milia M. preparatus D; preparati M. 12 terre «9. 13 valde
om. S. 14 Volebant DS. Maleagrum 5. subs. perv. S; proparet
subs. M. 15 nullos tamen «S. illorum D; aliorum M. legationem
om. S. 16 MaleagerS; Meleager D; Meleag' B; Meliagri M. Meleager
vero pugnatus est tandem D. et ibi om. S; ubi BM. Sanson abiti
vero exercitus et Macedones vero B; sampson et butirus extincti
fuerunt D; Sanson a Bytirio est ext. S; Sampson bitario est ext.
M. 17 vero: autem 5. nimium Af. ciroumfulsione SM; multitu-
dine B. 19 sibi B. inc. rocit. B; inc. intimavit S; recit. adventum
D. 20 vero om. D; autem 5. Butirum D; Byturum M; Bytirium
5. 2/ confudit S. 22 mare M. Balam vero D. 23 habitantibus Tyro D;
habitantibus Tyrum 5. Alexander B. 25 in tantum: iterum 5.
quia om, S. 26 captione DS. omnifarie: omnes fortiter D.
Sodann wird im Anschluss an J\ der Traum Alexan-
ders vor Tyrus (p. 150, 8 — 16 Z.) erzahlt. Dann folgt als
dritte Zugabe von /s die Beschreibung der Belage rung und
Einnahme der Sladl, 1 ) welche also lautet;
hec civitas est, quam debes propriis manibus expug- 1
/ manibus: viribus DM.
l ) Auch in dem zu J% gehorenden cod. Seitenstettensis wird
die Belagerung der Stadt genauer wie in ]\ geschildert, jedoch
ganz anders wie in J%. Das Stuck ist nach diesem Codex abge-
druckt bei Zingerle S. 150 adnot. — Cod. Seit. ist bis jetzt ubrigens
der einzige Vertreter von J%, der diesen Einschub enthdlt.
258 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus.
nare, ipsamque pedibus oonouloabis. Audiens heo Alexan-
der statim cogitavit, quibus mod is posset apprehendere urbem. Con-
struxit itaque in mari ingens edificium olassium, quod erat centum
5 anoboris alligatum. Erat eiquidem tantae oelsitudinis, quia et muris et
turribus Tyriorum altius eminebat. Alexander autem solus ipsum
edificium asoendens armis undique fuloitus preeepit, ut totus ex-
ercitus preparetur ad pugnam et mox, ut yiderent ipsum ingredi
civitatem, omnes impetum facerent versus muros. Decisis itaque
10 anoboris edificium petebat latera oivitatis. Alexander autem pro-
silivit in turrim, ubi stabat Balaam et faoto impetu super ilium
ocoidit faoiens ipsum cadere in profundum. Videntes beo Macedonia
et Greoi oontinuo muros ascendere ceperunt alii soalis alii manibus
adberentes. In tantum enim erant Tyrii interitu Balaam duels
15 eorum exterriti, quia nullatenus Greoorum impetui resistebant.
Bioque oapta est ciyitas et usque ad radices funditus la-
oerata u.s.w. me J% bet Zingerle 150," 19.
2 Audiens heo om. S; Al. audiens heo Z). 5 statim: autem 5. inva-
der© urbem D; civitatem expugnare S; oapere civitatem M. 4 mare 5.
5 et muris : et om. DS. et turns B. 6 altius: Alexander S. 7 illud ed.
asoendit armis fulcitus S; circumfultum D; fultum B; fuloitum M.
preoepit itaque D. 8 se prepararet S. ipsum viderent S; ubi vide-
runt M. 9 civitatem om. D. muros oivitatis eiusdem D. Desoiasis
<S. igitur B; ergo M. 10 parebat ad latera muri oivitatis «S. // turrim:
tyrum D; terram S. fecit impetum D. impetu ipsum (ilium M)
oocidit SM. 12 oocidit eum D. profundum murorum D. hoc B.
13 oontinue S. inoeperunt DM. 14 enim om. M. erant om. D. ex in-
teritu M. Balaam ducis eorum extinotione timore perterriti <S.
15 exterriti fuerunt D; extinoti M. imp. Greo. D. impetu M. 16 Sic
B. est om. S. dissipata SM.
Die Erzdhlung in Jz f&hrt weiter fort, ohne bedeuten-
dere sachlkhe Erweiterungen der Darstellung von J\ fol-
gend. Erst in cap. 74 findet sich wieder ein Einschub be-
schreibenden Inhalts. Da in ]\ der Thron erwiihnt wird,
den der Perserkdnig Cyrus einst erbaut hatte, so ergreift
der Bearbeiter die Gelegenheit (4) dieses Wunderwerk aus-
filhrlich zu schildern. Die nachste grdssere Interpolation
wird zu Beginn von cap. 106 angebracht, indent (5) von
weiteren Abenteuern, Besteigung eines hohen Berges, Marsch
durch ein finsteres Tal und durch eine grosse Ebene, Kampf
Alexanders mil dent Basilisken, berichtet wird. Zwischen
cap. 106 und cap. 107 wird dann (6) die Errichtung eines
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 259
Denkmals durch Alexander erwdhnt. Dies ist hier gleich-
falls ein Zusatz von Js. Etwas Aehnliches wird zwar auch
in J\ p. 236, 19 — 21 erzahlt, eine Stelle, die aus dem Com-
moniiorium Palladii (S. 1, 24 nach meiner Ausgabe) stammt:
aber J% hat diesen Bericht ebenfalls mil iibernommen, so
dass nach seiner Fassung zweimal von der Errichtung
eines Denkmales die Rede ist. Zwischen cap, 113 und 114
fiigt dann J% (7) die Legende von der Einschliessung der
wilden Vd'lker Gog und Magog durch Alexander ein; zwi-
schen cap. 123 und 124 wird (8) von der Erbauung eines
Thrones und der Anfertigung der Krone in Babylon er-
zahlt und in 20 Hexametern die Inschrift des Thrones mit-
geteitt. (Diese Verse fehlen in den Strassburger Drucken.)
Am Schluss des Romans, der in /i mil der Aufzdhlung
der von Alexander gegriindeten Stadte endet, finden sick
(9) noch einige Zusatze meist allgemein betrachtenden
Inhalts, die in den einzelnen Hss. und alien Drucken
ziemlich von einander abweichen.
Diese neun sachlichen Interpolationen sind im Verein
mil vielen andern kleinen nichtssagenden oder reflektieren-
den Zusatzen und einer durchgehenden sprachlichen Urn-
arbeiiung das Charakteristische der Rezension Js. Sie be-
hdlt also die gesamte Komposition von J\ bei, wahrend Ji
durch Umstellungen die Reiseroute Alexanders geiindert hat.
Zunachst mdgen die noch fehlenden Texte hier mil
den wichtigsten Varianten ediert werden.
4. Der Thron des Cyrus.
[VgL Zingerle S. 196,16]. Alio itaque die sedit Alexander
in throno aureo coronatus, quern Cyrus olim eonstruxerat
rex Persarum, et congregatis Macedonibus atque Persia
iraposuit sibi ooronam Darii, que in tantum pretiosa erat, ut ab
omnibus inoomparabilis probaretur. Fulgebat enim totum palatium
ex elaritate gem m arum. Erat enim thronus ex auro totus septem
2 coronatus om. S. olim : quondam S; om. D. 4 imposuitque
B; ei imposuerunt D. in tantum: tarn S. 5 ineomparabilibus M; in-
oomparabiliter Z>. videretur vel probaretur B. 6 ex auro puris-
sirao 5.
260 Pfis ter, Historia de preliis und Alexanderepos dee Quilichinus.
cubitis super alia sedilia elevatus et per septem gradus asoendebant
reges ad thronum. Erantque ipsi gradus mirifico opere coDstructi.
Primus gradus erat ex amatisto, secundus ex smaragdo, tertius ex
10 thopasio, quart us ex granato, quintus ex adamante, sextus ex auro
purissimo, septimus erat ex luto oompositus. Neo sine causa erant
taliter ordinati. Primus qui ex amatisto fundatus exstabat, tale
mysterium obtinebat: Amatistus siquidem reprimit fortitudinem et
fumositatem vim neo sinit aliquem gerentem ilium de sua memoria
15 immutari. Ita oportet quemlibet volentem ad regiam asoendere
dignitatem esse perfecti sen sue, ut nequaquam oecasione imperitiae
deoidat in sinistrura. Secundus erat ex smaragdo. Smaragdus enim
visum portantis clarificat et conservat. Et ita regem oportet visum
cordis habere acutum, ut que videnda sunt, videat sagaoiter et
20 discernat. Tertius ex thopasio. Thopasius siquidem tantae olaritatis
existit, ut si aliquis figuram suam ymaginetur, in eo videbit caput
suum versus terram inflexum, pedes autem videbit versus aerem
elevatos. Sio etiam oportet regem contemplari novissima sua, ne,
prout thopasius ostendit caput eius, hoc est dignitas, ex altitudine
25 ad pulverem deprimatur. Quartus ex granato. Granatus enim ounctos
lap ides rubore preoedit. Ita et regem oportet esse verecundia rubi-
oundum, ut ultra licita non transcend at. Quintus ex adamante.
Adamas enim tantae durioiei est, ut nee a ferro neo a lapide possit
allidi, nisi a sanguine fuerit yroino perfusus. Sic itaque rex tantae
30 debet esse oonstantiae, ut nullo preoaminum interventu a iustioiae
tramite deviet vel vaoillet. Sextus ex auropurissimo. Aurum siquidem
omnia metalla pulohritudine et preciositate superat et exoedit. Ita
et rex omnibus hominibus est propositus, ut omnes suo imperio
7 alia: alta 5. gradus ipsius D. 9 Primus videlicet «S. fuit M.
II erat om. MS. Et non «S. 12 ornati S. Primus erat qui M; Primus
enim qui S; qui om. D. fundatus om. S. stabat DS. 13 continebat MS.
siquidem: enim 6". /4necfacit3. memoria: victoria M. /5deviareD.
Ita enim S; ita eique M; itaque D. 16 per sensum S; perfecti
om. S. 17 incidat «S. Smaragdus enim: qui MS; smaragdum B.
20 thopasius siquidem D; thopasius otn. B; qui MS. 21 quidem
existit M. videat MS. 22 reflexum B; infixum M; fixum S. vi«
deat MS. 24 regalis dignitas D; dignitas ipsius <9. 25 ad pulverem
om. D. 26 omnes lampades sua claritate precellit et omnes lapi-
des rubore preoellit S. excedit M. esse purum luoidum et ver. rub.
S. 27 ultra om. MS. transoendat illicita faciendo M; tr. illicit*
impune obmittendo «S. 28 enim om. BM; autem 5. potest col-
lidi S; allidi potest D. 29 percussus D. 30 nullo precaminum inter-
ventu (intervenienti M) MS. 31 deviet vel om. S; dev. neo vac. D.
et vac B. i2omnera metallorum pulohritudinem et preciositatem D.
superat et om. DM; superexoellit D; exoellit B. 33 hominibus debet
Pf later, Historia de preliis und Alexanderepos dee Quiliofainus. 261
gubernentur. Septimus ex lutea testa hao de causa erat impositus,
ut, cum homo fuerit ad regalem celsitudinem sublimatus, recordetur 35
se ex terra creatum et in terrenam substantiam reversurum. Super
hunc siquidem tbronum sedeus Alexander regali diademate coronatus
amictus imperialibus vestimentis congregatis Macedonibus et
Persia iussit soribi per omnes provincias litteras hoc
m o d o etc. wie J\ bet Zingerle S. 196, 19. 40
esse moribus adornatus et preoiosis virtutibus prepoliere, ut omnes
5. 34 utiliter gubernentur subiecti 5. ex luto D. testa lutea. Hio
hao de causa oompositus erat S. positus erat M. 35 sublevatus D.
recordaretur S. 36 se extreraa materia procreatum 5. in terram rev.
8. 37 sedens om. S. 38 et congr. S. atque Persis MS. 39 litteras
om. S. isto modo MS.
Genaue Parallelen zur Beschreibung der Edelsteine
finden sich im Steinbuch des Albertus Magnus. 1 ) Dort
heisst es fiber den Amathist: Operatur autem contra ebrie-
tatem, ut dicit Aaron, et facit vigilera, et malas reprimit
cogitationes, et bonum in scibilibus confert intellectual.
Ueber den Smaragd: visum debilem confortat et oculos
conservat. Ueber den Thopas: speculum est lapis iste et
idolum obiecti corporis sicut speculum concavum in con-
vexum repraesentat; cuius causa esse non potest, nisi quod
interius per superficies concavas concrescit et coagulatur.
Ueber den Granat: Est autem lapis rubeus et perlucidus,
in colore similis balaustiis, qui sunt flores malorum grana-
torum. Ueber den Diamant: Lapis est durissimus . . . adeo
solidus, ut neque igne neque ferro mollescat vel solvatur.
Solvitur tamen et mollescit sanguine et carne hirci. — fiier-
bei habe ich aus Albertus nur das herausgehoben, was fiir
unsern Text in Betracht kommt. Zeitlich kann Albertus nicht
wohl die Quelle unseres Einschubes sein; das Umgekehrte
ist aus sachlichen Griinden natiirlich ebenso ausgeschlossen.
l ) Der Text findet sich abgedruckt etwa bet BUsching, Museum
fur altdeutsche Literatur und Kunst 11 (1811) S. 52 ff. — Direkt eine
Geschichte aus dem Steinbuch des Albertus Magnus (bei BUsching
S. 140) hat Ulrich von Eschenbach in seine Ale xandreis iibernommen;
vgl. Toischer, WSB. phil-hist. KL (1881) S. 391 ff.; W. Hertz, Ges.
Abh. (1905) S. 102, 2.
262 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quiliohinus.
Beide sch&pfen aus gemeinsamen Vorstellungen heraus.
Diese aber, welche in unserm Text mit einem zweiten Be-
standteil, den Eigenschaften des Kd'nigs, verbunden werden,
scheinen fiir sich und vor allem in der hier vorliegenden
Verbindung durchaus orientalisch zu sein. Man wird so-
gleich an den Physiologus erinnert; aber man denkt auch
an das orientalische pseudo-aristotelische Steinbuch oder
etwa an das Steinbuch, das sich in der arabischen Kos-
mographie des Kazwtnt findeL 1 ) Aber auch eine Stelle
im spanischen Libro de Alixandre*) ist heranzuziehen, wo
von den Edelsteinen in Babylonien und ihren symbolischen
Wirkungen und Kr&ften die Rede ist. Dass aber in Spa-
nien Beeinflussung durch arabische Quellen denkbar ist f
liegt auf der Hand. So scheint es, dass auch unsere Stelle
direkt oder indirekt auf eine orientalische Vorlage zuriick-
geht Auch kann man hinweisen auf die Schilderung des
Thrones in der um 1356 verfassten Reisebeschreibung*)
des John Maundeville (Johannes de Montevilla), welche
ganz ahnlich lautet und gleichfalls sieben Stufen aus ver-
schiedenen Steinen nennt: De throni quoque pretiositate,
quia meae demonstrationis excellit modum, solummodo dico
eingulos ascensionis gradus esse singulorura lapidum pre-
ciosorum, primum onicini, secundum cristalli, tertiura
iaspidis, quartum ametisti, quintura sardii, sextum cor-
V Vgt* dariiber die Arbeiten von Julius Ruska, Das Steinbuch
aus der Kosmographie des Zakarijd Ibn Muhammad ibn Mahmtid
al-Kazwint, Progr. Heidelberg 1896; ders. Untersuchungen fiber das
Steinbuch des Aristoteles, Habilitationsschrift, Heidelberg I91L —
Die Schrift von P. Cassel, Kaiser- und Kdnigsthrone, Berlin 1874,
auf welche mich Ruska freundlichst aufmerksam machte, und worin
sich vermutlich orientalische Parallelen zu unserem Text fin den,
ist mir leider unzugdnglich. Zu nennen ist auch G. Salzberger,
Die Salomosage in der semitischen Literatur, Heidelberg Diss. 1907 f
worin der Verf. als Fortsetzung auch eine Unter sue hung Uber den
Thron des Salomo versprichL
% ) In der Ausgabe von Morel-Fatio (Gesellschaft fUr rom anise he
Literatur X 1906) S. 182 ff.
*) Ediert von Fr. Zarncke, Abhh. der sachs. Gesellsch. phiL-
hisL CI. V1I1 (1876) S. 143.
Pf ister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 263
nelii, et septimum, qui est sub sedentis imperatoris pedi-
bus, ipse est crisolitus, omnes circumfusi et inclusoria arte
firmati auro splendide relucenti. Auch dies kann vielleicht
auf orientalische Quellen hinweisen; denn auf die Dar-
stellung unserer Historia geht die Beschreibung des Maunde-
ville schwerlich zuriick.
5. Weitere Abenteuer.
[VgL Zingerle 238, I7J. Deinde amoto exeroitu venerunt
ad quendam montem, qui tantae altitudinis erat, ut per septem
dies oontinuos ipsius montis cacumina petissent. Cum autem in
summitate ipsius existerent, venerunt super eos maxima copia
draconum, serpentium et leonum, qui angustia maxima afflixerunt 5
eos. Tandem ab eorum periculis evaserunt et descendentes de monte
venerunt in vallem obseuram it a, ut vix unus alium oonspicere
posset. Erat etiam in ipsa valle tarn depressissima nebula, ut
manibus palparent. Erantque in ipsa vallo innumerabiles arbores,
quarum fructus et folia saporissimum habebat gustum, et rivoli 10
clarissimi decurrebant per octo siquidetn dies continuos; solis radios
non viderunt. Completis vero diebus octo pervenerunt ad radicem
montis unius. In tantum erat universus exercitus ex attractione
spissi aeris pregravatue, quod fere suffocati videbantur. Cum autem
superiora montis ascenderent, inveniebant aerem subtiliorem et 15
splendor diei i 1 lis potius lucescebat. Sicque impetendo summitatem
montis undecim diebus continuia laboraverunt. Cum autem montis
cacumen ascendtssent viderunt ex alia parte diem luoidissimum et
preclarum et descendentes de monte pervenerunt ad planitiem
maximam, cuius terra erat nimium rubicunda. Erantque in ipsa 20
planitie arbores infinitae, que ultra spatium cubiti non crescebant.
Quarum fructus et folia erant suavissima tamquam ficus et invenie-
bant rivulos aquarum plurimos, qui tanquam lac gerebant aquam et
corpora hominum ad modum lactis sine aliis cibariis nutriebant, et
2 qua n dam B. octo B. 3 in ascensu illius montis existerent.
Subito perveuit draconum... leonum multitudo, qui eos m. a. an-
gustiaverunt «S. 4 supervenit M. super eos om. M. 7 inconspicere B.
8 Erat autem M; Erat et S. depressima B; densissima M. ut ipsi
m. palparentur M; ut earn m. palparent «S. 9 Erat autem M. 10 quo-
rum B; cuius M. saporosum j!/; fortissimum S. aquarum rivuli cl.
M. II discurrebant MS. continuos om. M. 14 pergravati, qui vere/?.
15 cacumine M; cacumina .$. 21 unius cubiti M. 22 invenerunt
MS. 24 Corpora etiam albissima sine o. a. nutriebantur «$.
264 P f i s t e r , Historia de preliis und Alexanderepos dee Quiliohinus.
25 ambulantes per hano planitiem centum et septuaginta diebus per-
venerunt ad altissima montana, quorum caoumina eel urn tangere
videbantur. Erantque ipsi monies excisi eicut paries ita, ut null us
possit ascensus fieri ad oaeumen. Invenerunt tamen duos transitus
per inedios montes divisos. Unus transitus septentrionalem plagam
30 petebat, alter vero versus orientis solstitium pertendebat. Sed oum
Alexander cogitaret, qualiter montes isti divisi essent non manu
hominis sed inundatione diluvii, indioavit illos esse deoisos et dum
per medium trans i turn orientis intra ret, ambulavit per dies octo per
illud artissimum iter. Octavo vero die invenerunt basilisoum horribilem
85 et dierum antiquitate fetid um, qui tantae venositatis erat, ut non
solum fetore sed ex ipso visu quantum oontemplari poterat aerem
corrumpebat. Transeuntes itaque Macedones et Persae solo visu
serpentis eadebant exanimes. Milites vero oernentes tale periculum
non amplius procedebant dioentes: Deorum virtus ante nos in itinera
40 consistit, quae nos amplius non transire demonstrat. Tunc Alexander
oepit solus per superiorem partem montis ascendere, ut a longe
posset causam tantae pestilenciae previdere et cum in superiori
parte montis consisteret, vidit basilisoum in medio tramite consisten-
tem et dormiebat continue. Cum autem sentiebat hominem vel
45 animal appropinquare sibi apperiebat oculos et, quoquot aspiciebat,
ilioo interibant. Quod cum vidisset Alexander, continuo descendit
de monte et constituit terminos, quos nullus presumeret excedere,
et fecit fieri clipeum magnum longum cubitis sex et latum cubitis
quattuor et ab exteriori parte in superficie clipei fecit speculum
50 maximum interponi fecitque sibi subtalares ligneos per cubitum
altos et accipiens clipeum in bracbio suo et subtalares in pedibus
cepit contra basilisoum opposito sibi clipeo inoedere ita, quod neo caput
nee latera noc pedes ullatenus videri poterant, et precepit universis
militibus suis, ut nullus terminos excedere attemptaret. Cum autem
55 propinquius essetbasilisco, apperuit ille oculos suos et irato animo
inspiciens speculum semetipsumcontemplans inspeculo ilicoextinctus
est. Alexander itaque sentiens ilium exanimem ascendit super eum
et vocans milites suos ait: Venite et videte occisorem vestrum. At
27 excissi S; excelsi M. sicut et paries B; ut paries S. 28 a
cacumiue M. 29 unus vero M; unus siquidem S. 30 patebat S.
solst: solis circulum S. 32 illos... medium om. M. 33 intravit M.
septem et per B. 34 acutissimum MS. 38 vero om. B. tarn maxi-
mum periculum imminere 5. 39 in itinere om. M. 40 non om. M.
41 precepit M; incepit S. 42 in om. B. 44 Cumque sent. M.
45 conspiciebat M. 46vitiabant B.; moriebantur S. 47 quod M. 50sub-
tellares B; sotelares Af. lineos *S. 53 ab eo videri Af. 54 preterire
temptaret Af. 57 mortuum MS. ascend ens ubi ille erat convooans M.
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus 265
illi fes tin antes viderunt basilieoum mortuum et oontinuo iussu
Alexandri Macedones eum cremaverunt et laudabant omnes ad in- 60
vioem sapientiam Alexandri.
Exinde amoto exercitu venitad extremam partem huius itineris
ita, quod amplius procederenon valebat. Erant enim montes oppositi
et rapes ut muri ex alto pendentes, et verso tramite venerunt ad
planitiem nominatam et proposuit per tram item septentrionis accedere. 65
Arripiens iter per dies quindecim ambulavit et relinquens iter in-
ceptum cepit versus dextrum latus gressus suosdirigere et ambulans
per dies nonaginta pervenit ad quondam montem adaman-
tinum, in ouius ripa oathena aurea dependebat. Habebat
autem ipse mons gradus ex lapidibus saphiris duosmille 70
quingentos, quibus erat ascensus et oastra metati sunt
ibi [vgL Zingerle p. 238, 17] .
60 eum om. B. ad invicem om. M; invicem 5. 62 partem
unius montis ita <S. 64 viso tramite MS. 65 prenominatam B. sep-
tentnonalem M.
Wenn man auch im Altertum viel iiber den Basilisken
zu fabeln wufite, 1 ) so wird dock in unsern antiken Quellen
weder ein dhnlichcs Abenteuer berichtet, noch ilberhaupt
von einem Kamp/ Alexanders mil einem Basilisken erzahlL
Ein solcher begegnet tins erst bei Vincenz von Beauvais
(Spec. hist. IV\) und in den Gesta Romanorum 139, welche
aber schon zeitlich fur die Quellen/rage nicht in Betracht
kommen. Eine dhnliche Geschichte berichtet der psetido-
aristotelische Liber de proprietatibus elementorum*) welche
zur Zeit des Vaters Alexanders spielt, und in der Sokrates
die Hauptrolle iibernommen hat. Auch bei Albertus Magnus
finden wir sie dann?) Dock ist hier nicht von Alexander
die Rede und auch der Ausgang der Erzdhlung ist ein
anderer me in unserm Text.
6. Errichtung des Denkmals.
Dieser Einschub schliefit sich an die Episode von den
Bdumen der Sonne und des Mondes an, welche J\ in den
V VgL Wetlmann bei Pauly-Wissowa Rt. Ill 100 f.
*) Das Stack ist abgedruckt bei Fabricius BibL Gr. ed. IV(Harles)
111 p. 280 sq.
% ) VgL W. Hertz, Ges. Abhh. (1905) S. 192 f.
MUnchener Museum f. Philotogie des MA. I. 3. 18
266 Pfister, Historiadepreliis und Alexanderepos des Quilichinus.
utsprilnglichen Leo aus der Epistola ad Aristotelem (=
Kleine Texte S. 32 — 35) eingelegt hatte. Jz erz&hlt auch
diese Episode etwas anders. Die beiden Orakel der Bdume
werden in Versen gegeben. Der Baum der Sonne spricht:
domitor mundi, do minus simul et pater extas,
Sed patrium regnum per tempora nulla videbis.
Deinde dicebat arbor lunae:
Anno complete vives et mensibus octo;
5 De quo confidis tibi mortis pocula dabit.
Tunc cepit Alexander in mente sua dicere: Die mihi saoratis-
sima arbor: Quis me debet ocoidere? Tuno arbor respondit:
Si tibi pandetur vir, qui tua fata resolvet,
Ilium confringes et sic mea carmina fallent.
10 Icter hec dicit illi senex, qui duoebat Alexandrum: Noli aniplius
moles tare arboros interrogationibus futurorum, sed post tergum
revertamur. Itaque reversus est Alexander post tergum plorans
amarissime propter breve tempus et spacium vitae suae et principes
cum eo plorabant, cumque venissent ad ipsum palaoium, aitsenex:
16 Alexander post tergum revertere, quia ulterius procedore nemini
est concessum. Si autem volueris per septentrionalis plagae iter
accedere, poteris; sed non per longa torrarum spacia portransire.
Et his dictis intravit senex palacium. Alexander autem et principes
sui descenderunt per gradus ad castra (= Zingerle S. 241, 9).
20 Alio itaque die amoto exeroitu cepit redire et pervenit
de die in diem ad ipsum introitum, ubi planities ilia maxima finiebatur
et castra metatus est ibi et oontinuo fecit Alexander in eodem loco
inter utrasque vias columpnas marmoreas erigi duas et in medio
illarum absidem marmoream constitui, in qua Grecis Indis Ebreis et
25 Latinis litteris erat conscriptum: Ego Alexander Philippi Macedonis
hanc absidem erexi post confusionem Darii regis Persarum.
Quicunque voluerit ulterius pertransire manu, sinistra tendat; qui
enim manu dextera processerit, multa inveniet obstacula, quae suum
impedient gressum.
/ Tu dominator orbis B; Tu deviotor orbis S; Qui pater et do-
minus es orbis nunc dominator /). 2Macedonum regnum D. 3 Deinde
. . . lunae om. MS. 5 donat B; donet D. S sua D, facta M> resolvit
BS. 9 confringeros S; confliges B. fallunt B; fallerent 5. 10 Interoa
«S. // post tergum om. M. 13 propter . . . plorabant om D. tem-
pus et om MS. /o'soptentrionalem plagam Z>. 17 accedere: facere M.
19 sui: eius D. castra: dexteram Z>. 20 Alia sequenti die M; itaque
om. B. 24 et 26 assidom DS; absidam B; assidam M. 25 scriptum
MS. Macedo B; Macedonie DM. 27 vult MS. 28 obstacula et
gravia D. 29 impediunt B; impedirent D. gressum: iter suum M.
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 267
Exinde amotis castris cepit per planitiem pertransire, non per 30
tram it es illos, unde venerat, sed per septentrional e latus, ex qua
parte citius in Macedonian! poterat fieri adventus, e t v e n i t in
terram, quae dieitur Prasiaoa, et oastra metatus est ibi
«. $. w. wie J\ nach Zingerle S. 241, 10.
Die oben wiedergegebenen seeks Verse sind in der auch
in J i und J* stehenden Episode fiir J z charakteristisch, da
die andern Rezensionen das Orakel in Prosa geben. Von
dent oben abgedruckten Text fehlt nur Z. 20 — 32 in J%;
das Vorangehende aber wird in J\ anders erzahlL
7. Einschliessung der mlden Vdlker.
Post hec abiit Alexander et per artem inclusit duodecim reges
cum eorum exercitibus, qui Tartari dicebantur. —
Dann folgt die Aufzdhlung der Namen, wobei die Hss.
(wie immer in dieser Episode auch in anderen Fassungen
des Romans), sehr von einander abweichen. Die Namen
sind folgende:
B:
D:
S;
M:
Quilichinus : l )
Gog
Got
Gog
Gog
Og
Magog
Magot
Magog
Magog
Magog
—
Agitin
Agatan
Agetani
Agothen (Agothau)
Mageen
Magen
Magebon
Magetani,
Mageban
Megeth
Oleatar
Oleatar
Alegthor
Abrathar
Olcathar (Oloathar)
Apodinei
Apodine
Appelmai
Apodmey
Apodine
Luvii
Limis
Limith
Luuy
Lubi
Junii
Junii
Junii
Junis
Junii
Rancei
Ranzei
Rothe
Rancey
Raniceri
Decleni
Dedeus
Redem
Dedeay
Deden (Dedtm)
Cam arte
Gar mate
Cemarre
Cemarte
Camarce
(Gamarcae)
Tallei
Tabellei
Cabellea
Cabellei
Sfabelli (Habelli)
Camartiani
i Camaraani
Camaroiant
Cematani
Tamarnagi
(Camarnani)
V fek gebe hier gleich die Namen nach der Heidelberger Qui-
lichinus-Hs. ($, dariiber unten). In Klammer stehen die Varianien
der Wiener Quilichinus- Hs. nach Endlicher, Jahrbb, der Lit. LVIl
(1832) Anzeigeblatt S. 16.
18*
268 P f i 6 1 e r , Historia de preliis und Alexanderepos des Quiliohinus
B:
D:
«S;
M:
Quilichinus:
Chaoomi
—
Cathomi
Chaoomi
Tathomi (Caobomi)
Armade
—
Amarde
Armade
Amade
—
—
Getimadi
Grimay
Grimardi
Araafragi
Anatfigni
Anafag
Dyanafragi
Amafrogi
(Amafzogi)
quidicuntur qui dicuntur
— — Candorem
quidicuntur quidicuntur
kinooepbali kynokephali Rinocephali Kyuochofoly Winohafagii
(Winoefay)
Tarbei
Tarbe
Thirbei
Tharbei
Trabe (Jrabe)
Alanis
Alanis
Alonis
Alonis
Alani
Philonis
Filionis
Philonis
Phylonis
Philem (Phileni)
Artinei
Artinei
Acoimei
Aroiney
Arohmei
Sortie ei
Satrinei
Satramei
Sartiney
Sarchmen
(Sartuney)
Saltari
Saltari
Soltani
Saltan i
Saltan (Saltarii)
Diese Episode von der Einschliessung der unreinen
Vtilker durch Alexander findet sick in vielen Versionen
des Romans behandelL Schon Flavius Josephus kennt sie
(bell. Jud. VI 1 7, 4). Im griechischen Roman steht sie in
den durch B und Cvertretenen jilngern Rezensionen; ferner
ist sie genau im syrischen Alexanderlied und in der syrischen
Legende und in dem darauf beruhenden aethiopischen Ro-
man und im Koran behandelL Im Abendland, wo wir sie
gleichfalls in zahlreichen Fassungen des Romans finden,
ist sie vor allem durch die lateinischen Rcvelationen des
Methodius bekannt geworden. Ausser J* hat sie auch un-
abh&ngig davon Jt in seine Darstellung verwoben; der
Text vonjt, der jedoch die N amen der Vdlker nicht nennt,
ist in einer, freilich wieder umgearbeiteten Form, nach cod.
Seitenstettensis bei Zingerle S. 199 im kritischen Appatat
abgedruckt Mil Aufzdhlung der Namen hat auch die
Fassung C des Presbyterbriefes (§ 16) die Episode aufge-
nommen. 1 ) Die Episode in J* geht wie in J% auf Ps.-
Methodius zuriick. Ich werde darilber demn&chst genauer
handeln.
V Vgl- <* en T^ bei Zarncke, Abhh. dersdchs. Gesellsch. phiL-
hisL CL VI! (1879) S. 91 L — In dem Presbyterbrief der Darmstadter
Hs., die Zarncke nicht beniltzt hat, tauten die Namen foL 91 v : Gog
Pfister, Hisloriadepreliisund Alexanderepos dcs Quilichinus. 269
8. Thron und Krone in Babylon.
Diese Episode ist am Schlass von cap. 123 der Aiisgabe
von J i nach Zingerle eingeschoben. Voraus geht der Biief
des Aristoteles an Alexander, dessen Schlnssworte nachjs
lauten :
Beati sunt itaque principes tui, quite in maximis
tribulationibus su sten taverunt
(= Zingerle p. 257, 15), Darauf fahrt ]% fort:
Inter heo siquidem Alexander fecit in Babilone thronum aureum
fabrioari, cuius simile nou reperiebatur in mundo. Tantum enim
aurum ex India ct Persida Greoi detulerant, quod illud abbominabile
reputabant. Fecit ilium thronum duodeoim cubitis elevatum et per
duodecim gradus aureos ascendebatur ad ilium. Erat ille tbronus 5
m ; rifice constructus super duodecim statuas aureas; quern thronum
ipsae duodecim statuae manibus tantummodo continebant, erantque
in ipsis statuis scripta nomina duodecim principum Alexandri. Sedes
autem throni erat ex smaragdo, parietes vero ex topasio et per
universos gradus erant preciosi lapides cuiusque generis inserti. Erat 10
etiatn in summitate ipsius lapis rubicundus, qui tamquam sol in nocte
lucebat et in ipso trono erant ymagines undique constitutae, in
quibus erant huiusmodi versus inserti Grecis literis et Latinis et
nomina omnium provinciarum, quae serviebant Alexandro:
Parthicus et Medus, Indus mihi servit et Arabs, 15
Assirius, Cilicus quoque Mesopotamia, Persa,
I talus, Hebreus, gens aspera Chananeorum,
Ethiopum gentes, Macedonia, Grecia, Cyprus,
Egyptus, Colcus, Caldeus Capadocusque,
Femineum regnum, Libicus, Liburnus, Ysaurus, 20
2 similis MS, 3 Persida detulit quod D. abbominabile: quasi
pro nichilo M, 4 Fecitque DM, 5 aureos: arduos M; marmoreos S.
6 mirifico opere MS; mirifice quidem D. que statue ipse tantum-
modo D; que ipse XII statue manibus tantummodo (tantum S) MS,
8 statuis om. MS, militum BM. throni: Alexandri B. 11 ipsius
lapis DS; lapis B; lapidis M, 12 splendebat M, qui tarn in nocte
quam in die lucebat 5. 13 scripti et inserti M, 14 quibus serviebat
Alexander M, 15 — 34 om, S, 16 Persa: tota M, 18 Ciprum BM,
et Magog Amis Voger Acemie Defar Forcanepi Comei [vgl. Uber
diese Rhein. Mus, 1911 S, 459,2] Samarte Agemandi. Istas nempe
et multas alias generationes Alexander puer magnus rex Macedonum
inter altissimos montes conclusit in parti bus aquilonis. In Zarnckes
Text werden 16 Namen genannt, ebenso viele bei Ps.-Kallisthenes.
270 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus.
Affrious et Sardus, Smirnus, Pamphilia, Laudus(?),
Ephesius, Tunix, Boohus simul et Philadelphus,
Maurus, Numidius populus ditiesima Morooh (?),
Anglicus et Scotus, Britonumque superbia, Tharsus,
25 Irlandus, Flandrus, Cornealis et quo que Nervex,
Teutonicus, Franous, Guandalia, Gallia tota.
Hispanus spoil te mihi flexit nunc sua colla.
Rom anus populus ferox et dootus in armis,
Se mihi supponunt ferri sine oriraine Tusoi.
30 Apulus et Calaber, Siculus mihi munera donant,
Soythious, Ircanus, Armenia, Barbarus ordo,
Bulgarus, Albanus, Veuetus, Dalmatious, Yster.
Uugarus et Prisms, Batavus(?) quoque, Servia, Boxus.
Cunota mihi subsunt; mihi Jupiter imperat unus.
35 Post heo fecit Alexander coronam auream fabricari ex omni
genere pretiosorum lapidum exornatam fecitque in ea buiusmodi
titulum literis Greois et Latinis apponi:
Ortus et ocoasus aquilo michi servit et Auster. 1 )
Cum eseet Alexander in Babilone peperit quedam.
40 mulier u. s. w. wie in J%; vgL Zingerle p. 257, 19.
21 Laude M. 22 Tunix: Thirtus D. 23 Maurus: Laurius M.
Maroch D; Morach M. 24 superbia caterva B; superba caterra M.
25 Flandrus Dacus Elbetus quoque Norlber D; Correal et quoque
norgucicus M; 28 ferox: ferrorum D; doctus marinis BM. 29 fieri
D. 31 Siticus B; Sithus D; Synicbus M. Hermenia BD. 33 Friscus
D; Frixus M. Batavus coni Pf; Bottrus D; Boctrus B; Batrius M.
servivia B; servat M. Bofus D.
Die Hss. weichen in der Vdlkerliste naturgemdss in det
Schreibung der einzelnen Namen voneinander ab, ohne dass
dies beiKleinigkeiten im Apparatbemerkt ist. Beiden meisten
Namen ist noch deutlich erkennbar, welches Volk gemeint
ist. Aber ist Laudtts (Z. 21), Bochus (Z. 22; Kdnig von
Mauretanienf), Moroch (Z. 23), Nervex (Z. 25) und be-
sonders Z. 33 richtig iiberliefert? Zur Kritik kann auch
die Heidelberger Quilichinus-Hs. (s. dariiber unten) heran-
x ) Dieser Vers findet sick auch in der Jugendgeschichte Ale-
xanders, die Hilka, Festschr. zur Jahrhundertfeier der Breslauer
Universitdt 191! S. 188ff. verdffentlicht hat; vgL dazu Pfister,
Ztitschr. f. franz. Spr. u. Lit. XXXVIII 1911 S. 146.
Pfister, Historiadepreliisuiid Alexanderepos des Quilichinus. 271
gezogen werden. x ) Ferner mogen hier noch die Namen des
auf Quilichinus beruhenden Wernigeroder Alexander (ed.
Guth S. 84 f; s. dariiber unten) stehen: Parthus, India,
Medus, Arabs, Asyrius, Mesopotann, Persa, Celitus, Juden,
Moren, Macedon, Krichen, Amazonum, Calde, Egypten,
Capadocia, Sardin, Affrik, Panphilia, Ephesus, Philadelphia,
Sch5tten, Britttn, Angeln, Hyrland, Flandern, Kornufal,
Franckreich, Hyspania, R6mer, Tuschan, Pull, Colabia,
Armeni, Bulgri, Barbarich,Unger, Beheira, Bayrlant, Swaben,
Francken. Die drei letzten Namen hat der deutsche Dichter
von sich aus hinzugefiigL Beheim fehlt in Jz, wird aber
von Quilichinus genannL
9. Die Schlusszus&tze.
Da, me wir sahen, J% mil Vorliebe moralisierende und
allgemein reflektierende Betrachtungen anstellt, so lasst sich
diese Rezension am Schluss die Gelegenheit nicht entgehen,
seiner Neigung hier noch etwas die Ziigel schiessen zu
lassen. So finden wir in den verschiedenen Textzeugen von
J* eine ganze Reihe allgemeiner Betrachtungen teils in
Prosa teils in Versen. Ihr Bestand wird in Zukunft noch
genauer zu untersuchen sein y da fast jede Hs. wieder andere
Zusdtze bietet und zum Teil diese Texte sehr entstellt sind.
Am kiirzesten fassen sich die Strassburger Drucke und
die oben (S. 253) genannte Berner Hs., welche lediglich die
Zusammenkunft der Philosophen am Grabe Alexanders und
ihre Ausspriiche geben. Das Stuck ist der Disciplina cleri-
calis des Petrus Alphonsi % ) entnommen, stammt also indirekt
J ) So v. 23: Nemroth st. Morooh. — 24 superba caterva me M
— 25 Flandrus Daouuque Normaudunque. — 33 Ungarus Bobemus
Polonus Friso Saxoque flavus.
>) VgL die Ausgabe von A. Hilka und W. Soderhjelm in A
Hilkas Sammlung mittellateinischer Texte Heft I (1911) S. 48f. ; in der
grossen Ausgabe (Acta Societatis scientiarum Fennicae XXXV111 no 4 }
1911) S. 44 f. Das Stack findet sich auch bei Ulrich von Eschenbach, der
sich ausdrilcklich auf Alphunsus beruft Die Ansicht Toischers, WSB.
phiL-hist. CI. 1881 S. 380 f., Ulrich habe das Stack schon in derihm vor-
272 Pfistor, Historia de proliis und Alexandorepos des Quilichinua.
aus arabischei Quelle und lautet nach dem Strassburger
Druck :
De sepultura Alexandri.
Legimu8 Alexandri sepulturam esse auream, ad quara plurimi
philosophi oonvenerunt. Quorum unus ait: Alexander ex auro fecit
thesaumm. 1 ) Alius: Heri totus m und us non suffioiebat ei, hodie
quatuor solae ulnae sufficiunt Alius: Heri populo imperavit, hodie
populus illi. Alius: Heri multos potuit de morte liberare, hodie neo
eius anima potuit.*) Alius: Heri duoebat exeroitum de oivitate, hodie
ab illis duoitur sepulturae. Alius: Heri terrain premebat, hodie eadem
terra premit ipsum. Alius: Heri eum gentes time bant, hodie eum
vilem deputant. Alius: Heri habuit amioos et inimicos, hodie habet
omnes equales.
Unsere Darmstadter Hs. steht wleder fiir sich, indent
sie eine Reihe von Distichen, 78 Verse, gibL Diese sind
unten besprochen und abgedruckt
Im allgemeinen zusammen gehen unsere beiden Hss.
von Berlin und Miinchen und die oben S. 253 genannte Hs.
von St. Gallen, una mil ihnen stimmt (therein die in ihrem
zweiten Teil aufjt beruhende deutsche Alexandergeschichte
des Babiloth, von der unten noch kurz die Rede sein wird.
A lie diese Zeugen bieten uns folgende drei StUcke: I. Zwei
Grabschriften mit Einleitung. In den lateinischen Hss. geht
jedem Grabgedicht, von denen das erste in Hexametern,
das zweite in Distichen gehalten ist, eine prosaische Ein-
leitung voraus. Die Grabschriften werden dem Dothomeus
und Demosthenes zugeschrieben. — 2. Eine kurze Betrach-
tung itber die taster Alexanders, in den lateinischen Hss.
in Prosa gefasst, worauf noch zw&lf Verse folgen. — 3. Ein
Brief des Juden Mardocheus, der den Alexander bekehren will.
Die Hss. bieten hier einen mangelhaften Text Das
erste Stuck sei nach B und M mitgeteilt Es lautet:
gelegenen Historia de prelils vorgefunden, ist nicht richtig, da
Ulrich J* und nicht /• beniltzt hat. In J% fehlt aber das StUck und
auch in J% wird der Gewtthrsmann nicht genannt.
*) Der zweite Teil des Aussp ruches fehlt hier; er lautet bei Al-
fonsus: nunc e converso aurum de eo faoit thesaurum.
*) Alfonsus: hodie nee eius iaoula valuit devftare.
Pfieter, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 273
Post mortem siquidem auguatissirai Alexandri Macedonia, qui
domitor mundi diotus est et rexregum, vir virorum, prudens pruden-
tium a sapieutibus appellatus est pro excellentiae suae culmine,
qui posuit terminos suos in oriente et prolongavit illos ad extremas
insulas oocidentis, qui oursum suum ad septentrionalo latuscongirans 5
usque ad meridiem dilatavit, de cuius nativitate ouncta elemeuta
mutata sunt et de eiusdem morte visibiliter conturbata, legimus in
variis ystoriis antiquorum, quam plures immo quam plurimos phylo-
sophos de ipsius lelicitate ao miseria plurima perlractasse, alii
glorificantes ilium propter excellentes virtutes, quas exercuit, alii 10
appellantes ipsum flumen largitatis, eo quod largiflua manus ems
nequaquam ad reposition em pecuniae curvabatur, alii feliciorem
cunctis mortalibus oonsoribentes. Quid am vero probanlos eum
cunotis mortalibus infcliciorem, eo quod universas felicitates < post
multos et inflnitos labores breviter> amiserit, ad instructionem 15
nostram mistica et luoulenta misteria procrearunt, de quibus tracta-
tibus studiosus lector volens oelatum enucleare saporem favorabile
posset peroipere nutrimentum. Verum quia vobis superfluum videtur
tot et tantas auctoritates apponero phylosophorum , praenominata
titula omittamus etsolius Dotomei etDemostenis pbylosophorum 20
epytaphia recitemus. Quia non perfecte Alexandri gesta habere
videmus, in quae non ipsius titula conscript* sunt, huic ystoiiae
inseramus. Scripsit ita Dothomeus in piramida Alexandri huius
modi versus:
Hie iacot infoctus sub saxi tegmine tectus, 25
Magnus extollens de caeli numine pollens,
Constans natura, certus de morte futura,
Fervidus, intrepidus, rebellis atque superbus.
ijitibus et mitis erat hie sine crimine litin,
Cum stultis stultus sapientium ordine fultus, 30
Artes bellorum noscens et dogmata morum.
2 dominator orbis sive mundi M, 3 per exc. culmen B. 6 ad
siccum mer. M. 7 de om, B, legimus enim M, 8 quam plurimos:
quam om, M. 9 plurima om, M, tractavisse M. alii vero glor. M.
11 ipsum: ilium iff. filium largitatis M, largissima M. 12 responsio-
nem B. curvabat B. 13 probantes ilium M, 14 mortalibus om, M.
post . . . breviter om, B. 16 mistioam M, 17 volentes M, favorabile
percipe nutr. B, 20 solius doctoris mei B, 21 non profecit Alex-
andri gesta habere videmus (videmus delet M) nisi quae in ipsius
tumulo conscripta sunt M; in q I ipsius titulo consor. B; corr, Pf.
23 dootor meus B, 26 Magnus et excellens B. oaeli B; celso M.
28 fervidusque rebellis atque superbus B, 29 Mitibus B, si non M,
30 sapientibus M, vultua B,
274 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quiliohinus.
Cui fuit in cunotis astrorum pandita punctis
Lex, cui submissus mundus fuit undique rc issue.
Munera larga dabat, viventia cunota domabat.
35 Victor non viotus, rex regum eulmine diotus,
Magnus Alexander, oui perfide ille Cassander
Toxica mandavit mortem subitamque paravit.
Cuius deoessu doluit sol limina gressu
Caelica dimittens non lumina pristina mittens.
40 Tanquam morte patris dedit ether nubibus atris
Guttas ardentes lacrimarum more fluentes.
Mutarunt oursum labentia flumina sursum.
Terrea dilapsa concutitur undique massa.
Tunc firmamentum tarJum fuit et quoque lent urn.
45 De regis morte doluerunt sidera forte.
Vidimus horrendum sidus nimiumque timendura
Comis insertum regni mutamine oertum.
Hoo sidus ledit, boo mundo tristia dedit
Signa, quod orbatus et honoribus est vidua tus,
50 Plurima turbando. Nullus fuit orbe nephando
Neo praesens extat, qui tegmina carnea gestat,
Neo erit innatus bominis de spermate latus
Far sibi, neo aequus, o munde, est homo oaeous.
Omnia mors carpit, nulli mors impia parcit.
55 Demostenes autem pbilosophus post magni Alexandri de-
fectum maxime de ipsius gestis et morte oomposuit oodioem, qui
apud Grecos babetur, per ouius libri scientiam docuit mundana
omnia esse contemnenda et in ipsis nullum esse sperandum refugium
et hoc satis apte per philosophica figment a probavit. Cuius tractatum
60 omplissimum omittentea quandam particulam sui dioti, quam idem
postea super Alexandrum depinxit titulum, recordemur. Posuit
itaque Demostenes versus in persona Alexandri reprebendentis
semetipsum ex indomita rabie, quam vivens in muudo gerebat,
praebens etiam nobis exemplum, ut elatiouem superbiae repellat.
32 fuit suppl. Pf. qui sint in Af. 34 dabat om. Af. 3b perfidus Af.
38 gressus BAf ; corr. Pf. 39 non B;a\cM. 42mutareB. 4Jferrea delapsa
Af. 45dolucre£. 46 tenendum/?. 4$hocsideledit£. mundi B. tristicia
Af. 52 sparmite B. 53 quo mundus est modo cecus Af. 55 post om. At.
57 scientiam M; sen tit B. 58 contenendaS/condempnendaAf. in ipsis
ullo modo non esse sperandum Af. refugium om. Af. 59 fatis
aperte B. per om. Af. 61 scripsit tumulum recitemus Af, 62 con-
prehendentes eerpium et indomita rabie quam iuvenes M. 63 gere-
bant M. 64 praebendo et M. repellamus Af.
Pfister, Ilistoria de preliis UDd Alexanderepos des Quiliohinus. 275
En 1 ) ego, qui totum mundum certamine vioi 65
Dictus Alexander, vine or in hora brevi.
Omne tenons regnum cuncto dominabar in orbe:
Nuno me non teneo, non michi regna valent.
Reges sternebam: me mors durissima sternit.
Omnia maotabam: mactor et ipse miser 70
Omnia temptabam: me vermis temptat et artat.
Me vermes rodunt: vermis in orbe fui.
Omnia tollebam: mors me tulit omnia tollens.
Nulla tenere queo; pulvis et umbra teror.
Non mundus mibi sufficiens erat undique captus: 75
Me brevis olla capit, cui brevis orbis erat.
Ethereum culmen grifo mediante petivi:
Nuno cum tartareis infiraa tango reus.
Me mare persensit, me vitrea testa profundit:
Urna brevis tumidum me fracidumque tenet. 80
Cur homo, qui moreris, cupis in sublime levari?
Cum plus luoraris, plura tenere cupis.
Omnia praetereunt, transit quoque florida vita*
Cum plus ascend is, summus ad ima ruis.
Aspice me miserum corpus, cui cuncta favebant: 85
Nunc brevis in stricto me tenet urna loco.
Cur natura viri scandens sublimia gaudet,
Cum sit ex fraoido condita principio 7
Sperma prius, post foetus, oleus retro vermibus esca:
Haec tria sunt cuique dona para t a viro. 90
Si praesciremus, quae cunctis morte parantur,
Multa timeret homo, quae sibi tuta putat.
Magnus Alexander dicebar in orbe tirannus:
Quia sim vel qualis, lector, et ipse vides.
67 cuntis Hi. dominabitur B; domnabar M. 69 sternebant BM.
70 omnia mactabam me vermis tentat et artat B. v. 71 om. B.
71 modo me mors temptat et artat Hi. 77 grifis Hi. 79 Et mare
Hi. texta B ; cesta Hi. profundit BM; profundum Hi. 80 tandem
me frigidaque Hi; brevis mundum B. me om. M. 81 moriaris M.
in om. M. 82 luctaris B; lucreris M. nulla tenere BHL 83 virga
Hi. 84 conscendis MHL 87 virium B. SSfragili Hi. 89 post saccus
BM. vermis et esca B; vermis esca M. v. 90 om. BM. parato Hi.
91, more B. 92 timent B. putant M. 93 docebit B. dicor Hi. 94 quis
sum quidque qualis Hi.
x ) Dies Grabgedicht hat bereits nach andern Hss. Hilka, R. /-.
XXIX (1910) S. 70 f. ediert. Im Apparat bedeutet Hi den Text Hilkas.
Ebenso findet sich das Gedicht sowie auch das vorher edierte im
Quilichinus am Schluss; s. unten.
276 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos dee Quilichinus.
Die beiden Grabgedichte sind nicht ohne Kunst gebaut.
Im ersten reitnen sich die beiden Abschnitte jedes Hexa-
meters. Im zweiten Gedicht ist y wenigstens in der ersten
Hiilfte, eine Wortentsprechung wahrzunehmen, die ich durch
Sperrdruck hervorgehoben habe.
Darauf folgt eine kurze Betrachtung in Prosa Uber die
Laster Alexanders, die ebrietas und libido, worauf ein
Dutzend sehr in Unordnung geratener Verse sich anschliessL
A Is drittes Stiick finden wir das Bekehrungsschreiben des
Juden Mardocheus 1 ) an Alexander, das durch die Worte
eingeleitet wird:
Postquam Alexander Philippi Maoedo universas regiones mundi,
ad quag pes hominis transire possit, subiugavit, dam quiesoeret in
Babtlone, deatinavit ei Mardoebeus Judeus antiquissimus ep is to lam,
cupiens ab ydolorum cultura ad oognitionem dei altissimi revocare.
Cuius litterae talis est tenor; fuit tamen Qreoo sermone conscripta
et de Greco in Latinum transsoripta. Und nun folgt das lange
Schreiben.
Wir sehen von einei Edition diesei beiden letzten
Stiicke ab, da die hsliche Grundlage noch nicht ausreichend
erscheint, und begnUgen uns, ausser den beiden Hss. in
Berlin und Miinchen, die wir beniltzten, noch folgendes
Material fur die Schlusszusdtze Uberhaupt anzugeben, wobei
auch der bereits genannte Babiloth heranzuziehen isL
L Grabschrift I: Miinchen, elm. 215, s. XV. — St.
Gallen no 624, s. XV; s. o. S. 253. — Quilichinus.
2. Grabschrift II: Miinchen, elm. 215, s. XV. — Miin-
chen, elm. 3941. — St. Gallen no 624, s. XV. — Zwickau,
s. o. S. 253. — Quilichinus. — Nach zwei andern Hss. ist
sie ediert von Hilka*).
3. Die Verse nach der Betrachtung Uber das Ulster
hat Herzog*) zu rekonstruieren versucht.
4. Der Brief des Mardocheus: St. Gallen no 624 s. XV.
l ) Damit ist wohl der aus dem Ester-Buch bekannte Mapaox* 1 ^
(Vulg. Mardochaeus) gemeint.
«) R. F. XXIX (1910) 70 f.
•) Die Alexanderchronik des Meister Babiloth, Progr. Stuttgart
1897 S. 26.
Pfieter, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 277
— Paris, Bibl. Nat. 8514; s. o. S. 253. — Wien no 3097;
s. o. S. 253. — Berlin cod. lat. qu. 518 foL 131 — 133; vgl. V.
Rose's Verzeichnis Ih p. 1321. — Die Hs. St. Gallen no 965
enth< 1 ) eine deutsche Bearbeitung: „Den brief sant mar-
docheus ain furste der Juden allexandro magno ze erkennen
den waren got als die juden."
Solche Epitaphien, wie wir eben zwei kennen lernten,
werden auch vom Roman losgeldst fur sick in den Hss.
iiberliefert. Hilka hat einige bereits a. a. 0. edierL Ein
weiteres mag hier nock einen Platz finden, das ich mir
kiirzlich*) aus einer Erlanger Hs. (no 848 s. XV) notierte.
Die Hs. enth< eine Reihe von Grabgedichten, so auf Ver-
*) Vgl. Verzeichnis der Hss. der Stiftsbibliothek von St. Gallen
S. 361. — Aus diesem Katalog notiere ich noch als fiir tins wichtig,
aber bisher noch nicht genauer untersucht y ausser den bereits ge-
nannten Hss. : no 625 enthdlt das Alexanderbuch des Hartlieb und
fehlt in der Liste bet S. Hirsch, Palaestra LXXXU (1909) S. 5. —
no 760: „Das ist Arietoteles brief . . . den er dem KUng allexander
schiket . . . wie er sich vor siechtum hiiten solt.* D. i. die deutsche
Bearbeitung der Secreta Secretorum ; vgl. Toischer y Die altdeutschen
Bearbeitungen der pseudo-aristotelischen Secreta-Secretorum } Prag
1884 S. 4. Dasselbe steht lateinisch in no 932. — no 628 enthdlt
den Dindimus-Briefwechsel und die Kbnigshofener Weltchronik y darin
S. 194 — 228 die Alexander geschichte.
*) Dabei besuchte ich auch die Bamberger Bibliothek, welche
ausser dem beriihmten Codex der urspriinglichen Historia noch zwei,
bisher nicht beachtete Hss. der Merpolierten Historia besitzt: M. 11. 8,
saec. XV, vgl. den Katalog von Leitschuh h S. 93 ff. und N. 1. 5,
saec. XV— XVI, vgl. Leitschuh h S. 45 ff. Beide Hss. enthalten einen
Prolog, der mit den Worten beginnt: Volo quinque verba loqui in
ecclesia, ait apostolus (Cor. 1 14, 19), quod magis proderunt quam
decern milia etc. Die erste Hs. bietet den Prolog vollst&ndiger, ent-
hdlt zudem noch einige Verse. In der zweiten Hs. sind zwischen
foL 17 und 18 etwa 9 Bldtter herausgerissen, die bei der Paginierung
nicht mitgezdhlt sind. Sie enthielten die Erzdhlung von der Thron-
besteigung Alexanders in Persien bis zur Kandake-Episode , also
gerade die grosse Wunder-Episode, die man deshalb wohl entfernte,
weil man dhnlich Uber sie urteilte, wie Melanchthon: quod plane
erat tale, ut nemo sine risu legisset. Beide Hss. sind noch zu unter-
suchen.
278 Pfister, Historia do proliis und Alexanderepos des Quilichinus.
gil, Achilles, Hektor, Alexander u. a. Das unsere steht
foL 151 r — 151 v und lautel:
Epitafium Alexandri Magni.
Grecia bellorum magna succisa ruina
Goncidit immodice viribus usa suis.
Faraa manet, fortuna perit, cinis ipse iacentis
Insitus in tumulo est: neo quoque sacra suae (suo cod.)
Exigua ingentis retinet vestigia famae,
Et magnum infelix nil tibi nomen habet*
Quisquis adbuc nondum fortunae mobile regnum
Neo sortem varias credis habere vioes,
Aspioe Alexandri positum memorabile corpus:
Abscondit tantum putris harena yirura.
Junxit magnorum casus fortuna duorum:
Hie parvo, nullo conditus ille loco est.
Jte novas toto vires conquirite mundo!
Nempe manet magnos parvula terra duces.
Dock dies Epitaphium fiihrt uns bereits aus dem Be-
reich der Historia de preliis hinaus.
Oben sahen wir, dass der Schlusszusatz der Strass-
burger Drucke vonjz auf die Disciplina des Petrus Alphonsi
und damit indirekt auf arabische Quellen zuriickgehL Akn-
lich orientalischen Ursprungs scheint aber auch ein grosser
Teil der iibrigen Schlusszusatze zu sein. Den direkten Be-
we is hierfilr vermag ich zwar noch nicht zu erbringen; aber
man beachte einstweilen einmal die Reden der Philosophen
am Grab Alexanders in dem aethiopischen Traktat den
Budge 1 ) publiziert hat y ferner den arabischen Traktat des
im 9. Jhdt. lebenden Honein ben Jshak, von dem det
spanische Libro de los buenos proverbios 2 ) eine Ueber-
setzung ist. Beide gehoren derselben Sphare an > in welche
uns auch der Schluss der Rezension J$ versetzt. Zu be-
achten ist hierbei aber iiberhaupt die ganze reflektierende
l ) The life and exploits of Alexander the Great being a series
of ethiopic Texts edited . . . by E. A. Wallis Budge 1896. Die eng-
lische Uebersetzung des Stilckes findet sich in Bd. II S. 432ff
% ) Herausgegeben von Knust, BibL des Liter ar. Vereins in
Stuttgart HI (1879) 5. 36 ff VgU auch J. Levi, Rev. des 4t. juives III
(1881) 242 ff ; 251 ff
Pfister, Historiade preliis und AlexanderepoR dea Quilichinus. 279
una moralisierende Art dieser Bearbeitung, auf welche wu
des dftern hinwiesen (s. auch gleich unten). Ziehen wit
weiterhin in Rechnung y dass ein charakteristischer Einschub
von Ji iiber eine Schlacht gegen Samson im Tale Josaphat
handelt(s. o, S. 256 f), dass in einem andern Einschub Alexan-
der eine Inschrift in griechischen, lateinischen, indischen
und hebrdischen Buchstaben anbringt (s. o. S. 266, 24), dass
ferner die Episode von den unreinen Stdmmen eingefiigt
wird (s. o. S. 267) und dass schliesslich derjude Mardocheus
einen Bekehrungsbrief an Alexander schreibt, so wird man
vielleicht die Ansicht nicht ganz unbegriindet finden, dass
ein Jude der Urheber der Rezension J$ war, ein Jude,
welcher in der orientalischen Litetatur etwas bewandert
war. 1st man hierauf aufmerksam gemacht, dann wird es
vielleicht den Orientalisten gelingen, fur eine Anzahl dei
charakteristischen EinschUbe von J%, fiir welche ich abend-
Idndische Quellen nicht nachweisen kann, orientalischen
Ursprung festzustellen. Denn in der Tat ist fiir keinen
der EinschUbe eine abendldndische Quelle zu finden, was
um so verwunderlicher ist, als sonst die Herkunft von
Interpolationen, etwa beiji und J 2, sich leicht erkennen IdssL
Ausser dem eben Genannten weist aber auch auf orienta-
lischen Ursprung die Aufzdhlung der Steine und ihret
Eigenschaften hin, der wir bei der Schilderung des Thrones
begegnen und worilber wir oben schon sprachen.
Ausser diesen neun Einschiiben sachlichen Inhalts ent-
hdlt J%, wie wir sagten, noch eine Reihe von allgemeinen
Betrachtungen als Eigentum gegenilber J\. Das langste
Stilck sei als charakteristisch fur Js hier noch ediert. In
J\ (cap. 73) h< der sterbende Darius wie auch im ur-
sprUnglichen Leo eine kurze Ansprache an Alexander.
Diese ist in J% bedeutend erweitert. Das StUck lautet:
Darius... dixit illi: Fili Alexander, [— ZL 195, 20]
ut pleoius tua sapiontia novit, totus mundus in corruptione positus
est. Divina siquidem providentia omnia praesciens et co^itationes
futurorum hominum scrutaus sic ilium a principio fabricavit, ut
2 ita totus D. 3 Divina Dam que sapientia S. 4 futurorum om S.
sicut B.
280 Pfister, Historiade preliieund Alexanderepos des Quilichinus.
5 nihil esset oonstans aut firraura, sed ab essentia sua omnia transeuntia
in suum oontrarium verterentur t Si enim feoisset deus omnia
prospera super homines immutabiliter habundare, tanta esset superb ia
et vana gloria, quae super naturas hominum dominatur, quod non
deo haeo omnia sed virtuti propriae assignarent et eic homines
10 a suo recederent conditore. Si vero divini culminis celsitudo sic
mundanam machinam oondidisset, ut omnia mala et infelioitates
super homines sine revooatione boni essent inducta, tantae essent
fragilitates, quae naturam persequuntur humanam, quod omnes in
desperationis laqueo traherentur, ita ut a deo nullam haberemus
15 fiduciam bonitatis. Sio itaque voluit deus omnia permutari, ut, cum
aliquis felicitate plenus ob superbiam suum non cognoverit creatorem,
de altitudine superbiae in humilitatis foveam demergatur, ut, quod
per elationem felioitatis de deo fuerit oblttus, per depressionem
miseriae recordetur. Prout in me vidisti, qui tanta fueram altitudine
20 incrassatus propter multas divitias, quas habebam, ut non dei crea-
turam, sed dei socium me esse crederem; et quae tunc per caecitatem
superbiae non videbam, nuno per humilitatis acumen oonspicio et
cogoosco. Cum autem fuerit aliquis nimia infelicitate circumdatus,
ut de divina gratia deeper a tus nullum re medium praestoletur, sublevat
25 ilium deus ad beatitudinem prosperorum, ut, quae miseria obstante
de deo contemplari non poterat, felioitatis augmento reparante
cognoscat. Et quern deprimit, exaltare potest, et quern exaltat
potest hominem sternere in profundum. Non elevetur itaque,
fili mi, mens tua in superbiam propter victorias tibi a
30 deo ooncessas, et etiam si operatus fuerie, qaae dii
operantur, manibusque tuis caelum tetigeris, semper
tuanovissima recordare f= ZL 195, 20 — 23] } quoniam mortalis
es et mortem cotidie ante oculos intueris. Nonne inspiois, quia
5 Sed absentia sui & transeuntes BD. 7 super hom. omnia prosp.
et im. habundaront, tanta est D; super omnes B. # gloria hominum
quod non diis sed virt. 5. dominantur B. 9 diis B. 10 cedereot B.
sicut £>. // et ut mala et inf. B. 12 boni esset B. sunt B ; sint D.
13 fragilitates hominum S. quod: ut D. 14 desperato D. laqueum S
traheremur B. 16 si aliquis fuerit felioitatis plenus et ob D. suam <9.
creatorem Buum 5. 17 ut: non B. 18 eleotionem B. fuerat B> de-
prehensionem Z>. 19 in tanta S. altitudine fuerat ingrossatus B.
21 crederem et putarem «S. quae om D. 22 nunc autem D. video
et agnosoo 5. 24 ut: et S. gratia sperans auxilium postulet <$.
25 ad altitudinem pr. D. 26 augmento separet et cogn. 5. 27 qui
depr. BD, qui ex. B. 30 a deo datas 5, et si BS; etiam si Ju deus
oporatur D. 31 et semper D. 32 recorderis D. 33 mortem tuam 5.
oculis tuis «S. vides quia D.
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos dea Quiliohinus. 281
uDum solum atomum obtinemus de mundo et vita nostra aranearum
artificiis coraparatur, quae, dutn subtilissimo videntur opere inserta, 35
advoniente modica impulsione venti rumpuntur et ad nihilum redu-
cuntur? Intuere itaque me et vido, qualis hesterna die fui
ot qualis sum hodie, qui miserrime usque ad pulverem
declinavi (= Zu 195, 25).
34 atomum coni Pf; attamen B; accamum D; octonium S;
[fortasse unam solam at.], in mundo BD. 35 artificio 5. com-
paratur sive tele aranee 5. videntur om. D. quae quodam opere
subt. videtur ins. adveniente autem impulsions venti modici rum-
pitur 5. 36 impulsatione D. rumpitur BS. reducitur B; deduci-
tur 5.
Dies ist eine der Betrachtungen fiber die Vergdnglich-
keit des Irdischen, me sie im Mittelalter beliebt waren,
und me sie Jz auch in seinen Schlusszusdtzen in mannig-
facher Weise zum Ausdruck bringt. In dhnlicher Sphdre
bewegt sick auch der unten (S. 296 ff) edierte Schiuss des
aufjz beruhenden Alexanderepos des Quilichinus. Auch sonst
hat J$ noch dhnliche y aber kiirzere Stiicke reflektierenden
Inhalts, besonders in den Brief en, eingeschoben. In der
Zephirus-Episode (cap. 85) werden die Worte: Alexander
oogitavit sapienter (Zi. 209, 10) zu einem lauten Zwiegesprdch
zwischen Alexander und Zephirus ausgesponnen:
Alexander . . . sapienter est locutus: Si aquam istam in stomacho
meo recipiam, recipientne sustentationem et nutrimentum omnia
membra Macodonum et Persarum? An ego solus nutriar sine illis?
ttespondit Zephirus: Tu solus oonfortaberis, domine. Alexander ait:
Et si omnes peribitis, ut quid sgo solus vixero cum dolore?
Durch derartige Zusdtze wird der Eindruck der Schwiil-
stigkeit von Jz noch verstarkt.
Damit schliessen wir die Besprechung der charakteri-
stischen Eigenschaften von /s ab. —
Es ist nun mil Hilfe dieser Besprechung sowie mil
Hinzuziehung der Ausgabe vonjx durch Zingerle und der
von Zingerle im Apparat mitgeteilten Varianten eines, frei-
tich diirftigen, Vertreters von J$, wobei die Untersuchungen
A us/elds Uber J % in der genannten Festschrift zu beriick-
sichtigen sind, moglich, alle die zahlreichen Hss. der
MUochoner Museum f. Pbilologie dea MA. t. 8. 19
282 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos dee Quilichinus.
Historia de preliis zu untersuchen und zu klassifizieren,
wozu ich hiermit dringend auffordern mochte. Dabei ge-
nilgt nicht eine Angabe des Implicit und Explicit, sondern
eine Untersuchung der Komposition ist unbedingt nd'tig,
da ausser den dreihauptsdchlichen Formen der interpolierten
Historia auch noch Spielarten existieren, von denen freilich
bisher fast nichts bekannt ist. Eine solche Untersuchung
alter Hss. der Historia, aber auch alter andern Hss., we I c he
auf den Alexanderroman bezilgliche Texte enthalten, ist
dringend ndtig, aber auch, vor allem fiir die Literaturge-
schichte des Mittelalters, sehr lohnendS) Freilich wird eine
endgilltige Aufarbeitung des gesamten Materials ohne tat-
krdflige, auch finanzielle UnterstUtzung in absehbarer Zeit
nicht leicht mdglich sein, da des Stoffes zu viel, der Mittel
und Arbeiter zu wenige sind.
Zum Schlusse sei noch zur ersten Orientierung ein
Paralleltext des Anfanges der Historia nach J\ und J*
gegeben:
Sapientissimi namque Egyptii Sapientissimi quippeEgyptii
ecientes mensuram terrae atque scientes mensuram terrae undas-
undis maris dom in antes et oae- que maris et caelestium ordinem
lestium ordinemeognoseentes, oognosoentes, id est stellarum
5 id est stellarum our sum oompu* cursum motum etiam firma-
l ) Ein Beispiel: Kiirzlich hat S. Hirsch, Das Alexanderbuch
Johann Hartliebs (Palaestra 82, 1909) den deutschen Alexander-
roman des MUnchner Martlieb einer miihevollen Quellenanalyse unter-
zogen und als Quellen vor allem die sog. MUnchner Fassung des
Leo und die Valerius-Epitome, dazu die Epistola Alexandri, den
Dindimus- Brief wechsel, Orosius, Justinus u. a. bestimmt und die
Ansicht ausgesprochen, dass Hartlieb selbstdndig alle diese Quellen
zusammengearbeitet hat. Wdren die Hss. der lateinischen Historia
genauer bekannt, so h&tte er gefunden, dass Hartlieb lediglich den
aus Tegernsee stammenden cod. Paris. Bibl. Nat. Nouv. acq. tat.
310, der diese Kompilation der verschiedenen Quellen enthdlt, ins
Deutsche Ubersetzt hat. Den Beweis werde ich an anderer Stelle
lief em. Ueber einige andere Hss. s. W. f. kl. Ph. 1912, 332 ff. — Zu
den in W.'f. kl. Ph. 1911 Sp. 1159, 1 Genannten, welche die Hss. fUr
den Alexanderroman untersuchen wollen, ist nun auch E. Slijper in
Utrecht getreten. Von Vandelli in Ftorenz ist ein grosseres Werk zu
erwarten.
Pfieter, Historia de preliisund Alexanderepos des Quiliohinus. 283
tan tea, tradiderunt [ea] universo
mundo per altitudinem doctrinae
et per magic as artes.
10 Dicunt autem de Neotanebo
rege eorura, quod fuisset
homo ingeniosus et paratus
in aetrologia et math em a-
tiea et de magiois virtuti-
16 bus plenus.
Quadam autem die, dum
nuntiatum fuisset ei, quia
Artaxerses rex Persarum
cum valida manu hostium
20 veniret super eum, nou movit
militiam neque praeparavit
exercitus armatorum aut ar-
tihcia ferri, sed intravit solus
in cubioulum palatii sui et
25 apprehendit concam eream m i-
sitque in earn aquam pluvialem
et tenens in manu virgam eneam
et per magicas incantationes
videbat atque vocabat daemo-
30 nes et per ipsas magicas incan-
tationes videbat atque iotellige-
bat in ipsa conca [aqua plena]
classes naviurn, quae super
eum veniebant.
menti tradiderunt ea univerbo
orbi per altitudinem doctrinae
et per notitiam artium magi-
carum.
Dicunt enim de Neotanebo
rege i p s o r u m , quod fue r i t
homo ingeniosus et in astrologia
et mathematica eruditus.
Quadam autem die, dum nun-
tiatum fuisset ei quia Artaxerses
rex Persarum cum valida manu
hostium super eum veniret, nou
movit militiam neque praeparavit
exercitus armatorum, sed intravit
solus in cubiculum palatii sui et
apprehend ens oonoam eream
misit in earn aquam pluvialem
et tenens in manu virgam eneam
per magicas incantationes dae-
mones convocabat et per ipsas
magicas incantationes intellige-
bat in ipsa conoa classes naviurn,
quae super eum potentissime
veniebant.
In der linken Reihe ist der Text von J\ nach Zingerle
wiedergegeben; das gesperrt gedruckte zeigt die Abweichun-
gen gegeniiber der Bamberger Fassung des urspriinglichen
Leo an. In der rechten Kolumne steht der Text von Jz ; hier
gibt der Sperrdriick die Abweichungen gegeniiber J \ wieder.
Die Ausiassungen sind in beiden Texten nicht angemerkt ;
bei Jz erkennt man sie sofort durch den Vergleich mit Ju
Hierzu sind noch folgende kritische Bemerkungen zugeben
(Ba = cod. Bamberg.) :
Zu J\ : 3 undis zweifelhaft, da Jt und J* wie Ba undas haben.
Daher auch 3 dominantes unsicher. 6 ea fehlt in Jt wie in Ba,
also auch wohl in J\. Varies: wohl virtutes nach J% und Ba. 11 — 19
rege . . . manu fehlt in Ba; ist Zusatz von Ju 25 eream, nicht enoam
19*
284 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos dbs Quiliobinus.
mit Zingerle, da Ba=Ji=J$ eream. 32 aqua plena ist wohl zu
til gen y da es in J% und Ba fehlL
Zu J% : 1 quippe fehlt S. 6 earn D ; etiam S. 7 doctrinae fehlt S.
8 notitiam: naturam D. 10 nectabo B ; anetabo D; aneotanabo S.
11 qui fuit BD. 12 et in astr: et fehlt D. 13 ma them, arte D.
17 ei fuisset BD. 21 exeroitum BS; armatorum fehlt S. 22 solus
in fehlt S. 23 eream plenam aqua pluviali tenensque 5. 25 in manu
fehlt B. 2t> hio per magi cam incantationem S. 27 ipsas fehlt DS.
30 quae fehlt S. 31 venientes 5.
Die Rezension J% ist in doppelter Beziehung von Be-
deutung gewesen. Einmal war sie die Form, in welcher
durch die alten Drucke des 15. Jhdts. die Historia der
Neuzeit uberliefert wurde, eine Tatsache, welche fiir die
Erforschung des Alexanderromans im Mittelalter von ver~
hdngnisvollen Folgen war, da sie einer klaren Scheidung
der einzelnen Rezensionen lange im Wege stand. A us den
Strassburger Drucken stammt auch der Name Historia de
preiiis, welchen man also niemals fiir das ursprungliche
Werk des Leo, sondern nur fiir die interpolierte Fassung
anwenden sollte.
Dann aber ist /s auch die Quelle fiir einige weitere
Bearbeitungen des Stoffes gewesen. Einmal fiir die bereits
genannte Alexanderchronik des Babiloih, die im 15. Jhdt.
verfassi ist. Sie folgt im ersten, grdsseren Teil der Form
/«, im letzten Stiick unserer Fassung J $, wie bereits Ausfela
(Festschr. 1 12 ff.) gesehen hat, 1 ) und enthdlt auch die drei
Schlusszusdtze, iiber welche wir oben sprachen. Leider ist
von der Chronik nur ein kleiner Teil edierl, so dass wir von
einer genaueren Besprechung Abstand nehmen miissen.
Ferner ist eine Bearbeitung von J$ die in vielen alten
Drucken des 15. und 16. Jhdts. vervielfdltigte italienische
Prosa-Obersetzung,*) erste Ausgabe Treviso 1474, dann Na-
l ) Vgt' ouch S. Herzog, Die Alexanderchronik des Meister
Babiloth. Progr. Stuttgart 1897 und 1903, der mit einer Edition den
Anfang machte. S. auch H. Christensen, Das Alexanderlied Walters
von Chdtillon, 1905, S. 129 ff.; 216 ff.
•) Vgl. Grdsse, Trdsor 111 (1862) 438; Main, Repert. bibliogr.
l\ p. 87; G. Grion, 1 nobili fatti di Alessandro Magno 1872p. CLX1L
Dagegen beruhen die von Grion edierten Nobili fatti auf j%.
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus 285
poli 1477, Venetia 1477 und 1501. Davon scheint verschie-
den zu sein, aber auch auf J% beruhend, die im Florentiner
cod, Magliabechiano Palch. I 363 vom Jahre 1473 (BibL
Nationale) enthaltene italienische Version. l ) Ein ita-
lienisches Fragment in Berlin (ms. itaL qu. 33; Kgl. BibL)
aus dem Ende des 13. oder Anfang des N.Jhdts.gibtver-
mutlich auch J z wieder, ist aber nach gUtiger Bestdtigung
seitens det KgL Bibliotheksverwaltung vom 19. Juli 1911
noch nicht naher untersucht. Also auch hier bietet sich
noch manches fiir die kiinftige Forschung.
Aber J % ist auch die Quelle eines bisher noch nicht
richtig gewiirdigten Alexander-Epos gewesen, das zudem
fiir eine genauere Daiierung von Jz von Wichtigkeit ist
und das im folgenden Abschnitt untersucht werden soil.
2. Das Epos des Qailichinns.
Wie wir bereits sagten, unterscheidet sich die Darm-
stadter Hs. von den ilbrigen von uns beniitzten Zeugen fiir
Ji dadurch, dass siegrosse Stiicke in Versen statt wie die an-
dern in Prosa enthalL Denn ausser den beiden Versgruppen,
die wir oben S. 266 und 269 f alsjz eigentiimlich abdruckten,
gibt D auch den Inhalt, der den Kapiteln 78 — 88 von J\ (p.
201, 24 — 213, 11 Z) entspricht, in Versen. Der letzte Satz
der den Distichen, 366 Versen, vorausgehenden Prosa lautet:
Bxinde amoto exercitu venit in Indiam Fasiacen (faciente D);
vero mense Julii finiente obviaverunt sibi missi Pori regis
Indorum ei tales litteras offerentes (=Ji p. 201, 22 Z ; vgL
Kleine lexte p. 22, 22):
En ego rex Porus Indorum regna gubernans
Graecorum regi dirigo scripta moa u. s. w.
Es folgt nun cap. 78 — 88 in Versen, dann cap. 88 noch ein-
! ) Vgl. Parodi, Studi di filol. Romanza fasc. XI (1889) 416;
Vandelli a. a. 0. Unbekannt ist noch, wie es mit der Alexandreida
in rime cavata da! latino steht, als deren Verfasser Jacobo di Carlo
gilt. Sie ist zuerst gedrackt Venetia 1521. Mbglicherweise beruht
sie wie das oben genannte Berliner Fragment auf dem unten be-
sprochenen Quilichinus, geht also indirekt auf Jn zurtick.
286 Pfister, His tori a de preliis und Alexanderepos des Quilichinus.
mat in Prosa; dann geht die Darstellung wieder mit den
iibrigen Zeugen von Js Hand in Hand.
Eine zweite grosse Reihe von Distichen, 76 Verse, bil-
det den Schluss des Romans nach der Aufzahlung der
Alexanderstddte. Sie enthalten ein Zwiegesprach des Dich-
ters mit Gott iiber die Wandelbarkeit der Dinge und stehen
an Stelle der oben S. 271 ff. wiedergegebenen, J% sonst eigenen
Schlusszusdtze. — Wer ist nun der Dichter dieser beiden
Gruppen von Distichen? Urn die Antwort gleich zu geben:
Sie stammen aus dem Werk des leider noch nicht verdffent-
lichten Quilichinus.
Was wissen wir bisher iiber Quilichinus?
Der erste, welcher das Alexander-Epos des Quilichinus
von Spoleto erwdhnte, war P. LabbS in seiner Nova Biblio-
theca Manuscriptorum, Parisiis 1653 p. 68. Von gelegent-
lichen spdteren Erwahnungen abgesehen, hat dann Stephan
Endlicher 1 ) auf Grund einer Wiener Hs. weitere Mitiei-
lungen gemacht und zugleich etwa 200 Verse aus verschie-
denen leilen des Epos abgedruckt. Ferner wies er noch auf
drei weitere Hss. in Paris, Frankfurt a. 0. und Florenz hin.
Von dieser letzteren Hs. hat G. Grion*) die Kapiteliiber-
schriften mitgeteilt. Eine fiinfte Hs. in Berlin wies/.Zacher 3 )
nach. Auf Grund dieser Mitteilungen und einer Kollation
der Frankfurter und Berliner Hss. hat E. Neuling 1 ) genauer
iiber den Dichter und sein Werk gehandelt und zugleich
den sog. Wernigeroder Alexander in den Bereich seiner
Untersuchung gezogen. Denn dieses im 14. Jhdi. entstandene
deutsche Gedicht ist, wie schon Zacher a. a. 0. und W.
Toischer h ) sahen, eine Uebersetzung des Quilichinus; es
liegt jetzt in einer von G. Guth*) besorgten Ausgabe vor,
~~ ») Wiener Jahrbb. der Literaiur LVil (1832), Anzeige-Blatt
S. 13 ff.
*) / nobili fatti di Alessandro Magno 1872 S. 187 ff.
») ZfdPh. X (1879) 93 f
*) PBB. X (1885) 315 ff.
B ) WSB, phil-hist. CI. 97 (1881) 368.
•) Der Grosse Alexander aus der Wernigeroder Hs. hg. DTMA.
Xlll 1908.
Pfister , Historia de preliis und Alexanderepos des QuiliohinuB. 287
wahrend eine Ausgabe des Quilichinus noch fehlt. Auf eine
sechste Hs. des lateinischenEpos hat kiirzlich 0. Weinreich 1 )
aufmerksam gemacht. Auf Grund dieser Hs., in Heidelberg,
erkannte ich % ) dann die Rezension J* als Quelle des Qui-
lichinus.*)
Die bisherigen Untersuchungen, besonders die von Neu-
ling, ergaben, dass Quilichinus von Spoleto — so lautet
sein Name — sein Werk imjahre 1236 zum ersten Abschluss
gebracht hat und weitere zweijahre auf die Ausfeilung ver-
wandte. Wenn jedoch Neuling weiter zu dent Resultat kam,
dass dieses Epos „mit einigen minimalen Abweichungen
genau zu dent italienischen Prosaroman des 13. Jhdts"
stimmt, so ist dies, wie sich leicht zeigen Idsst, nicht richtig.
Dieser von Grion a. a. 0. edierte italienische Roman ist
nichts anderes als eine direkte (also auch nicht, wie Grion
annahm, durch Vermittlung eines franzdsischen Werkes zu
Stande gekommene) Uebersetzung der Fassung J% der Historia
de preliis, me ein Vergleich des Romans mit den von Zingerle
im kritischen Apparat mitgeteilten Abweichungen von Jt
gegeniiber J\ sofort ergibt. Quilichinus beruht aber weder
auf J\ noch auf }%, sondern seine Quelle ist eben unsere
Fassung J % gewesen. Der Beweis ist leicht zu ftihren: Sdmt-
tiche oben aufgefilhrten fiirji charakteristischen neun StUcke,
die in J\ und Jt fehlen, stehen auch an der bestimmten
Stelle im Quilichinus; die gesamte Komposition des Qui-
lichinus stimmt zu jz.
Da die Hss. des Quilichinus eine Nachprilfung nicht
jedem leicht gestatten, gebe ich zu den obengenannten neun
Siiicken die entsprechenden Stellen in der von Guih edierten
deutschen Beatbeitung des Quilichinus; dabei ist jedoch zu
bemerken, dass der Wernigeroder Alexander in einigem
l ) Der Trug des Nektanebos 1911 S. 48; vgl, R. Petsch, Neue
Meidelberger Jahrbb. XVI (1910) 25 f.
*) Neue Jahrbb. fiir das klass. Altertum XXVll (1911) 521, 2;
Rhein. Mus. LXVI (1911) 464, L
•) Eine weitere Quilichinus-H$. ist die Berliner Hs. tat. qu. 518 in
V. Rose's Verzeichnis 11% p. 1321; s. o. S. 253 und u. S. 296, 1 und 299, 1.
288 Pf ister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus.
wieder von Quilichinus abweicht. Hierzu fiige ich die ent-
sprechende Blattzahl in der Heidelberger Quilichinus-Hs.
Diese tragi die Signatur Cod. Sat. 8,29 b und ist L J. 1452
geschrieben.
I — 3. In der Schilderung der Vorkehrungen fiir die
Belagerung von Tyrus fiihrt Quilichinus gegeniiber Jz in-
sofern eine Besserung ein y als er die Wiederholung von Jz
vermeidet und daserste Stiick wegldsst. Denn in Jz werden
die Vorkehrungen zweimal geschildert, da das darauf be-
zilgliche Stiick durch andere Erzdhlungen auseinander ge-
rissen wird. So heisst es das erste Mai in Jz (s. o. S. 256):
Construxit autem Alexander edificium ingens in mare, und
das zweite Mat (s. o. S. 258): Construxit itaque in mari ingens
edificium classium. Das erste Stiick fehlt somit auch im
deutschen Epos. — Die Darstellung des zweiten Stiickes, der
Schlacht im Tale Josaphat, ist von Quilichinus (cod. Heid
oL 41 v) etwas gekiirzt ; die Erwdhnung des Samson fehlt. Der
Wernigeroder Alexander hat die ganze Episode weggelassen.
Das dritte Stiick = cod. Heid. foL 41 v = Wernig. v. 864
bis 909. — Nr. 1—3 ist unten S. 293 f ediert.
4. Der Thron des Cyrus: cod. Heid.fol. 58 r = Wernig.
v. 2889 — 2892; das deutsche Gedicht lasst im Gegensatz zu
Quilichinus und Jz die ausfiihrliche Beschreibung weg.
5. Neue Abenteuer: cod. Heid. foL 73 v — 74 v = Wer-
nig. v. 4552 — 4636.
6. Errichtung des Denkmals: cod. Heid. fol. 76 r bis
76 v = Wernig. v. 4864—4879.
7. Einschliessung der wilden Volker: cod. Heid.fol. 81 r bis
8/v= Wernig. v. 55/3 — 5546. Dieser Abschnitt ist bei Quili-
chinus ausfuhrlicher wie in Jz; zudem wird auch die Ein-
schliessung der Judenstdmme erwahnt. — Dies Stiick ist
unten S. 294 f ediert.
8. Thron und Krone in Babylon: cod. Heid. fol. 83 v
bis 84 v= Wernig. 5819—5934.
9. Schlusszusdtze : cod. Heid.fol. 89 r — 91 r; vgl. Wer-
nig. v. 6331 — 6360. Diese Schlusszusdtze, welche fur Jz
charakteristisch sind, variieren, wie wir sahen, in den ver-
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 289
schiedenen Hss. Auf die allgemeine Betrachtung am
Schlusse des Quilichinus kommen wir gleich zuriick; sie
ist unten S. 296 ff abgedruckt.
Ausser diesen Jz eigenen neun Stiicken hat Quilichinus
auch die gesamte Komposition mitjz gemein } ebenso die Ein-
fuhrung der Kapiteluberschriften, welche im urspriinglichen
Leo wie in /i undjtfehlen. Ist somit also J $ als Vorlage des
lateinischen Epos erwiesen, so gewinnen wir als terminus
ante quern filr Jz das Jahr 1236; als terminus post quern
die Abfassungszeit von J\, das 11. Jhdt.
Von sich aus hat Quilichinus die Einteilung in drei
Biicher eingefUhrt, welche alien Fassungen des Leo fremd
ist. Dass bei dieser Einteilung keine alte Ueberlieferung
fur Quilichinus bestimmend war, auch nicht eiwa eine Be-
einflussung seitens des Valerius, der den Stuff gleichfalls,
wie der griechische Roman, auf drei Buche/ verteilte, geht
daraus hervor, dass nur die Dreiteilung, nicht aber die
Verteilung des Stoffes mil jenen Werke,i stimmt. Das
ersle Buch des Quilichinus enthalt cap. 1 — 20 der Historia
nach Zingerles Ausgabe oder Ps.-Kall. I I — 24, das zweite
Buch umfasst cap. 21 — 73 oder Ps.-Kall. I 25 — //
21, wozu noch die eingeschobenen Bamberger Traktate
kommen, das dritte Buch gibt cap. 74 — 130 oder Ps.-
Kall. 11 21 — 111 35. Diese Bucheinteilung ist eine sehr
ungleichmassige. Nach einer ungefdhr richtigen Schatzung
der Verszahl in der Heidelberger Hs. enthtilt das erste
Buch nur 290 Verse; es geht bis zum Tod des Philippus.
Das zweite Buch gibt ungefdhr v. 291 — 1489 und reicht
bis zum Tod des Darius. Das dritte Buch enthalt v. 1490
bis 3821, womit das Werk schliesst. Diese Einteilung ist
recht sinngemass, indem hier mil dem Tod des Philippus,
dort mit dem Tod des Darius geschlossen, und ein neuer
Abschnitt hier mit der Thronbesteigung in Macedonien,
dort mit der Thronbesteigung in Persien begonnen wird.
Die beiden grossen Gruppen von Versen in der Darm-
stadter Hs. sind also dem Quilichinus entnommen. Aber
einige wenige Verse, Hexameter, sind auch den anderen
290 Pfister, Historiade preliis und Alexandereposdes Quilichinus.
Hss. von Js eigentumlich. Ntimlich einmal die seeks Hexa-
meter, aus denen die Orakel der Bautne bestehen (s. o. s.266);
dann die zwanzig Hexameter, in denen die Inschrift des
Thrones in Babylon abgefasst ist; (s. o. S. 269 f.; diese
fehlen jedoch in den Strassburger Drucken : hier sind sie
offenbar, weil sie fast aus tauter, zum Teil verdorbenen Namen
bestehen, weggelassen) ; ferner die Inschrift der Krone (s. o.
S. 270). Diese dfei Gruppen hat nun seinerseits Quilichinus
aus seiner Vorlage J* unverandert Ubernommen, obwohl
eigentlich die Hexameter zu seinen Distichen nicht recht
passen.
Zu dem Bestand von J* hat nun Quilichinus noch
einiges hinzugefilgt. Zundchst gibt er eine Einleitung von
44 Versen iiber die vier Weltalter, das Prooemium y das ich
hier nach der Heidelberger Wund iener Hs., nach welch*
letzterer es Endlicher (unten im Apparat = E) bereits ediert
hatte, noch einmal wiedergebe.
Post Abrahae legem, qua oircumeisus habetur,
Quatuor in mundo regna fuisse ferunt.
Egipti primum, post id fuit Assyriorum,
Hino Grecum sequitur, Roma fit inde oaput.
5 Assyrio regno Persas Babylonaque iungo.
Quamvis haeo tria sint, et tria regna no to.
Primum namque voco, primum quod pressit Hebraeos;
Ordine sic tali singula regna no to.
Sub primo regno stravit Moyses mare rubrum,
10 Quo Pharao moritur; inde canunt maria.
Assyrius princeps regno durante secundo
Bis quinas traxit ad sua regna tribus.
Hi nunquam post <boc> rediere ad sua teeta,
Quos tenet inclusos Caepia muro suo.
2 feruntur H, 5 Babiloniamque /.. v. 7 et 8 om. H. (Homoioie-
leuton!) 10 Qua H. maria oanunt H; Maria oanit E; cf. Hist. SchoL
lib. Exod. cap. 31: Moysesque Domino canticum exposuit exametro
oarmine: Cantemus Domino etc. Quod quia prius legitur oaeteris
Gantioum dioitur Cantieorum . . . et cantabant Domino cantioum
Moysi, viri seorsum et mulieres seorsum. In cuius rei meraoriam
VII paschalibus diebus oantando redimus ad fontes. — // durante
regno H. 12 bis binas H.
Pfister, Historiade preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 291
Ex denis tribus si pars fuit ulla superstee, 15
Benyamyn iade poet <hoc> sooiata fuit.
Qui reliqui fuerant, migrarunt in Babilonem.
Et nunc sola sedens urbs populosa fuit.
Propterea multum ploravit tunc Jeremias
Praeteritum memorans excidiumque sequeus. 20
Post hoc Persarum princeps laxavit eosdem
Atque domus doraini tunc reparata fuit.
Et ducibus Persia solvit Judea tributum,
Doneo rex Darius mortuus ense fuit.
Assvriis victis et Persis cum Babilone ^5
Grecus Allexander summus in orbe fuit.
Ipsius pugiles pugnarunt oum Macbabeis;
Romanus populus tunc fuit iunctus eis.
Et pulsis Grecis tenuerunt sceptra Quirites
Et quartum reguum Roma regina tenet. 30
Quod non deficiet, doneo mundana peribunt,
Ut tradunt quidam, qui sacra scripta legunt.
Sub quarto regno pugnat cum Cnesare nullus,
Inde sub Augusto rirgo Maria parit.
Post hoo Jherusalem pro Christi morte subaota 35
Hebreus populus exul in orbe manet.
Et quamvis plures fuerint et sint modo reges,
In reliquis horum maxiraus unus erat.
De gestis primi regni quartique secundi,
Cum sint nota satis, non docet iste libor. 40
De regno Greco modicum sacra pagina tractat;
Ipsius idciroo carmine gesta loquor;
Quod Machabeorum scripturae subticuerunt,
De Macedum rege prosequor ipse modo.
17 Babylona E. 18 urbis pocula H, 23 Et duabus H. 25 cum
I'ers. et Bab. E. 28 amicus eis H. 29 Expulsis E. 32 quidem E.
35 haec E. 37 fuerunt EH, 39 quarti regnique //. 40 libellus H,
43 Ad E.
Darauf bcginnt Quilichinus sein Epos, sich genau an
seine Vorlage /s haltend. Im ersten Buck bringt er keine
eigenen Zusiitze. Anders im zweiten Buck. Nachdem die
Unterwerfung von Calcedonia (Karthago) erzdhlt ist, wird
von einem Kampf gegen die Albaner berichiet; es ist dies
v. 317 — 334 in der Heidelberger Ms. foL 40 r — 40 v:
Albanus populus nolens submittere oolla
Cum canibua multis prelia diia parat.
292 Pf ister, Historia depreliisuud Alexanderepos dea Quilichinus.
Gena Albanorum oanibua pugnare aolebat
Ao acie prima ponere aaepe canes.
5 lode fatigata fiebant agmina prima,
Vinoeret ut oitiua prelia turba reoens.
Fortia Allexander in bellis ipae peritua
Fraudem cum fraud e pellere rite studet:
Mandat militibua ounctos acquirere poroos,
10 Ut porcia superet prelia dira canum.
Hia ita dispositis consurgunt undique partes
Et porcoa equites post sua terga tenent.
Pars regie porcoa stridentes laxat in illoa,
Ipsos ineequitur illico quisque canis.
15 Sio pulaia canibus Albani terga dederunt
Et regi tradunt danda tributa sibi.
Tunc coram rege canis unus ducitur altus
Maximus atque ferox fortia ad instar equi.
4 hac //. // itaque H.
Diese Episode hat Quilichinus von sich aus einge-
schoben, wdhrend Js sie nicht kennt. Quilichinus hat das
Stiick eingelegt nach der Einnahme von Calcedonia und
vor dent Zug gegen Italien (vgL J\ bei Zingerle S. 147, 9).
In diesem Zusammenhang findet es sich demgemdss auch
im Wernigeroder Alexander (S. 10 f. ed. Guth). Merit-
wiirdigerweise steht diese Episode, aber in ganz anderem
Zusammenhang, auch in J%; Zingerle hat S. 200 adnoL
die Stelle nach der Seitenstetter Hs. abgedruckL Nach
Jt kommt Alexander zu den Albanern, nachdem er die
kaspischen Pforten erreicht und die unreinen Volker ein-
geschlossen hatte. Dies ist in der Tat der richtige Wohn-
ort derAlbaner, wie ihn etwa PliniusfVl 29 und 39) beschreibL
Quilichinus wurde vielleicht zu seiner geographischen An-
setzung durch die Erinnerung an die Albaner von Alba
longa bewogen. In der Erzahlung selbst stimmt J% mit
Quilichinus iiberein; beide gehen also in letzter Linie auf
dieselbe Quelle zuriick. Diese Quelle aber hat zur Grund-
lage den Bericht des Solinus (66, 12), wonach Alexander
die Albaner unterjochte und ebenda 83, 9 ff., wo von ihren
Hunden gesprochen und berichtet wirdj sie hdtten dem
Alexander zwei davon zum Geschenk gemacht, von denen
Pf ister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 293
einer einen Lowen und einen Elefanten bezwang. Von Jt
drang dann diese Erzdhlung zu Ulrich von Eschenbach,
Babiloth, Seifried und in die italienischen Nobili fattL
Weiterhin folgt Quilichinus wieder seiner Vorlage J$,
kiirzt aber die in Jis besonders ausgedehnte Schilderung
der Belagerung von Tyrus, indent er einmal den oben S. 255 f.
als no. 1 abgedruckten Zusatz fast ganz UbergehL Der Grund
ist darin zu sehen, dass sein Inhalt gleich darauf (s. oben
S. 257 f. und 288) wiederholt wird. Dann aber kiirzt
Quilichinus die Meleager-Episode bedeutend ab f offenbar
weil ihm die Erwdhnung des Samson als Zeitgenosse Alex-
anders nicht geheuer wan Demnach lautet das Stiick in
der Heidelberger fis. (foL 41 r — 41 v):
Post hoc procedcns capit pugnando Damascum
Sidonemque capit, post venit usque Tyrum.
Per mare per terras pugnans per tempora longa
Obsidet ipse Tyrum, sio mala mult a tulit.
Jherusalem mittens servum petensque tributum 6
Et Dario prohibet nulla tributa dare.
Tunc Judeorum primus rectorque sacerdos
Regi respondens cuncta petita negat.
Nam Dario dicit se iuramenta dedisse;
XI li neo poterat frangere rite fidem* 10
Tunc de Judeis vindictam quaerere sum it.
Dum tarn on in primis vinceret ipse Tyrum,
Quingentos equites direxit cum Meleagro
In vallem Josephat, quae nimis ampla niauet.
Tunc cives Gadir pugnarunt cum Meleagro; 15
Ex regis parte multa caterva cadit.
Inter quos Judas, qui oonduoebat eosdem,
Pugnando cadit; rex dolet inde nimis.
Audit Allexander, quod victor sit Meleager.
Illuc succurrunt cives undique Gadir. 20
Inde rex rediens structuram per mare factam
Destructam reperit; bine dolor instat ei.
Struxerat in portu lignorum pluriina castra,
Ne possent hostes inde iuvare Tyrum.
Tunc quasi desperans, Tyros no vincere posse i, 25
In magnis curis anxius ipse mauot.
/ caput H. 2 Sinodemque H.
294 Pfiater, Historia de preliis und Alexanderepos des Quiliohinus.
In somnis uvam rex tunc cernit se habere,
Quam pedibus calcans exprimit inde meruin.
Convocans ariolum narrans eibi sompnia visa,
30 (Jt disoernat ei, quid sibi visa velint.
Ariolus dixit: „Rex, sompnia gaudia monstrant.
Hano urbem signat uva repleta mero,
Quam oito devinoes; pedibus ealcata manebit;
Et sic post multa prelia victor eris/
35 Qualiter expugnet urbem, tunc mente revolvens
Navibus adductis classioa bella parit.
lndo super navem fundatur lignea turns;
Armari reliquos fortiter ipse iubet.
Insilit in murum; Balaam tunc ducem Tyrorum
40 Perfodit gladio; mortuus inde fuit.
Tudo equites regis puguando undique dire
Expugnant urbem; fitque subacta Tyrus.
Hino geminas urbes vicit Gazamque triumphans,
Jberusalem properat, Syria tota tremit.
30 discerneret //. 43 Gatamque //.
Darauf folgt die Episode von Alexanders Einzug in
Jerusalem. — Weiterhin spinnt Qutlichinus die kurze, oben
S. 267 f. wiedergegebene Erz&hlung von der Einschliessung
der unreinen Vdlker sehr breit aus und flicht noch den
Bericht ilber die Judenstdmme auf Grand der Historia
Scholastica ein. Von diesen und ihrer Einschliessung bei
den kaspischen Bergen hatte er schon im Prooemium (s.
oben S. 290/.) gesprochen. Die Episode lautet nach der Hei-
delberger Hs. (foL 8lr—81v);
Gentes immundas, quae Tartara turba vocatur,
Post hoc rex magnus clausit in arta loca.
Horum viginti reges erantque catervae
Binis adiunctis, ut docet historia.
5 Per magioaa artes rex magnus clausit eosdem,
Ne mundi regna contaminata forent.
Hae sunt Gog sunt Magog; nee omnia ilia
Expedit ut narrent oarmina nostra tibi.
Asptoies prosam, quae narrat omnia plane;
10 Versus non patitur singula verba loqui.
Apodine Caraarce Grimardi Og Magog Junii Sfabolli Amafrogi
2 inclusit H.
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 295
qui diountur Winohafagii Age then Lubi Tamarnagi Trabe Megeth
Raniceri Tathomi Archmei Philem Oloathardeden [/. e. Olcathar Deden]
A made Sarchmen Alani Saltan. Praeterea inclusit decern tribus
filiorum Israel. Sed Judam et Benyamyn non inolusit. Quidam 15
etiam dicunt, quod inclusit novem tribus et mediam tribum Manassem.
Est locus ad partes orieutis undique clausus,
Ex maguis ripis sed patet una via.
Introitus talis vocitatur Caspia porta;
Illic rex magnus arte reclusit eos. 20
Ulio sunt oppida, sunt villae, sunt quoque castra;
Gen ti bus his tellus ilia repleta manet.
Sed our hae gentes immundae sunt vooitatae,
Forsan narrabunt carmina nostra tibi.
Credo, quod hae gentes comedebant omnia cruda 25
Et pecorum more vivere virtus erat:
Hino gens immunda sio quoque dicta fuit.
Et quia rex timuit, ne gens ea crescat in orbe,
Hue magnus princeps illico traxit eos.
Tradunt Judei, neo ab his saora pagina d is tat, 30
Quod gens Hebrea intra reolusa fuit.
Nam rex Salmanasar captivos duxit Hebreos,
Qui rex Assiriae tunc quoque magnus erat.
Namque tribus denas cepit rex Assiriorum;
Judasque Benyamyn tunc tenuere lares. 35
Post longum tempus Maoedum rex clausit eosdem,
Qui sunt inclusi iugiter usque modo.
Hos Antiohristus post ad sua teota reducet,
Ut tradunt quidam, qui sacra scrip ta legunt.
Ad fines terrae post haec rex magnus adivit; 40
Occeani liotus cuncta caterva tenet.
15 Quidam . . inclusit om t H ( Homoioteleuton /).
Quilichinus verblndet also hier In merkwiirdiger Welse
den Berlcht von J* liber die unreinen Vdlker mil dent Be-
richt der Historia Scholastlca iiber die Elnschllessung der
Judenstdmme 1 ) zu elner Erztihlung. Elne ahnllche Ver-
blndung der belden Geschlchten flnden wlr auch etwa bel
Rudolf von Ems*) und Im spanlschen Alexanderepos.*)
l ) VgL darUber zuletzt H. Stocks, Zs. /. Kirchengesch. XXXI
(1910) S. 7ff; Pfister, Rhein. Mus. LXVI (1911) 464 f
») VgL Ausfeld, Progr. 1883 S. 17ff.
■) /// der Ausgabe von Moret-Fatio, Geseltsch. far roman. Lit.
(X 1906) S. 261 f
296 Pf iflte r, Historia de preliie und Alexanderepos des Quiliohinus.
Ueber erstere Legende haben wir bereits oben S. 468, da
sie auch in J% steht, kurz gesprochen. Letztere allein
kehrt z. B. auch in der oben S. 282, 1 genannten Pariser Hs.
foL 115 r wieder, welche sich als Quelle des Hartlieb er-
weisen Idsst: dieser Abschnitt beruht auf der Historia
Scholastica. Eben darauf geht die Episode in der Alex-
andergeschichte zuriick, welche im Clm. 12260 iiberlieferi
ist (foL I64v). Die Geschichte von der Einschliessung der
Juden hatte ursprttnglich mil Alexander nichts zu tun;
so kommt der Makedonenkdnig in unserm ersten Zeugen
filr die Legende, in der unter Domitian verfassten Esra-
Apokalypse (= I V Esra cap, 13), gar nicht vor, ebenso in
vielen spdteren Berichten. Wann dii Legende in den Kreis
der Alexandertradition eindrang, ist noch ungewiss. Bei
Joseph ben Gorion, dessen Zeit aber unbestimmt ist, findet
sich bereits die Verbindung mit Alexander.
Weiterhin geht Quilichinus wieder mit /s. Am Schluss
nach Au/zdhlung der Alexanderstddte, an der Stelle, wo
Jz die verschiedenen Schlusszusdtze bietet, gibt Quilichinus
noch eine grosse Reihe von Versen, welche in den einzelnen
Hss. 1 ) zum Teil unvollstdndig, zum Teil in anderer Reihen-
folge Uberliefert werden. Ein grosser Teil dieser Verse
findet sich nun auch in unserer Darmstadler Hs. von J%
an Stelle der gewdhnlichen Schlusszusdtze (s. o. S. 272).
Ich gebe hier den Text von D, indem ich die Varianten der
Heidelberger Quilichinus-Hs. beifilge:
deus alme parens, audet tibi dicere null us,
Cur ita quaeque faois cunota creata m ovens.
/ potens cui null us dicere audet //. 2 quaequo om* H.
l ) 8o gibt die Pariser Ms. 8501 des Quilichinus nach Hilkas
giitiger Mitteilung nach Aufz&hlung der Alexanderstddte nur noch
31 Verse, welche beginnen: Mens almo parens, audet cm* dicere nulhi.
in dieser, ferner in der Frankfurter, Wiener und Florentlner Hs. fehlen
die belden Epitaphia. Die erste Berliner Hs. theoL foL 194 gibt die
Predlgt und die Epitaphia ; die zwelte Berliner Hs. lat. qu. 518 enthdlt
gleich falls die Epitaphia.
Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilicbinus. 297
Nam cum sis stabilis causarum maxima causa,
Naturam causae nulla creata tenent.
Sed de natura man at de corpore corpus, 5
Et sequitur germ en plantula quaeque suum.
De simili simile prodit, de semine semen,
Naturam servant materiata suam,
Et proprium germen retinent nascentia terrae,
Causarum causa vim retinere solet. 10
Quomodo perpetua mundum ratione gubernas,
Sic to constanter cuncta creata laudant.
Nam cum sis constans, constantia nulla creasti;
Sed variis statibus cuncta sub orbe manent.
Lucifer elatus, quamvis bonus ille creatus, 16
Instabilis mansit prorsus ad ima ruens.
Primus Adam cecidit fact us deitatis ad instar,
Dum tua praecepta noluit ille sequi.
Progeniemque suam post se dampnavit, et exul
Fit, loca divitiae perdit et ipse miser. 20
[Diluvio misere pereunt cur quaeque creata
Illis exceptis, quae tenet aroha Noe?l
Et Noe vir iustua postquam prodivit ab aroha,
Est vino pressus ebrius inde iaoens.
Quid loquor bic plura? Cessent exempla priorum, 25
Et regis Macedum sis status ipse memor,
Qui fuit elatus et summus in orbe m on aroha,
Nuno iacet in tumulo vermibus esca datus.
Orbis viotorem devicit gutta veneni,
Qui vicit terras, qui superavit aquas. 30
Pontibus hie fluvios superavit et artibus equor,
Quern necuit fraud e guttula iuncta mero.
Hec cur tarn varie'fiunt, die tu pater alme,
Cur variis statibus cuncta creata moves?
Responditque deus: Cur, terrea testa, euperbis? 35
Qualia vult figulus, terrea vasa facit.
Cur te sio fecit figulus ? non quaerere debea.
v. 3 et 4 om. H. 7 procedit //. 8 servat materiato //. 10 cause
HD. 12 et te //. creata sinunt D. 16 Instabilis nam sic D. 17 deit.
fact. H. 19 Progeniesque sua post hoc peyora sequuntur H. 20 Ooto
reservatus unda voravit aqua //. v. 21 et 22 om. H; exh. in margine
D, 23 exivit H. 24 fit vino plenus //. roanens H. 25 loquor id
pulcra H. 26 Nam regis H. 27 monarchus H. 28 data D. 33 Cur
hie tarn H. die o pater H.34 Cum //. 35 Respondit H. terra texta su-
perbus H. 36 talia vasa //. 37 finxit //.
MUooheoer Museum f. Pbilologie des MA. I. 8. 20
298 Pfister, Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus.
Sensum fingentis nosoere nemo potest.
Sed quamvis aliquis nequit apprehendere plene,
40 Ut potes hoc capere, pandere euro tibi.
Cum bonus existam summe vereque beatus,
Non volui solus hao bonitate frui.
Invidia careo; toIo cunotos esse beatos;
Nullum mitto foras, qui mea teota petit.
45 Ex his, quae dixi, tibi sit responsio firma,
Amodo ne dubites, sit tibi pura fides.
Si status inmotus hominum foret appropriatus,
Viribus aequalis orederet esse deo.
Et non pensaret dominum superesse creatis;
60 Propterea nimius error in or be foret.
Tunc in flatus homo pro rerum prosperitata
Sperneret auctorem cor super astra levans;
Dioeret insipiens: non est deus ullus in orbe.
Sum sine rectore, sum dominator ego.
66 Sioque periret homo sub falsa oredulitate,
Dum non pensaret subditus esse deo.
Idoiroo raundum finxi mundanaque ouncta:
Angelus his fruitur, his quoque gaudet homo.
Non egeo servis, miohi servit sponte fid el is;
60 Nam libertates omnibus ipse dedi.
Ni ooncessa forent arbitria libera cunotis,
Iniustum dominum me reputaret homo.
Sed quia sum iustus, mihi servit nemo ooaote,
Arbitrioque suo vult bona sire mala.
66 Ut mereatur homo, stat libera ouique voluntas.
Nam nullum meritum gesta ooaota ferunt.
Peooati fames est haeo diversa voluntas,
Quamvis ex iusto prodiit ipsa fames.
Hino ex pecoato prodit variatio rerum,
70 Mori bus et variis ouncta sub orbe manent.
Et quia non servat homo, quae servare tenetur,
Hino miser et fragilis instabilisque manet.
Causa subest alia, our heo varianda oreavi,
Quam cito scire potes, si mea diota notes,
39 aliquos nequit id oonpreh. H. 40 posset heo A/. 44 regna
petit H. [v. 45 — 46 om. H, qui post v. 44 talent exhibet ordinem :
57—64; 47—50; 53—56; 51—52; 67—70; 65—66; 71—76; 45—46.]
47 immobilis //. 48 se crederet //. 50 Propter quod magnus H.
51 nunc D. elatus H. 58 quoque om. D. 61 Si pro velle forent //.
65 quoque H. 66 Non ulla merita H. 67 Peccanti H. hao est H.
68ipntL prius D. 7^Motibus H. 73 variata putavi H. 74 Quam tu soire //.
P f i s t e r , Historia de preliis und Alexanderepos des Quilichinus. 299
U% me faotorem vereantur quaeque creata 75
Atque recognosoant, quia dominetur eis.
*
[Laus tibi sit, Christe, qui liber explicit iste.
Qui soripsit, scribat cum Christo, sic quoque vivat]
v. 77—78, quorum auctorem scribam ipsum codicis D esse nemo
est, qui neget, om. H.
Mit diesen Worten y welche dem Quilichinus entnommen
sind, schliesst die Darmstadter Alexander geschichte. Aussef
diesen Schlussversen aber bietet die Heidelberger Quilichinus-
Ms. nock 59 weitere Verse. Ndmlich zundchst (= v. 45 f.
oben S. 298; vgl. den krit. App.):
Ex his, quae dixi, me a sit sententia firm a;
Animo ne dubites, sit tibi firma fides.
Damit ist das ZwiegesprUch des Dichters mit Gott abge-
schlossen. Nun aber folgen bei Quilichinus in der Heidel-
berget Hs. die beiden Grabschriften des Dothomeus (Hie
iacet infectus etc.) und des Demosthenes (En ego qui totum
etc.), welche wir oben S. 273 ff. als einigen Hss. vonjs eigen-
tumlich bereits abgedruckt haben. 1 ) Damit schliesst auch
das Epos des Quilichinus.
Wie also die Darmstadter Hs. von J 3 eine Reihe von Ver-
sen aus dem Quilichinus Ubernommen hat ($. oben S.285 f),
so /and auch Quilichinus schon Verse in seiner Vorlage vor,
die er unverdndert mit heruber nahm. Es sind dies dieOrakel
der Bdume (s. oben S. 266/.), die Inschriften des Thrones und
x ) Das erste Gedicht hat in cod. Heid. die Beischrift: Ptolo-
meus philosophus dictavit iufra scripta oarmina et fecit eonscribi
in tumulo allexandri. Das zweite: oarmina mortis allexandri re-
prebendentia vitam eius composita per ipsum ptolomeum loquentem
in persona alexandri. Dieselben Beischriften finden sick auch in
der Berliner Ms, lat. qu. 518. Die andere Berliner Quiluhinus-Hs.
gibt: Ptbolomeus philosophus die tar it infra carraina et feoit oonsoribi
in tumulo Alexandri. VgL Aeuling a. a. 0. S. 319. — Die Heidel-
berger Hs. gibt im ganzen einen schlechtern Text als die Hss tf nach
denen wir ihn oben S. 273 ff. geben. Vor allem das zweite Gedicht
ist nicht ganz vollstdndig.
20*
300 Pf liter, Historia de preliis und Alexanderepoe des QuiUchinus.
der Krone (s. o. S. 269 f.) und die beiden Grabschriften am
Schluss, deren Verfasser also nicht Quilichinus ist. —
Zur besseren Anschaulichkeit setzen wir nock das Ver-
hdltnis der in der vorausgegangenen Untersuchung genannten
Bearbeitungen des Alexanderromans in schematischer Dar~
stellung hierher:
Griechischer Roman
Griech. sog. Rezension t Valerius
\
Leo Syrischer Roman
(ca.960)
E
pitome
h
(saec. XI)
/
/
cod. Bamberg,
ca. I0OO
/
/
/
/
\
\
\
Inobilifatti Babiloth Quilich. Hal.
(ca. 1250) (ca. 1450) (1236)
Wernig.
(ca. 1380)
cod. Paris, cod. Monac.
Now. acq. 310. 23489.
Hartlieb
(ca. 1450)
Von diesen Bearbeitungen fallen neben anderen gerade
auch unsere Rezension J% und Quilichinus in die Haupt-
btiltezeit des Alexanderromans im Abendland. Denn etwa
um 1500 hat die Weiterbildung des Romans im Abendland
ihr Ende ziemlich erreicht. Ihr Hdhepunkt fdllt in die
Zeit von 1100 bis 1300. Es wird also wohl kein Zufall sein y
dass diese Periode genau zusammenfdllt mit der Zeit der
Pf ister, Historia de prelis und Alexanderepos dee Quilichinus. 301
Kreuzziige. Denn durch diese war ja wieder das Interesse
am Orient und seinen Wundern wachgerufen worden, und
wenn die bildende Phantasie hier durch angeregt wurde, sick
mil jenen Wundern zu beschdftigen, so folgie sie naturge-
rndss den Spuren dessen, der zum ersten Mai das Wunder-
land des Ostens schlechthin, Indien, dent Verkehr erschlossen
hatte, den Spuren des Makedonenkdnigs. Und me im Alter-
tum die ZUge Alexanders mil Farben geschildert wurden,
die zum Teil den Sagen derer entnommen waren, die nach
dem Glauben der Griechen vor ihm jene fernen Ldnder
durchzogen hatten, eines Dionysos und Herakles, und wie
dann die rdmischen Kaiser ihm ebenso nachzuahmen be-
strebt waren, wie viele Jahrhunderte spdter der tiirkische
Sultan, der Eroberer Konstantinopels, l ) so wird er auch
jetzt wieder ein Heros der Wanderer 7 und mancher Reisende
des Mittelalters hat in seinen Berichten von Dingen erzdhlt,
die er selbst gesehen haben wollte, die er aber — kein
Zeugnis fiir seine Wahrheitsliebe — dem Kreise des Alexan-
derromans entnahm.
1 ) Vgt. m. Reliquienkutt im Altertum 1 169 ft. ; Wochenschr. fUr
klass. PhiloL 1911 Sp. ll$2ff.; Radermacher, Wiener Studien XXXIII
(1911) 224 //.
Heidelberg.
Friedrich Pfister.
Korrektnrnachtrag. Wahrend des Druckes kommt mir eine
Anzahl von Photographien nach Hse. zu Gesioht, die Prof. W. Weber
im Auftrag der Heidelb. Akad. der Wissensoh. in Spanien aufge-
nommon batte. Unter andern auf den Alexanderroman beziigliohen
Texten befindet sich darunter auoh unsere Fassung Jt der Historia
de preliis nach der Hs. der Nationalbibl. in Madrid no. 10222. Diese
Hs. ist oben in der Liste S. 263 nachzutragen. Ueber diese so wie
die Ubrigen von Weber photographierten Hss. mit Alexandertexten
wird demnaohst berichtet werden.
Zu den lateinischen Georgslegenden*
y. B. Aufhauser hat in seinem Buche „Das Drachen-
wunder des heiligen Georg in der griechischen und latei-
nischen Ueberlieferung" (Leipzig, Teubner 191 7. Byzan-
tinisches Archiv H. 5), durch das die nachgelassene Arbeit
K. Krumbachers, „Der hL Georg in der griechischen Ueber-
lieferung a (Munchen 1911. AbhandL d. bayer. Akad. Philos.-
philoL u. hist. KL Bd. XXV Abt. 3) in mllkommener Weise
erg&nzt wird, ausser einer Reihe von griechischen auch zwei
lateinische Texte zum erstenmale ediert. Es sind dies L die
Rezension der Drachenepisode im cod. laL Monacensis 14
473 s. XII (Aufhauser S. 180//.), wahrscheinlich die Ueber-
setzung einer nicht ndher zu bestimmenden, aber mit einigen
Rezensionen des Vulgatatextes nahe verwandten griechischen
Vorlage; 2. die Bearbeitung des Jacobus de Stephanescis
(Kardinaldiakon der Georgskirche ad Velum aureum in
Rom, f 1333 zu Avignon) im cod. C 129 s. XIV des Kapitel-
archivs von St. Peter im Vatikan (Aufhauser S. 217ff), ein
y Mischtext einer Rezension, wie sie cod. Monac. 14 473
bietet, und der Legenda aurea* (letztere nach dem cod. laL
Monac. 13029 vomjahre 1282 unter Vergleichung anderer
Milnchener Hss. abgedruckt bei Aufhauser S. 202 ff) Es sei
mir gestattet, im Folgenden einige Beitrdge zur Textkritik
der beiden StUcke und zur Ermitte lung ihrer phraseologischen
Vorlagen zu liefern. Wenn es mir gelungen ist, an einigen
Stellen die Textgestaltung zu fdrdern, so verdanke ich dies
in erster Linie dem Herausgeber selbst, der mir die ftir
seine Ausgabe angefertigten Photographien der Miinchener
und der vatikanischen Hs. freundlichst zur Verfugung gc-
stellt hat. In einigen Berichtigungen bin ich mit seinem Re-
We y man, Zu den lateinischen Ge orgs legen den. 303
zensenten V(an) d(e) V(orst), Anal. Bolland. XXXI (1912)
S, 100 zusammengetroffen.
I.
5. 182, 7ff. coram regibus et tribunis assistentes
intrepidi Christum — asserebant (die Christen unter Dio-
kletian). Nach Marc. 13,9 ante praesides et reges sta-
bitis propter me. — 182, 16 f ist intelligilibus (ser-
monibus) wohl nur Druckversehen fiir intelligibilibus
(so audi die Hs.). — 182, 27 ff. de quo (stagno) inmensae
magnitudinis draco exiens propinquos raorsu vel amplexu
caude, remotos vero solo afflatu interimebat (vgl. S.
219, SI//.). Diese Schilderung ist offensichtlich inspiriert
von Ovid metam. Ill 49f y wo es von der durch die Geftihrten
des Kadmos aufgestdrten Schlange heisst: hos morsu,
longis conplexibus illos, hos necat adflatu funesti tabe
veneni (so H. Magnus, dessen kritische Ausgabe der Meta-
morphosen sick im Druck befindet, nach dem alien Berner
Fragment s. IX. N. Heinsius y Bach und Zingerle wollten
afflatu zu afflatos bezw. adflata os bezw. adflata an-
dern). 182, 40 f. equo flcetens habenas. In der Hs. steht
equi mil der iibergeschriebenen Variante vel o. — 183, 1 ff.
ecce nuno cogimur — in alien is partibus peregrinari et
cum ignotis et externis nostram ponere habitationera. Die
Hs. hat extraneis (ra iiber der Zeile). VgL Thren. 5
(oratio Jerem.) 2 hereditas nostra versa est ad alienos,
domus nostrae ad extraneos. — 183, 15 ff. rdt der Kdnig:
ne id quod deterius est incurramus periculum, quod minus
noxium est spontanea voluntate subigamus (vgl. zum
Gedanken A. Otto, Die Sprichworter und sprichwortl. Re-
densarten der Romer S. 207 ; Archiv f. lat. Lexikogr. XIII
[1904] S. 389). Das letzte Wort ist nur als eine graphische
Variante zu dem einzig passe nden subeamus zu ver-
stehen. Vgl. subigunt = subeunt in dem von P. Legendre,
Etudes Tironiennes, Paris 1907 (Biblioth. de licole des
Hautes-Etudes fasc. CLXV) aus dem cod. 13 s. IX von
Chartres edierten Kommentar zu Verg. eclog. VI S. 2 Z.6
304 Weyman, Zu den lateinisohen Georgslegeuden.
v. u,; Berliner philoL Wochenschr, 1908 Sp, 1009; Carl C.
Rice, The Phonology of Gallic Clerical Latin after the Sixth
Century, Diss, der Harvard University (1909) S, 71 f. —
183, 19 est quidem consilium nostrum. Lies equidera
nach der Hs, — 183, 21 f sic tota gens ab iniqua peste
poterit illesa permanere. Der Ausdruck iniqua peste stammt
vielleicht aus der im Mittelalter gem gelesenen lateinischen
llias 51 f, causas hortatur pestis iniquae edere Thestori-
den (Achilles). — 183, 25 ff. de deorum raisericordia con-
fido, qui sui numinis potentiara teste probari letantur, quod
tam flebile principium melior fortuna sequitur. In teste
erblicke ich den Rest des urspriinglichen manifest e. Fur
sequitur bietet die Hs. sequatur mil der iibergeschriebenen
Variante vel e (sequetur). — 183, 29 f quousque ad regiam
filiam devenerant. Lies devenerunt mil der Hs, —
183, 37 f. (Worte des Konigs an seine Tochter) sperabam
te sponso stabili coniugio copulare. Nach Verg, Aen.
1 72 f (Juno zu Aeolus) quarum (nympharura) quae forma
pulcherrima Deiopea, conubio iungam stabili, — 183,
41 ff, non nuptias utpote sperabam celebro, .... non te viro
copulo socio maritali. Nach utpote ist ut oder quas aus-
ge fallen; fiir copulo ist copula zu schreiben; vgL z, B.
Ennodius CCXXI1 (dictio 15) 4 p. 176, 24 Vogel ubi mari-
talis sacramentum copulae? — 183, 45 f. sic rex inenar-
rabiliter lamentabatur, nequibat tan to dolori moderari etc.
Wahrscheinlich ist nee quibat hetzustelien. — 184 y 6f
auri sexcentena milia vobis largiar. In der Hs, steht auri
sexcena (me Aufhauser angibt zu sexcenta korrigiert)
centena m. v. L; vgL S, 221, 25 auri sexcentia (sic!)
centena milia. — 184, 9f, ad hec . . populus universus res-
pondit: nequaraquam(#a/tf/7/c/t nequaquam; soauchdie
Hs) erit sic, sed etc. Biblische Stilisierung, VgL z, B,
Gen, 4,15 dixitque ei Dominus: nequaquam ita fiet,
sed etc, — 184, 24 vitae mee finis — supereminet.
Vermutlich superimminet. — 184,29 (F rage der aus-
gesetzten Konigstochter an Georg) ad quid hue venisti,
mori, miles pulcherrirae? Fiir ad ist die iiberlieferte Inter-
Weyman, Zu den lateiaieohen Georgslegenden. 305
jektion a einzusetzen. — 184, 37 ist das iiberlieferte sigil-
latim in singillatim, nichtin singulatim zu andern. —
5. 185, 3ff. pater meus et universa civitas diis immortalibus
Jovi et Mercurio . . . offerunt libamina. So muss ohne Zweifel
gelesen werden, aber in der /is. steht diis mortalibus.
— 185, 12 viceversa. Lies versa vice nach der Hs.
VgL S. 222, 31 undE. Wdlfflin, Archiv f. tat Lexikogr. IV
(1887) S. 67. — 185, 13/ digneris per me misericordiani
tuam ostendere (Gebet Georgs). Ueberliefert ist pro me. —
185,21 ut hodie huius draconis caput conterara. VgL
Gen. 3,15 ipsa conteret caput tuum (der Schlange). —
185, 30 f. puella autem -abiitincivitatemsuam gaudens.
VgL Act. apost. 8,39 (vom Eunuchen der Candace) ibat
autem per viam suam gaudens. — 185, 42 o miles for-
tissime. Die Interjektion ist nicht Uberliefert ; vgl. S. 223,33.
— S. 186, 25/. ut triticeis messibus vicie loliique zi-
zania supersereret (hostis antiquus; vgl. S. 224, 39/.). Der
Ver/ verbrdmt die bekannte Bibelsielle mit Ovid met. V
485/ ,lolium tribulique fatigant triticeas mosses' (vgl.
Verg. Georg. I 219 triticeam in messem). — 186, 28
quomodo me vocare audes (Frage Georgs an den D&mon).
Lies nach der Hs. q. m. no mi na re a.; vgl. S. 225, 4. —
186, 30 f/ ut — Christi vestigia sequentes mundanis in-
clines illeoebris. Fur inclines ist das hsliche inquines
herzustellen. — 187, 6/ ut pronus in terram cadens me
adorares (der Damon zu Georg; vgl. S. 225, 28/). Nach
Matth. 4,9 (der Satan zu Christus) si cadens adoraveris
me. — 187, 14 exivit inde ignis deterrimus. Vermutlich
teterrimus. VgL S. 225, 41 (wo teterrimus zu terterrimus
verschrieben ist); SeduL pasch. carm V 39 ed. Huemer;
Wochenschr. / klass. Philol. 1910 Sp. 1006. —
II.
5. 219, 16 quamvis longe maiora per alios, longe per
illos (d. h. die Vorganger des Jacobus de Stephanescis)
fecundiora relata sint. Lies facundiora und vgl. S.
226, 8/ turn quia alii plene, turn quia alii facunde ilia suis
306 Weyman, Zu den lateinisohen Georgslegenden.
monimentis reliquere. — 219, 43 f. quod nobis sumraetr is ta-
bule est Lies tristabile and vgl. Du Cange s. v. trista-
bilis. — 219, 45f. omnique vetustate redimitam(cmtatem).
Lies nach der Hs. venustate. — 220, 3f. eadem singulos
lamentatio ad lamentationera excitabat. ad h&tte als Zu-
satz des Herausgebers gekennzeichnet werden so lien ; vgl.
S. 221, 23//. — 220, 8 (Anrede des Ktinigs an sein Volk)
vestra mihi communis, mea nobis idemptitem doloris causa
communis est. Lies vobis. — 220, 9 non enim mihi, sed
vobis, quid regis nomen sonat. Das Komma nach vobis
ist zu streichen. Der Ver/asser will sagen ; nicht filr mich,
sondern filr euch bedeutet der Name K&nig etwas. — 220,
11/. propter enim populi salutem, rex propter illius incolumi-
tatem, subiectis ei populis obedit. Lies and interpun-
giere: propter e. p. s. rex, p. i. i. subiectus (so die Hs.) ei
populus (so die Hs.) o. — 220, 15 f. piaculare flagitium
hostiis commune comraunibus pugnandum est. Lies pur-
gandura nach der Hs. — 220, 19 f. pastu saciata (pestis
d. h. der Drache) se sibi trahet, quiescet, ne tunc noceat
pausabit. Lies se subtrahet (sb'trahet die Hs.) — 220,
34 f. quis enimverum fidentiornon titubaret civitatis huius
egredi menia. Lies q. enim ve strum nach der Hs. —
220, 36 f. ubi draconem forsinsecus insidiose excubare —
suspicaretur. Die Hs. bietet das richtige forinsecus. —
220, 39 ff. tandem — filios, — ceu crudelis quemque ange-
bat sors, — draconi offerebant. Filr angebat wird tange-
b a t herzustellen sein ; denn es ist nicht wahrscheinlich, dass
der Ver/asser das Verbum in der nur durch die Glosse
Corp. gloss, lat. 11 17, 35 anctos Svayxaadtevras bezeugten Be-
deutung von cogere gebraucht habe. — 221, 2f. dierum octo
dilationem, quibus filiam mestus deploraret, impetravit. Das
vom Ver/asser aus der Legenda aurea iibernommene (Auf-
hauser S. 227) Motiv erinnert einigermassen an die Erz&h-
lung von Jephte und seiner Tochter (Jud. 11, 37 ff,). — 221,
4ff nee minus hec dum se considerat, moratur penas etc. —
iuventa parentem aspiciens eadem lacrimas effundit etc.
Filr hec ist wohl hie (so dass der Kdnig gemeint ware), filr
Weyman, Zu den lateinisohen Georgslegenden. 307
iuventa sicher iuvenca zu schreiben. — 221, 9f. polliciti
taraen raeroris timoris non oblitus (rex). Vietleicht p. t.
meraor is, t. n. o. — 221, 17 ff. (Klage des Kdnigs) que
nolueram, nunc, ut nolo — heu tristis — , evenient. an ex
leto, non humana, que omnibus debetur, raorte, quam mo-
riar occurabes. non viro tradenda, sed belue. non thoro, non
urna, non tumulo, sed a dracone diro lamanda. Das ist
nicht zu verstehen. Unter dankbarer Akzeptierung des Vor-
* ■
schlags meines verehrten Kollegen Gietl, das hsliche An c
als Ante (adverbial = antea,) cum zu deuten und ante mit
evenient zu verbinden, versuche ich folgende Herstellung :
que — evenient ante, cum leto, non h. q. o. d. m., <ante>
quam moriar, occumbes, n. v. t., s. b., n. t, n. u., n. t.
<locanda>, s. a. d. d. lanianda (so die Hs.). Mdglicher-
weise ist auch vor leto ein — den Gegensatz zu humana be-
zeichnendes — Adjektivum ausgefallen. — 221, 36 At deus
cui proprium est misereri semper et parcere. Nach der
Oration der Requiemsmesse. — 221, 38 f. horum quoque
certorumque non expetitam (expeditam?) salutem mise-
ratus (deus). Lies ceterorumque nach der Hs, — 221,
41 f. dum stagnum albescentem adaquaturus quem tunc forte
insidebat equum Georgius intrasset. Aufhauser zieht nach
seiner Textanalyse S. 227 f. (Georg . . lenkte zum weiss-
schimmernden Sumpfe sein Pferd zum Tranke) albescen-
tem zu stagnum. Es dilrfte sick mehr empfehlen, das Wort
zu dem folgenden equum zu konstruieren. Dass die Incoha-
tiva im Spatlatein vielfach ihre eigentliche Bedeutung ein-
biissen, ist bekannt. — 221, 45 f. gentilis erat (die dem
Drachen preisgegebene Jungfrau) ydola . . . ceu ceteros
parentes sui — colens. ceteros muss dem hslichen ceteri
weichen, das a lie in einen verniinftigen Sinn ergibt. — 222,
8/. ut illi (dem hi. Georg) merito puella sepius prodiceret:
Heu fuge, hinc quamtotius abscedas etc. Stall prodiceret
ist mit der Hs. praediceret zu lesen. In quamtotius
steckt natiirlich quantocius. — 222, 23 in eo (d. h. Chris-
tus) spontalis confidens. In der Hs. steht sp. alius d. h.
spirit alius (Comparativ zu spiritaliter). — 222,34 (die
308 Weyman, Zu den lnteinischen Georgslegenden.
Jungfrau warnt den hi. Georg)he\i f uge crudelis terras,
fuge litus et undas. Nach Verg. Aen. Ill 44 h. f. c. t.,
f. 1. avarum. — 222, 36 tunc miles (Georg) . . . illius (des
Drachen) in occursum ibataudentior. Wiederum an Vergil
angelehnt; vgL Aen. VI 95 contra audentior ito und
IX 291 f. audentior ibo in casus oranis. — 222, 40 f. orani
ferocitate deposita in terram se ad sancti pedes proster-
nere turn porrexit (draco). Vielmehr se a. s. p. prostra-
tum (prostS turn die Hs.) porrexit. — 223,33//. credimus
deum patrem — et Jesum Christum, filium eius, et spiritum
sanctum tres personas in unum deum esse. Lies et unura
deum nach der Hs. — 223,39 extiemplo. Die Hs. ex-
tiraplo, eine sehr hdufige Schreibung fiir extemplo. —
223,45 iilique (die neugetauften) deum muneribus tes-
ta n t e s. Eine Reminiscenz an den Hymnus des Sedulius,
in dent es von den Magiern heisst deum fatentur munere
(II 36). — 224, 13 pecuniam ille obnixum offerebat (der
Kdnig dent hi. Georg). Lies nach der Hs. p. illi obnixus
o. — 224,20 dum ill am tueretur et defensaret. Lies ill a. a
(scil. ecclesias) nach der Hs. Vgl. in der n&mlichen Zeile
possessiones eisdera tribueret und Z. 16/. ut ecclesiarum dei
curam gereret (rex). — 224, 23//. qui (sacerdotes) secundum
apostolum duplici honore digni sunt, non solum reverentie,
sed et subventions et providentie, sicut et illud secundum
Jeronimum intellectum habet: honora patrem tuum et matrem
tuam. Der Verf. bezieht sich au/Hieron. epist. 123, 6 (Migne
XXII 1049) et in evangelio dominus disserit, mandatum
legis, in quo dicitur h. p. t. e. m. t. (Exod. 20, 12) non in
verborumsono, qui inopiam parentum cassa potest adulatione
frii8trari ; sed in victus necessariis ministrandis debereintellegi.
— 224, 27/ cum scriptum sit: qui ex domino est, verba
do mini audit. Lies deo und dei nach der Hs. — 224,
29//. in ecclesia namque et divinis officiis celesti pabulo
pasciraur, celesti potu recreamur. Ein Anklang an
die Messliturgie ; vgl. z. B. die Postcommunio am Feste
des hi. Aposte Is Johannes refecti cibo potuque coelesti
und am 6. Sonntag nach dem Feste der Ersclieinung des
Weyman, Zu den lateinischen Georgslegenden. 309
Herrn coelestibus, domine, pasti deliciis. — 224,44/
attritis insuper vestibus, concullis seu plumbi laminis hinc
inde eisdem disseminatis. Lies conculis (= conchuli?) nach
der Hs. — 225, 2 cum se in angelum transfigurasset
lucis, demon ait: Pax tibi Georgi. VgL II Cor. 1 1 J 4 ipse
enim satanas transfigurat se in angelum lucis. —
225, 4// (Worte Georgs an den Damon) pacem das, qui
discordiam seminas, profecto Dominas, quern abhominaris,
id quo astringeris omittis, quid peragis, omissurus eras
agens culpas negligens delinquis, — quid denique pacem
mihi, salutera quid eterne desideras. /. Das Komma ist
nach, nicht vor profecto zusetzen; 2. statt quid p., o. eras
diirfte zu lesen sein quod (q'd die Hs.) p. o, eras; 3. fiir
salutem quid eterne d. lies nach der Hs. salutem quietemve
d. Vollstdndig ist die Stelle damit alter dings noch nicht
in Ordnung gebracht. — 225, 10/. terram circuis illaraque
perambulas (nach Job I, 7; 2, 2) ut ad rixas, contentiones
et de via inclines. Z,&sdevia. — 225, 17//. quo demon,
velud cathenarum quibusdam nexibus astrictus foret, a sancto
nusquam demon abire sinebatur. Fiir das erste demon ist
dicto (dc'o die Hs.) zu lesen. Vorausgehen Georgs Worte
in nomine domini nostri Jesu Christi tibi, ut me sequaris,
praecipio. — 225, 20 f. (Klage des Damons) heu . . quid tibi
obvium adveni. Lies nach der Hs. obvius; vgl.S. 187, I.
— 225, 22 f. tuam iam, quern expetii, experior virtutem.
en sol vis me, verbi tui imperio religas. Lies nach der Hs.
t. i. ex hoc quam e. e. v. en soli us me v. t. i. r.; vgL
S. 187, 2f. en solo verbo tua me potentia religavit. — 225,
24 hat die Hs. voluntarius nicht voluntarie. — 225, 27 f.
sicque cuncte minime, me autem plurimum posse con-
spiceres. Um die Stelle verstandlich zu machen y muss cuncte
in cum te gedndert werden. — 226, 6 minusculum parvum
offerre. Natiirlich munusculum (so auch die Hs.). — 226,
10/f. sed hec ilia — suo devotium tempore pandemus.
Lies devotius nach der Hs. —
Munch en.
Carl Weyman.
Zur Sage Ton dem Grafen yon Barcelona
(Toulouse) und der Kaiserin Ton Dentschland.
Die Sage, mit der sich die folgenden Zeilenbeschaftigen
sollen, ist schon Gfters zum Gegenstand von Untersuchungen
gemacht worden. Die ersten, welche sich mit ihrer Er-
forschung n£her befasst haben, waren Ferdinand Wolf 1 )
und Svend Grundtvig*). Aber erst unserer Zeit war es
vorbehalten die Grundlagen dieser so weit verbreiteten
Sage genau festzustellen : Im Jahre 1881 hat Gust a v
Liidtke 3 ) in scharfsinnigster Weise die Identitat jener
sagenhaften Kaiserin von Deutschland mit Judith, der
Gemahlin Kaiser Ludwigs des Prommen, die jenes Grafen
von Barcelona bzw. Toulouse mit dem Grafen Bernhard
von Septimanien, dem Sohne des sagenberuhmten Willehalm
von Orange, nachgewiesen. Eine wertvolle Erganzung er-
hielten Liidtkes Ausfuhrungen durch einen geistreichen Auf-
satz von Gaston Paris 4 ). Als letzter hat sich Joseph
Calmette 5 ) mit unserer Sage beschaftigt.
l ) ^L'histoire de Palanus, Comte de Lyon* (JahrbUoher fiir
wissenschaftlicbe Kritik. Berlin 1835, Spalte 945-956); .ttber die
Lais, Sequenzen und Leiohe,* Heidelberg 1841. S. 217.
*) „ Dan marks gamle Folkeviser.* Forste Deel. Kopenbagen
1853. Bd. I, S. 177—240, besonders 8. 189.
•) "The Erl of Tolous and the Emperes of Almayn." Eine
englisohe Romanze aus dem Anfang des 16. Jhdts. Nebst literarischer
Untersuohung Uber ihre Quelle, die ihr verwandten Darstellungen
und ihre geschichtliohen Grundlagen. Berlin 1881 (3. Bd. der „Saram-
lung englischer Denkmaler in kritischen Ausgaben*).
4 ) v Le Roman du Comte de Toulouse 41 (Annales du Midi. Bd. 12.
Toulouse 1900. S. 5 ff.).
») „De Bernardo S, Guillelmi Filio.* Pariser These. Tou
louse 1902.
Steinberger, Sage yom Grafen von Barcelona usw. 311
Trotz all dieser raeist sehr grilndlichen Untersuchungen
bleibt indes bei unserer Sage noch mancher Punkt librig,
mit dem sich die Forschung zu befassen hat; dies gilt meiner
Ansicht nach namentlich von derPrage, wie die urspriing-
liche Passung unserer Sage ausgesehen haben muss.
Dass die uns erhaltenen Versionen auf eine gemein-
sarae Quelle zuruckgehen, steht nach den Forschungen
von Liidtke und Paris wohl ausser allem Zweifel. Liidtke
(a. a. 0. S. 126) ist geneigt, als diese gemeinsame Grund-
lage ein lateinisches Gedicht vom Comes Tolosanus —
ich mflchte noch hinzufilgen et Barcinonensis — anzu-
nehmen und trifft vielleicht damit das Richtige, Diese ge-
meinsame Quelle nun muss, wie sich aus den einzelnen
massgebenden Versionen schliessen lasst, ungefahr folgen-
den Inhalt gehabt haben:
Die Kaiserin von Deutschland wird von zwei miss-
giinstigen Rittern des Ehebruchs mit einem andern Ritter
des Hofes beschuldigt (Desclot). Sie wird ins Gefangnis
geworfen und soil verbrannt werden, wenn nicht binnen
einer festgesetzten Zeit ein Ritter im gerichtlichen Zwei-
kampf gegen die beiden Ankl&ger ihre Unschuld beweist.
Der Graf von Toulouse und Barcelona hOrt von ihrer Be-
drangnis und beschliesst sie zu ret ten; da er aber mit dem
Kaiser verfeindet ist (Erl of Tolous), reist er verkleidet
nach Deutschland und kommt gerade noch zur richtigen
Zeit an. Indes will er sich zuvor noch genau dariiber ver-
gewissern, ob er fiir keine Unwiirdige in den Kampf geht
(Nostradamus, Couronne d'Arles 1 ); er verschafft sich daher
ein Mflnchsgewand*) und erlangt so Zutritt zu der Gefangenen,
um ihre Beichte zu htfren. Aus der Beichte gewinnt er
*) Vgl. hiezu Liidtke, S. 95 f. Dass bei Desclot und in der
spanisoben Romanze der Graf sich der Kaiserin zu erkennen gibt,
nooh ehe sie ihre Unschuld beteuert hat, entsprioht jedenfalls nicht
der eigentliohen Fassung unserer Sage.
') Dieser Zug findet sich in alien Fassungen mit A us d ah me
der des Desclot; Uber diese Ausnahmsstellung Desclots vgl. Liidtke,
S. 119.
312 Steinberg er, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
die Ueberzeugung, dass die Angeklagte unschuldig ist; un-
verzuglich eilt er zum Kampfe und besiegt seine Gegner.
Als der Kaiser erfahrt, wer seine Gemahlin vom Tode errettet
hat, ist er von Herzen bereit sich mit dem Grafen zu ver-
sohnen (Erl of Tolous) und das Ganze endet in allgemeiner
Festesfreude.
Man sieht auf den ersten Blick, dass diese gemein-
sarae Quelle fur die uns erhaltenen Bearbeitungen ganz
unmflglich die urspriingliche Fassung jener Sage sein kann,
welche sich um die Kaiserin Judith und den Grafen Bernhard
von Septimanien gebildet hat. Fur gewohnlich steht doch die
urspriingliche Fassung einer auf historischer Grundlage
fussenden Sage den geschichtlichen Begebenheiten ver-
haltnism&ssig noch ziemlich nahe, hier aber tritt uns sofort
eine tiefgreifende Abweichung von der Geschichte vor
Augen:
In der Geschichte wird Judith des Ehebruchs rait
Bernhard von Septimanien beschuldigt. Auf der Reichs-
versammlung zu Aachen (Februar 831) reinigt sie sich
durch einen feierlichen Eid von dieser Anklage, Bernhard
erbietet sich ein halbes Jahr spater auf der Reichsver-
sammlung zu Diedenhofen „nach frankischer Sitte" seine Un-
schuld durch einen gerichtlichen Zweikampf darzutun; da
hides kein Anklager gegen ihn auftritt, reinigt auch er
sich durch einen Eid von den fruher gegen ihn erhobenen
Anschuldigungen. *)
Sein Anerbieten, durch Zweikampf seine Unschuld
zu beweisen, konnte in der Volksiiberlieferung ohne weiteres
in dem Sinne umgestaltet werden, dass er tatsachlich einen
Zweikampf zum Beweise seiner Unschuld bestanden habe.*)
In dieser Umgestaltung liegt also nichts auffalliges; anders
dagegen steht es um die Tatsache, dass in der Dichtung
x ) Die zeitgenossischen Quellen hiefUr sind zusammengestellt
bei B. Simson, Jahrbticher des frankiscben Reiohes unter Ludwig
dem Frommen. Leipzig 1874 u. 1876. Bd. I, 8. 336 ff. f II, 4 f. 13.
Vgl. auoh Calmette, S. 64 ff. u. 69 f.
") VgL G. Paris a. a, 0,, S 17.
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw. 3l3
dieser Zweikampf unter ganz anderen Umst&nden erfolgt,
als man auf Grund der geschichtlichen Begebenheiten an-
nehraen ktfnnte.
In der Sage wird die Kaiserin von zwei missgunstigen
Rittern — Liidtke (S. 114) denkt dabei an die beiden Gegner
Bernhards Hugo von Tours und Matfried von Orleans —
des Ehebruchs bezichtigt; derjenige mit dem sie an-
geklagt wird, spielt welter keine Rolle. Sie wird
zum Peuertod verurteilt, da tritt im letzten Augenblick
der Graf von Barcelona (bzw. Toulouse) — in der eng-
lischen Romanze erscheint sein urspriinglicher Name Bern-
hard bewahrt — fur sie ein und besiegt die Verleumder. Wie
aus den zweifellos alteren Passungen 1 ) der Sage hervor-
geht, hat dieser Graf die Kaiserin noch nie ge-
sehen.
Fur diese sofort in die Augen fallende Abweichung
von <&n tatsachlichen Begebenheiten findet nun Liidtke
(S. 101) folgende Erkl&rung: „SolIte die Geschichte in den
angedeuteten Sinne (d. h. dass die Kaiserin als vollstandig
unschuldrg zu betrachten 1st 2 ) umgebildet werden, so musste
vor allera der Graf Bernhard, dem mit Recht die Ver-
teidigung der Kaiserin im Kampfe zufiel, entsprechend der
Herausforderung, die er auf dem Reichstage zu Diedenhofen
ergehen liess, von jedem unerlaubten Verkehr mit Judith
losgesprochen werden, und, da andererseits doch die Be-
>) Vgl. des naheren, S. 314 ff.
f ) Bekanntlich ist weder die Schuld noch die Unsohuld Judiths
hisvorisoh mit absoluter Sicherheit featgestellt ; die zeitgenossischen
Beriohte lauten in dieser Hinsicht zu widersprechend. Wer weiss,
ob die Geschichte Uberhaupt jomals dartlber uooh zu einem be-
9 ti mm ten Resultat kommen wird; vgl. Sirason 1, 8.337 f., Calmette,
S. 54 f., Meyer von Knonau, Uber Nithards 4 BUoher-Geschichten,
Leipzig 1866, S. 10 f. scheint offenbar mehr von der Schuld als von
der Unsohuld Judiths Uberzeugt zu sein. Auoh in der Sage lessen
sioh zwei Stromungen erkennen, von denen die eine — zweifellos die
bedeutend star ke re — fttr die Unsohuld Judiths ein tritt, w ah rend die
audere ibre Schuld annimmt; naberes Uber diese letztere Stromuug
bei G. Paris a. a. 0., S. 21, Aum. 3 und bei Calmette S. 108 ff.
MUnobeoer Muaouin f. J'hUologie des MA. I. a. 21
314 Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
schuldigung aufrecht erhalten werden sollte, von der sich
die Kaiserin auf dem Reichstage zu Aachen (Pebruar 831)
durch Eid reinigte, von den Verleumdern ein anderer strftf-
lichen Umganges mit ihr geziehen werden, falls die Dichtuug
es iiberhaupt fur notwendig hielt, die Verleumder jemand
nennen zu lassen. Damit fiel, da er nun nicht mehr des
Ehebruchs mit der Kaiserin Kir schuldig erachtet wurde,
fiir Bernhard die Notwendigkeit sich in seiner eigenen An-
gelegenheit ira Kampfe zu verteidigen fort," Mit anderen
Worten: Es war wohl fur die Sage am besten, wenn sich
die beiden iiberhaupt gar nicht kannten; damit war von
vornherein eine Beschuldigung gegen b e i d e unmtf glich
gemacht.
Bevor ich auf diese von Liidtke gegebene Erklarung
naher eingehe, sei es mir gestattet auf eine Frage hinzu-
weisen, die zwar meines Erachtens durch Liidtke (S. 115u.fl.)
und Paris (S. 7 f. u. 8.) ihre Beantwortung gefunden hat,
indes durch Calmette von neuem angeschnitten worden
ist: In den katalanisch-spanischen und in denprovenzalischen
Bearbeitungen unserer Sage kennen sich der Graf und die
Kaiserin allerdings nicht, in jenen Fassungen indes, welche
auf dem im Erl of Toulous (V. 1220) angegebenen bretoni-
schen Lai beruhen , ist die Sache so dargestellt , als
kennten sich die beiden bereits, ja ,der Befreier der Kaiserin
ist hier als ihr Geliebter gefasst und Liebe ist der Grund
seines Bemiihens um ihre Rettung, wohingegen die Be-
arbeitungen der ersten (spanisch-provenzalischen) Gruppe
die edle Tat aus Mitleid mit der unterdriickten Unschuld
hervorgehen lassen. * ! ) Es hat sich also in dieser Gruppe
eine vollstandige Liebesdichtung herausgebildet.
Mit Recht bemerkt Liidtke weiter (S. 122 f.), dass dies
nicht die eigentliche Fassung unserer Sage sein konnte.
Dieser musste es ja vor allem darauf ankommen, die Kaiserin
wie den Grafen vollstandig schuldlos gegenuber dem Ge-
mahl der Kaiserin hinzustellen. Dies ist. aber nach der
*) Liidtke, S. 123 f.
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw. 315
Auffassung dieser zweiten („bretonischen a ) Gruppe nicht
mehr der Pall, denn wir haben es hier offensichtlich mit
jenem bekannten D dreieckigen Verhaltnis" zu tun, das uns
besonders h&ufig in der Dichtung des 12. und 13. Jhdts.
entgegentritt, am haufigsten wohl in der provenzalischen
Literatur und gerade auch in den bretonischen Lais. Ware
diese Auffassung unserer Sage die ursprtingliche gewesen,
so h&tte sich, wie Liidtke (S. 122 f.) mit Recht betont, die
Dichtung gewissermassen in dem Punkte selbst widersprochen,
den sie doch uber alleZweifel hinauszuheben bedacht war:
„die gegen die Kaiserin Judith erhobene Anklage zielte ge-
rade darauf, dass dieselbe straflichen Umgang mit dem
Grafen Bernhard unterhalt, hingegen nahm die Dichtung
die Kaiserin wie auch den Grafen in Schutz. H&tte die
Dichtung den Grafen Bernhard aber als Geliebten der
Kaiserin hingestellt, so wiirde sie sich damit gegen das von
ihr angestrebte Ziel gerichtet haben, da unter solchen Urn-
standen jedermann geglaubt haben wiirde, dass an der
Sache doch etwas ware und die Kaiserin und der Graf
keineswegs ganzlich schuldlos dastanden*. Ich bin mit
Liidtke (S. 131) der Ansicht, dass diese neuc Auffassung
erst durch jenes in der englischen Romanze erwahnte lay
of Bretayn in die Sage hineingetragen worden ist 1 ) und
zwar erst in einer Zeit, „wo die zugrunde liegenden ge-
schichtlichen Ereignisse nicht mehr bekannt waren und wo
man sich des vorhandenen Stoffes als reinen Dichtungs-
stoffes bemachtigte und ihn willkiirlich zu andern unter-
nahm, indem man ihn durch romantische Zutaten zu ver-
schOnern trachtete."
Entgegen dieser Ansicht behauptet nun Calmette
l ) Jenes provenzalisohes Fragment, das Suchier (Denkmaler
der provenzalischen Literatur und Spraohe, Bd. 1, Halle 1883, S. 309
bis 311) als die alteste Bearbeitung der Bernhard- Judithsage be-
zeichnet (vgl. auoh Stimming, Geschiehte der provenzalischen
Literatur, in Grobers Grundriss II, 2, S. 5 f.), passt naoh der An-
sicht von G. Paris (a. a. O., S. 24 f., Anra. 1) wegen des leichten
Unterhaltungstones, der hier angesohlagen wird, recht wenig zu
den anderen Versionen unserer Lage.
21*
316 Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
(S. 107 f.), die „bretonische" Gruppe stelle die urspriingliche
Passung dar, sie baue sich unmittelbar auf den geschicht-
lichen Begebenheiten auf. Die Liebe zwischen Kaiserin
und Graf sei nicht erst in die Sage hineingetragen worden,
sondern schon von allem Anfang an drin gewesen. Die
katalanisch-spanische Fassung habe aus der geschichtlichen
Figur Bemhards zwei Personen gemacht, den Grafen von
Barcelona, der am Schluss als Befreier der Kaiserin auf-
tritt, und den „Liebhaber" der Furstin, (unter diesem Lieb-
haber versteht Calmette namentlich jenen Ritter in der
Fassung von Desclot, von dem sp&ter noch ausfiihrlich die
Rede sein wird), in der „bretonischen" Fassung dagegen
erscheine die Person Bernhards „in keiner Weis geteilt." l )
Calmette klammert sich, wie man sieht, mit seiner Be-
hauptung gerade an jenen Punkt an, den Liidtke so aus-
fiihrlich wie mttglich besprochen hat und den ich im Aus-
zug wiedergegeben habe. Ludtkes Worte liefern deranach
die beste Widerlegung von Calmettes Ansicht, der die
Liebesdichtung als das urspriingliche hinstellen will. Auf
einen Fehler in Calmettes Beweisfiihrung mdchte ich indes
noch eigens hin\veisen: Er spricht mit Bezug auf
die „bretonische" Gruppe von der „in keiner Weise ge-
teilten" Person Bernhards. Dieser Behauptung mOchte ich
entgegenhalten, dass auch in dieser zweiten Gruppe die
Furstin nicht wegen ihres Liebesverhaltnisses mit dem
Grafen, von dem niemand etwas weiss, zum Tode ver-
urteilt wird, sondern wegen vermeintlichen Ehebruchs mit
irgend einem anderen Manne. Von der „ungeteilten Person"
des Grafen Bernhard kann also auch in den Fassungen der
zweiten Gruppe nicht die Rede sein.
Calmette greift die Ausfuhrungen von Liidtke und da-
mit auch die von Paris an, ohne sie mit stichhaltigen
Griinden widerlegen zu k(5nnen. Er geht ubrigens so weit,
dass er erklart, es komme ihm nicht recht wahrscheinlich
l ) „In Aquitania vero, ut the Erl demonstrat, nullo pacto
Bernardi persona divisa est/'
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona U6W. 317
vor, dass die spanieche und die bretonische Gruppe auf
eine gemeinsame Quelle zuriickgingen. Ich glaube, jener
in beiden Gruppen vorkommende Zug, dass der Graf als
Mtfnch verkleidet bei der Kaiserin im Gef&ngnis erscheint,
deutet allein schon auf einen gemeinsamen Ursprung hin. —
Ich komme nun zuriick auf die Erklarung, welche
Liidtke fiir die von mir auf oben erw&hnte Abweichung
der Sage von den geschichtlichen Ereignissen gegeben hat.
Sie scheint mir nicht in alien Punkten das Richtige zu treffen.
Liidtke sagt u. a. : „Der Graf Bernhard, dem mit Recht
die Verteidigung der Kaiserin im Kampfe zufiel, musste ....
von jedem unerlaubten Verkehr mit Judith losgesprochen
werden." Das war nicht mehr als selbstverst&ndlich. Aber
war es dabei unbedingt notwendig die Sage so darzu-
stellen, als hatten sich die beiden uberhaupt nie vorher ge-
sehen ? War es nicht vielmehr auch mflglich, die Geschichte
so zu gestalten, als habe die Kaiserin an dem Grafen —
fthnlich wie jene bekannte Grftfin von Savern an dem ge-
treuen Fridolin — nur ein unschuldiges, harmloses Wohl-
gefallen gehabt, das ihr von ihren Feinden absichtlich
falsch gedeutet worden sei? Konnte nicht der Graf im
Gottesgerichtszweikampf vor aller Welt seine und seiner
Herrin Unschuld kundtun? Das ware jedenfalls eine Auf-
fassung gewesen, die den tatsachlichen Begebenheiten be-
deutend naher gestanden ware!
Die Ehre der Kaiserin wie des Grafen hatte auch in
einer solchen Auffassung nicht Schaden gelitten. Es konnte
wohl geschehen, dass die Piirstin arg verleumdet und des
Ehebruchs mit dem Grafen bezichtigt wurde; reinigte sich
indess der Graf durch gerichtlichen Zweikampf von der
Anklage, so war diese in sich zusammengefallen und niemand
durfte es fortan noch wagen die Beschuldigung aufrecht
zu erhalten. Schon Karl der Grosse hatte mit Bezug auf
die Gottesgerichte bestimmt : „ Ut omnes iuditium Dei
credant absque dubitatione" 1 ) Ich glaube es hatte tibrigens
! ) Capitulare Missorum Aquiagranense primum, oap. 20. M. G
318 Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona ubw.
einer solchen Bestimraung nicht einmal bedurft: denn das
Mittel alter war von der Giiltigkeit der Gottesurteile so fest
iiberzeugt, dass nach bestandenem Ordal jede Anklage
ohne weiteres verstummte. Erst in einer Zeit, wo das
Mittelalter diesen seinen naiven Sinn allmahlich verlor
und den in den einzelnen Dichtwerken geschilderten Be*
gebenheiten gegeniiber einen etwas kritischeren Stand-
punkt einnahm, konnte eine Auffassung eintreten, welche
dem Gottesgericht doch nicht mehr ganz unbedingten
Glauben beirnass ; vielleicht dass man in einer solchen Zeit
mit Bezug auf unsere Geschichte trotz des bestandenen
Zweikampfes doch noch weiter an die Schuld der Kaiserin
und des Grafen geglaubt hatte. Einer solchen Auffassnng
indes stand jene Zeit, in der wir uns die Entstehung jenes
von Ltidtke angenommenen Geschichte zu denken haben,
etwa die Wende des 12. und 13. Jhdts., noch fern.
Wie ist aber dann nun jene Auffassung entstanden,
dass der Graf die Kaiserin nicht kennt, aber doch aus
weiter Feme zu ihrer Befreiung herbeieilt? Wir werden
diese Frage wohl am ehesten dann lGsen konnen, wenn wir
uns dariiber klar geworden sind, wie die von mir ange-
nommene urspriingliche Fassung der Bernhard-Judithsage
ausgesehen haben muss.
Diese urspriingliche Fassung baut sich meiner Ansicht
nach unmittelbar auf den historischen Ereignissen auf:
In jener Zeit, als Judith als Angeklagte vor der Reichs-
versammlung zu Aachen (Februar 831) stand und sich von
den gegen sie erhobenen Anschuldigungen reinigen musste,
befand sich der mit ihr des Ehebruchs angeklagte Bernhard
in der spanischen Mark 1 ); erst ein halbes Jahr sp&ter er-
schien er auf dem Reichstag zu Diedenhofen und liess dort
seine Herausforderung zum Zweikampf ergehen. Dass sich
die beiden Reichsversammlungen in der Ueberlieferung
des Volks leicht zu einer verschmelzen konnten, ja nahezu
Leg. Sectio II. Tom. I, p. 160.— , F. Majer, Geschichte der Ordalien,
Jena 1795. S. 32.
l ) Vgl. Simeon I, S. 346; II, S. 13.
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona uaw. 319
mussten, hat bereits Liidtke (S. 101 f.) des naheren dar-
getan. War einraal diese Verschraelzung vollzogen, dann
lautete die Ueberlieferung folgendermassen: AufdieKunde
von der gegen die Kaiserin (und damit auch gegen ihn
selbst) erhobenen Anklagen eilte Bernhard aus der spanischen
Mark nach Deutschland, um in gottesgerichtlichem Zwei-
kampf seine und seiner Herrin Unschuld zu verfechten,
was ihm denn auoh durch den Sieg uber seine Gegner
gelang.
So lautete offenbar die ursprungliche Passung unserer
Sage, die sich wohl gleich ira Anschluss an die geschicht-
lichen Ereignisse in den von Bernhard regierten L&ndern,
also in Septimanien und in der spanischen Mark, gebildet
hat; man wird zugeben miissen, dass sie gegeniiber
der von Liidtke angenommenen urspriinglichen Fassung
den Vorzug der grtfsseren Einfachheit und damit den der
grdsseren Wahrscheinlichkeit fur sich hat,
Lassen sich nun vielleicht Beweise dafur beibringen,
dass diese von mir angenommene ursprungliche Fassung
unserer Sage tats&chlich existiert hat?
Ich glaube diese Frage entschieden bejahen zu kdnnen.
Unverkennbare Spuren dieser urspriinglichen Fassung finden
sich sogar noch in einer Version unserer Sage, welche in
ihren Hauptzilgen bereits die auf S.311 f. charakterisierte neue
Auffassung zeigt, ich meine damit die Cronica del Rey
en Pere des Catalanen Bernart Desclot (geschrieben um
1300) 0, welche Liidtke (S. 78) als die alteste Version der
Sage von dem Grafen von Barcelona und die Kaiserin
von Deutschland bezeichnet.
In dieser Chronik (cap. 7 ff.) wird uns erzahlt, dass
am Hof des Kaisers von Deutschland ein junger Ritter
lebt, von edler Abstammung und von grosser Tiichtigkeit.
Die junge Kaiserin findet an ihm harmloses Wohlge-
fallen, ohne sich dabei von btfser Absicht leiten zu lassen
l ) S. bei Buchon, Chroniques Strangeres. Paris 1860, S. 577
bis 582.
320 Steinberger, Sage rom Graf en von Barcelona usw.
Zwei im Dienst des Kaisers stehende Rathsherrn bemerkeh
dies und aus Neid und Missgunst (vermutlich gegen den
Ritter) klagen sie die Kaiserin des Ehebruchs mit dem Ritter
an. Der Kaiser, heftig erziirnt, lasst seine Gemahlin irotz
ihrer Unschuldsbeteuerung ins Gefangnis werfen und zum
Tode verurteilen. Der Schluss der Geschichte entspricht
dem der iibrigen Fassungen. Der Graf von Barcelona tritt
fur die Verurteilte ein.
Man fragt nun rait Bezug auf den Bericht in Desclots
Chronik mit Recht: Warum tritt denn nicht anstatt des
Grafen von Barcelona jener edle Ritter, mit dem die Furstin
des Ehebruchs bezichtigt ist, fur seine und seiner Herrin
Unschuld ein? Warum hort man im weiteren Verlaufe der
Erzahlung so gut wie gar nichts mehr von ihm? Zweifellos
hat er die Kaiserin im Stich gelassen, und doch preist sie
ihn noch im Kerker dem Grafen von Barcelona gegenuber
als einen edlen Ritter, dem sie seiner grossen Tiichtigkeit
halber sehr gewogen gewesen sei! 1 ) Wie reimt sich nun
das alles zusammen?
Weder Ludtke noch Paris beschfiftigen sich mit der
Person dieses Ritters ; Calraette (S. 107) sieht mit Recht in
ihm den Grafen Bernhard und kniipft daran seine bereits
schon erwahnte Behauptung, dass in den katalanisch*
spanischen Versionen die Figur Bernhards „geteilt a erscheint.
Auf die Frage indes, warum die Spanier aus dem historischen
Bernhard zwei Personen gemacht haben sollen, gibt er uns
nicht weiter Antwort.
Auch mir erscheint es nicht zweifelhaft, dass jener Ritter,
dessen Tiichtigkeit so hoch gepriesen wird, kein anderer
ist als der Graf Bernhard von Barcelona. Nicht bloss die
Tatsache, dass es ein Ritter des Hofes ist, dem die Kaiserin
gewogen ist, son dem auch die ganze Schilderung des Ritters
spricht fur diese Identifizierung. Von jenem cavalier heisst
*) Vgl. Buohon, S. 679: Be es ver que hnn cavalier havia en
la cort del emperador, moll prous e agradable en tots sos fets> el
de gran linatge. E per la pro/tea que en el era, certes, amaval molt,
sens mat entenimenL
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona uew. 321
es, er sei von hoher Abkunft und von grosser Tapferkeit
gewesen. Bernhards hohe Abkunft wird uns von fast alien
gleichzeitigen Quellen bezeugt; durch seine Grossmutter Alda,
die Schwester Pippins des Kleinen, war er mit detn karo-
lingischen Hause selbst verwandt. 1 ) Seine Tapferkeit hatte
er insbesondere w&hrend des Gotenaufstandes unter Aizo
827 s ) aufs glanzendste bewiesen, undeben wegen dieser seiner
Tapferkeit und Tatkraft erfreute er sich des besonderen
Wohlwollens der Kaiserin und wurde auf ihre Veranlassung
hin an den Hof berufen.
Die Version des Desclot spiegelt unstreitig zwei Auf-
fassungen unserer Sage wieder, die von mir angenommene
urspriingliche Fassung und die daraus entstandene, mit
romantischen Ziigen bereicherte neue Fassung, die wir in
alien anderen Versionen unserer Sage finden. Beide Auf-
fassungen k^mpfen noch gwissermassen miteinander, doch
ist die urspriingliche Fassung bereits dem Unterliegen nahe.
Wir haben hier eine Erscheinung vor uns, die in der mittel-
alterlichen Literatur ziemlich haufig ist: in manchen Dich-
tungen lassen sich, selbst dann, wenn sich eine neue Auf-
fassung schon Bahn gebrochen hat, die Spuren einer frilheren
Auffassung noch mehr oder weniger deutlich erkennen. 3 )
Ich glaube mit Bestimmtheit annehmen zu diirfen, dass
in der urspriinglichen Fassung der Lage jener cavalier,
der eben kein anderer als Bernhard ist, seiner geriihmten
Tapferkeit auch Bhre gemacht und selbst durch Gottes-
gerichtszweikampf seine und seiner Fiirstin Unschuld ver-
teidigt hat. Als sioh aber sp&ter — vermutlich auf Grund
jenes von Liidtke angenommenen Gedichtes vom „ Comes
Tolosanus (et Barcinonensis)" — jene neue Auffassung heraus-
l ) Vgl. Thegan, cap, 36. (M. G., SS. II, S. 597): gut erat de stirpe
regali, vgL auch Calmette, S. 14.
*) Simeon I, S. 333.
*) Ioh brauohe hier bloss auf unser Nibelungenlied hinzu-
weisen, wo es in der 7. Aventiure beiest, dass Brunbild Siegfried
wie einen alten Bekannten begriisst — iweifellos ein Naobhall der
frliberen Fassung der Sage.
322 Steinberg er, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
bildete, nach der der Graf von Barcelona die Kaiserin gar
nicht kennt, aber doch aus weiter Perne zu ihrer Rettung
herbeieilt, musste notwendigerweise die Figur jenes ver-
meintlichen Liebhabers der Piirstin verblassen. Bei Desclot
erscheint sie uns noch einigermassen charakterisiert, aber
gerade diese Charakterisierung hat den Erfolg, dass man
sich auf den ersten Blick tiber diesen Cavalier ebensowenig
klar wird wie iiber jenen Herrn von Olive im deutschen
Volksmarchen von Hirlanda von Bretagne. Die spanische
Romanze El Conde de Barcelona y la Emperatriz de Ale-
mania x ) charakterisiert jenen camarero, mit dem die Kaiserin
des Ehebruchs beschuldigt wird, iiberhaupt nicht mehr
naher; imraerhin lasst sich aber, wie auch Calmette erkannt
hat, hier ebenfalls noch ein Nachhall der tatsfichlichen Be-
gebenheiten erkennen ; denn Bernhard von Septimanien war
bekanntlich K&mmerer am kaiserlichen Hof. In den spateren
spanischen Versionen wird iiberhaupt jener Person nicht
weiter gedacht, mit der sich die Piirstin vergangen haben soil.
Auch die auf jenes lay of Bretayn zuriickgehenden
Fassungen unserer Sage haben in dieser Beziehung gar
nichts mehr an sich, was auf jene von rair angenommene
urspriingliche Fassung hinweisen ktfnnte; im Gegenteil, sie
haben gerade in dieser Hinsicht ein neues Motiv hereinge-
bracht, das des unterschobenen Liebhabers, das aus den
Sagen von Octavian, Sibille und Genoveva genugsam be-
kannt ist.*) Es handelt sich hier ftir die Gegner nur darum,
dass die Furstin auf dem Ehebruch uberrascht worden sei;
wer ihr vermeintlicher Geliebter ist, spielt weiter keine Rolle.
Spuren jener ursprunglichen Passung der Judith-Bern-
hardsage glaube ich auch in zwei mittelalterlichenDichtungen
zu finden, auf die ich teils durch eine Bemerkung von G.
Paris (a. a. 0, S. 8f. Anm. 3) teils durch eine solche von F.
J. Child aufmerksam ge worden bin.
l ) Vgl. Liidtke, S. 173.
') Eine grilndliche Zusammonstollung jener Sagen, wo dieses
Motiv verwendet ist, gibt G. Paris a. a. 0., S. 12 f., Anm. 1.
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona uaw. 323
In dem katalanischen Abenteuenroman Curialy Guelfa, 1 )
der aus dem 15. Jhdt. stammt, findet sich in Buch I, Kap.
13ff. die Geschichte einer unschuldig verfolgten Frau, welche
hier eine Herzogin von Oesterreich genannt wird. Sie wird
von zwei Rittern des Ehebruchs mit dem Grafen Jakob
von Cleve, der gerade auf einer Pilgerreise nach St. Jago
begriffen ist, beschuldigt und auf diese Anklage hin zum
Feuertod verurteilt, wenn nicht zu einer bestimmten Zeit
ein Kampfer im Verein mit noch einem anderen fur sie
eintritt. Sie schickt Boten an Jakob, damit er komme und
ihrer beider Unschuld beweise. In Casal erreichen ihn diese
Boten und Curial, ein junger Ritter im Dienste des Mark-
grafen von Montferrat, bietet sich ihm als Begloitor an. Der
Schluss der Geschichte ist leicht zu erraten: Die beiden
Verleumder werden im Zweikampf, der vor dem Kaiser
stattfindet, liberwunden und der eine von ihnen gesteht,
er habe aus Hass gegen Jakob die Herzogin verloumdet.
Gaston Paris, der treffliche Kenner mittelalterlicher
Literatur, bemerkt zu dieser Geschichte (S. 9): „Le fait
qu' il y a deux accusateurs, et que, si la femme calomntee
n'est pas V imp&ratrice, la scfene se passe k la cour de
T empereur, ne permet pas de douter que V auteur de
< Curial y Guelfa* ait eu pour modfele urn r^cit apparent^
aux autres r^cits de notre groupe Catalan.** Unter dieser
katalanischen Gruppe versteht er natiirlich die Versionen
von Desclot, Carbonell, Beuter usw., in denen indes der
Retter die angeklagte Fiirstin vorher noch nie gesehen hat.
In unserer Geschichte aber tritt Jakob von Cleve fur
die Herzogin ein und beweist durch seinen Sieg sowohl
ihre wie auch seine Unschuld. Die Dingo liegen also hier
wesentlich anders als in der katalanisch-spanischen Gruppe;
dagegen deckt sich unsere Geschichte — wenigstens in
ihrem Kern — vollstandig mit jener urspriinglichen Fassung
der Judith-Bernhardsage, so wie ich sie obon angenommen
l ) Curial y Guelfa, Novela catalana del quiuzen segle. Herausg.
von Antoni Rubi6 y Lluch. Barcelona 1901. S. 23 ff.
324 Steinberger, Sage Tom Grafen von Barcelona usw.
habe. Dass die angeklagte Fiirstin nach einem Ritter aus-
schickt und in erster Linie nach jenem sendet, der am
meisten im stande scheint ihre Unschuld su beweisen, ist
ein Motiv, das sich auch sonst noch Gfters in der mittel-
alterlichen Literatur findet. 1 ) Vielleicht war es bereits in
der Ueberlieferung, die sich fiber Judith und Bernhard ge-
bildet hatte, vorhanden; lag es ja dooh nahe anzunehraen,
dass die angeklagte Judith zu ihrer Rechtfertigung den
mitangeklagten Bernhard herbeigerufen habe I
Meines Wissens wird in der Geschichte von keiner
Herzogin von Oesterreich berichtet, dass sie des Ehebruchs
mit einem Grafen von Cleve beschuldigt worden sei. Nur
jener katalanische Abenteuerroman aus dera 15. Jhdt. er-
zahlt uns davon ; dilrfen wir nun da nicht annehmen, dass
die ganze Geschichte katalanischen Ursprungs ist? In jenen
Gegenden hat aber auch die Sage vom Grafen von Barcelona
und von der Kaiserin von Deutschland ihre Wurzeln, Was
die Namen Herzogin von Oesterreich und Graf von Cleve
betrifft, so tun sie gar nichtszur Sache; man weiss ja, dass
in der mittelalterlichen Dichtung die Namen fur die ein-
zelnen Personen mflglichst weither geholt wurden; von je
weiter her sie waren, desto romantischer sahen sie aus. In
ihrem Kern geht unsere Geschichte zweifellos auf jene
Volksiiberlieferung von Judith und Bernhard zurtick, von
der noch weiter unten die Rede sein wird.
Noch eine andere mittelalterliche Dichtung scheint mir
in ihren Grundziigen mit der von mir angenommenen ur-
sprunglichen Fassung der Judith-Bernhardsage tibereinzu-
stimmen; auf diese zweite Dichtung hat mich, wie bereits
bemerkt, eine kurze Bemerkung des trefflichen Forschers
F. J. Child geftthrt.
Child, der im 2. Band seines Werkes*) auch auf die
verschiedenen Bearbeitungen der Judith-Bernhardsage ein-
geht, kommt dabei nattirlich auch auf die Fassung der Sage
') Vgl. zu B. gerade die „bretonisohe a Gruppe unserer Sage*
«) The English and Scottish Popular Ballads. Teil 3. Boaton
1885. S. 43.
Steinbergor, Sage vom Grafen von Barcelona usw. 325
bei Desclot zu sprechen. Bei Erwahnung der Tatsache, dass
die Kaiserin einem Ritter des Hofes gewogen ist, meint er
beil&ufig: „This recalls Morant in «Karlmeinet» and in La
Gran Conquista de Ultramar*, geht aber nicht weiter auf
die Frage ein, ob nicht die von ihm erwahnten Dichtungen
iiberhaupt mit der Sage vom „ Comes Tolosanus et Barcinon-
ensis" zusammenhangen kdnnten.
Mit der oben erwahnten Bemerkung spielt Child auf
jene Episode in den beiden genannten Dichtungen an, der
man wohl am besten die Ueberschrift „Morant und Galiene"
geben kOnnte ; vielleicht hat jene den beiden Dichtungen
zu grunde liegende altfranzflsische Chanson de Geste diesen
Namen gefuhrt. Wahrend nun die spanische Gran Con-
quista de Ultramar nur eine ganz kurze und dazu auch
sehr unklare Inhaltsangabe der Sage von Morant und Galiene
gibt, 1 ) fuhrt uns die im Karlmeinet enthaltene Passung
die ganze Sage vor Augen.
Die notwendige Voraussetzung dieser Sage von Morant
und Galiene bildet die Sage von Mainet, deren Inhalt ich
des besseren Verstandnisses halber in kurzen Ziigen angeben
will.
Karl der Grosse ist von semen Stiefbrtfdern Heudri (Hoderich)
und Rainfroi (Haenfrait) aus seinem vaterlichen Erbe verjagt worden.
Mit wenigen Getreuen gelangt er naoh Spanien, findet dort Auf-
nahme am Hofe des Heidenkonigs Galafers (unter dem der gesohicht-
liobe Waifar zu verstehen ist), tut sich in Turnieren und Kampfen
in gleich rUhmlioherWeise hervor undgewinnt dieLiebe der schonen
Konigatoohter Galiene. Sobliesslioh gelingt es ihm in sein Vater-
land zurQckzukehren und die VerrSter zu Uberwinden; Galiene ent-
flieht dem vaterlichen Hause, empfangt die Taufe und wird Karls
Gonmhlin.*)
* *
l ) Vgl. hiezu Ferd. Wolf, Uber die beiden wiederaufgefundenen
niederlandischen Volksbiicher von der Konigin Sibille und von Huon
do Bordeaux, in „Denksohriften der kais. Akad. der Wissensohaften,
phil.-hiat, Klaese." Bd. VIII. (Wien 1857.) S. 280.
*) In den angegebenen Ziigen stimmen fast alle Versionen dor
Maiaetsage miteinander u herein mit Ausnahme der Version in der
Chronica general de EspaTta, vgl. Gaston Paris Histoire poetique
de Charlemagne. Paris 1866. S. 233 ff.
326 Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona uaw.
Als einer der getreuesten Anhanger des jungen Karl
erscheint in einer Reihe von Mainetversionen der Graf Morant
von Rivifere, eine Art Meister Hildebrand. Nach einer
spanischen und einer italienischen Version 1 ) hat ihm Pippin
der Kleine die Erziehung seines Sohnes Karl (ibertragen.
Morant begleitet Karl auf seiner Flucht nach Spanien und,
als dieser wieder nach Prankreich zuruckgekehrt ist, bringt
erihm — wenigstens nach den beiden spanischen Versionen 2 )
— die schtfne Galiene unter grossen Gefahren nach St. Denis.
Dieser Morant erscheint nun auch als eine der Haupt-
personen in dem Gedicht von ,Moraut und Galiene," das
in jene grosse, unter dem Namen Karlmeinet bekannte
Kompilation 8 ) Aufnahme gefunden hat. Jenes Gedicht von
Morant und Galiene geht, wie bereits bemerkt, auf eine
altfranztfsische Quelle zuriick und hat in seinen Hauptziigen
den folgenden Inhalt:
Die Konigin Galiene ist dem getreuen Morant seiner TUchtig-
keit 4 ) wegen von Herzen gewogen und zeiohnet ihn durch ehren-
volle Geschenke aus; doch ist ibre Neigung zu ihm, ahulich wie in
dem Bericht des Desolot, vollig harmloser Art. Ein Ritter des Hofes,
Rohart von der Normandie, der sohon seit langerer Zeit den allge-
mein beliebten Morant nasst, bemerkt dies mit Neid und stiftet
zwei seiner Freunde, Hertwioh und Fuokart von Berrien, an, den
Grafen Morant des Ebebrucbs mit der Konigin zu bezichtigen. Ob-
gleicb sowohl Galiene wie Morant ihre Unsobuld beteuern, werden
beide ins Gefangnis geworfen. Nur durob einen gerichtlioben Zwei-
kampf kann Morant seine Unsobuld und die der Konigin dartun;
vermag er das nicbt, dann sollen beide verbrannt werden. Es ge-
lingt ibm im Zweikampf seinen Verleumder Rohart zu tiberwinden
und damit seine und seiner Herrin Unsobuld zu beweisen. Der
Konig steht beschamt ob seiner Leiohtglaubigkeit und setzt sowobl
seine Gemahlin wie aucb den treuen Morant wieder in ihre Recbte
ein ; die drei Anklager aber werden auf grausame Weise hingericbtet.
Ich habe die Erzahlung nur in ihren Grundziigen mit>-
geteilt, weil mir der aussere Aufputz, den sie erfahren hat,
') La Gran Conquista de Ultramar und /. Reali di Francia.
8 ) Cronica general und Gran Conquista.
') Auegabe von A. v. Keller, Stuttgart 1858. Vgl. K. Bartsch,
Uber Karlmeinet, NUrnberg 1861.
4 ) Vgl. Keller a. a. 0., 8. 359 f., Vers 230, 65 ff. und 237, 1 ff.
Steinberger, Sage vom Grafen Ton Barcelona usw. 327
ziemlich belanglos erscheint. Man wird mir zugeben, dass
auch diese Sage in ihrem Kernpunkt rait der urspriinglichen
Fassung der Judith-Bernhardsage iibereinstimrat. Ein edler
Ritter, der sich des Wohlwollens seiner Fiirstin erfreut,
wird des Ehebruchs mit derselben angeklagt, beweist aber
selbst durch gottesgerichtlichen Zweikampf seine und seiner
Henrin Unschuld.
Besteht nun ein naherer Zusammenhang zwischen den
Personen, die uns in „Morant und Galiene" gegeniibertreten
und jenen, welche wir aus der Geschichte kennen? War
es mCglich, dass den historischen Personlichkeiten durchaus
sagenhafte substituiert werden konnten?
Die Frage ist dadurch am leichtesten zu lttsen, dass
wir uns dariiber klar zu werden versuchen, wie wohl die
Dichtung von Morant und Galiene entstanden ist.
Es ist ein bekannter Zug in den mittelalterlichen Dich-
tungen, von jenen Helden und Heldinnen der Sage, die
einmal eine gewisse Volkstiimlichkeit erlangt haben, immer
wieder etwas neues zu erzahlen. Hatte z. B, ein Gedicht
den Helden im reiferen Mannesalter geschildert, so berichtete
ein anderes spateres von seinen Jugendtaten, wieder ein
anderes von seiner letzten Lebenszeit. In der altfranzosischen
Heldendichtung lasst sich dieser Zug wohl am besten be-
obachten, und hier besonders wieder sehr gut an den Dich-
tungen, die von Roland handeln: den Ausgangspunkt bildet
jenes Gedicht, das uns den Tod des Helden erzahlt; so
und so viele Dichtungen schliessen sich an und berichten
von Rolands Kindheit, von seinen Jugendtaten, von seinem
ersten Zusammentreffen mit Olivier und Alda usw.
Die Dichtungen liber Mainet nun scheinen sich, wie
die zahlreichen Versionen bezeugen, ebenfalls grosser Be-
liebtheit erfreutzu haben; schilderten sie ja doch die Jugend-
zeit des grttesten Herrschers, der je auf dem franzosischen
Thron gesessen! Es war indes auch erkl£rlich, dass sich
neben dem Helden selbst das Hauptinteresse in diesen Dich-
tungen auf jene schGne Heidenprinzessin konzentrierte, die
Mainet schliesslich zu seiner Gemahlin und zur Konigin
328 Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
yon Prankreich erhoben hatte. Kein Wunder also, dass
sich irgend ein Dichter daran machte, auch iiber sie etwas
neues zu berichten.
Was aber war iiber die sp&teren Schicksale der Heiden-
fiirstin am frankischen Hofe zu erzfihlen?
Galiene war eine auslandische Prinzessin. Gab es nun
unter Karls historischen Gemahlinnen keine, die den Franken
als Auslftnderin erschienen ware? Wir denken naturlich
sofort an jene uns ihrem Namen nach nicht bekannte Tochter
des Langobardenkdmgs Desiderius, die Karl — man weiss
nicht genau auswelchen Griinden 1 ) — nach kaum einj&hriger
Ehe verstiess und ihrem Vater zuruckschickte.') Die Er-
innerung an die verstossene Langobardin blieb wohl noch
lange im Volke haften und gewiss empfand man Mitleid
mit der Ungliicklichea, die sich ihrem Gemahl gegeniiber
nicht das Geringste hatte zu schulden koramen lassen. )
Mit der Verschmelzung dieser beiden Figuren, Galienes
und jener Langobardenprinzessin, zu einer war der Richt-
punkt fur die Dichtung gegeben: Galiene sollte in ihrem
sp&teren Leben von Seiten ihres Gemahls ungerechte Ver-
folgung zu erleiden haben.
Indes boten die Schicksale jener Langobardin an und
fUr sich nicht gerade reichlichen Stoff zu dichterischer Aus-
gestaltung; sie wurde unverdienterweise verstossen — das
war alles, was man von ihr wusste. Bekanntlich haben
sich auch andere Dichter ihrer Person bem&chtigt und sie
als KOnigin Sibille 4 ) zum Mittelpunkt einer ausgedehnten
l ) Vgl. Einhard, Vita Karoli, oap. 18 (M. G. t SS. II, 453).
*) Ferd. Wolf (Uber die beiden wiederaufgefundeneu Volk6-
biicher S. 279) nimmt e ben falls als Urbild Galienes jene Lango-
bardenprinzessin an, sohon deshalb weil er Galiene und Sibille mit
einander fUr identisoh bait, naheres s. unten.
•) Vgl. Vita Adalhardi, cap. 7 (M. G., SS. II, 525): sine ali-
quo crimine.
*) In der Gran Conquista heisst es, Halia (= Galiene) sei unter
dem Namen Sibille getauft word en. Ferd. Wolf (Ueber die beiden
wiederaufgefundenen Volksbticher, S. 280) zieht daraus den Schluss,
dass Galiene uud Sibille miteinander identiseh seien. was m einer
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona ubw. 329
Sage gemacht. Die Phantasie jener Dichter lasst die un-
gltickliche Sibille nach ihrer Verstossung in der Welt um-
herwandern und viele Miihsale erleben, bis sie endlich
wieder zu ihrera Gatten, der sein Unrecht eingesehen hat,
zuriickkehrt. Diese Phantasie nun besass jener Dichter,
der Galienes weitere Schicksale erzahlen wollte, offenbar
nicht. 1 )
Galiene sollte als unschuldig verfolgte Prau dargestellt
werden; mit den Schicksalen der Langobardin war nicht
viel anzufangen — da kam ihm glucklicherweise die Volks-
iiberlieferung zu Hilfe, die von einer anderen karolingisohen
Piirstin aus ungefahr derselben Zeit zu berichten wusste,
Ansicht nach entschieden zu viel gesagt sein dUrfte. Mir kommt
es vor, als habe der spanische Kompilator, dem auch die Sibillen*
sage bekannt war, selbst erst diese Identifizierung bergestellt. In
einem Punkt ahnelten sich die beiden Sagen allerdings, denn jede
von beiden stellt eine unschuldig verfolgte Frau dar. Das ist aber
auch alles; die Aehnlichkeiten, welche Bartsch (a. a. 0., S. 28) anfUhrt,
sind so rein ausserlicber Art, dass sie nicht in Betracht kommen
konnen, und selbst zugegeben, dass es Aehnlichkeiten sind, so
konnen sie ja aus der einen Sage in die andere hinilbergenommen
worden sein; es gibt genug Beispiele dafiir, dass sich die Sagen
von der unschuldig verfolgten Frau gegenseitig beeinflusst haben.
Bartsch, der sich ja wohl der oben geaussorten Ansicht von F. Wolf
angeschlossen hat, scheint mir doch ein wenig skeptisch beziiglich
jener Identitat gewesen zu sein, sonst wiirde er nicht mit Beziehung
auf die von ihm angefiihrten Aehnlichkeiten sagen: „Das sind aber
alle Ztige. die sich vergleichen lassen; im Ubrigen gehen die Dar-
stellungen weit auseinander und weisen hochstens auf einen ge-
meinsamen Kern, der sich abor nach verschiedenen Richtungen
bin sowohl in der Prosa wie im Gedioht bereits sehr entwickelt
hat." Dieser gemeinsame Kern ist eben in der Geschichte jener
verstossenen Langobardin zu suchen. Pio Rajna(Le Origini dell'Epo-
pea Francese. Turin 1884, S. 183) will allerdings die Geschichte
jener Langobardin nicht mehr als Grundlage der Sibillensage gelten
lassen, durfte aber mit dieser Behauptung doch etwas zu weit gehen.
>) G. Paris (Hist. Po6t., S. 388) fa*llt Uber das Gedicht von
Morant und Galiene das folgende scharfe Urteil: »Cette historiette
sans aucun int^r^t n*a d'autre merite que sa brievet^. Elle est
traduite d'un poeme frangais . . . . et on peut ne pas regretter la
perte de cette production plus que faible.
MUncbeoer Museum f. Philologie des MA. I. 3. 22
330 Steinberg er, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
class sie ungerechterweise des Ehebruchs mit einem Ritter
des Hofes bezichtigt, aber von diesem selbst durch gottes-
gerichtlichen Zweikampf vom Tode errettet worden sei.
Vielleicht kannte das Volk in jener Zeit und in jener Ge-
gend, in welcher unser Dichter sein Werk niederschrieb,
den Namen jener so schwer verfolgten Fiirstin gar nicht
mehr; es war aber sicher keine andere als jene vielge-
priesene und zugleich auch vielgeschmahte Judith. Die
mannigfachen Verfolgungen, die sie infolge der gegen sie
geschleuderten Anklagen zu erdulden hatte, boten reich-
lichen Stoff zu dichterischer Gestaltung. Unser unbekannter
Dichter fuhlte das wohl auch und so libertrug er Judiths
Schicksale auf seine Galiene, die ihrerseits — wenigstens
ausserlich — wieder etwas durch die Figur jener Lango-
bardin beeinflusst erscheint.
Schwieriger erscheint es Morant von Rivi&re zu Bern-
hard von Septimanien in irgendwelche Beziehung zu setzen.
In den meisten Mainetversionen tritt Morant, wie schon er-
w£hnt, als Mentor des jungen Karl auf. Die Tatsache
nun, dass jener Dichter von ^Morant und Galiene a den alien
Freund Karls als vermeintlichen Liebhaber der jungen Ko-
nigin erscheinen lasst, zeigt uns zur Geniige, dass es wahr-
lich kein erstklassiger Poet war, der es unternahm, uns
Galienes weitere Schicksale vor Augen zu fiihren; der Fall,
dass eine junge Fiirstin mit einem alten Kriegsmann ihres
Gemahls des Ehebruchs beschuldigt wird, diirfte in der
mittelalterlichen Literatur, die den „ Tristan" geschaffen hat,
wohl ziemlich vereinzelt dastehen. Unser Dichter scheint
ubrigens diese Unwahrscheinlichkeit zum Teil selbst gefuhlt
zu haben: erbemiiht sich gelegentlich seinen Morant junger
darzustellen, als man ihn sich eigentlich denkt; sein ganzes
Auftreten ist nicht das eines alten „Meisters Hildebrand a
und am Schluss des Gedichtes wird ihm sogar die Hand
der jugendlichen Florete, Galienes Freundin, zuteil. Dabei
aber kann es unser Dichter doch nicht unterlassen, auf
Morants fruhere Taten hinzuweisen : wie dieser von der
gegen ihn erhobenen Anklage hflrt, gemahnt er den KOnig
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw. 331
an die Dienste, die er ihm seit dessen friihester Jugend ge-
leistet hat; er habe ihn gerettet vor dem Hass Hoderichs
und Haenfraits, habe Frankreich mit ihm durchstreift und
ihn anGalafers' Hof gebracht; dass Galiene seine Frau ge-
worden sei, habe er ihm, dem geireuen Morant zu danken. 1 )
Dieser letztgenannte Punkt, den Morant fur sich ins
Treffen fuhrt, war wohl fur unseren Dichter massgebend,
diesem alten Morant von Riviere die Rolle des vermeint-
lichen Liebhabers der jungen Konigin zu iibertragen; iiber
die sich daraus ergebenden handgreiflichen Unwahrschein-
lichkeiten setzte er sich eben, so gut es ging, hinweg.
Gerade aus der Tatsache, dass unser Dichter sich so
sehr an jenen einzigen Punkt anklammerte, mCchte ich den
Schluss ziehen, dass es ihm unbedingt darum zu tun war,
irgend einen Ritter von Karls Hof ausfindig zu machen,
mit dem die K5nigin des Ehebruchs beschuldigt werden
konnte. Der Richtpunkt fur die Gestaltung von Galienes
weiteren Schicksalen war, wie ich bereits oben nachzuweisen
suchte, durch ihre Identifizierung mit jener Langobardin
gegeben; die weitere Grundlage bildeten die Schicksale
Judiths; es handelte sich also auf diese Weise nur noch
darum, fur Bernhard eine halbwegs entsprechende Persftn-
lichkeit aus der im Mainet behandelten Vorgeschichte ein-
zusetzen, und so musste eben der alte Mentor Morant wohl
oder iibel diese fur ihn an sich so wenig passende Rolle
iibernehmen.
Eine ganz schwache Beziehung zwischen dem Morant
der Sage und dem historischen Bernhard liesse sich vielleicht
durch folgendes herstellen: Morant erscheint als derBanner-
l ) Vgl. Keller a. a. 0., S. 363 ff., Vers 239, 11 ff. - Dass Morant
die Heidenprinzessin seinem Herrn zugeflihrt babe, ist allerdings in
unserm Gedicht nicht zu lesen. Entweder hat sich dieser Zug in
unserer Fassung nioht erhalten, oder er stand in der franzosischen
Quelle und der Kompilator hat ihn ausgemerzt, weil er dadurch in
Widerspruch geraten ware mit dem ersten Teil seiner Kompilation,
wo Morant duroh David ersetzt ist. Naheres dariiber siehe Bartsch
a. a. 0-, S. 24 ff.
22*
332 Stein berger, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
trager des Ktfnigs. Von Wilhelm, dem Vater Bernhards,
heisst es in einer zeitgentissischen Quelle, 1 ) er sei primus
signifer des K5nigs gewesen. Dass Berahard dieselbe Stelle
bekleidet habe, ist uns allerdings nirgends liberliefert; viel-
leichl hat er sie aber doch innegehabt und eine Reminis-
zenz daran fande sich dann in unserem Oedichte.
Sei dem wie dem wolle, in ihrera Kern stimrat die Sage
von Morant und Galiene mit der geschichtlichen und all-
ra&hlich immer mehr sagenhaft ausgestalteten Ueberlieferung
von Judith und Bernhard tiberein. Dass der Dichter die
Sage mit verschiedenen freradartigen Ziigen ausstattete —
ich denke hier z.B. an die Verkleidung Morants alsPilger 2 ) —
kommt fiir uns gar nicht weiter in Betracht.
Wo ist nun wohl die Originaldichtung von Morant und
Galiene entstanden?
Die Sage von Mainet ist nachgewiesener massen in Stid-
frankreich bereits um das Jahr 1100 vorhanden gewesen; 8 )
von dort aus scheint sie sich nach Nordfrankreich, Spanien
und Italien verbreitet zu haben. Da sich unsere Dichtung
von Morant und Galiene auf der Mainetsage aufbaut und
dazu noch den spanischen Versionen dieser Sage zieralich
nahekommt, *) lasst sich wohl annehmen, dass auch sie in
Siidfrankreich ihre erste dichterischeAusgestaltunggefunden
hat. Von dort aus hat sie sich dann wohl ebenfalls nach
Nordfrankreich verbreitet und wahrscheinlich dort erst jene
romanhafte Ausgestaltung erfahren, welche uns in der
deutschen Nachdichtung des Karlmeinet vorliegt. AlsHeimat
jener nordfranztfsischen Bearbeitung mflchte ich am ehesten
die Picardie annehmen, da die in die deutsche Nachdichtung
ubergegangenen franztfsischen LehnwSrter 6 ) auf den Dialekt
dieses Landes hinzuweisen scheinen.
l ) Vita Hludovici c. 13 (M. G. SS. II, 612), nach der von Sim-
son I, S. 331 vorgesehlagenen Interpunktion.
») Vgl. Bartsoh, S. 21.
») Vgl. Bartsoh, S. 8.
4 ) Vgl Bartsoh, S. 29.
*) z. B. Keller a. a. 0., S. 362, Vers 238, 48: kative = pic. caitive.
— An it. cattivo, wfe Lexer (Mhd. Wtfrterb. I, 1630) anzunehmen
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw. 333
Und die Enstehungszeit jener sudfranzosischenDichtung
von Morant und Galiene? Lachraann 1 ) meint, die deutsche
Nachdichtung sei una die Wende des 12. und 13. Jhdts.
entstanden. Auf diese Weise ware die nordfranzosische
Bearbeitung etwa in das Jahr 1150 zu datieren und die
sudfranzosische Orginaldichtung auf alle Falle in die erste
Halfte des 12. Jhdts., was zu denDaten (iber die Entstehung
der Mainetsage ganz gut stimmen wiirde.
Im Stiden von Frankreich nun lag aber auch die Wiege
des Grafen Bernhard von Septimanien und hier hat sich
zweifellos die Erinnerung an ihn und an die Kaiserin von
Deutschland, die des Ehebruchs mit ihra angeklagt worden
war, am regsten erhalten ; deshalb bezeichnet auch Liidtke
(S. 125) den Siiden von Frankreich als die Heimat jenes
von ihra angenommenen lateinischen Gedichtes vom Comes
Tolosanus et Barcinonensis.*)
scbeint, mochte ich nicht denken, da die im Gedicht vorkommenden
Lehnworter alle aus dem Franzosischen stain men, vgl. z. B. prisun
und garzun (Keller a. a. 0., S. 346, Vers 228, 66 f.).
l ) Ueber drei BruchstUcke niederrbeiniscber Gedichte aus dem
12. und aus dem An fang e des 13. Jabrhunderts, in Abbandlungen
der kon. Akad. d. VVissenscbaften. Berlin 1S36. S. 160 ff. (= Kl.
Sohriften I. S. 519 ff.).
8 ) Es ist hier vielleicbt der Platz auf einen Punkt naher ein-
zugehen, den ich bisber nocb niobt berlibrt babe. Dass Bernhard die
spaniscbe Mark und Septimanien in seinem Besitz gehabt bat, ist
historisch bezeugt, dagegen ist es nicbts weniger als sicher, dass
er auch Graf von Toulouse gewesen ist (vgl. Calmette S. 96 f.).
Bernhards Vater Wilhelm besass zwar die Grafsohaft Toulouse, sein
Nachfolger war aber nicht Bernhard, sondern ein gewisser Berengar
(806-835) und auf diesen folgte Egfried (835—844). Unser Bernhard
fand 844 bereits den Tod. Sicber ist es, dass die Sage ihn als
Grafen von Toulouse bezeicbnet hat; ein Beweis dafiir ist uns jene
von Simson I, 337 ausdrUoklich als sagenhaft erklarte Urkunde bei
Bouquet VII, S. 286 (die Liidtke, S. 122 offenbar als historisch an-
nimrat!), in der unser Bernhard Comes Tolosanus et Barcinonensis
genannt wird. Dass Bernhard in der Volksiiberlieferung auch als
Graf von Toulouse erscheint, hat wohl seinen Grund darin, dass er
im Jahre 844 von Karl dem Kahlen in Toulouse belagert und vor
dieser Stadt auf Befehl des Konigs hingericbtet wurde. Dann ist
334 Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
Wie lasst sich aber nun die Entstehung der Passung
dieses Gedichtes aus der ursprunglichen Fassung heraus
erklaren? Am ehesten wohl dadurch, dass wir zunachst
zwei aus der ursprunglichen Fassung hervorgehende Ueber-
lieferungen annehmen. Die eine Ueberlieferung hat die
Namen Graf von Barcelona (bzw. Toulouse) und Kaiserin
von Deutschland beibehalten; 1 ) auf diese Ueberlieferung
muss jenes von Liidtke angenommene Gedicht zuriickgehen.
Die andere Ueberlieferung hat nach und nach den historischen
Hintergrund verloren; lediglich die Tatsachen wurden fest-
gehalten, die Personen selbst fanden weniger Beachtung
und so konnte die Geschichte uber kurz oder lang auf irgend-
welche ganz beliebige Personen ubertragen werden. Diese
Ueberlieferung muss ihren Sitz sowohl in einem Teil von
Stidfrankreich wie auch in Catalonien gehabt haben, wie
uns das Beispiel von „Morant und Galiene tf und von „Curial
y Guelfa" beweist.
Aber auch jene Ueberlieferung, welche die historischen
Namen beibehalten hat, hat eine grundliche Ver&nderung
durehgemacht; denn sie hat zum Teil die Tatsachen selbst
geandert und hiermit kommen wir wieder auf jenen grossen
Unterschied zu sprechen, der zwischen den Fassungen der
Sage vom Grafen von Barcelona und den geschichtlichen
Verhaltnissen besteht.
Die n&heren Beziehungen zwischen den Grafen von Tou-
es aber auch moglich, dass die Person des Grafen Bemhard von
Toulouse (864—875) dazu beigetragen hat, dass man auch — wenig-
stens in jener Gegend — den gleiohoamigen Giinstling der Kaiserin
Judith als Grafen von Toulouse bezeichnete.
') In der englisohen Romanze ist sogar noch der Name Bern-
hard (Barnard) erhalten. Der Name der Kaiserin von Deutschland
hides scheiut bald dem Gedachtnis des Volkes entsohwunden zu
sein. Der Name Dame Beulybon, den sie in der englisohen Romanze
fUhrt, soheint mir am ehesten eine Entstellung aus Dame bielle (pic-
wallon. flir belle) eft) bonne zu seio. Auf diese Erklarung weist viel-
leioht die in Vers 37 ff. von der Kaiserin entworfene Charakteristik
hin: Thys emperour had a wyfe, The fay rest oon, that evyr bare
lyfe, . . . and therto god, in alle thyng u. s. w.
Steinberg'er, Sage vom Grafen von Barcelona usw* 335
louse und den deutschen Kaisern htfrten mit der Trennung
des karolingischen Reiches in Ost- und Westfranken auf.
Die Beziehungen zwischen den Grafen ron Barcelona und
den Kaisern waren zwar von etwas langerer Dauer, weil diese
Grafen eine Zeit lang im Besitz der Provence waren, die
bekanntlich noch bis ins 13. Jhdt. hinein zura arelatischen
Ktfnigreich und somit zum deutschen Reich gehorte; so
nahe waren indes auch diese Beziehungen nicht, dass man
bis zu jener Zeit hatte glauben kflnnen, ein Graf von Barce-
lona (der zugleich auch Graf von Toulouse gewesen sei)
habe als Kammerer am deutschen Hofe gelebt und sei des
Ehebruchs mit der Kaiserin beschuldigt worden. Dagegen
erschien es nicht unwahrscheinlich, dass ein Graf von Bar-
celona und Toulouse mit dem Kaiser in einen Krieg ver-
wickelt worden sei. Nicht unwahrscheinlich ferner und
dabei im hGchsten Grade romantisch erschien es, dass dieser
Graf aus weiter Feme zur Rettung der unschuldig ver-
klagten Kaiserin nach Deutschland geeilt sei, und so trat
dann jene Scheidung in „vermeintlicher Liebhaber" und in
„Befreier a ein, wobei es indes nicht ausbleiben konnte, dass,
wie noch die Passung des Desclot beweist, der vermeintliche
Liebhaber zum Teil dieselbe Charakterisierung fand wie
der Befreier der Purstin. Ich stimme mit Liidtke darin iiber-
ein, dass die Heimat dieser Ueberlieferung am ehesten in
Aquitanien und hier wohl in dem Gebiet von Toulouse
selbst zu suchen ist, also in jener Gegend, wo die engeren
Beziehungen zu Deutschland sehr bald aus der Erinnerung
des Volkes geschwunden waren. In dieser Gegend ist dann
wohl auch das Gedicht vom „Comes Tolosanus et Barci-
nonensis* entstanden und hat sich von hier aus nach Spanien,
Nordfrankreich und Provence weiter verbreitet. Jenes ro-
mantische Motiv, dass der Graf als Mtfnch verkleidet bei
der Kaiserin im Gefangnis erscheint, ist wohl erst durch
jenes Gedicht in die Sage hineingekoramen.
So hat sich also auf Grund der genannten Ueber-
lieferung wie auch jenes Gedichtes eine neue Fassung der
Judith-Bernhardsage gebildet, die nach und nach immer
336 Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw.
mehr romanhafte Ziige in sich aufnahm und schliesslich in
einer vollendeten Liebesdichtung ihren Ausklang fand. —
Ira librigen scheint sich auch in Nordfrankreich die
Ueberlieferung von der Kaiserin Judith erhalten zu haben.
lch glaube dies aus folgendem schliessen zu konnen:
Ira Kloster Fecamp in der Normandie ist auf dem
Grabstein der Herzogin Judith von der Normandie (f 1017)
zu lesen, dass sie unschuldig angeklagt worden sei, dass
sie sich dem Gericht unterworfen und dass man ihre \Jn-
schuld erkannt habe. Diese Judith nun war die Tochter
des Herzogs Conan le Tort von Bretagne und die Gemahlin
des Herzogs Richard II. von der Normandie, also die Gross-
mutter Wilhelms des Eroberers. Morice, 1 ) dem ich die Nach-
richt liber jene Aufschrift verdanke, meint dazu: „Mais
on ne trouve aucun ^claircissement sur ce fait dans l'histoire
de son temps."
Dem ist tatsachlich so; nicht nur die Historiker be-
richten nichts davon, sondern auch Wace, der doch be-
kanntlich in seinen Roman de Rou gar manche Sage und
Legende hineingewoben hat — man denke bloss an die
Geschichte vom Taillefer, — erwahnt nicht das Geringste
von einer Anklage gegen die genannte Herzogin Judith.
Die LOsung der Frage scheint tnir darin zu liegen, dass
die Schicksale der Kaiserin Judith auf jene Herzogin
Judith iibertragen worden sind. Wir durfen annehmen, dass
der Anekdotenkramer Wace sicher uber diese Herzogin
Judith von der Normandie berichtet hatte, vorausgesetzt
dass jene auf dem Grabstein angedeutete Geschichte da-
mals schon bekannt gewesen ware. Somit geh5rt jene
Aufschrift offenbar erst der Zeit nach 1180 an und ich denke
mir ihre Enstehung folgendermassen : Herzog Richard II.
(t 1026), der Gemahl Judiths, hatte der Abtei Fecamp an-
sehnliche Stiftungen gemacht; es lag daher nahe, dass die
dortigen Mtfnche iiber den GcJnner ihres Klosters und uber
') Histoire ecoldsiastique et civile de Bretagne. Paris 1750.
Rd. I, S. 71 f.
Steinberger, Sage vom Grafen von Barcelona usw. 337
seine Familie einiges berichten wollten. Von seiner ersten
Gemahlin Judith gab es aber offenbar nicht allzuviel zu er-
zahlen: sie zeichnete sich durch SchOnheit und Tugend
aus 2 ), griindete die Abtei zu Bernay 3 ) und starb nach
9j&hriger Ehe 4 ). DieMdnche von Fecamp wussten nun aber
augenscheinlich von einer anderen Judith, die des Ehe-
bruchs angeklagt worden war, zu ihrer Rechtfertigung
vor einer grossen Reichsversammlung erscheinen rausste
und sich dort von der Anklage reinigte, und sie iiber-
trugen nun die Schicksale dieser Judith, welche natiirlich
keine andere ist als die Kaiserin Judith, auf jene gleich-
namige einstige Herzogin ihres Landes. Jene Aufschrift
aber zeigt uns, dass die Erinnerung an Judiths Schicksale
sich auch in Nordfrankreich langere Zeit erhalten hat und
dass man auch dort von ihrer Unschuld iiberzeugt war. —
Zur Erganzung von Ludtkes wertvoller Zusammen-
stellung der einzelnen Bearbeitungen unserer Sage von dem
Grafen von Barcelona und der Kaiserin von Deutschland
mc5chte ich am Schluss meiner Ausfuhrungen noch ganz kurz
darauf hinweisen, dass die dramatise he Literatur sich
mehr als einmal dieses dankbaren Stoffes bemachtigt hat
Es ist bekannt, dass Voltaires Tancrede wenigstens zum
Teil auf einer franzSsischen Bearbeitug von Bandellos Ver-
sion unserer Sage fusst. Am meisten aber hat unserStof!
in Spanien dramatische Bearbeitung gefunden. Auf der Er-
') Vgl. Robertus de Monte, Tractatus de immutatione ordinis
raonachorum in Normannia etc., cap. X (MSL. 202, 1314).
*) Guilelmus Gemeticensis, Hist. Northmannorum V, 13 (MSL.
149, 831).
«) Vgl. Guilelmus Gemeticensis VII, 22 (MSL. 149, 862); Orderi-
cus Vitalis, Hist. Eccl. II, 3, 3 (MSL. 188, 232 1'.); Robertus de Monte,
cap. XII (MSL. 202, 1314).
4 ) Die Vermahlung zwischen Richard und Judith fand 1008
statt; der Heiratsvertrag ist bei Martene und Durand, Thes. Nov.
Anecd. I, 123 aus einer Handschrift von Fecamp abgedruckt. Den
Tod Judiths (1017) berichten in erster Linie die Annales Roto-
raagenses; vgl. F. Liebermann, Ungedruckte unglonormannische
GeschichtsqueDen. Strassburg 1879. S. 46.
338 Steinberger, Sage vora Grafen von Barcelona usw.
zahlung der von uns 8fters erw&hnten spanisch-katalanischen
Gruppe baut sich — wenigstens zum Teil — das Drama
La adultera virtuosa 1 ) des Mira de Amescua, des Zeit-
genossen Lope de Vegas, auf. Die von uns eben erwahnte
Novelle des Bandello, welche zur „bretonischen* Gruppe ge-
htfrt, bildet fast vollstandig die Grundlage zu dem Schau-
spiel La Duquesa de la Rosa 2 ) des Alonso de la Vega,
eines Zeitgenossen Lope de Ruedas; zum Teil wenigstens
fusst auf ihr das Drama Cumplir dos ob ligac tones y Duquesa
de Saxonia*) des Luis V^lez de Guevara, eines anderen
Zeitgenossen Lope de Vegas. Die letzte Bearbeitung, die
Bandellos Novelle und mithin auch unsere Sage iiberhaupt
in der dramatischen Literatur gefunden hat, gehtfrt der
neueren deutschen Literatur an: ich meine damit das ro-
mantischo Schauspiel „Liebe uber Alles" (1877) unseres
nun leider dahingeschiedenen Martin Greif.
') In der Sammlung spanisoher Comedias der MUnohener Hof-
und Staatsbibliotbek (P. o. bisp. 52). Vgl. dazu Stiefel in Zeitschr.
f. roro. Phil, Bd. 15, S. 218 f.
*) Naheres Uber dieses StUck s. bei M. Menendez y Pelayo, Tres
Comedias de Alonso de la Vega. Dresden 1905. S. XXV ff. und
S. 71 ff. — Vegas Zeitgenosse Juan de Timoneda hat das ge-
nannte StUok seinerseits wieder als Novelle bearbeitet (in seinen
.Patranas"); s. Bibl. de Aut. Esp.-Novelistas anteriores & Cervantes.
Ed. B. C Aribau. Madrid 1850. S. 139 ff. F. Wolf, Studien zur Ge-
schicbte der spaoischen und portugiesischen Nationalliteratur.
Berlin 1859. S. 608 f.
•) In diesem Drama erscheint unsere Sage versobmolzen rait
jener, welohe u. a. auoh die Grundlage zu Fr. L. Stolbergs Ballade
,Die BUssende* geboten hat. Ueber den letzteren Stoff vgl. Wurz-
bach in Euphorion, VI 84 ff.
M u n c h e n . Hermann Steinberger.
Homilienfragmente
aus der Benediktinerstiftsbibliothek Molten.
Den Virginalbruchstucken, die im MM. (I, 46—59)
abgedruckt sind, sollen die Homilienfragmente folgen, die
im Einbanddeckel desselben Buches gefunden wurden.
Im ganzen wurden neben den 18 Virginalblattern 9 Blatter ge-
funden, welche Bruchstucke aus 10 verschiedenen Homilien
darstellen (uber die Lage im Deckel siehe oben S. 62 s).
Wer der Verfasser dieser Homilien war, die zum Teil
auf apokryphe Quellen hinweisen, oder aus welcher Samm-
lung dieselben stammen, lasst sich wohl nur ermitteln, wenn
einmal die reichen Homilienschatze aus den verschiedenen
Hss. gehoben sind.
Dass diese Bruchstucke einer ganz anderen Hs. ent-
stammen als die Virginalfragmente, ergibt sich vor allem
aus der Schrift, die mit blasser Tinte geschrieben eine ganz
andere ist und die wohl nur aus dem 15. Jhdt. stammen kann.
Das Papier ist wagrecht und sehr enge gerippt (1 mm)
und hat Stege in Abstanden von ca. 40 mm. Davon ent-
halten 6 Blatter Wasserzeichen und zwar einmal die Traube,
(fol. 9), zweimal den Ochsenkopf (foil. 6 u. 7), uber dem
Kopfe einen 5 gezackten Stern auf einer ca. 2 cm hohen
Stange, und dreimal das gekreuzte Schlusselpaar (foil. 1, 2, 3).
Die Traube hat 55X30 mm (senkrechtX wagrecht); der
Ochsenkopf hat 45 (Hflhe mit Stern) X 40 (Schnauze bis
Hornende)X30(Querdurchschnitt von dem einen Ohrenende
bis zi.m andern); die Htfrner, deren Enden nach aussenstehen,
gehen gewunden ziemlich senkrecht empor; die Ohren
stehen wagrecht hinaus; eingezeichnet sind noch die Augen
und die Schnauze, die Nasenfuhrung dagegen fehlt. Das
gekreuzte Schliisselpaar misst 40 mm; der Bart ist doppelt,
340 Huber, Homilienfragmente aus der Bibliothek Metteo.
der Griff hat die Form eines quadratformigen gotischen (?)
Kreuzes. Die Traube ist ganz genau, sowohl nach Form
als nach Grtfsse, dieselbe Figur, wie Friedr. Keinz (vgl.
oben S. 61) sie unter no. 349 (saec. XV) gibt. Der Ochsen-
kopf findet sich unter denen, wie sie Keinz (no. 247 — 268)
gegeben, nicht vollstandig gleich vor; am meisten hat er
Aehnlichkeit mit Figur 258 (anno 1398); doch ist er be-
deutend kleiner als alle bei Keinz gegebenen. Das ge-
kreuzte Schliisselpaar hat nach Form, nicht aber nach Grdsse
mit Figur 162 (anno 1373) die meiste Aehnlichkeit; doch
ist alles andere weggelassen wie bei Figur 160 (anno 1389).
Mit dem Bart dieser Figur 160 hat auch der Bart des hier
in Betracht kommenden Schlussels die grflsste Aehnlichkeit.
Die Blatter, welche zusammenhangslose Reste einer
wohl nach dem Kirchenjahr geordneten Homiliensammlung
sind, durften folgendermassen zu ordnen sein:
Fol. 1. Unten und am Raude beschnitten; 30 Zeilen;
Schluss einer deutschen Passio des Evangelisteo Johannes
(Vollseite 25X17; wohl 33 oder34 Zl.; Schriftflftche 12X20).
Fol. lv (30 Zeilen): die Passio Johannis endigt. Dann
folgt ein Rubrum: In circumcisione Domini, hernach der
Bibel vers : Poslquam consumati sunt dies octo — cum circum-
cideretur puer (Luc. II, 22: die Bibelzitate stimmen in
samtlichen Homilien mit dem Texte der Vulgata nicht
wCrtlich tiberein) und sodann folgt in 23 Zeilen ein Bruch-
stiick der Homilie.
Fol. 2 und 2v: oben und am Rand beschnitten enthalt
auf 28 bezw. 30 erhaltenen Zeilen zunachst ein Bruchstuck
der deutschen Uebersetzung aus Joh. VI, 5 — 14 (Jesus
speist 5000 Mann mit 5 Broten und 2 Fischen = Evan-
gelium fur den 4. Fastensonntag) und dann einen Teil der
dementsprechenden Homilie.
Fol. 3 und 3v: unten und am Rand beschnitten ent-
halt auf 32 bezw. 34 Zeilen eine Predigt ftir das Osterfest,
in welcher (auf fol. 3) die aus den Apocryphen bekannte
Erscheinung Christi im Kerker des Joseph von Arimathaea
berichtet wird.
Huber, Homilienfragmento aus der Bibliothek Mettcn. 341
Fol. 4: unten und am Rand beschnitten, enthalt auf
noch 20 Zeilen wohl den Schluss der vorausgehenden Oster-
predigt; dann folgt ein Rubrum: Dominica in Octava pasche,
der Bibeltext: Quia vidisti me, credidisti; beati qui non
viderunt et crediderunt (Joh. XX, 29); daran schliesst sich
in 12 noch erhaltenen Zeilen die deutsche Uebersetzung
dieser Perikope.
Fol. 4v: (33 Zeilen) Fortsetzung des Obigert.
Fol. 5: unten und am Rand beschnitten, 27 Zeilen.
Dieses Folium enthalt den Schluss einer Predigt iiber die
Bekehrung von der Todsiinde, wie es scheint mit Anschluss
an das Evangelium von der Zerstorung Jerusalems (Luc.
XIX, 41-48).
Am Schluss der Seite folgt ein Rubrum: Dominica
undecima post festum Trinitatis; der Schrifttext zu der
folgenden Predigt ist aus dem Evangelium vom Pharisaeer
und Ztfllner genommen (Luc. XVIII, 10 — 13): Duo homines
ascenderunt in templum, ut orarent, units phariseus et altet
publicanus.
Fol. 5v: (31 Zeilen): Fortsetzung der Uebersetzung
dieses Abschnittes und der Homilie dariiber.
Fol. 6 und 6v: (24 Zeilen) oben und am Rand be-
schnitten mit einem sehrgrossen Rand unten. Diese Predigt
geht iiber das Evangelium des 13. Sonntags nach Trinitas:
Die allzu grosse Sorge urn das Zeitliche (Matth. VI, 25 — 34).
Fol. 7 und 7v: (27 bezw. 29 Zeilen) unten und am
Rand beschnitten. Dieses Blatt enthalt die Fortsetzung des
obigen Textes und gibt das bekannte Beispicl von dem
Mann, der in einem Becher Oel holen sollte, aber den Becher
umstiirzte und so das Oel wieder ausschiittete, urn die ihm
weit angenehmere, aber minderwertigeZugabe heimzutragen.
Fol. 8: am Rande beschnitten, 17 Zeilen mit einem
breiten Rand unten. Dieser Rest scheint der Schluss zu
sein von einer Predigt iiber den Gichtbruchigen (Math. IX,
1 — 8). Dieser Abschnitt aus dem Evangelium vom Gicht-
bruchigen trifft nach der Zahlung dieser Predigtfragmente
auf den 17. Sonntag nach Trinitas, bezw. 18. Sonntag nach
342 Huber, Homilienfragmente aus der Bibliothek Metten.
Pfingsten nach der rdmiaohen Zahlung; nach der protestan-
tischen Zahlung trifft dieser Abschnitt erst am 19. Sonntag
nach Trinitas. Das Thema dieses Bruchstuckes ist die Ver-
meidung der Todsiinde, bezw. der Bekehrung davon; es wird
direkt und zwar zweimal auf den betriefl (= bettlagerig) ver-
wiesen. Am Schluss ist noch zu lesen: Orate pro invicem,
ui salveminL
Fol. 8v: Oben ein sehr breiter leerer Rand, unten und
am Rand beschnitten; enthalt 17 Zeilen. Ohne Rubrum be-
ginnt dieses Bruchstiick mit dem Bibelvers: Simile est
regnum celorum homini regi (iibergeschrieben), qui fecit nup-
tias filio suo (Math. XXII, 2; im Fragment wird das
XXL Kapitel genannt). Diese Periode gehtfrt dem 18. Sonn-
tag nach Trinitas (19. Sonntag nach Pfingsten) an.
Fol. 9 und 9v: (je 23 Zeilen) unten und am Rand be-
schnitten. Dieses Blatt enthalt die Fortsetzung der obigen
Homilie, auf Fol. 9 zunSLchst die deutsche Uebersetzung des
Evangelienabschnittes und auf Fol. 9 die Sacherklarung
desselben.
AufFallend ist die schon oben angedeutete Z&hlung
nach den Sonntagen nach Trinitas, wie sie heutzutage in
der protestantischen Kirche iiblich ist. Das Fest Trinitas
ist zwar als allgemein (ibliches Kirchenfest verhaltnismassig
jungen Ursprungs; es wurde endgiiltig erst 1334 durch Papst
Johannes XXII allgemein vorgeschrieben (Fr. Kellner,
Heortologie 1906', pag. 87—89). Doch finden sich viele
Belege daftir vor, dass es in einzelnen Kirchen, besonders
Klosterkirchen schon weit friiher gefeiert wurde; ja es
besleht sogar die Ansicht, dass es schon durch Karl d. Gr.
eingefuhrt wurde (cfr. Ebner, Quellen und Forschungen
zum Missale Romanum im Mittelalter 1896: Ms. Bologna,
Bibl. Univ. 2679 saec. XI; Ms. Florenz, Bibl. Laurenz.
Aedil 111, 121, 122 saec. X. etc. etc.; cfr. Ebner 1. c. im
Index zu Trinitas). Obwohl der erste Sonntag nach Pfingsten
hierdurch aus der Reihe der gew6hnlichen Sonntageheraus-
trat, behielt der rcknische Ritus die bisher iibliche Art die
Sonntage von Pfingsten an zu zahlen bei, wahrend man
Huber, Homilienfragmente aua der Bibliothek Metten. 343
sich in Deutschland und anderwarts gew5hnt hatte, die
Sonntage von Trinitas an zu zahlen, und so hinter der rtfmi-
schen Z&hlung imraer urn eins zuruck war (Kellner I. c. 89).
I.
BL 1 [De s. Johanne Evangelista.] l )
1 wan« er mag vns nUn viel baz gehelffen
by got Da nun der gut sanct Johans wart
xo iar alt, da her schein ym vnfier her Jhesus xpus
vnd spraoh zu ym: 'kUm zu mir, myu ufiherwe/ter,
5 wan/* ez ist zit, daz du freyd habst mit din brudern.*
da stUnd sanct Jobans uff vnd wolt gen. / Da sprach
vnfier herr; 'du solt kum/nen an dem funffsten tag, daz
ist an dem su/?tag, an dem ich auch herstande/z bin.'
da vnfier ber xpus daz gespracb, da fur er uff
10 zu hymel. Vnd da wart an dem siintag, da kam men-
glieh zu der kirchen, da stiind sanct Johans von
syra andeohtigen gebet, daz er getrieben het by dem
ersten ban crat der selben nacht vnd sprach zu den
lyten: 'Min lieben kind, berkennent vnfiern her/*
15 Jhesum xpom vnd behaltend den glauben, den ich
hab gelert, Vnd gedenckent alwegen, waz er
wilnders vnd grosser zeioben mit mir hat getan
vor wob, vnd behaltent myn ler, Wan/* vnfier her
Jhesus xpus bat mir zu ym gertifft vnd bat mich
20 geladen von dir welt in daz ewig leben/ vnd da
sanct Johans also rett, da weinten all, die ez horten.
da hiefl er ym macben ein gruben by dem altar
vnd gieng dar in vnd hub uff sin hend zu go/
vnd sprach: 'her, du hast mich zu diner vrirtschaft
25 geladen; dar vmb kam iob zu dir frolich, wan/* ich
dich von ganzem herozen gern, Wan/* du bist
dez lebendigen gottes siin, der da rengnirt mit
dem vatter vnd mit dem siin vnd mit dem heiligen
geist.' da er daz gespracb, da kam ein grosser
30 scbin vber in also, daz in nieman mooht geseben
da nit
BL Iv ... himelbrot Vnd git got by der selben gruben bifi
vff ch'fien hywtigen tag gesiintheit alien den, die mit
rechter andacht in da an riiffent. Nun bitten wir den
35 gutteri herren sanct Johansson, daz er vns hywt her-
werb die gnad gottes, also daz wir auch kum/nen zu
im. Amen.
*) Kursivgedrucktes ist erganzl.
344 Huber, Horailienfragmente aus der Bibliothek Metten.
II.
Ruhr. In circumcisione Domini.
Postquam cortsuraati sunt dies octo 1
cum oircumcide/vtttr puer (Luc. 2,21). Die heilig Cristenheit
hort difiu vor gesproohenil wort bywt an diefiem heili-
gen gegen wertigen tag in dem arapt der heiligen
me&, Vnd scbribt sie der beilig e wan gel is t sanet Lux 5
vnd spreohent in tutsch also: 'Nach vnCers barren ge-
purt an dem achten tag, da die zit kam, daz man
daz kint bescbniden solt, da ward ez gebeissen Jbesus:
wann der selb nam waz ym gegeben von dem engel
e daz er entpffangen wart in siner mutter lip/ 10
daz ist daz hywtig ewangelium. Wir sint hywt begon
den aobten tag, als vnfer her Cristus wolt an sym
lip liden daz erst bllit vergiessen, daz ist die beschnidu/zg,
die er het gegeben den alt vettern Vnd den wissagen;
wann wir vinden gesohrieben: . e . got mentsoh wart 15
geboTXi) daz ein yglicher knab wart besobnitten an
dem lib; vnd die selb bescbnidung, die da bescbah, was
die(?) betUtnifi vnfiers tauffs, den wir nun entphahen.
w&nn all die mentschen, die ye wurden geborn von
angang der welt, so wart nye keins bebalten, ez 20
ward dann getalifft in etlich wis. Wann etlioh werden
gettxiifft als abel in irm bllit, daz sie durch gottes
wiWon vergiessen <iyr blu^> x ) in der marter, Etlich mit der
6ituttnifi dez tauffs, als abraham vnd sin nachkummen
beschnidu/tg. Viel lilt 26
in.
[Dominica quart a Quadragcsimae (J oh. 0,1 — 14.) J
BL 2
. . uff ein berg . . . . g I
. . n uff getet vnd sahe, daz so gar viel volcks
zu ixn kam. Da sprach er zu dem gutten sanct
PhiUppo: 'Wu nem wir, daz wir brot keyffen, daz
sie essen.' Die frag tet er nit dar vmb, daz er 5
nit west, wu er nemen solt, daz er in geb zil
essen, besundor er wolt in da mit versucben
in /rem glauben. Da antwort ym sanct philips
vnd sprach: 'Sie raogend nit gntingk haben an
Zwen hundert pffennyng wert brots, daz ioch 10
. . hein nun an wcnigen werd.' Da sanct pbil-
') O — Ergdnzung von zweiter Hand, meist durch Ueberschrift.
Huber. Homilienfragmente aus der Bibliothek Metten. 346
lips also het ge entwort, da spraoh der gut eanct
Andria zu vnflerm herren: <Ez ist ein kint hie,
daz hat funff girstin brotz Vnd zwen fisch. waz
ist aber daz vnder so viel luten, daz ioch eim 16
. . . chem nUn an wen/zig wurd?' Da sprach Jhesws
zu den iungern: 'heissent daz votck nider siozen.'
aber ez waz viel heywes aD der stat. Vnd also
sassen sie Vnd waz ir gar nach funff tufiet da
nam vnfier her daz brot Vnd seget ez vnd lobt 20
den matter Vnd hiefi ez dem volok furlegen
vnd gab in auoh von den fischen, als viel sie
w often. Vnd da sie gassen, daz sie gniingk het ten,
spr&ch vnser her zu sin« iungern: *Hebent uff
die s/Uck, die vber sind wordeD, daz sie nit ver- 26
derbenS Da hubend die zwolff botten uff Vnd fulten
. . zwolff korb fol von dem, daz in vber bleib
. . /Unff brotteu. da daz die mentschen sahen, daz
zeichen^ daz er geton het, da spracbent sie: ,difi ist
B1.2p
naoh ho 1
glauben, Wan/* halten wir reoht ganc in g . * .
mit den wercken, so wil vns got dar vxnb . .
mit ym selber in der ewigen freyden. Nun ist
manig mentsch als gar vndanckber der gab 6
gottes, daz er billich hungerig blibt. Wan/i sie
spreobend oder gedenokent in irm heroze/;
vnd nem got daz an eym iuden, daz er d . . .
er geb mir ez gniingk kercklich. Sich daz ist nicht
anders dan/z dins bo fie u lebens sohuld. Wan/i g • 10
dir din nottiirfft vnd fugt die sie zii al . . .
gutten mentschen, so bist du dez nit wirdig
diner grossen siind wegen. Nun spriohst du:
'ez hat dooh manger gniingk als daz, daz er . . .
der doch ein grosser sunder ist.* Dar zu wir 16
antworten: da tut der selb mentsch viUicht
etlich gut werck in tot sunden Vnd wil jm got (?)
dez selben danoken mit dem zergenokliohi/z lip (?),
daz er ym git in dir welt; Wan/r ez sprich/ der
lerer: Nulluw malu/n r^monet inpunitum: 20
kein sund so klein, got wel sie straffen; so ist
kein gut werok so klein, got wel ez beloni/z ; dar
vmb laz dich nit verdrissen, habest du er . . .
(lurch gotoz willen vnd gebresten in dir welt,
Wan/2 got wil dir dar vmb geben ewig leben 25
UUnohener Museum f. Pbilologie dee MA. I. 3. 28
346 Huber, Homitienfragmente aus der Bibliothek Metten.
vnd selikeit. Nun merokent, waz by den fUnff
brotten difi ewangelium bezeiohet sy vnd by den
zwein fisohen. By den zwein fttnff brott, die
gifstin warend vnd riih zu essen vnd do . . .
30 in bo yiel lUt gespyst wurden, Bind bezeiche/
IV.
Bl. i [In die Paschae {cfr. Gesta Pilati cp. 12. 13)1
1 liblich waz/NUn was, ale der selig Joseph geaaz
in dem keroker / der da vnsern berren hot be-
graben / Da her sohein ym v riser her in dem kercker
vnd sprach zu ym: / 'ich bin Jhisus, den du nempt
5 von dem orticz vnd in din grab leitst' / vnd nam . .
in ufi dem keroker vnd furt yn gen ni&mathaea.
Dez eel ben tags, da sa/nmenten sioh die iuden / vnd
schiokten naoh Joseph zu dem keroker / vnd wolten
yn zu gerioht haben gefurt vnd getttt. / da dy
10 botten kamen zu dem keroker / da funden sie jn . . .
besohlossen, vnd waz Joseph enweg. / die botteu ....
giengen widder vmb vnd seiten, wie es gefarn
wer. / als kam auoh der einer, der vn&ers horren
hiit / Vnd spraoh, Jhesus wer herstanden, vnd er
15 het ein engel by dem grab gesehen. / die iuden
wollten ez nit gleyben vnd forderten freuel#c/r
Ihesum / von den, die sin sol ten haben gebiit. / Da epra-
ohen die hatter: / 'gebent vns Joseph, den ir be-
sohlussend in ein keroker / so geben wir wch / den y
20 dez wir hutten in dem grab / Vnd als ir Joseph
nit moohtend bebtttten, yn nera got mit gewalt,
also moohten wir auoh Difien, der got vnd mentsch
waz / nit behutten oder behaben / er herstund von (?)
dem tod/ / Da sie <£.dy iuden> daz horten /da gaben sie
25 gttt / daz sie es nieman solten sagen / Vnd daz &ie [yn gro/i
spreohen zu den lutten, daz die iunger Jhesum / yn
hetten ufi dem grab gen urn men, da sie sohlieffen. / Vnd
da yn daz gut wart / da seiten sie maniglioh . . .
dar naoh / wie ez gefarn waz. / uff difiem tag
90 hersohein vnser her sin iungern / vnd verkUn/
yn den ewigen frieden Vnd afi mit yn eins gebraten
fisch / vnd tet da mit kunt / daz er vns mit syn (?)
********* *•••#•*#*♦»•
BL 3v Aeiligem liden bat bereit die ewigen freyden alien
35 den f die mit jm herstend. / Vnd dar vmb sprioht sanotus
Faulus: 'Cristus resurgens ex mortuis iam non
Huber, FJomilienfragmente aiiK der Bibliothek Metten. 347
m oritur' (Rom, 6, 9). Cristus ist herstanden von dem tod
vnd stirbt nit men. / daz er aber einest gestorben
ist, / da Btarb er fUr vnser sund. Nun habent ir ge-
hort, wie got ist herstanden. Icb boff auch von 40
gottes gnaden / daz manig mentsch herstanden sy
mit got von dem tod der siind / mit riw, bicht vnd
bufi. Vnd dar vmb lert vns der gut saoot_Paulus
vnd spricht also: / 'Sj consurrexistis cum xpo; que sursum
sunt querite, non que super terrain* (Coloss. 3 y / s.). Sind ir 46
rait xpo, daz ist, daz ir web gereinigt habend [herstanden
von alien vwern sunden / duroh die heiligen biifi /
bo sollend ir suchen hymelschti dingk / daz ist / daz
ir wch sollent vben in hymelscher heiliger vbung /
Vnd sollent nit men irdischu dingk siiohen / daz 50
ir sollent wch furbafi fiifiicklich hutten vor alien
slinden / besunder von totlichen slinden / Wann wer
in totsiinden ist, der ist ab gar tot / daz ym nit hilfft
keiaerloy gebet / oder anderii guttu werck, die
or tiit / oder ander lut fur yn : / die sind ym nit niicz 56
zii dem ewigen leben / all die wil der mentsch
nit ryw vnd leit bat vmb sin siind, die er hat
volbracht / vnd nit willen hat / sie zu bichten
vnd zu bussen / Vnd dar zu numnzer men totlichen
zu slinden; / all die wil der mentsch/ der in totsunden 60
ist, disii stlick nit an ym hat / so ist er on zwiuel
des tiiff el s mit lib vnd sel / het er ioch ein tot-
sund uff ym. / Vnd stirbt er on difi vier stuck / die
ich vor hab gesagt / er wurd ewecklich verdampt,
Ez wer dann, daz der mentsoh geblingen mUst 66
s/erben / so het er gniiog mit der ryw / so er gern
die andern stuck auch welt volbringen, mocht (?)
ez gesin. / Dar vmb spricht auoh sanctus Pauius : Bf. 4,
Sind ir herstanden mit got / so sollent ir nit
anders betrachten / wann daz gottes wil ist ' vnd 70
nit daz wch widder wertig ist in den sundew;
Wann waz hilfft dich / bistu difi fasteu dar zu ge-
riobt worden mit beiligem oristenlichem lebi/i.
daz du hywt herstanden bist von dem tod der
siind? / ist ez, daz du widder vmb falst in tot Blind. 75
so stirbest du nit als got / Wann der starb nun
einest vmb vnser siind / Vnd gestirbt nummer men.
Also stir be <^stirbst^> auoh du / daz ist / getU nu/nmer kein
tot sund men / so machtu nunsmer gesterben an
diner sel / Die mentsohen aber / die da noch nit 80
23*
348 Huber, Homilienfragmente aus der Bibliothek Metton.
sint herstanden von im sunden die sollent \eben,
daz sie nooh herstendt mit got / der den bittern
tot wolt liden fur die siind. / Vnd dar vmb bitten
wir yn / Wan/i er milt vnd barmherczig ist / da^
05 er vns helff, daz wir also bestend in sin gotlichen
gnaden / daz wir nu/nmer von ym gesoheiden/
warden. / daz verlihe vns alien got. Amen.
V. 1 )
Rubr. Dominioa in Ootava pasohe sermo.
1 'Quia vidisti me, oredidisti; beati
qui non viderunt et crediderunt (Joh. 20, 29) eto*. Die
wort, die ioh in dem lattin bab gesprocben, die
stend geschrieben in dem ewangelio, daz man
6 hywt list, Vnd spraoh sie got selber. Vnd also
dar vmb, Wan/t du micb bast geseben, thomas,
dar vmb gleybest du. Selig sind die, die ez nit
gesahent vnd ez docb gleybend. Wir lesent, daz
vnsers herren iiinger warent in eym hlisch by (?)
10 ein ander. Vnd warent die tiir besoblossen,
Wann sie forobten die iuden; vnd als ez abent
BL 4 V wart, da sttlnd Jhisus da mitten vnder in Vnd spraoh
zu in: Tax vobist': Der frid sy mit woh. da er
daz gespraob, da liefl er sy sehen hend vnd fufl vnd
15 sin heilig syten. da wurden die iunger zu raal fr$,
daz sie betten gesehen den herren. Dar vmb spraoh
er aber: 'Pax vobis!' der frid sy mit woh;
Nement den beiligen geist vnd wem ir sin
sund vergebent, dem sind sie vergeben. Vnd wem
20 irs nit vergebend, dem werdent sie auoh numer
vergeben. Vnd difi beschah uff den beiligen oster-
tag. Da was sanot Thomas nit by den zwolff
botten in dem busch, da vnser her sin iungern
hersohein. Vnd da er kam zu in, da sprachent
25 sie: 'wir habent den herren gesehen/ Da spraoh
der gut sanot Thomas: Ioh sehe dann an sin henden
die zeichen der nagel Vnd ioh griff dann mit
miner hend in die wiinden siner syten, so gleib
ioh ez nit.' Vnd da dar nach wart vber aoht
30 tag, da warent aber die iunger gesa/nmet by
ein ander, Vnd was sanct thomas auoh by in
in dem husch, Vnd warent die husoh tiir besoblossen.
') F. Wilhelm, Deutsche Legenden and Legendare S. 44**
Huber, Homilienfragmente aue der Bibliotbek Metten. 349
Da kam aber vnser ber Jhesus xpus vnd stiind
da mitten vnder in Vnd spraoh zu in: Tax vobisl':
Der frid sy mit wch. dar naoh sprach er zu dera 35
gutten sanct Thomas: 'Infer digitum tuum hue' (Joh. 20, 26 s.):
Griff her mit dim vinger vnd sine min bend
vnd fufl Vnd bit her din hant vnd laz sie in min
syten Vnd gleib, daz ioh ez sy vnd bifl nit vnglei-
bich. Da ant wort ym der gut sanot Thomas 40
vnd spraob: 'Dom/nus meus et deus meus': Du
B\b% min her vnd min got. Da spraoh vnser her
zu ym: *Thoma, Dar vmb, wan du mioh hast gesehen,
so gleibest du. Selig sind die, die [die] ez nye gesehen . . .
VI.
[De adolescent e de Nairn (?)./ Bl. 5.
bene moritur qui antea mortuws fuit'; der 1
/nentsoh mag nit ... . eins gutten todes ster-
ben j der in sym lep . . . ieben nit (?) vor iat tot den
stinden / Reoht ale spreoh er: / 1st daz der
/nentsoh den sunden tot ist / Daz er sie hat 5
virlassen vor sym tot / mit ganczer rywe,
bloht vnd blifi / mit eym gutten festen willen,
kein tot sund men zu tun, lebt er noon hundert
iar, on zwiuel / wiril er also funden on tot-
sund / so atirbt er wol; / Ist er aber in den tot- 10
sunden bifi an den tot / so mag ym wol be-
sthehen als diesem beschach, von dem ioh yoz
hab gesagt / Vnd dar vmb, liebu kint, legent
di& ler vnd difi predigt in vwer herczen / vnd
rfafi ir ye widder got habent geton / daz 15
muesent woh leit sin / Vnd habent ryw vnd
/yt vmb vwer sUnd: die wyl ir gesunt sint /
wil wch got on zwiuel vwer sund ver-
£eben. / Dar vmb bittend got, daz er vns
a/so geb zii wein vnd zu rywen vnfier sUnd / 20
daz wir wirdig werden des ewigen lebens.
daz helff vns alien got. Amen.
VII.
Rubr : Dominica undecima post festu/w Trinita/is.
'Duo homines asoenderunt 1
in templum ut orarent, vnits puariseus
et alter publioanus' (Luc. 18, 10). Die wort, die ioh hab
360 Huber, Homilienfragmente aus dor Bibliothek Mettefi
gesprochen in dem lattin, die sten geschrieben
bBl.Sv in dem heywtigen ewangelio / Vnd spraoh got
selber mit sym gotliohen mund vnd sagt xor
alien hywt ein glichnifi / by der wir mogen \ern,
wie grofilich vns die hoffart irt / an got ....
vnd an aller gerechtikeit / Vnd sagt vns auch
10 da mit / wie fast vns demUtickeit finden sol (?)
zu dem hymelrich / vnd zu aller gotlioben ge-
reohtikeit / Wan/i got dar vmb uff ertric/r kam,
daz er die sunder zu reobt breeht / vnd sie er-
lost von irn sunden / Difi ewangelium beech r/^/
15 vns der gut ber sanct Lux an dem adhzent
Capittel sins buohs / Vnd spricht also: / Ez gingen
zwen men tech en in den tempel, daz sie bet ten.
der ein waz ein verkerer/der ander ein off en-
bar Blinder. / — Die biessen da zu mal verkerer,
20 die ufiwendig an dem gewand / warend gantz (?)
als sie gar gut geistlicb lut werent / Aber in
iren herozen warent sie gar bofi men tech en
vnd betrugen die lut also / vnd giengen h
mit falsoheit vmb / — Der ander /der mit ym
25 gegangen in den tempel / der was ein oSenbar
sunder / Daz warent Hit, die gelt hetten.
oflenbar waz, daz sie ez nit moobten gehaben
dan/i mit grossen sunden / vnd armen luten
vbels an tatten / also daz sie selber herkanten,
30 daz sie warend offer) bar Blinder. / Difi zwen
mentsohen giengen in daz gotes busoh / vnd
betten. / Da stUnd der verkerer / der sich selber
besser ducht dan/i ander lUt / vnd bett als ein
tor Vnd spracb : / *herr, ioh lob dich und sag di>
35 danck, daz ich nit bin ein Blinder als ander
VIII.
r>. t I Dominica tertia decima post Trinitatem (Math. 6, 25 — 34)/.
1 spriobt vnser
gedten / Ir mlissent ein lieb haben / vnd den
hassen. / Vnd da von mant er vns / daz wir mit
allem flyfi / gitikeit vnd bofi begird fiiehen,
5 wan/t bosu begird macht, dass der mentsc/r
gut <mi7> vnrecht gewint / vnd ez <da/i> vnnUtzlicb
legt / Vnd auoh dick sohedlich beheit / Dar
Huber, HomiUenfragmente au» der Bibliothek Metten. 851
vmb sprioht er: ir sclent nit sorgsamt/t
vwerm lib / waz ir essent oder trinokeii/
oder waz ir an tttnd. / An difien worten / 10
vnser her / all notturfft dez mentschen / . . . .
Welhs mentsch zu essen vnd zu trincken 1 . . . .
vnd kleyder, da mit sol er (= getilgt) sich lassen b . • • .
Wann der mentsch / der nach reenter ....
licher notturfft begert zu haben / der (= getilgt) . . . . 15
der hat gar <a»> eint wenig gntingk / als auch
der heydenisoh meynster Aristotiles snricht:
'Natura in modico co/itenta est / sed conswetutfo
mala malta super addidit.' Die natuer ....
er/ die hat <a«> ein wenig narung gnlingA; 20
aber die bofi gewonheit / hat dem mentsch
vil notturft gemacht; / Vnd dar vmb ....
got / daz wir vnser begird allein an yra ....
Vnd spricht: / ist nit die sele ktfsper d&nn .... 24
. . der notturft 1 BL 6v
ez byzeichen / in dem hywtigen ewangelig
daz sagt also: / *3ebent die vogel in dem
acker / die weder sewent nach sehnident / nach
samment in ir schUwern / Vnd spyst sie doch / &
ir himelisch vatter. / Sind ir nit wirdiger /
daun die vogel? / Wer mag vnder wch / sich
eins elnbogen langk herlengern? / Waz sint
ir sorgsam / vmb vwers gewandB notturfft? /
als ich wch hab gesagt / daz ir nit sorgsam *0
seit vmb die spy 6 / also sollent auoh ir nit
sorgsam sin vmb daz gewant. / Wai,/i der got,
der wch hat geben den lip / der git auch wol /
dem lip daz gewant. / Vnd sagt da von aber
ein by zeichen: / 'Considerate, inquid, lilia agri 15
yaomodo crescunt* (Math. 6, 28) Nemeud <war> der
den eckern, wie sie waohschent; / sie arbeitend nit; [blumen utf
/oh (?) sag wch / daz Salemon in aller siner er-
wirdickeit / nye wart geziert als ein blUm dez
ac*ers. / Wann die zierde, die Salemon net, / die 20
waz im nit angeboru / Vnd steder hayw / daz
uff den , . . eken oder dem acker weohst / vnd
morn wirt geworffen in ein fywer / daz got
• also kleit / so wissint ' daz er wch wil viel
men vnd baz kleyden. / 'Nolite sollioiti esse; nee 26
dixit: nolite providere': (Math. 6, 31) Ir sollent nit . . 1 Hi, 7
sin, waz ir essent oder waz ir trinokent; / Wann (?)
352 Huber, Homilienfragmente aus der Bibliothek Metten
herr Jhesus xpus heist yds, daz wir nit sin . . .
er wil aber / daz wir vnser nottUrfft in (?) . .
5 erbeit versehent / Wan/z ez sprioht auoh e/-
liger lerer: / 'Labor (?) exercendus est, aotticitudo
tollenda', der mentsoh sol erbeitten vnd
sol dooh on wag (?) sin / also / daz yn die sorgi vmb
daz zergenoklioh gUt / nit in aim hertzen besweren
10 also / daz er gottes vnd siner sel heil <#i*7> vergesse.
'Querite ergo primum regnum Dei* (Math. 6, 33) / Suche/r/
vnser herz / zu dem ersten daz reioh gottes vnd
sin gereehtikeit / so wirt wch daz als gegeben,
daz woh notturfft ist I / Reoht als er Bprkht;
15 Daz hymelreioh, daz sollent ir zu dem ersten
sucben vnd begem vmb got / so wil wch er
geben vwers libs (?) notturft zu einer zu-
gabe. / Wann zergenokliohkeit ist nit waders
dan/x ein zu gabe / vnd daz hymelrioh ist der
20 reoht Ion. / Nun ist leider manig mmtsch
als reoht gitig / daz ez e gedenokt nac/t der
zu gabe / dan* naoh dem reobten Ion / Vnd ym
besohioht glioh als einsmals eym torn beschach:
den sohiokt sin miitter naoh oley / vnd gab ym ein
25 beoher / dar yn er daz oley solt entpbahe/?. Vnd
da er kam zu dem oley manw / da sagt er ym
1 BL?v da spraoh der tor zu dem ole man: / ir sollent
mix geben die zu gab. / Da sprach der ole man// ;
war yn wiltU die zilgab entphahen ? / Da spraoh
der tor:/ich cntphahe sie wol, gebent nun herl
5 d& bot er ym die zu gabe. / da kert der tor
den beoher vmb / Vnd versohUt daz oley mit
tfjnander / vnd entphieng die zu gab uff den
6oden. / Nlln merokent allu sa/nment, ob daz
nit ein rechter tor wer, / der die grossen
10 mafi vnd ein redelioh mefi verlor / vmb ein
Alein zii gab. / Leyder got herharms, wir
/inden dir torn ntin gar viel / vnd ist ir
. . . genoczen men / dan/i </>> gewart, daz ich gley&.
IVer mag toreohter sin, dan« der zergenoklichs
15 gut als lieb hat / daz er dar vmb git lib
rad sele / vnd kriegt vnd .... nacht vnd
tag f wie ym die zu gab werd, daz ist zitlioh ve/geneklw^r')
gut? I Vnd daz besser grosser teil / daz ist daz
') vergencklioh am Rand.
Huber, Hornilienfragmente aus der Bibliothek Metten. 363
ewlg hymelrioh / daz sUoht er nit also flissiglich ;
vnd dar vrab ver schult ere vnd verlurt ere. /
ich wil ein wort spreohec, daz da war iflt:/Ez
ist manig mentsoh uff ertrich / So (?) ez vmb daz
ewig hymelrioh / het die not vnd die erbeit
zu dem zehenden teyl / die ez bat vmb sin liplioh
rtottUrft, / Ez liefi e got vnd daz bimelrioh
daz sin scbaffen; / er wenet, ver leg er ein stund
oder ein tag, daz er got dient / er must hungers
sterben / Vnd benUgt yn nit, daz er an dem wertag
. . . . / er aoht auoh
20
IX.
/Dominica XVII. post Irinitatem (Math. 9, / — 8)].
gotoz / daz er widder velt in die sund / vnd . . .
zurnt dan/? got viel men / danw zu dem ersten.
Dar vmb buttent woh / daz ir wch nit men
wert vervnreint mit der sund / nach der . . .
rywe ' Vnd nem ein yglioh mentsoh war, ob er
By ein bet riefl, ' daz ist, eb ir yt in tot sxxnd syt.
Wan/* mag er y oder wil got nit an tuff en, so
ist er sieh vnd stirbt an siner sele. / Wan/i got
wil den mentsohen nit herborn / der da ... .
in tot sunden ist / vnd sie nit willen hat ....
zu bessern / vnd nummer zu tun. / Vnd wan/2 der
mentsoh merckt, daz er kranck wer an
siner sele, / so solt er » andechtig geistlio/t . . .
bitten, / daz sie got fur yn betten / daz er die
sund vergebe. / Vnd als dick wir got fur die
sunder bitten / als diok tragen wir fur
bet rifier. Orate pro invicem ut salvemi/i/.
10
15
X.
/Dominica XIX. post Trjnitatem] (Math. 22, 2/f.J.
Das obere Drittel der Seite ist unbeschrieben. BL 8v
Simile ert regnum celorw/w homini </**£*>, qui 1
feoit nuptias filio suo.* Die wort die ioh
£esprochen hab in dem lattin / die besohribt vns
der gut her sanct Matheus / an dem XXI. (Vulg.= 22) capitel
dez ewangeligs Vnd sprioht also: / daz himelrich »
ist glich eym kilnig/der sym sun maoht ein brut
a«ff / Vnd sant ufi sin knecht i daz er hiefi die
864 Hub«r, HomUieniragmente au* der Blbliotbek Mtttta.
geladen kummen. /vnd da der knecht zu den kam,
die geladen warent / vnd sie hiefi kummen, da
10 wolten sie nit kummen zu der wirtschafft; / da
sunt er aber ander kneeht zu yn / vnd hiefi yn
sageiiy der inbis wer bereyt vnd allu dingk /
daz sie kemen zu der wirtachafft. / Da wolten
sie nit kummen / vnd ir ein teyl warn als bofi /
15 daz sie die kneebt schlugen bifi uff den tot. / Da
daz der kttnig herhort, / da schiokt er ein mengin
des voloks ufi zu yn / vnd hiefi sie totten. / Vnd
Bl. 9 sprach zu sin kneehten: die wirteohafft dir
hoch zyt ist bereyt, / Aber die <d[y> <fe warn geladen, /
die warn nit wirdig, / daz sie kemen zu der
hochzit. i Dar vmb gend ufi / vnd wen ir vindent,
5 den ladent zu miner wirtachafft; / die kneebt
/a/en also /vnd lliden dar zu bofi vnd gut;/
vnd wart daz husoh vol. / Da gieng der kunig
zu yne, / daz er sehe die geladen. / da fant
er ein da, der waz nit bekleyt als ein man
10 sol sin / zu hoohziten. / zu dem spraob der kunig:
vrtvnt, / wie bist hie hir in kummen on hoohzitiglichs
kieit? i da kond er ym nit ge entworten. / da
spr&oh der kunig zu sin kneehten:/ Bindent
vm hend vnd fufi zammen vnd werffent yne
15 in die ussern vinsternyfi, ; da nit anders ist
dann wein vnd zan klaffen, / Vnd sprach zu
vorderst ein hersohrockenlich wort: < 'Multi
sunt vooati, pauoi vero electi' (Math. 22, 14): Ez sint viel
zwar(?) geladen / ez sint aber wenig Usserwelt /
20 So(?) ist daz evangelium in tutsche. By difiem
kunig ist bezeiohet got, der vatter von hyme)
. . Vnd difi kllnigs sun / bezeiohet gottes sUn /
vnsern herren Jhesum xpm; / die gemahel / die
BL 9v heiligen oristenbeit / die gemahelung vnd
die herlosung, / die vns vnser her Jhesus
tet mit sym heiligen liden. / Die botten . . .
dir her ufi sant / daz warn / zu dem arsten
5 Moyses vnd Aaron. / Die andern daz warn
die wissagen. / Vnd die <</v> da warden geladin,
daz warent die iuden / den got zu dem ersten
verkttnt, / daz got der sUn / uff ertrioh waz
kummeu, daz er sie lost von irn s linden, er
Aschner, Zum Ludu* de Antichristo. 355
tet yn daz ktint / durob her Moysen / vnd die 10
andern wissagen I vnd lud sie / daz sie Yemen
zu der wirtschafft der ewigen freyd. / Da
wolten die toreohten iuden nit uff . . .
Wan/i sie wolten nye / an got gleyben, . . .
herren Jhesum xpm/vnd scblugent sin botten 15
vnd totten auch ir viel der wissagen . . .
der beiligen / vnd da von wart der kttnig,
daz ist got der vatter / her zlirnt, / Vnd . . .
Bant (?) voloks zu yn. / da wurden sie gefangen
vnd ein teyl hersohlagen der iuden / v/zd 20
ir stat verbrent gar / Als wir lefien an
der oronioken / daz die Roiner kamen . .
. is
Stift Metten (Niederbayern), den 29. September 1912.
P. Michael Huber, O. 8. B.
Zum Lucius de Antichristo.
Wilhelras Unternehmen 1 ), in rascher Folge sorgf<ig
erlesene und redigierte Texte zu bieten, die wichtig und
bisher nicht allgemein zuganglich gewesen, ist zeitgeraass,
da ahnliche Kollektionen, wie z. B. die tiichtige, vielseitige
von Hans Lietzraann in Bonn, im Erscheinen voraufeilten
oder nebenherlaufen. .
Ein schtfner, verheisseuder Anfang, dass mit dem
glanzenden Ludus de Antichristo begonnen worden! Der
war in Wilhelm Meyers grundlegender Abhandlung den
weiten Kreisen der Gebildeten und Studonten doch kaum
erreichbar und wird jetzt in den schmucken, billigen roten
Heftchen viel kraftiger zur Oegenwart sprechen. Dass er
aber noch heute in patriotisch begeisterungsf&higen Ge-
miitern des Neuen Reichs ziindet, dieser Sang von des
Alten Reiches Herrlichkeit, das hat ja Wilhelm selbst er-
probt, als er ihn vom Miinchener Seminar auffiihren liess!
') Miinchener Texte* herausgegeben von Friedrioh Wilhelm,
Heft I: Ludus de Autiohristo. Verlag von Georg D. W. Callwey in
MUnohen.
366 Aschner, Zum Ludus de Antiohriato.
Der Text ist nach beiden Handschriften moglichst
lesbar rekonstruiert. Nur wenig ist dazu anzumerken:
S. 3 v. 17 f. Dapnamus Druckfehler ftir Dampnamus.
S. 11 v. 21 soils Imperator Druckfehler fur solus lm~
perator.
S. 22 v. 12 vgl. S* 18 v. 13—14: erg&nze etwa: et ut
Me iubet deum adoremur.
S. 23 v. 11 zu Invldla vgl. ahd. und mhd. nit = Hass,
Feindsohaft, Kampf.
S. 25 v. 2 labor vgl. ahd. und mhd. arbelt = Mtthe,
Not, Pein. Ebenso altprovengal. trebalh, trebalha, trebalhar.
S. 25 v. 21 — 22 Gegensatz von flrmltas und infirm Has,
vgl. mhd. state und wandel und das nachdenkliche Lied
in den Carm. Buran. (Breslau 1904) S. 46. Giottos geist-
volles, lebendig erschautes, virtuos und ktthn behandeltes
Gem&lde n Die Unbest&ndigkeit" in Padua will nicht ver-
gessen werden.
S. 27 v. 21 Druckfehler inquitatis statt iniqui talis, vgl.
S. 28 v. 2.
S. 28 v. 16 eos; zu erg&nzen, weil sonst unklar: et
prophetas et synagogam. Auf die im seelischen Ausdruck
erstaunlichen Bildwerke Synagoge und Kirche am Bam-
berger und Strassburger Mtinster, Mitte des 13. Jhdt., war
hinzudeuten. Wiedergaben derselben hfttten dem Biichlein
zur Zierde gereicht.
S. 4 v. 28 hystoriogravorum. Barbarossa war liebevoller
Kenner der Geschichte, und so ist seine Berufung auf sie
an unserer Stelle ungemein bezeichnend.
S. 19 v. 31 per gladlum ultorls, vgl Carm. Buran. S. 11
sed arrepto gladio see I us hoc ulciscere!
Historische Noten fehlen leider, werden durch das
knappe Vorwort keineswegs ersetzt und sind doch fiir das
mit Geschicbte gleichsam geladene Gedicht unentbehrlich.
Wilhelm datiert dieses schdnste Zeitgedicht des Mittelalters
vor Walther und Dante urn 1160, nur wegen der leiden-
schaftlichen Invektiven gegen Frankreich, als ob die Ri-
valitat mit diesem unter ta ten fro hen Kdnigen m&chtig auf-
Aschner, Zum Ludus de Antiehrieto. 35?
strebenden Lande, wo seit 1180 der Friedrich an Geist
und Kraft ebenburtige Philipp Augustus das Zepter trug.
der Sieger von Bouvines, nicht das ganze 12. Jhdt. erfullte.
Zuderu gab es einen deutschen Kflnig, wie er neben dem
Kaiser im Drama auftritt, erst seit 1169. Dass franzSsische
Militia (Ritterschaft) und Superbia vom Glanz der be-
riickenden Greisengestalt Barbarossas uberstrahlt werden,
braucht unser Dichter nicht erst zu erfinden. Er erschien
und erscheint noch heute als der Mann der Epoche. Fran-
zosen und Provenzalen strtfmten huldigend 1 ) und bewun-
dernd zu seinen Reichstagen, auch 1174 zum Mainzer Fest,
das Veldecke besungen hat.
Burgund, das von unserm Dichter vielleicht mit Frank-
reich identifiziert wird, huldigt 1157 zu B^sancjon. Der
Rex Graecorum, wie den Kaiser von Byzanz um 1160 auch
ein Lied der Carm. Buran. S. 33 nennt, beschickt 1157 den
Tag in Wxirzburg. Vom Kaiser hat der Dichter eine ganz
lebhafte Anschauung, wie einer, der ihn nicht nur in be-
deutenden Zeitpunkten gesehen, sondern sein Wort gehtfrt,
seine Ziele verstanden hat. 1st es nicht bei den Versen
(5, 4) :
Sub his (= Romanis) imperii dilapsa est potestas,
Quam nostrq repetit potentif maiestas,
als ob wir den Kaiser selbst htfren, wie er 1154 schroff und
bestimmt zu den Gesandten der jungen, hochmutigen Re-
publik Rom 2 ) redet: „ Nicht bei euch, die ihr verweichlicht
und voll Trug seid, sondern bei den Deutschen, bei uns,
die wir voll Kraft und Treue sind, ist das alte Rom und
seine Herrschaft und seine Tugenden.* 1 ? — Selbst der
Teufel scheitert an deutscher Robur und obsiegt nur durch
! ) Aebnlich dem allgemeinen Heischen der Huldigung fUr den
Kaiser im Ludus hatte der gewaltige Papst Gregor VII. um 1078
die Herrschaft eines neuen Imperium Romanum fUr sioh gefordert
und durobgesetzt.
*) Sohon vor dem Arohipoeteu IX, 16, 3 entwiokelt Notker im
Vorwort seines Boethius, Braune ahd. Lb. 1902, S. 55—56, deu
Uebergang des Imperium Romanum an die Deutschen.
358 Anohner, 55um Ludus de Antichrists.
sch&ndlichsten Betrug. Nicht anders hat Diirer seinen Ritter,
Tod und Teufel aufgefasst oder Bismarck den Kernspruch,
dass die Deutschen Gott fiirchten, sonst nichts. Mit dem
Rex Jerosolimorum wird naturlich auf das christliche Ktfnig-
reich angespielt, das von 1099 bis 1187 mtihsam dem An -
sturm der Unglaubigen widerstand. Wie ist's nun mit dem
Rex Babylonis? Soil er, was an sich ginge, als typischer,
ungeschichtlicher Vertreter der Gentilitas gedacht werden,
deren Sang streitbar das Stuck ertfffnet? Idolatria und
Fides 1 ) hadern auch sonst miteinander. Meist ist Babylo*)
das apokalyptische und hier, in einem Antichrist, ganz
gewiss, oder der Psalm von den salicibus Babylonis wirkt
nach. Darait vereint sich aber bei unserm so eminent auf
seine Zeit gerichteten Mann ohne Zweifel der Gedanke
an jenes im 12./13. Jhdt. bliihende agyptische Babylon
bei Kairo und Alexandria, das noch bei Wolfram 8 ) und im
Wigalois eine Rolle spielt Wie ja der Imperator niemand
anders sein kann als der Rotbart, so gab's fur seine Zeit-
genossen nur einen Rex Babylonis, Saladin, der seit 1171
in Aegypten um sich griff, was ubrigens auch gegen das
Datum 1169 sprechen wurde. Schildert des Vorspiels erste
H&lfte die kaiserliche Oberhoheit uber das Abendland und
die Kirche, so die andere die Vorgange im Orient, die wie
ein Blitz ganz Europa in Flammen setzten, als Saladin den
Kreuzfahrerstaat in Scherben warf. Wird dieser schon um
1193 von Bligger von Steinach und Hartmann von Aue 4 )
als allbekannter Held ruhig hingenommen, wandelt er auch
verkl&rt, fiir Lessing ein erwiinschtes Beispiel toleranter
Menschlichkeit, bis Boccaccio durch die italienischen Novel-
len, den Zeitgenossen ist und bleibt er zunachst fori aluratz,*)
l ) Carm. Buran. S. 24.
a ) Carm. Buran. 24, 26, 38.
8 ) Parcival, Laohm. 1, 14,3. 18,14, 21,ao, 106,ii, Beneoke zu Wiga-
lois S. 4«t.
4 ) Barteoh, Liederdiohter 1901 S. 86 v. 38, 89 v. 87.
*) Provencal: Tiraden vom Albigenserkrieg, Appel 42 v. 401, die
die Belagerung von Akka 1191 sohildern.
Aschner, Zum fjuduw He Antichristo. 359
der latro Me pessimus jener anschaulichen Neuen Mare in
den Carm. Buran. 29, die den weinenden Christen die ganze
traurige Geschichte zutr>, wie sie Ende Juni 1187 rait
der Ungliicksschlacht bei Tripolis sich anhebt und am
3. Oktober mit dem Pall der Hauptstadt schliesst. Ordinans
acies vadit ad obsidendam jerosolimam heisst es darauf be-
zuglich ira Ludus. Der Kaiser rustet sich und wird nach
der Niederlage des Rex Babylonis in der heiligen Stadt
einziehen und im Tempel sich demutig vor dem Kaiser
des Himmels beugen. Eine wunderschdne Vision und Apo-
theose, jener in der altfranz. Karlsreise vergleichbar, wo
Karl mit den Zw5lfen erhaben in der Grabeskirche thront.
Mit ihr endet das Vorspiel, ganz den Untergang des Hel-
dengreises in den Fluten verschweigend. Oder ist er nur
entriickt, der gute Kaiser Friedrich, 1 ) und wird einst wieder-
kommen? —
Wie anders Akt II! Da wird noch einmal der Rex
Babylonis von den Deutschen besiegt, die jetzt nicht raehr
vom Kaiser, sondern vom Rex Theotonicorum gefuhrt wer-
den, — aber im Dienste des Antichristes. Es kommen nur
zwei solche Ktfnige in Betracht, Friedrich 2 ) von Schwaben
und Heinrich, seit 1191 zu Rom als Kaiser Heinrich VI.
gekront. Da dieser, vorlaufig in Deutschland und Italien
beschaftigt und erst gegen Ende seines Lebens, um 1197,
ernsthaft an einen Kreuzzug denkend, in die orientalischen
Wirren nicht eingriff, bloibt nur der jiingere Friedrich
ubrig, der nach seines Vaters Untergang das Heer nach
Antiochia fuhrte und dann 1191 vor Akka sein Leben ver-
liert. Wenn im Ludus der KGnig Jerusalems zum deutschen
KOnig flieht, scheint darauf angespielt zu werden , dass
Guido von Lusignan seit 1191 das Kommando vor Akka
ubernimmt. Im Juli 1191 ergibt sich die Stadt. Diese
verzweifelte Epoche 1190/1191 schwebt, wie ich glaube,
l ) Der Diohter scheiut die Sage zu kennen. Discessio, nicbt
mors heisst es S. 16 v. 13.
") Der Rotbart in throno zwiscben beidea Regen, in einer Wein-
gartner Hds. um 1200 als Miniatur abgebildet.
360 Aschner, Zum Ludus de Antiohristo.
hier im II. Akte unserem Poeton vor. Denn man kann
doch nur an die Zeit unmittelbar nach des Rotbarts Heira-
gang denken, wo der endgiiltige Verlust Jerusaleras besiegelt
scheint, das wehmiitige Gedenken an versunkene Herriich-
lichkeit noch schmerzt, der junge Kaiser noch nicht Hoff-
nungen erweckt. Die Besiegung Saladins im L Akte deckt
sich unmflglich mit der im zweiten. Rotbart hat eben, das
blickt deutlich durch, schon weil er vorzeitig im Saleph
umgekommen, seinen Gegner nicht vernichtet, das Grab
nicht befreit. Im christlichen Sinne und im Sinne des
Dichters aber war er allein der Mann dazu. Seine Nach-
folger werden zwar auch mit deutschen Waffen siegen, aber
unterm Antichrist. Die Kreuzzuge sind gescheitert, erklart
resigniert der Dichter. Dio Ereignisse haben ihm Recht
gegeben. Die Einnahme Akkas und der faule Priede von
1192, die vielleicht im Ludus noch nicht gemeint sind,
kOnnen doch nur als Pyrrhussieg gelten. Jerusalem war
und blieb verloren, und dieser Verlust war ein Stoss ins
Herz des gesamten Ritterturas, dessen raoralischer und
idealer Niedergang nicht zum mindesten seitdem anhebt.
Als Strafe Gottes wurde er gleich empfunden, 1 ) Jerusalem^
Wiedereroberung als Mittel zur Erlflsung der Seele am
letzten Gerichtstag. Unser Dichter geht aber noch weiter :
Der Antichrist^ dessen Kunft einst mit Bangen im Jahre
1000 erwartet worden, ist schon da, der jtingste Tag nahe.
Jerusalems Fall ist durch des b5senPeindes List verschuldet.
Den edlen Vatern, sagt ein lateinisches Gedicht,*) sind, wie
schon Jesajas gepredigt, fures et furum socii in der Kirche
gefolgt. Die Karitas erkaltet, die N&chstenliebe r&umt dem
Eigenutz das Peld. Zur Spelunca vespillonum ist die Kirche
geworden. In templum Salomonis j venit princeps Baby-
lonis*) / et excelsum sibi tronum j posuit in medio. Raab, der
x ) Carm. Buran. S. 25, 26, 28,32. Provencal.: Lieder, Appol 109,
1 10, Altfranzos. : Waokernagel S. 24—36. Deutsche, Bartaoh S. 25,
36, 86 u. a. m.
*) Carm. Buran. 11, 21, 38,9. 15, 4
•) Hier natilrlioh ist nioht Baladin. sondern der princeps tene-
brarum, Carm. Buran. 21, gemeint.
Aschner, Zum Ludus de Antiohristo. 361
von Jesajas genannte agyptische Drache, verschlingt das
Schiff der Welt. Das Weltliche Jerusalem ist gesunken, weil
es das geistliche eben schon vorher gewesen. Charakteristisch
genug ist im Ludus die aussere Erscheinung des Satans
beschrieben sub atbis*) indutus loricam. So gehen namlich
die neumodischen „geh5rnten a und geharnischten Bischflffe
breitspurig einher. Kin/alsum veritatis augurium, Carra. Buran.
22, betriigt alle Welt, kein anderes, als was nach unserem
Dramatiker des Bdsen Gefolgschaft H§ rests 9 ) und Ypocrisis
unernriidlich ausbreiten. Die geistreichste Darstellung des
Heuohlers vorm Roman de la rose, Gowers Confessioamantis,
Scarron, Regnier, Molifere, wie er wehe ruftuber dieVanitas 4 )
und die s$culares pr§latost Bei den Kardinalen Simonie,
(Carra. Buran. 15, 18), bei schwarzen und grauen MOnchen,
den Norpertini, Idolatriel Bei den Laien (Ludus 14, C. B. 49)
Entartung! Kann das lange so fort gehen? Von Prank-
reich her hat sich der Liigengeist 6 ) Subtilitas verbreitet,
sei es in der Scholastik oder der Reform von Cluny-Hirsau.
Vordem, in derguten, alten Zeit, unterm Rothart, herrschte
Simp lie Has*) und deutsche Virtus, die auch jetzt noch der
wohlfeilen pecunia und Kriegsgewalt des Antichrists Stand
halt. Besonders der asketisch theokratische Geist von
Cluny, der seit 1096, besonders unter Gregor VII.,, alle welt-
liche Gewalt unter des Papstes Obmacht zwingen wollte,
musste unserem staufisch gesinnten Dichter als ein aus dem
Abgrund gestiegner erscheinen, der die Welt verseucht und
das jungste Alter einleitet. Der Rotbart dagegen , das
wusste er ganz gut, hatte schon im Jahre 1158 eine deutsche
Nationalkirche begehrt, die, von Rom gelost, dem Kaiser
gab, was des Kaisers war. Ein solcher Zustand, in der
*) Ludus 14 v. 6. albis von Meyer richtig eingesetzt fur aliis*
vgl. Carm. Buran. S. 16 9 loricam pro alba."
•) Zur Heresis vgl. Provencal: Appel S. 107, 162, zur Ypocrisis
Carm. Buran. 38.
4 ) Ludus S. 16 Tgl. Carm. Buran. S. 14.
*) Ludus 18.
•) Carm. Buran. 38, Ludus 20—23.
UUnohener UuMum f. PhUologU dw MA. I. 3. 24
362 Wilhelm, Eine deutsohe Uebersetzung der Praefatio.
Reformation verwirklicht, schwebte ihm, Seher und Poet
zumal, vor der Seele. Der Ludus, dieses reifste, idealste
Carmen Buranum, das wir haben, hat Wurzel geschlagen
in seiner Zeit, zur Naohfolge aufgerufen. Daftir ist der
Ludus scenicus de nativitate Domini, C. B. 80, ein freilich
nicht vollwertiges Zeugnis. l )
Charlottenburg
S. Rschner.
Eine dentsche Uebersetzung der Praefatio
zum Heliand.
Von der zweiten 1562 zu Strassburg und Basel erschiene-
nen Auflage des Catalogus testium Veritatis des Flacius
Illyrieus erschien Oetrucft ju gtancffurt am Sflain / Slnno
l ) [Der im Vorstehenden abgedruckte Aufsatz Asehners wurde
als ,,Recension" eingesaodt. Da das MM. Recension en im land-
laufigen Sinne des Wortes nicht bringt, sondern nur erganzende
und die Forscbung ford em de Aufsatze, die an eben erscbienene
BUcher ankniipfen, so erscbeint Asehners Arbeit als Abhandlung.
Als fordernd mils sen die Bericbtigungen der sohon vom Heraus-
geber bemerkten Druokfehler angesehen werden und der fUr das
Benediktbeurer Weihnachtsspiel wohi zutreffende und fruohtbare
Gedanke Uber den Konig von Babylon. Ob die gleiche Auffassung
im Ludus de Antichristo vorliegt, diirfte fraglich sein (vgl. die in
der Ausgabe der Chronik Ottos von Freising von A. Hofmeister,
Hannover u. Leipzig 1912, S. 604b unter Babylon und Babylonia
nova gesammelten Stellen). Problematisch dagegen sind die son-
stigen historisohen Kombinationen des Verfassers, die W. von Giese-
brechts niicbtern abwagende Datierung nicht zu erschUttern ver-
mogen (vgl. W. Meyer, Gesammelte Abhandl. I 146 f.)- Wie leicht
es ist, gerade bei dem Ludus de Antichristo politisohe und geschicht-
liche Kombinationen zu machen, zeigte die Auffiihrung im MUn-
cbener Seminar. Bei der Abfertigung der Ypocritae durch den
deutschen Konig (19, 24) wurde im Hinblick auf eine kurz vorher-
gegangene Situation der ausseren Politik des Jahres 1911 lebhaft
von einzelnen Horern getrampelt und mit den Handen geklatscbt.
FUr das Gedioht ist das gewiss ein gutes Zeichen. F. W.]
Wilhelm, Eine deutsche Uebersetung der Praefatio. 863
MDLXXIII eine deutsche Uebersetzung, die Conrad Lauten-
bach von Mutiszlar, Pfarrherr zu Hunaweiler besorgte. Diese
Uebersetzung enthalt selbstverstandlich auch eine Verdeut-
schung der Praefatio in librum antiquum Saxonica lingua
conscriptum. Da die Ubersetzung auf Bitten des Flacius
veranstaltet wurde und derUbersetzerin seiner Vorrede sagt,
dass er auff tin ncbcnjcttcl oerjcicf)nct (jab / roaS mid) fdjtoer /
jrrig onb Jtoeiffelljaffttg bebiincf et / onb jum oberflufe bic oerjeicl)*
ncte fitter fompt bem ganfcen teutfdjen Sjemplar / bem Slutori
felbS onb onbern geleljrten Scutcn ju befid^tigen »nb guuerbeffera
ober fcfjtcfet, so durfte der Abdruck der ins deutsche uber-
setzten Praefatio aus dem ausserst seltenen Buch nicht un-
willkommen sein. Ich bediene mich des Exemplars der
Miinchener Universit&tsbibliothek, das die Signatur Hist,
eccl. fol. 314 tragt.
©t. 57 r. SBorreb auff tin alted Bug in ©e#fM<ler
fpraifc gef$riben.
£>© tool bet frome ftenfer Subouicud jam groffen oorftanb bed
gemeinen nufced / naa) feinem fjofjen on furtreffenlicfie ocrftanb / oiel
guts bingd au otbnen onb anauriefcten begetet / fo ift er bod) furnemltd)
in bem fletfftg onb embfig getoefen / toad bem J&etltgen drift enlidjem
glauben / onb ber ©eelen emiged fieil angetroffen $at / onb ftd) be*
mu$ct teglidj / bai Shrfct fo jljm ©ott onber fein Regiment gegeben /
roeifelicf) S u onberrid)ten / $u Ijdfiem onb treffenlidjern bingen anleitung
onb furbernud §ugeben / onb ailed mad fc&eblid) onb abergleubifdj mar /
ju bempffen / bamit gieng fein frommed $erfe ftetd omb / bad wax fein
luft onb freub / baft er bed guten me^r / onb bed bdfen meniger madjte.
SBic man nun in anbern onaef)li$en onb fdjtedjten bingen fein teemed
gemut fpuren mag / Sllfo roirt fein molmeinung in bifem groffen IBua)
$dd)lid) gelobt. S)ann mo oorfnn alletn bie gelerten bie Ijetlige ©cfcnfft
oerftanben / fo ift ed nun burdj fein fleifftgd an&aften onbet feinem 9te«
giment / burdj ©otted Sldmec^tige miirfung bafn'n lommen / ba» ailed
$olcf in feinem Sanb / ob ed gleid) bie Seutfcfje fpradj rebet / bannodj
bie £eiltge Sdjtifft lefen fann / ©ann er Ijat einem au& (Sadjfen 2anb /
ber ben ben feinen fiir etnen bet^umbten Sfoeten gefjatten marb / befobjen
bafj alte onb neme Xeftament in £eutfd)e fpradj onb Sft&eimen $ubringen /
Dam it nit aQein gelerte / fonber aud) ongeleitc Beut / bie fjeiligen ge*
bott ©otted lefen mdd)ten / 2BeId)er aud) bed fteuferd befell nad)ge-
fefcet / onb bad fouiel befto ef)e / btemeil er audj suuor oon oben §erab /
ermanet morben / onb ba& fdjmere onb ^o^e men! an sugreiffen. 2>arumb
24*
364 W ilbel m, Eine deutsohe Uebersetzung der Praefatio.
er fi<$ oiel meljr feineft gefjorfamft / battn feineft geringen oerftanbft ge*
trdftet / gfieng berljalben an oon erfdjaffung ber melt / 30$ bie fur*
nembften §iftorten @ummartf(f)er ratify tin I bifymtiltn matin eft jn gut
buntfete / fefcet er audj bie $etmlid>n beutung / ©olmetfaHet alfo nad>
gtoerifdjer metfe mit anmutiger toolrebenljeit / bad alte onb netoe £efta*
ment bib 3« *«&* / Ijat audi bafe metcf / fo attlia^ onb oerftenbtlid) /
na<$ betfelbigen fprad) eigenfa^afft gefteHet / ba% eft alien bie eft Ijdren /
onb oerftefjen / Iieblia^ onb angenem ift. (Er ^at audj baft ganfc JBudj
nadj art betfelbigen $oeteren / onberfdietben in Vitteas, meldjeft n>ir
Sectioned ober capitel nennen mogen.
SRan fagt bifet gtoet attft er Pali auff bife funft nod> nidjtft oer*
ftanben fjab / feu im traum ermanet morben / bie gebott beft (Sdttlia^en
gefafcbualift / nad> feiner eignen fpradj gefangft meifc / onb in ein feine
SRelobeu jufejen / SBer audj bife oerfe oerftefjet onb oernimmet / roaft
fid) bifer $oct fonberlidj befltffen / onb moljin er gefefjen / ber totrbt
an bifer etmanung nit gmetffltn / bann eft ift fo reid) an morten / onb
furtreffenlidj an oerftanb / bafy eft toeit alien £eutfd)ett spoctcreuen ober*
legen ift. (Sft tttnget rool nad) btm aufefpredjen / ttber nad) bem oer*
ftanb ift eft nodj &errli$er / ©aim ba» ift ber ganfcen fjetttgen ©djriftt
art / j$e meljr man ftdj ifjr annimpt / \t)t anmutiger onb Itebtidjer
mirbt fle bem Sefer. ©aunt aber ein fleifftger Befer befto tei$tli$er
ein Jebefl / mie eft ergangen ift ftnben Wnne / fo ift an Jebetn fentent /
mie eft audj baft merd an i§m felber erfotbert E)at / bie ©umma oer*
jetdjnet.
SUrfc oon bem ^oeten onb £olmetfd&en
bifeft ttudjft.
S)(Sft man eft leben arbeit onb fleife
ffitE id) befdjreiben Sfteimen metft I
Der ftdj eroe&rt mtt arbeit rljato /
SBnb fjielt ben $flug im atferbam /
5 6eln ©eufeletn mar mit ftrolj bebecft /
Stuff seitlidj gut ftdj gar nit tegt /
Stein 9*o6 bef$rit fein fdjmellen nie
Dodj gteng er gem omb mit Sftinb oiefc
©anfc fribfam mar er aUeaeit /
10 Sebt oon feim eignen gut on neib /
ftetn mettlid) prad)t / (f&r / ©errltgleit '
Stein geifc tt)et im etmaft ju Ieib /
9Hemanb im ongunftig mar /
dr felbft audj leinen tjaffet jroar /
16 Wit freuben fteraet er ben $flug /
(it martet big ber ©cfer trug /
Werner, Jubilue bibulorum. 365
60 offt Me ftnftcr nac$i oetgteng
SBnb bit ©onn au fdjeinen onfieng
Zxib et fein fltnbet (1) alfo balb
20 Sluff guie rneib in grunen SBalb /
S9(. 68r. Stun begab eft fid) an einem tag
$afj et fur mube niber lag
SBnb onber einem ©aum entfdjUeff /
JBalbt jm ein ftim 00m ©immel tteff /
25 ©aft madjftu aIU)ie Sfoet
din netoe arbeit bit ^ufte^t /
$)ie fjeiligc fd)tifft 3U fmgen
SBnb in fceutfdje fptad> ju bringen
$temit bet JBametftmaiF tmglert
30 Son ftunban aunt gtoeten n>atb /
JBefam ein gtoffe lieb onb gunft
ding malft $ut $poetifd&en tunft /
£u fdjtetben et ben anfang nam
Son bet ffielt fdjdpffung / big et (am
36 ®at naf) bi& auff funff taufenb jat /
Die bodj nit feinb etfuEet gat
©a auff etben geboten ift
©er $ett onb §eilanb gefuft (E^rtft
60 on* 00m tobt onb %tUm petn
40 drfdfet $at but#ft teiben fein.
Munchen. Friedrich Wilhelm.
Jubilus bibalorum.
Das S. 92 94 aus Clm. 15613 abgedruckte Kneiplied
hat aus der gleichen Handschrift W. Wattenbach im
Anzeiger f. Kunde d. d. Vorzeit N. P. 27 (1880) Sp. 173 bis
175 herausgegeben. Auf eine etwas abweichende Fassung,
die mehr rait dem von Hoffmann v. Pallersleben In
dulci jubilo (1854) p. 90 f. Nr. 37 gegebenen Text uberein-
stimmt, habe ich 1887 im Anzeiger f. deutsches Alterth.
aufmerksara gemacht. Der wanderfrohe St. Galler Mtfnch
Gallus Kemly hat das Lied seinem Diversarius mul-
tarum rerura einverleibt; aber an welchem Orte er es
aufgezeichnet hat, l&sst sich nicht ausmachen. Diese Pa-
pierhandschrift steht jetzt auf der Stadtbibliothek Zurich
als C. 101/467 und ist in meinen Beitragen zur Kunde der
366 Werner, Jubilus bibulorum.
lat. Lit. des Mittelalters (1906) p. 152—183 beschrieben.
Die Verse stehen fol. 127 T und 128 r ; die lateinischen Worte
sind sehr stark abgekurzt, damit sie mit den deutschen
zusammen nur je eine Zeile fullen soil ten.
Jubilus bibulorum.
1] Wol vff ir gesellen in die taberne:
Aurora lucis rutilat
Ach lieben gesellen, ich trunck als gerne
sicut cervus desiderat.
5 II] Es ist ein vol fass vff getan
Jam lucis ordo sidere;
Ich weis kein bessers vff minen won
A solis ortus cardine.
III] Wirt Nu lange her dinen win,
10 Te deprecamur supplices;
So wellen wir singen vnd frolich sin,
Christe, qui lux es et dies,
IV] Einer warff die crusen wider die Wand:
Procul recedant sompnia.
15 Der sich selber ie gemacht, der werde geschant
In sempiterna secula.
V] Trincke vss der krusen, daz ist din frome;
Inpleta gaudent viscera.
So wennet din hertz, dir kom ein ome;
20 0, quis audivit talia?
VI] Der abent quam, sy wurden falle,
linguis loquuntur omnium.
Die messer wurdent vs getan;
Turbe pavent gentilium.
25 VII] Dem eine ward ein baggenstreich,
daz er rief: veni redemptor gentium.
t. ir gesellen Uber der Zeile zugefiigL 3. lieben unterstrichen ;
dariiber ist ioh gesetzU 17. vfp (= usser?) 19. wennet din ist korr.
zu wennest dim. 22. liguis.
Ob 25 a us Hoffmanns 7Vx/baggensohlag,29andiewand(y#/\*hend
und fuss) zu bessern ist, bleibt ungewiss, da auch 21:23 nicht reimen.
Wilhelm, Ein Parzivalbnichstttok aus Freiburg i. Br. 367
Der ander vnder der banck gelag,
da was fletus et stridor dentium.
VIII] Dem dritten bonden sy hend vnd fuss:
ligatus es, ut solveres. 30
Gedenck, gesell, vnd bezal zfi hand,
aut cruciaris septies.
IX] Ach wirt ich will bezalen dich
Te lucis ante terrainum.
Ich wil gelt holen sicherlich; 35
nunquara revertar in perpetuum.
X] Vil balde er schleich in ein schure,
feno iacere pertulit;
Als ob er wer vngehure,
presepe non abhorruit. 40
XI] Der wird der quara vnd fand in do:
hie iacet in presepio!
Die gesellen wurden alle fro:
Benedicamus domino!
33. will und dioh habe ich eingesckoben. 35 holen gelt.
Ziirich, 2. Oktober 1912. Jak. Werner.
Ein Parzivalbrnchstiick aus Freiburg
im Breisgau.
A Spalte, Parz. 227, 23 fg. 2. Spalte, Parz. 229, 4 fg.
,. ove ein rede fpaehir man batze
orfe ften div rit cho . . . m vraevelich den gaft
ter bate vnde ... rten ellens
in an (in . . . gem ach vnd h. . . . .ohzedem wirtalf obim waere
^M?) 1 ) ... def heter nach den lip ver
. . w . . p . . t ward do fi den lorn von dem irngen partzifal
ivngen do er fin fwert fo wol gemal bi
ane bart befahen alfuf min im ninder ligen vant zer ivfte
. . . . h tw . . nger fine haut daz im daz
Si jaben er waere fae.de. . . . ch plat . . en nageln fchoz vnde
. . nwaze. . iefchderjvngeman im den ermel gar begoz Nein
l ) es kann dies der Rest von Mit sein oder von zuht. Das
Erstere ist mir wahrscheinUcher.
368 Wilhelm, Ein ParzivalbruchstUck aus Freiburg i. Br.
er tw . . . ram von im fan von . . . . ere fprach div riterfchaft Ez
vgen vnde den handen junge . . if. . ein man der fchimpfel chraft
alte wanden daz der ander tag ... at fwie trurioh wir alle fin Tut
erfchine Suf faz der mi . .werzuhtgeinimSchin Jrnfult
— — - Falz
. inen mantel dar Den legt dar get ir fit ein liebergaft vnde
an fih fchuttet abe iv . . . nef laft.
Mit offner fnure
3. Spalte, Parz. 242, 28 fg. ter fin der tach vor ffnem bett
Miteinen bettegeeret daz.. ioh.. audirz lach der vflfe ein teppioh
ar mer mvet fit der erde d . . .
felih ! ) richeit bluet dem bette er fa . . juncherren fnell vQuh . . .
waf ar . , . im dar naher
mvt tiwer alfergleftevz einem t . . . — Falz
lach dar vtfe ein phelle liht gomal
die ritter bat do partzifel wider — blanch Och zoh im mer gewantef
en an ir gemach Da er . . h . . . ab
te fach Mitvrlftbe fi fohidendan . Manich wol geborner ohnab
hie hebt fich ander dif*nft au V . . Fletioh
kertzen vnde div varwe fin . waren difiv chindelin Nv feht dort
ze gegenftritte fchin . wie mohte quam ze der t . . her in vier clar s )
lih 4, Spalte, utiles erlich.
Ueber dieses ParzivalbruchstUok, den Rest eines Doppelblattes
in der Freiburger Hs. Ms. 362, babe ich in § 44 meiner Geschichte
der hsliehen Ueberlieferung von Strickers Karl dem Grossen (Am-
berg 1904) berichtet. Da der Zustand des Fragment ea sicber nicht
besser wird, und eine Loslosung desselben nicht bloss die Hs. son-
dern auch das Bruchstuck solbst beschadigen wUrde, gebe ich hier
einen Abdruck desselben, soweit es damals von mir nach mehr-
tagiger, die MUhe kaum lohnender Arbeit entziffert werden konnte.
Das BruchstUck gehort der Gruppe G an, hat aber manche se lb-
stand ige Lesart. Zu berichten ist, dass dieVerse nicht abgesetzt sind.
Miinchen, den 26. November 1911.
Friedrich Wilhelm.
') oder folihf ■) von vier clar nur noch der obere leil der
Buchstaben erhalten, das andre weggeschnitten*
Berichtigungen.
In dem Gedioht des Feigenmuntorden ist auf S. 38 oben V. 47
ausgefallen. Er lautet:
Kiim behent vnd schier.
S. 45 ist zu lesen Fridankus statt Freidankus.
Kgl. Hofbuchdruokerei Kastner & Callwey, Miinchen.
i
i